- Alles Bush oder was? - Zardoz, 20.02.2003, 00:24
- Re: Alles Bush oder was? - Turon, 20.02.2003, 03:04
- Ob der wirklich so ein Trottel ist wie er immer dargestellt wird? - rocca, 20.02.2003, 04:32
- Na ja?!! - marsch, 20.02.2003, 10:17
Ob der wirklich so ein Trottel ist wie er immer dargestellt wird?
-->Herr im Haus
Der 11. September, Afghanistan und Irak: Bob Woodward beschreibt die ersten Monate der Bush-Regierung nach den Terrorangriffen - und einen selbstbewussten Präsidenten
Von Malte Lehming
George W. Bush ist grobschlächtig, provinziell und nur durch Tricks an die Macht gekommen. Er ist geistig eher unrege, hat einen religiösen Spleen, seine Popularität verdankt er dem Zufall des Terrorismus und ein paar klugen Redenschreibern. Außerdem hat er einen Vaterkomplex und hängt als Marionette abwechselnd an den Fäden von Vizepräsident Dick Cheney und seinem engsten Berater Karl Rove. So jedenfalls wird der amerikanische Präsident außerhalb seines Landes gesehen. Auch in Europa hält man von dem Texaner nicht viel.
Dabei steht jeder, der diese Meinung von Bush hat, vor einem Rätsel: Wie kommt es bloß, dass kaum jemand in Amerika den Schwindel bemerkt? Woran liegt es, dass die Umfragewerte von Bush dort konstant hoch sind? Und warum lassen es sich derart erfahrene und gewiefte Haudegen wie Cheney, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld oder Außenminister Colin Powell bieten, von diesem Hanswurst herumkommandiert zu werden?
Bob Woodward, der Star-Reporter der „Washington Post“, ist weder konservativ noch höfisch. Der Mann, der gemeinsam mit seinem Kollegen Carl Bernstein vor drei Jahrzehnten den Watergate-Skandal aufdeckte und Richard Nixon stürzte, ist das, was man mit Fug und Recht einen unabhängigen Geist nennen kann. Er ist investigativ, wahrt kritische Distanz, schützt seine Quellen und öffnet die Münder selbst der verschlossensten Diplomaten. Das ist eine hohe Kunst. Sie zu erwerben, bedarf es einer gewissen Aura. Seit der Watergate-Affäre steht Woodward in dem Ruf, integer, fair und unvoreingenommen zu sein. Wann immer er seitdem zur Feder greift, hält Amerika den Atem an. Denn Woodward weiß mehr als andere.
Sein neuestes Buch, das heute in den deutschen Handel kommt, erschien im Herbst in den USA. Und es hat Furore gemacht. Keiner hatte bis dahin derart kenntnisreich dargelegt, wie der 11. September auf die Bush-Regierung gewirkt hat. Detailliert schildert Woodward, wie der Präsident und seine wichtigsten Regierungsmitglieder auf die Terroranschläge auf New York und Washington reagierten, wie sie eine internationale Koalition im Kampf gegen den Terrorismus schmiedeten, den Afghanistankrieg planten und führten. Für seine Recherche hat Woodward mehr als fünfzig Sitzungsprotokolle des Nationalen Sicherheitsrates einsehen dürfen, mehr als hundert Personen aus dem engsten Regierungskreis interviewt, zwei Mal ausführlich mit Bush selbst sowie viele Male mit Powell und CIA-Direktor George Tenet gesprochen. In Washington ist es ein offenes Geheimnis, dass Powell und Tenet die beiden Hauptquellen des Autors für seine faszinierend aktuelle Form der Geschichtsschreibung waren.
Im Zentrum steht der Präsident. Tiefe Einblicke erhält der Leser in den Regierungsstil von Bush. Der wird überraschend wohlwollend porträtiert. Nur ein starker Charakter duldet neben sich eine solche Vielzahl von anderen starken Persönlichkeiten. „Ein Präsident ist wie das Calcium im Rückgrat“, hat Bush dem Autoren in den Stift diktiert. „Wenn ich schwach werde, wird das ganze Team schwach. Wenn ich Zweifel habe, verstärkt das alle Zweifel.“ Eine Schlüsselszene spielt am 26. Oktober 2001. Der Krieg in Agfhanistan schleppt sich ohne Erfolg dahin. Die Taliban scheinen von den massiven US-Bombenangriffen wenig beeindruckt zu sein. In den Medien wird vor einem zweiten Vietnam gewarnt.
An diesem Morgen kommt das Kriegskabinett im Weißen Haus zusammen. „Ich wollte nur festhalten, dass wir alle mit diesem Plan einverstanden waren“, sagt Bush, „ist das richtig?“ Die Runde nickt. „Will jemand einen Alternativvorschlag machen?“ Niemand hat eine Alternative. „Wisst Ihr was?“, fährt der Präsident fort, „wir müssen einfach Geduld haben. Unser Plan ist gut. Wir müssen ihn standhaft weiter verfolgen. Lasst Euch durch die Presse nicht in Panik versetzen.“ Dieser Dialog zeigt eine Seite von Bush, die in Europa nur selten wahrgenommen wird. Er ist tatsächlich der Chef im Weißen Haus. Und er versteht es meisterhaft, die gestandenen Persönlichkeiten vom Schlage eines Cheney, Rumsfeld oder Powell für sich arbeiten zu lassen. Bei alledem ruht er in sich selbst. Sein Selbstbewusstsein ist beneidenswert.
Pikant sind ebenfalls ein paar Enthüllungen. Bis zum Erscheinen des Buches war unbekannt, dass die CIA sich die Unterstützung der afghanischen Stammesfürsten buchstäblich teuer erkauft hat. Mit 70 Millionen Dollar bar in den Taschen waren die US-Agenten losgezogen, um das Fußvolk gegen die Taliban zu mobilisieren. Geschildert wird auch, wie paramilitärische Kommandos der CIA bereits zwei Wochen vor Kriegsbeginn in Afghanistan operierten. Im Irak wird diese Taktik jetzt offenbar erneut angewendet.
Das Buch musste schnell geschrieben werden, um von den Ereignissen nicht überholt zu werden. Woodward beschränkt seinen Anspruch darauf, vor allem die ersten hundert Tage nach dem 11. September anschaulich gemacht zu haben. Das allerdings hat dazu geführt, dass die wirklich brisanten Passagen erst auf den letzten zwanzig Seiten, im Epilog, abgehandelt werden. Afghanistan ist für die meisten Leser schon Geschichte. Der drohende Irak-Krieg beschäftigt die Gemüter. Doch über die Genese dieses Krieges ist nur wenig zu erfahren. Zum ersten Mal kommt der Irak einen Tag nach dem 11. September, auf einem Treffen des Nationalen Sicherheitsrates, zur Sprache. Besonders Rumsfeld und Cheney drängen Bush, die geplante Offensive nicht auf Al Qaida zu beschränken. Powell hält dagegen. Drei Tage später, in Camp David, legt Vize-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz nach, der Oberfalke, der schon seit Jahren den Sturz Saddam Husseins fordert. Abermals rät Powell ab. Am 17. September sagt Bush im Kreise seiner Mitarbeiter: „Ich bin nicht bereit, jetzt den Irak anzugreifen.“ Und schließlich am 25. September, wieder auf einer Sitzung des Sicherheitsrates, beendet Bush die Debatte, zumindest vorläufig. Er wolle sich jetzt ganz auf Afghanistan konzentrieren, gibt er den Falken zu verstehen. Das war's.
Woodward greift das Thema erst wieder im Nachspann auf, gut 200 Seiten später. Die entscheidende Episode spielt im August 2002, der Afghanistankrieg ist längst vorbei. Powell tourt gerade durch Indonesien und die Philippinen, als daheim Brent Scowcroft, der ehemalige Sicherheitsberater von Bush senior vor die Kameras tritt und händeringend vor einem Krieg gegen den Irak warnt. Auf dem Flug zurück macht sich Powell, der ebenfalls Bedenken hat, Notizen für ein Gespräch mit Bush über das Thema. Am 5. August kommt es zu dem Treffen im Weißen Haus, an dem auch Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice teilnimmt. Powell zählt seine Sorgen auf: Destabilisierung der arabischen Welt, steigender Antiamerikanismus, Rezession, lange Besatzung. „Es sagt sich so leicht, dass wir das alleine machen können“, warnt der Außenminister seinen Präsidenten. „Aber das können Sie nicht.“ Eindringlich plädiert Powell für eine internationale Koalition. „Noch ist es nicht zu spät, zur Uno zu gehen.“
Vor allem Vizepräsident Cheney agitiert hinter den Kulissen gegen diesen Kurs. Die Regierung ist gespalten. Wie tief der Zwist geht, illustriert die Auseinandersetzung über den Text der Rede, die Präsident Bush am 12. September 2002 vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen halten soll. Cheney befürchtet, ein Einschalten der UN werde ein endloses diplomatisches Tauziehen zur Folge haben. Der Vizepräsident, schreibt Woodward, sei „ganz wild“ auf den Krieg. Doch Powell bleibt hart: Der Sicherheitsrat muss eine neue Resolution verabschieden. Die Protagonisten geraten aneinander. Die Stimmung ist gereizt.
Zwei Tage vor der Bush-Rede liest Powell das Manuskript. Plötzlich stutzt er. Das Schlüsselwort „Resolution“ fehlt. Offenbar hat das Cheney-Lager interveniert. Am Abend vor seiner Rede entscheidet sich Bush dann definitiv dafür, vom UN-Sicherheitsrat eine neue Resolution zu fordern. Im letzten Entwurf, Nummer 24, Seite acht, ist das magische Wort wieder drin. Nur auf dem Teleprompter fehlt es. Das grenzt an Sabotage. Zum Glück merkt das der Präsident und spricht den entscheidenden Satz etwas später, als im Manuskript vorgesehen war. „Wir werden mit dem UN-Sicherheitsrat für die notwendigen Resolutionen zusammenarbeiten.“ Powell hat gewonnen.
Diese kurze Passage des Buches liest sich ungemein spannend. Aber eine ganze Reihe entscheidender Fragen beantwortet Woodward nicht: Wodurch ist der Irak, nach Afghanistan, wieder auf den obersten Platz der Bush-Agenda gerückt? Sind Cheney und Powell immer noch zerstritten? Und was ist das Ziel der US-Politik - die Demokratisierung des Nahen Ostens, die Zerstörung der irakischen Massenvernichtungswaffen? Darüber erfährt der Leser nichts. Trotzdem ist das Buch eine Sensation.
Dichter als Woodward ist der Bush-Regierung bislang keiner gekommen. Noch nie wurde eine historische Epoche der Weltgeschichte - das sind die drei Monate nach dem 11. September zweifellos - in so kurzer Zeit so transparent gemacht.
Aus Der Tagesspiegel, 17.02.03
Bob Woodward: Bush at War. Amerika im Krieg. DVA, Stuttgart/MĂĽnchen 2003. Seiten. 416 Seiten. 24,90 Euro.

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