- Die Kriegsstörenfriede: Chirac ein Gefangener des Friedens - stocksorcerer, 22.02.2003, 01:05
Die Kriegsstörenfriede: Chirac ein Gefangener des Friedens
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Die Kriegsstörenfriede
FĂŒr Frankreichs PrĂ€sident Chirac und seinen AuĂenminister de Villepin ist die Irak-Krise willkommener Anlass, sich gegen Amerikas Vormacht aufzulehnen
Von Michael Mönninger
Das ist nicht der feine Ton des französischen Staatsadels und der Klerusdiplomatie. Kampflustig lobt AuĂenminister Dominique de Villepin am Montagabend beim Sprint ins BrĂŒsseler EU-RatsgebĂ€ude die Belgier fĂŒr ihre âmutigeâ Haltung im jĂŒngsten Nato-Streit. Sein PrĂ€sident Jacques Chirac hingegen ohrfeigt die OsteuropĂ€er, die, statt zu schweigen, durch ihren âlĂ€ssigen Umgang mit Gemeinschaftsfragenâ ihre Aussichten auf einen EU-Beitritt gemindert haben. Ist Frankreich der selbst ernannte PrĂ€zeptor fĂŒr die Neuordnung Europas, der Haltungsnoten fĂŒr alte und neue Mitglieder verteilt, Amerika verprellt, einen Dreierbund mit den Russen und Deutschland schmiedet, sogar China mobilisiert und der die zerrissene EU wieder auf einen auĂenpolitischen Minimalkonsens verpflichtet?
Vom Buhmann zum Volkshelden
Auch wenn StaatsprĂ€sident Jacques Chirac den jĂŒngsten Irak-Streit in der EU als âMini-Kriseâ herunterspielt, dĂŒrften die vergangenen Wochen zu den aufregendsten in seinen 43 Jahren als Berufspolitiker gehören. Lange Zeit als âChamĂ€leon Bonaparteâ geschmĂ€ht, hat Chirac nahezu alle Rollen gespielt, die auf einer StaatsbĂŒhne zu vergeben sind. Er stand abwechselnd links, rechts und in der Mitte, dachte national, global, souverĂ€nistisch und dann wieder europĂ€isch. Nur eine Rolle war ihm bislang fremd: die des Volkshelden und Demonstrantenidols, fĂŒr den am vergangenen Wochenende von New York ĂŒber Rom bis Canberra die Marseillaise und âVive la Franceâ-Rufe angestimmt wurden.
Durch Frankreich geht derzeit eine Welle der PrĂ€sidenten-Verehrung, der die meisten Menschen sich nach dem starren Hofzeremoniell der spĂ€ten Mitterrand-Jahre und der Selbstblockade wĂ€hrend der ersten verpatzten PrĂ€sidentschaft Chiracs gar nicht mehr fĂŒr fĂ€hig gehalten hatten. Chirac, heiĂt es in Fernsehdiskussionen und Zeitungskolumnen, habe die Stimme Frankreichs in der Welt wieder hörbar gemacht, er habe die ewige Konkurrenznation der Briten in die Schranken gewiesen, ja, mit gallischem Widerstandsgeist habe er sogar das neue Rom jenseits des Atlantiks wieder das internationale Recht zu respektieren gelehrt.
Vor allem die Linke ist vom Neogaullisten Chirac begeistert. Das ist das Erbe des Generals, schwĂ€rmt der frĂŒhere Widersacher Jack Lang; mit Chirac trete Frankreich wieder in die Geschichte ein und ernte weltweite Sympathien. Auch Daniel Cohn-Bendit spendet dem ehemaligen Leutnant im Algerien-Krieg, der zwischen 1977 und 1995 als BĂŒrgermeister von Paris sein Rathaus wie ein feudales FĂŒrstentum verwaltete, unbedingtes Lob: âEr macht derzeit alles richtig.â
Noch vor einem Dreivierteljahr konnte der sozialistische PrĂ€sidentschaftskandidat Lionel Jospin seinen Konkurrenten Chirac unter groĂem Beifall als âalt, mĂŒde und verbrauchtâ schmĂ€hen. Chirac, höhnte Le Monde nach der Wiederwahl mit Blick auf die Skandale und Schiebereien wĂ€hrend seiner Zeit als BĂŒrgermeister im Pariser Rathaus, bedĂŒrfe der ImmunitĂ€t des PrĂ€sidentenamtes so dringend, dass er als âder Gefangene des ElysĂ©eâ wie ein Monarch auf seinem Thron sterben mĂŒsse, um ungeschoren davonzukommen.
Doch von solchen SchmĂ€hungen gegen den âSupermenteurâ, den OberlĂŒgner Chirac, will heute kein Franzose mehr etwas wissen. Lieber freut man sich ĂŒber seine glĂŒckliche Hand bei der Aufstellung des neuen Kabinetts mit der rustikalen Boxernatur Jean-Pierre Raffarin als volksnahem Premier, vor allem aber mit seinem politischen Zögling, dem 49 Jahre alten Dominique de Villepin als AuĂenminister, der Chirac vorher sieben Jahre lang als GeneralsekretĂ€r im ElysĂ©e gedient hatte.
âIch bin das Hirn des PrĂ€sidentenâ, hatte der Erfolgsdiplomat und Afrika-Spezialist de Villepin wĂ€hrend Chiracs erster PrĂ€sidentschaft getönt. Leider riet er seinem Chef 1997 zur missglĂŒckten Parlamentsauflösung, die zur fĂŒnfjĂ€hrigen Kohabitation mit den Sozialisten fĂŒhrte. Chirac lieĂ ihn trotzdem nicht fallen und hat ihn sogar im vergangenen Sommer mit seiner âCharme-Offensiveâ gegenĂŒber Amerika betraut, um das durch den VorgĂ€nger Hubert VĂ©drine ziemlich gestörte VerhĂ€ltnis zu Washington zu richten. Das ist in Frankreich ĂŒblich: Die Beziehungen zu Washington sind so schwankend, dass man sich am Quai dâOrsay lĂ€ngst einen diplomatischen Seemannsgang angewöhnt hat.
âWir sind alle Amerikanerâ, hatte die linksliberale Tageszeitung Le Monde am Tag nach dem 11. September 2001 getitelt, und Chirac war der Erste, der PrĂ€sident Bush nach den TerroranschlĂ€gen besuchte. Noch im vergangenen Sommer hatten Chirac und sein AuĂenminister eine Kriegsteilnahme gegen den Irak in Aussicht gestellt, falls Bagdad weiter aufrĂŒste. Doch zugleich Ă€uĂerte Chirac damals erste Zweifel am âĂŒbertriebenen und unrealistischen Ehrgeiz der Amerikanerâ, einen Regimewechsel im Irak herbeizufĂŒhren. Und schlieĂlich schalt er die kompromisslose US-Strategie âidiotisch, gefĂ€hrlich und absurdâ.
Wann aber wurde aus Chirac der Friedensengel und Antiamerikaner? âFrankreich ist kein pazifistisches Landâ, widersetzte sich Chirac noch Anfang dieser Woche im Magazin Time der Unterstellung, er neige dazu, sich der deutschen Totalverweigerung anzuschlieĂen. In Wahrheit ist er vielmehr Berlins unberatenem Kontrastprogramm zu Dank verpflichtet, weil es ihm neuen Handlungsspielraum verschaffte, um in den UN Schadensbegrenzung zu betreiben.
Um den Vorwurf des Antiamerikanismus zu widerlegen, ist in Frankreich eine fieberhafte Suche nach Gegenbeweisen entbrannt. War der PrĂ€sident nicht als junger Mann Gabelstaplerfahrer, GetrĂ€nkeverkĂ€ufer und Journalist in Saint Louis und New Orleans gewesen? Hat er sich nicht 1980 WahlkampfunterstĂŒtzung bei der Reagan-Administration geholt? Liebt er nicht Junk-Food und Western? SelbstverstĂ€ndlich, sagt Chirac. âDer Vorwurf des Antiamerikanismus macht mich traurig.â
Colin Powell schÀumte
Nein, die Skepsis gegenĂŒber den USA grĂŒndet tiefer. Wenn ĂŒberhaupt, dann hat der PrĂ€sident zwei unumstöĂliche GrundĂŒberzeugungen. Es ist sein unbedingter Respekt vor den WĂ€hlern und seine Treue zur Republik. Chirac verkörpert die zutiefst republikanische Auffassung von einer antihegemonialen, selbstbestimmten Politik, die gegen jede Ăbermacht aufbegehrt. âIch bevorzuge eine multipolare Welt, in der Europa seinen selbstverstĂ€ndlichen Platz hatâ, sagte er jĂŒngst. âDie Welt wird nicht unipolar sein. In den kommenden 50 Jahren wird China eine Weltmacht werden und die internationale Lage grundlegend verĂ€ndern.â Deshalb sei es Zeit, sich zu organisieren. Doch die transatlantische SolidaritĂ€t bleibe das Fundament der Weltordnung.
Das ist auch die Weltsicht seines rastlosen Chefdiplomaten de Villepin, der seine BrĂŒsseler EU-Ratskollegen am vergangenen Montag aufforderte, eine âehrgeizige und autonome Positionâ Europas zu formulieren. Der Amerika-Respekt des im marokkanischen Rabat geborenen Diplomatensohnes, der vor seiner Berufung an den Quai dâOrsay bereits hohe französische BotschaftsĂ€mter in Washington und Neu Delhi bekleidet hatte, zeigte sich zuletzt darin, dass er wĂ€hrend der Formulierung des UN-Resolutionstextes im vergangenen Herbst tĂ€glich und bisweilen mehrfach mit AuĂenminister Colin Powell telefonierte, um sich des amerikanischen EinverstĂ€ndnisses zu vergewissern.
Das hat allerdings nicht den Eklat verhindert, der im UN-Sicherheitsrat am 20. Januar zum ersten offenen Bruch im transatlantischen VerhĂ€ltnis fĂŒhrte. Eine Woche vor dem Bericht der UN-Waffeninspekteure griff der französische AuĂenminister die USA auf eine Weise an, die der liberalen Washington Post wie ein âdiplomatischer Hinterhaltâ vorkam. âNichts rechtfertigt einen MilitĂ€rangriffâ, argumentierte de Villepin auf einmal. âDie Arbeit der Inspektoren verlĂ€uft befriedigend.â Wenn sich die USA fĂŒr eine MilitĂ€raktion entscheiden, werde âunsere erste Frage die nach der RechtmĂ€Ăigkeit und unsere zweite die nach der ZweckmĂ€Ăigkeit seinâ. Als er anschlieĂend auf die Frage, ob die Franzosen ihr Veto-Recht ausĂŒben wĂŒrden, entgegnete, er werde âaus Respekt vor den Verfahrensprinzipien bis zum ĂuĂersten gehenâ, soll US-AuĂenminister Colin Powell so geschĂ€umt haben, dass er seine bisherigen Sympathien fĂŒr die europĂ€ischen MĂ€Ăigungsappelle endgĂŒltig ablegte.
âEine bessere Welt aufbauenâ
Als einer der wenigen AuĂenminister weltweit, die der bedingungslosen UnterstĂŒtzung ihrer PrĂ€sidenten sicher sein können, brilliert der musisch hoch gebildete Dichter-Diplomat seitdem mit ErklĂ€rungen im Sicherheitsrat ĂŒber die Entschlossenheit der internationalen Gemeinschaft, eine âbessere Welt aufzubauenâ, die das Hohe Haus vergangene Woche erstmals mit spontanem Beifall quittierte.
Noch wiegen sich die Franzosen in der Hoffnung auf eine friedliche Entwaffnung des Irak. Ihr im Mittelmeer kreisender FlugzeugtrĂ€ger soll am 25. Februar nach Toulon zurĂŒckkehren. FĂŒr eine volle Teilnahme am Truppenaufmarsch am Golf ist es ohnehin viel zu spĂ€t. Ihren militĂ€rischen Ehrgeiz wollen die Franzosen keinesfalls mit einer Trittbrett-Aktion in letzter Minute befriedigen. Trotz aller Signale an den Irak, dass die Kriegsgefahr unverĂ€ndert besteht, hĂ€lt man in Paris eine Notrettung der UN durch ein Einschwenken auf die amerikanische Position fĂŒr undenkbar. Chirac ist inzwischen ein Gefangener des Friedens - einer Lage, der er nicht nur sich, sondern auch Europa auf Gedeih und Verderb ausgeliefert hat.
Wohl um sich selbst Mut zu machen, hat Chirac dem US-PrĂ€sidenten inzwischen die Formulierung fĂŒr einen RĂŒckzug geliefert: âWenn die Massenvernichtungswaffen zerstört sind, kann PrĂ€sident Bush zwei Dinge sagen: Dank meiner Intervention wurde der Irak entwaffnet. Und ich habe das ohne BlutvergieĂen erreicht.â
(c) DIE ZEIT 09/2003
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Letzteres ist dann wohl doch einen Schritt zu weit gedacht. Aber sympathisch ist der Gedanke schon, auch wenn er Wunschtraum bleiben wird. Was glaubt Ihr eigentlich? Seid Ihr auch der Meinung, dass Frankreich sich diesmal treu bleiben kann? Ich denke, die grande nation wird sich störrisch zeigen, ob der beleidigenden Angriffe der amerikanischen Medien. In Frankreich hĂ€lt man noch mehr von der WĂŒrde seines Staates als bei uns. Meine Meinung.
winkÀÀÀÀ
stocksorcerer

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