- Wochenausblick für den DAX (Gastkommentar bei boerse-online) - Palstek, 24.02.2003, 11:46
Wochenausblick für den DAX (Gastkommentar bei boerse-online)
-->Zwischen Hoffnung und Verzweifelung
[ 24.02.03, 09:00 ]
Zur Person:
Nabil Khayat entdeckte bereits im Alter von 15 Jahren seine Faszination für die Börse."Sein Hobby zum Beruf zu machen" verwirklichte Khayat, indem er für verschiedene US-Investmenthäuser in New York tätig wurde. Seit 1995 bekleidet er erfolgreich die Position des Marktstrategen des privaten Vermögensverwalters FONDEX Vermögensmanagement in München.
So, da bin ich wieder...
und bevor wir in die Vollen gehen, betrachten wir den DAX-Verlauf der vergangenen Woche. Ich schrieb in meinem Ausblick am 17. Februar, dass der DAX spätestens am Dienstag das Schlusshoch für die Woche bilden sollte und mit dieser Annahme lag ich richtig.
Der DAX ist sowohl am Montag als auch am Dienstag gestiegen und hat ein Schlusshoch bei 2740 Punkte gebildet. Am Mittwoch ist dann der erwartete Rückschritt eingetreten und der DAX driftete 4,2 Prozent gen Süden ab. Am Donnerstag setzten sich die Verluste mit einer deutlichen Abnahme der Abwärtsdynamik fort und am Freitag erholte sich der DAX wieder um 2,2 Prozent.
Auf Wochenbasis ist unser deutsches Fabeltier von 2674,46 auf 2648,87 Punkte gefallen, was einem sehr moderaten Verlust gleichkommt. Ich rate entschieden davon ab, zu viel in das Marktverhalten vom Freitag hinein zu interpretieren, da wir Verfallstag der Optionen hatten und an diesen Tagen passieren die wildesten und undurchsichtigsten Dinge.
Ich habe es mir mit den Jahren abgewöhnt, solche Tage zu analysieren, da es eben total für die Katz ist. Man kann die Tage getrost aus jedem Chart löschen und so tun, als hätte es sie nie gegeben.
Teil 2: Wie steht es um den DAX?
Wie steht es um den DAX?
Was dieses Thema betrifft, sollten wir zunächst über das Oktobertief 2002 sprechen, welches am 10. Oktober 2002 im Handelsverlauf bei 2519,30 gebildet worden ist. Es wird viel darüber spekuliert, ob dieser Boden hält. Wir werden uns zunächst die Aktien im DAX ansehen und prüfen, welche sich unter ihren Oktobertiefs 2002 befinden. Davon können wir ableiten, ob das Oktobertief 2002 durchbrochen wird.
Betrachten wir also die Einzelwerte des DAX, können wir sehen, dass folgende Aktien unter ihren Oktobertiefs 2002 notieren:
Allianz, Bayer, HypoVereinsbank, BMW, Henkel, Linde, DaimlerChrysler, Münchener Rück, RWE, Schering, E.ON und TUI.
Es sind zwölf von 30 Werte, was 40 Prozent entspricht und das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. 40 Prozent der DAX-Werte haben ihren Bärenmarkt längst bestätigt und befinden sich unter den Oktobertiefs 2002.
Nun könnte man die berechtigte Frage stellen, ob es sich um ein Sektorproblem handelt, sprich möglicherweise ein isoliert zu betrachtender Sektor in der Klemme steckt. Wenn wir jedoch die Liste nochmals betrachten, stellen wir fest, dass es sich um Werte aus dem Bereich Versicherungen, Banken, Automobil, Konsum, Pharma, Chemie, Maschinenbau & Versorger handelt.
Das ist zu breit, um annehmen zu dürfen, dass es sich um hausgebackene Probleme einzelner Bereiche handelt. Nach eingehenden Sektorstudien kam ich zu dem Resultat, dass NIE alle Aktien eines Sektors gleichzeitig abstürzen. Es sind immer einzelne, wichtige Werte eines Sektors, die eine Vorreiterrolle spielen. Der Rest vom Schützenfest zieht nach. Der asymmetrischen Denkstruktur vieler Marktteilnehmer ist zu verdanken, dass die Kandidaten als Ausrutscher verdrängt werden, obwohl es klare Vorläufer sind.
Ich halte es also für ausgesprochen fahrlässig, wenn man die Marktteilnehmer glauben macht, dass die Oktobertiefs 2002 halten werden, weil der DAX über diesem Niveau gestoppt hat. Dabei sollte uns bewusst sein, dass es sich um ein psychologisches Phänomen handelt. Im Dezember waren die Marktteilnehmer extrem bullisch und da die Masse träge ist, wechselt die Stimmung nicht von bullisch zu bärisch. Wir können die Zwischenstationen besser verstehen, wenn wir die Gezeiten eines Bärenmarktes genauer betrachten.
Teil 3: Die vier Jahreszeiten eines Bärenmarktes
Die vier Jahreszeiten eines Bärenmarktes
Im Dezember 2002, sprich am Hoch der mittelfristigsten Aufwärtsbewegung, war der Markt mal wieder im Zustand der Gier. Es wurden 4000er, 5000er und 6000er-Kursziele für den DAX in die Menge gefeuert und alles schien wieder in Ordnung zu sein. Als der DAX wieder unter seine 3300er Marke rutschte, versiegte die Gier und der Markt ging in den Zustand der Hoffung über. Je näher wir an die Oktobertiefs 2002 liefen, desto mehr wandelte sich die Hoffnung in Verzweiflung.
Sicher, wir fühlen alle, dass es nicht so rosig aussieht, doch wir könnten ja einen doppelten Boden bilden und da ist man eben verzweifelt, weil man schon eine gehörige Portion Verluste kassiert hat, aber nicht verkaufen kann, denn:
"Wenn ich jetzt verkaufe und der DAX steigt wieder, dann schaue ich mächtig dumm aus der Wäsche!"
Nachdem der DAX vor sieben Börsentagen nach oben gedreht hat, ohne seine Oktobertiefs 2002 zu durchbrechen, nimmt die Verzweiflung etwas ab und im Zustand der Erleichterung, weil man eben nicht verkauft hat, öffnet sich ein kleiner Spalt über dem verhangenen Himmel unserer geplagten Börsianerseele und ein gleißender Strahl der Hoffung beleuchtet unsere Gemüter. In diesem Moment werden wir derart von diesem Strahl geblendet, dass der dunkle Himmel verschwindet, aber leider nur aus unserer Perspektive. 40 Prozent der DAX-Werte haben nach wie vor ihren Bärenmarkt bestätigt, doch das juckt in diesem Moment die wenigsten.
Spätestens wenn der DAX unter seine Oktobertiefs 2002 fällt, wird die Hoffnung in 100-prozentige Verzweiflung übergehen, denn nun sind die Aktien so stark gefallen, dass wir sie nicht mehr verkaufen können, denn:"Die können doch nicht ewig fallen. Die kommen schon wieder, ich glaube ganz fest daran!"
An einem gewissen Punkt und meist dann, wenn fast alle DAX-Werte ihren Bärenmarkt durch die Bildung neuer Tiefs bestätigt haben, geht die Verzweiflung in Angst über und spätestens wenn ein wichtiges Niveau nach unten durchschritten worden ist, löst die nächste Hiobsbotschaft Panik aus und die Angst kulminiert. An diesem Punkt beginnen die mittelfristigen Rallies, welche zwischen 30 und 60 Prozent groß werden.
Ja und jetzt wird die Sache von der anderen Seite aufgerollt. Der Markt steigt und die Angst bleibt zunächst bestehen. Nach den ersten 10-15 Prozent Kursanstieg geht die Angst in Verzweiflung über, da man in der Regel nicht dabei ist und möglicherweise am Tief verkauft hat. Wenn die Rallye größer als 20 Prozent geworden ist, wird wieder selektiv eingestiegen und es macht sich wieder Hoffnung breit.
In dieser Zeit wird ein Niveau über uns fixiert, z.B. DAX 3300 (remember the day in December?) und man hört Experten sagen, dass wir aus dem Gröbsten raus sind, sobald dieses Niveau nach oben durchschritten wird. Haben wir es erst durchbrochen, geht die Hoffung in Gier über und die Gezeiten drehen sich wieder.
Teil 4: Wo stehen wir im Moment?
Wo stehen wir im Moment?
Derzeit liegen wir zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Viele Marktteilnehmer haben kräftig Federn gelassen, doch wenn die Oktobertiefs 2002 halten sollten, haben wir extrem gute Chancen auf einen doppelten Boden.
Wenn die 2500 im DAX durch sind, geht der Markt in den Zustand der puren Verzweiflung über und wir fixieren das Niveau von 2200."Die 2200 sollte halten", werden wir sicherlich nicht nur ein Mal hören. Wenn die 2200 durch sind, wird der Markt in den Zustand der Angst übergehen und wir werden hören:"Spätestens die 2000 sollten und müssen halten, denn sonst haben wir ein echtes Problem!"
Panik werden wir wohl erst sehen, wenn der DAX unter 2000 rutscht und dann werden wir hören:"Der DAX kann nun aus dem Stand auf 1000 Punkte fallen!" An dieser Stelle sollte man sehen können, dass auf breiter Ebene losgelassen wird und das Volumen sehr stark zunimmt.
In diesem Zustand sollte der DAX drehen können und an diesem Punkt muss man sich dann Gedanken machen, welches Niveau der DAX zu überschreiten hat, damit der Markt wieder in den Zustand der Gier übergeht. Aus heutiger Sicht ist jetzt schon sonnenklar, um welches Niveau es sich handeln wird: 2500 Punkte natürlich!
Ich nehme an, dass der DAX im Bereich von 1800-1900 Punkten einen mittelfristigen Boden bilden wird und von dort aus eine Rallye startet, die deutlich mehr als 2500 Punkte erreichen wird. Es ist anzunehmen, dass sie irgendwo zwischen 2600 und 2800 zum Erliegen kommt, wobei eine Rallye von 1900 bis 2600 Punkte 37 Prozent groß wäre. Im besten Fall würde sie von 1800 bis 2800 laufen, was ich für maximal möglich halte und 55 Prozent wären.
Das aktuelle Risiko im DAX liegt somit und natürlich nur aus meiner gleichermaßen unbeholfenen wie subjektiven Perspektive bei 32 bis 36 Prozent! Wenn Ostern, Weihnachten und Silvester auf einen Tag fallen, könnte der DAX auch bei 2200 drehen und lediglich 17 Prozent verlieren.
Möglicherweise haben Sie nun den Eindruck von mir, dass ich mich mit der Garde der Hiobsapostel und Schwarzmaler in eine Reihe stelle, doch dagegen muss ich mich entschieden wehren. Ich sage immer nur das, was ich sehe und meine Strategie ist mittelfristig ausgerichtet.
Fällt der DAX unter 2000, werden zu gegebener Zeit zum Bullen mutieren und meine Ausrichtung zu 100 Prozent von Short auf Long verändern.
Ja, ich habe langfristig einen bärischen Outlook für die Märkte, doch es bringt keinem von uns etwas, wenn wir mit DAX-Kurszielen von 1000, 500 oder gar 300 Punkten hantieren. Ich gebe zu, dass ich manchmal von solchen Szenarien spreche, um sehr langfristigen Investoren den schlimmsten Fall vor Augen zu führen.
Für kurz- bis mittelfristig ausgerichtete Investoren haben diese Prognosen keinen großen Nutzen. Ich denke eher, dass sie hemmend wirken und viele Investoren davon abhalten können, die mittelfristigen Rallies zu spielen und wie wir wissen, handelt es sich bei diesen Bewegungen um wahre Leckerbissen.
Teil 5: Was erwartet uns in dieser Woche?
Was erwartet uns in dieser Woche?
In meinem Wochenausblick von vergangener Woche habe ich meinen Psychologieindikator FSI (FONDEX Sentiment Indikator auf www.fondex.de) vorgestellt. Die Skala reicht von 1-100 und mittelfristige Rallies fangen in der Regel bei einem Stand unter 10 an.
Derzeit steht der FSI bei 46 und das zeigt uns sehr deutlich, dass wir noch nicht so weit sind. Es ist sogar anzunehmen, dass wir gerade einmal die Halbzeit überschritten haben, was die gesamte Abwärtsbewegung betrifft. Der DAX hat bei 2648 geschlossen und wenn man die vergangenen vier Wochen auf einem Linienchart betrachtet, sehen wir eine potenzielle Schulter-Kopf-Schulter-Bodenformation.
Nun müssen wir uns fragen, was wohl mehr kurzfristige Hoffnung im Markt aufkeimen ließe, als ein Durchbruch der Nackenlinie bei 2735 Punkte. Demzufolge ist auf keinen Fall auszuschließen, dass der DAX den Bereich von 2750 durchbricht, um anschließend bei 2800 Punkten zu scheitern. Das ist mein bullisches Szenario, welches ich im Rahmen eines symmetrischen Denkansatzes keinesfalls unerwähnt lassen wollte.
Letzte Woche habe ich geschrieben, dass wir im Laufe der aktuellen Woche die Oktobertiefs im DAX fallen sehen könnten. Dieses Szenario halte ich nach wie vor für wahrscheinlich.
Sollte der DAX zuerst bis 2800 laufen, könnte sich der Durchbruch auch auf nächste Woche verschieben. Insgesamt rechne ich spätestens in der zweiten Wochenhälfte mit deutlich fallenden Kursen, wobei ich eben nicht abschätzen kann, ob es reichen wird, um die 2500er Marke im DAX nach unten zu durchbrechen.
Sollte die erste Wochenhälfte schwach starten, werden wir den Durchbruch in der laufenden Woche sehen. Falls sich der DAX jedoch dafür entscheidet, die Nackenlinie seiner S-K-S-Formation nach oben zu durchbrechen, um die Majorität der Charttechniker in die falsche Richtung zu schicken, könnte sich der Durchbruch des Oktobertiefs 2002 eben in die nächste Woche verschieben.
Teil 6: In jedem Fall die richtige Strategie?
In jedem Fall die richtige Strategie?
Falls ich investiert wäre und an steigende Märkte glauben würde, würde ich unbedingt meine Aktien verkaufen, wenn der DAX unter 2500 Punkten schließt. Falls ich an fallende Kurse glauben würde und nicht investiert wäre, sprich keine Instrumente besäße, die in fallenden Märkte profitieren und nach dem richtigen Zeitpunkt für Put-Optionen oder Short-Zertifikate suchte, würde ich folgendes tun: Ich ginge short, falls der DAX über 2750 stiege, oder unter 2500 fiele. Ich für meinen Teil bin short ausgerichtet, seitdem der DAX Anfang Dezember bei 3400 Punkten stand.
Ich halte meine Positionen und verkaufe sie erst dann, wenn ich der Ansicht bin, dass der mittelfristige Abwärtstrend beendet ist und der Bär zumindest für ein bis zwei Monate an die Kette gelegt wird. Dennoch beobachte und bewerte ich den kurzfristigen Marktverlauf, da man am Kleingedruckten nicht selten den Charakter des Gesamtmarktes erkennt.
Neben meinen Artikeln auf boerse-online.de, die zunächst jeden Montag erscheinen, schreibe ich mehrmals täglich eine Kolumne auf www.wallstreet-online.de. Sie finden meinen aktuellen Artikel immer auf der Startseite oder im Nachrichtenbereich.
Ansonsten wünsche ich Ihnen viel Erfolg in der laufenden Börsenwoche und möge die Vernunft mit Ihnen sein!
Bis nächste Woche Montag!
Ihr
Nabil Khayat
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