- Wie man aus Leichen Kapital schlägt. Diesmal trifft`s die Türken - Tempranillo, 20.02.2003, 23:05
- Re: Wie man aus Leichen Kapital schlägt. Diesmal trifft`s die Türken - Euklid, 21.02.2003, 09:27
Wie man aus Leichen Kapital schlägt. Diesmal trifft`s die Türken
-->Die SZ hat die Katze aus dem Sack gelassen, im letzten Absatz eines Kommentars von Christiane Schlötzer; in einer Ungeniertheit wie wir sie bislang nur in den einschlägigen, teils berüchtigten Internet-Foren erlebt haben. Wenn die Türkei nicht einlenke und von weiteren Geldforderungen Abstand nehme, könne der US-Kongress die Forderungen der Exil-Armenier anerkennen und die von Türken begangenen Morde als Genozid anerkennen. Im SZ-Kommentar ist sogar von"politischer Erpressung" die Rede. Vielleicht bekommen die Türken auch einmal ein Mahnmal, mitten in Istanbul, mit 2700 Steinsäulen? Was ihnen noch fehlt, ist ein Ali Pascha Kohl. Ist nicht ein Sohn von Helmut K. mit einer Türkin verheiratet?
Beim Feilschen hört die Freundschaft auf
Ankara will mehr Geld für Hilfe im Irak-Krieg - die Amerikaner nehmen das den Türken übel
Von Christiane Schlötzer
Teetrinken und den Tisch verlassen, weggehen und wiederkommen, all das gehört zu den Finessen türkischer Basar-Tradition. Preise sind Verhandlungssache. Gerungen wird, bis alle mit dem Gefühl zurückbleiben, ein fantastisches Geschäft gemacht zu haben. Vielleicht verstehen sich Washington und Ankara derzeit so schlecht, weil den Amerikanern der orientalische Basar fremd ist. Doch neben unterschiedlichen Mentalitäten trennt Washington und Ankara auch ein solides Misstrauen.
Die Türkei zögert mit einem Freibrief für die US-Armee im Falle eines Irak-Krieges, weil sie fürchtet, Washington werde seine politischen und finanziellen Zusagen später nicht einhalten. So war es nach dem Golfkrieg 1991. Deshalb will Ankara nun eine schriftliche Garantie für Milliardenhilfen zum Ausgleich wirtschaftlicher Schäden. Ebenso soll Washington zusichern, dass ein eigener Kurdenstaat im Nordirak nicht unterstützt würde und türkisches Militär dort im Zweifelsfall für Ordnung sorgen darf. Washington wiederum will sich finanziell nicht zu fest binden und findet die türkischen Forderungen maßlos. Außerdem will Amerika die nach Autonomie strebenden Kurden nicht vergrätzen. Die aber mögen keine türkischen Soldaten. Bei solch einem komplizierten Handel können sogar Bazar-Veteranen ins Schwitzen kommen.
Für Ankara geht es aber noch um mehr als um den besten Dollar-Deal. Die neue konservative Regierung mit islamischen Wurzeln ist erst seit vier Monaten im Amt und möchte sich die Sympathien der Bürger nicht gleich verscherzen. Die aber sind zu fast 100 Prozent gegen einen Irak-Krieg. Selbst Parlamentspräsident Bülent Arinc rühmt sich, abends um acht Uhr für eine Minute das Licht zu löschen, in einer landesweiten Protestaktion gegen den Krieg.
Deshalb ist selbst das Basar-Spiel, auf das sich Ankara eingelassen hat, für die Regierung riskant. Schon gibt es heftige öffentliche Kritik: Die Regierung, so heißt es, verkaufe sich für eine Handvoll Dollar an den amerikanischen Sheriff. Die Regierung ist hin- und hergerissen zwischen dem Zorn des eigenen Volkes und der Wut des mächtigen Verbündeten in Washington. Ohne türkische Unterstützung gibt es keine Nordfront gegen den Irak, jedenfalls nicht in der geplanten Stärke. Amerika müsste seine Kriegsstrategie ändern, der Krieg würde teurer und vermutlich langwieriger. Deshalb spricht Washington bereits von einer drohenden Belastung der Beziehungen.
Dabei nimmt das Hickhack im Hintergrund schon den Charakter politischer Erpressung an. Da wird Ankara gedroht, der US-Kongress könnte die Forderungen der Exil-Armenier erfüllen und die Armenier-Morde in der Türkei vor 90 Jahren als Genozid anerkennen- ein Horrorszenario für türkische Nationalisten. Schwerer aber dürfte die Mahnung wirken, die Türkei werde im Falle der Verweigerung bei der Neuordnung eines Nachkriegs-Irak nichts zu sagen haben. Die Angst vor politischer Bedeutungslosigkeit hat Ankara bisher immer noch am ehesten zum Einlenken gebracht.

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