- Allah und die kommende 'Demokratie' im Irak und angrenzend - dottore, 27.02.2003, 18:35
- Bassam Tibi über Islam und Demokratie - HB, 27.02.2003, 19:36
- Falsche Fussnoten / alles noch mal mit den richtigen - HB, 27.02.2003, 22:42
- Re: Bassam Tibi ** weiterhin tiefsten Respekt vor deinen Recherchelösungen (owT) - Herbi, dem Bremser, 27.02.2003, 23:54
- Falsche Fussnoten / alles noch mal mit den richtigen - HB, 27.02.2003, 22:42
- Re: Allah und die kommende 'Demokratie' im Irak und angrenzend - Diogenes, 27.02.2003, 20:31
- Re: Allah und die kommende 'Demokratie' im Irak und angrenzend - apoll, 28.02.2003, 20:54
- Bassam Tibi über Islam und Demokratie - HB, 27.02.2003, 19:36
Falsche Fussnoten / alles noch mal mit den richtigen
-->Die Fussnoten waren aus einem anderen Kapitel, hier noch mal alles mit den richtigen Fussnoten:
In"Die fundamentalistische Herausforderung" schreibt Bassam Tibi:
................................................................................
Ebenso wie der Arabismus, der totalitär und niemals
demokratisch orientiert war, ist der politische Islam
antidemokratisch. Im Gegensatz zum Panarabismus ist jedoch
der politische Islam ein Universalismus, der einen Weltstaat
errichten will, die Unterschiede zwischen Turkvölkern, Arabern
oder Persern allerdings nicht wegzaubern kann. Die Bedrohung
durch die iranische Revolution sowie ihr Anspruch - während
der Khomeini-Ära - auf Übertragbarkeit in die benachbarten
arabischen Staaten trug seinerzeit zu Veränderungen in den
Anschauungen arabisch-islamischer Fundamentalisten bei. Seit
den beiden Golfkriegen ist der politische Islam im arabischen
Teil des Nahen Ostens mit dem Arabismus verknüpft. In der
Sprache der arabischen Nationalisten hat sich heute die neue
Formel «islamisch-arabischer Nationalstaat» eingebürgert, die in
der Tat einen Widerspruch in sich birgt. Denn der Nationalstaat
ist dem Dar al-Islam eine fremde Institution. Konsequente
islamische Fundamentalisten lassen sich auf solche
Versöhnungsversuche zwischen Islam und Nationalstaat nicht
ein und bestehen somit weiter auf Hakimiyyat
Allah/Gottesherrschaft, womit sie das Prinzip demokratischer
Volkssouveränität kategorisch zurückweisen. Der
Universalismus der islamisch legitimierten Revolution im Iran
konnte keinen Widerhall im sunnitisch-arabischen Teil der
islamischen Zivilisation finden, weshalb der Export dieser
Revolution gescheitert ist. 36 Der sunnitisch-islamische
Fundamentalismus bleibt seinen Quellen treu.
Einer der führenden sunnitischen islamischen
Fundamentalisten, Muhammad 'Immara, gehörte einst zu den
Teilnehmern eines Dialoges zwischen Panarabisten und
Fundamentalisten, der unter dem Motto «Islam und arabischer
Nationalismus» stattfand und dem ich beiwohnen durfte.
'Immara ist Autor eines der einflußreichsten Bücher über Islam
und Arabismus. 37 Für 'Immara steht fest, daß «der Säkularismus
nicht unsere Präferenz für eine fortschrittliche Option ist....
Diejenigen unter uns, welche dem Säkularismus verpflichtet
sind... sind bewußt oder unbewußt Imitatoren.» 38 Den Islam, der
nach 'Immaras Ansicht die Substanz des Arabismus darstellt,
deutet er arabozentrisch. Arabismus und Islam seien aufgrund
des «einzigartigen arabischen Charakters des Islam» 39
untrennbar miteinander verbunden. Die Schlußfolgerung liegt
auf der Hand: Araber können den iranisch-schi'itischen
Anspruch auf eine islamische Führungsrolle nicht hinnehmen.
Diese Gleichsetzung von Islam und Arabismus zielt bei der
arabozentrierten Richtung des Fundamentalismus darauf ab, den
panarabischen Nationalismus islamisch neu zu definieren und
den Universalismus des Islam auf eine Bindung an gemeinsame
Werte zu reduzieren. Daher geht die Entstaatlichung des
islamischen Universalismus, d. h. die Aufgabe des universellen
Kalifats, einher mit einer auf den arabischen Kulturraum
beschränkten Politisierung des Islam. Dies scheint
widersprüchlich zu sein, doch gehört logische
Widerspruchsfreiheit nicht zu den Stärken des islamischen
Fundamentalismus. Ähnliche ideologische Konstellationen
lassen sich bei den pantürkisch orientierten Fundamentalisten in
Zentralasien oder bei Universalisten der iranischen Revolution
feststellen. Letztere entpuppen sich oft als persische Ethno-
Nationalisten. Islam und Ethnizität waren, wie bereits deutlich
wurde, während der gesamten islamischen Geschichte
miteinander verwoben.
Es stellt sich die Frage, was die Idee des Gottesstaates mit der
islamischen Schari'a zu tun hat. Es sei hier an das Erbe des
mittelalterlichen islamischen Sakraljuristen (Faqih) Ibn
Taimiyya erinnert, 40 der als orthodoxer Muslim schon früher
ähnliche Ansichten vertreten hatte. Im Jahre 1953 versicherte
uns Muhammad Dia' al-Rayes, daß der Islam eine Form von
legaler Herrschaft anbiete, weil politische Autorität im Islam an
die Schari'a als eine Rechtsinstitution gebunden sei. Diesen
Gedanken finden wir im 12. Jahrhundert auch bei Ibn Taimiyya.
Diejenigen, die nicht mit solchen Ideen übereinstimmen, werden
heute von Islamisten geistig in die Nähe der europäischen
Orientalisten gebracht:
Die Behauptung der Orientalisten, daß die Herrschaft im
Islam die Form einer Despotie annimmt, ist falsch... Der Grund
für diesen Fehler ist, daß sie das Kalifat, wie es in der
Geschichte wirklich existiert hat, in den Blick nehmen... Damit
verwechseln sie den Islam als eine Rechtsidee mit dem, was in
der Welt der Muslime wirklich geschah. 41
Wir sehen, daß der Islam als ein reines Ideal betrachtet wird,
das von dem Schmutz der Geschichte reingehalten werden soll.
Die Realisierung dieses Ideals bleibt stets ein frommer Wunsch
des orthodoxen Islam. Ähnlich wie bei al-Rayes teilt uns auch
'Abdulhamid Mutawalli mit: «Wenn es um die Regierungslehre
geht, dann bietet der Islam die einzigen allgemeinen Grundsätze,
die für jede Zeit und jeden Ort Gültigkeit für sich beanspruchen
können.» 42 Hier wird deutlich, wie der orthodoxe mittelalterliche
Islam in einen religiösen Fundamentalismus übersetzt wird, der
aus der Religion eine Ordnungsvorstellung macht. Nach dieser
Ideologie garantieren diese Grundsätze der Schari'a eine
reibungslose Umsetzung der «islamischen Verfassungsnormen»,
nämlich Gerechtigkeit, Freiheit, Partizipation (Schura) und
Gleichheit in einer politischen Realität. Kenner der islamischen
Geschichte wissen jedoch, daß diese «Verfassungsnormen» (das
Wort Verfassung/Dustur ist allerdings neuarabisch!) keine
materielle Entsprechung hatten. Das Amt des Staatsrichters/Kadi
war jeweils dem Kalifen untergeordnet. Die Richter haben mit
dem Rückgriff auf die Schari'a die Handlungen ihres Herrschers
post festum stets gerechtfertigt. Die orthodoxen Muslime waren
Legitimatoren, die heutigen Islamisten sind Ideologen.
Die beiden Väter des islamischen Fundamentalismus Qutb
und Maududi lehnen eindeutig die Demokratie als
Kufr/Unglauben ab. Gemäßigte Islamisten wie Muhammad
Yusuf Musa vertreten die Auffassung, daß ein islamischer
Herrscher insofern demokratisch ist, als er sich verpflichtet,
«seine Herrschaft und seine Politik in Übereinstimmung mit
dem islamischen Recht auszuüben, wie es im Koran und der
Sunna des Propheten fixiert ist». 43 Nach der inhaltlichen
Bestimmung einer islamischen Herrschaft gefragt, führt Musa
aus:
Der Islam ist nicht theokratisch, weil er keinen göttlichen
Charakter des Herrschers kennt... weder ist der Islam eine
Monarchie, da er die Form der dynastischen Herrschaft nicht
erlaubt... noch ist er despotisch, weil ein islamischer Herrscher
dem Recht unterworfen ist; und daher verbürgt er den
Staatsangehörigen alle Freiheiten... Er kann jedoch nicht als
Demokratie im antiken griechischen oder im modernen
westlichen Sinne bezeichnet werden, weil im Islam der
Volkswille nur zählt, wenn er sich in Einklang mit der Schari'a
befindet. Im Islam besitzt die Schari'a die oberste
Souveränität. 44
Aus der islamischen Geschichte wissen wir, daß der
klassische und mittelalterliche Islam weder Demokratie noch
politische Beteiligung kennt. Angesichts dieser Tatsache ist zu
fragen: Worin besteht das islamische System, und was ist so
einzigartig islamisch an ihm? Wir erhalten folgende Antwort:
Dieses System unterscheidet sich von allen anderen der
Menschheit bekannten, sei es im Altertum, im Mittelalter, in der
Neuzeit oder in der Gegenwart... In Anerkennung des
einzigartigen Charakters dieses Systems müssen wir feststellen,
daß es unvergleichlich ist. Es ist das islamische System, und das
ist ausreichend (Fa huwa alnizam al-Islami wa).
Die Wahrheit ist, daß alle Attribute des «islamischen
Regierungssystems», die von Fundamentalisten verleugnet
werden, wie etwa die autokratischdespotische sultanische
Regierungsform als politische Herrschaft im Islam, in der
islamischen Geschichte die Regel waren.
Die politischen Schriften von al-Rayes, Musa und Mutawalli,
die den Grundstein für eine fundamentalistische Sichtweise des
Islam in den 50er und 60er Jahren legten, werden in die
zeitgenössische Ideologie des islamischen Fundamentalismus
neu aufgenommen. In der gesamten Primärliteratur konnte ich
keine substantiell neuen Standpunkte zu Schari'a, Schura,
Nizam Islami etc. entdecken, die nicht schon bei den
angeführten Schriften zu finden ist: Wie bereits angeführt, geht
es in dieser politischen Ideologie nicht um eine «Renaissance
des Religiösen».
In der während der vergangenen drei Jahrzehnte publizierten
politischen Literatur des islamischen Fundamentalismus kann
ich keine andere Zukunftsvision finden als die von der
Überlegenheit des Islam gegenüber nichtislamischen Kulturen,
Religionen und Herrschaftsformen. Diese Versicherung reicht
den Fundamentalisten als Begründung ihrer Herausforderung,
die in dem politischen Glauben gipfelt, daß dem Islam die
Führung der gesamten Welt nach dem Abdanken bzw. dem
Untergang des Westens gebührt. Der Vater dieser Idee ist
Sayyid Qutb, und sein ideologischer Sprößling ist Bin Laden.
Trotz des aggressiven Tons läßt sich nicht übersehen, daß es
sich hierbei um eine durch eine Krisensituation bedingte
defensiv-kulturelle Einstellung handelt. Der islamische
Fundamentalismus ist nicht nur ein Totalitarismus; seine
Herausforderung an den Westen ist Ausdruck einer
Defensivkultur. 46
36 Vgl. B. Tibi, «The Iranian Revolution and the Arabs», in:
Arab Studies Quarterly, Bd. 8 (1986), H. 1, S. 29-44; sowie das
Iran-Kapitel in: B. Tibi, Fundamentalismus im Islam (wie Anm.
3), Kapitel 8.
37 Vgl. Muhammad 'Immara, al-Islam wa al-'uruba, wa al-
'ilmaniyya (Islam, Arabismus und Säkularismus), Beirut 1981.
38 Ebd., S. 64.
39 Ebd., S.9.
40 Zu Ibn Taimiyya und seinem Werk vgl. B. Tibi, «Der
wahre Islam», München 1996 (neu 2001), Kapitel 5.
41 Muhammad Dia'uddin al-Rayes, al-Nazariyyat alsiyasiyya
alhlamiyya (Die politischen Theorien des Islams), 4. Auflage,
Kairo 1966 (zuerst 1925), S. 225-226. Vgl. die Nachweise auch
in Anm. 25 zu Kapitel VII.
42 Zum Beispiel 'Abdulhamid Mutawalli, Mubadi' nizam
alhukm fi al-Islam (Grundlagen des islamischen
Herrschaftssystems), Alexandrien 1964, S. 548.
43 Muhammad Yusuf Musa, Nizam alhukm fi al-Islam (Das
politische System des Islam), Kairo 1962, S. 13.
44 Ebd., S. 142-145.
45 Ebd., S. 146-147.
46 Zur Defensivkultur B. Tibi, Die Krise des modernen
Islams. Eine vorindustrielle Kultur im wissenschaftlich-
technischen Zeitalter, zuerst München 1981, Neuausgabe 1991,
Nachdruck 2001.
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