- Tolles Erklärstück: Europa ist lediglich eine amerikanische Generalstabskarte... - stocksorcerer, 03.03.2003, 20:49
- Vieles wußte ich, vieles ahnte ich. Aber mich erstaunt,..... - Sushicat, 03.03.2003, 21:11
Tolles Erklärstück: Europa ist lediglich eine amerikanische Generalstabskarte...
-->Fortsetzung des Spiegel-Mehrteilers"Anatomie einer Krise" zu Europa und UN.
Jochen Bölsche...... fantastisch. Ein Muß.
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SPIEGEL ONLINE - 03. März 2003, 15:39
URL: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,238514,00.html
Anatomie einer Krise
Der Ex-Agent und die diplomatische A-Bombe
Von Jochen Bölsche
Washington hofft noch immer, sowohl die Russen als auch die Chinesen von einem Irak-Veto in der Uno abhalten zu können - mit ganz speziellen Droh- und Lockmitteln. Unterdessen versuchen erfahrene US-Lobbyisten aus dem Rüstungs- und Geheimdienstmilieu, die künftigen Nato-Staaten im Osten Europas auf Falkenkurs zu halten.
Im Gepäck eine Kiste feinsten französischen Rotweins, trat Wladimir Putin Mitte Februar nach Besuchen in Frankreich und Deutschland den Heimweg nach Moskau an. Während russische Zeitungen bereits von einer"Achse Moskau - Berlin - Paris" schwärmten, freuten sich Deutschlands Sozialdemokraten über den neuen Gefährten im Kampf gegen die Falken im Weißen Haus:"Wir sind nicht isoliert."
Doch die Berliner Hoffnungen, der russische Präsident werde im Uno-Sicherheitsrat"Njet" sagen zur angloamerikanischen Kriegsresolution, könnten sich als voreilig erweisen. Denn die Worte, die Putin vor seinem Rückflug in die Mikrofone der Reporter sprach, eröffneten ihm eine Hintertür: Russland, formulierte er, werde von seinem Vetorecht Gebrauch machen,"wenn es sein muss".
Muss es sein? Washingtoner Regierungsbeamte sind zuversichtlich, über genügend Droh- und Lockmittel zu verfügen, um nicht nur Russland, sondern auch China davon abhalten zu können, ihr Vetorecht zu nutzen.
Bush sprach mit"Putins Rasputin"
Während US-Diplomaten in den letzten Februartagen die Herrscher von afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Ländern umgarnten, die einen Sitz im Sicherheitsrat innehaben, empfing Präsident Bush zum vertraulichen Gespräch einen Abgesandten Moskaus, der im Ruf steht, Putins"Rasputin" ("Die Welt") zu sein: den mächtigen Kreml-Stabschef Alexander Woloschin.
In Moskau gilt als offenes Geheimnis, welches Geschäft den erfahrenen Strippenzieher nach Washington geführt hat: Putin - der zwar mit Schröder und Chirac geflirtet, aber sich letztlich alle Optionen offengehalten hat - will für Moskau das Beste herausholen und sein Irak-Votum so teuer wie möglich verkaufen.
Bisher schon haben die USA ihrem Anti-Terrorismus-Verbündeten freie Hand gelassen in seinem mörderischen Krieg gegen tschetschenische Untergrundkämpfer. Darüber hinaus aber soll Amerika gegenüber einer irakischen Nachkriegsregierung durchsetzen, dass Moskau seine Ã-lfelder im Irak, darunter das auf 20 Milliarden Dollar taxierte Areal"Qurna West", behalten darf und die etwa sieben Milliarden Dollar zurückbekommt, die Bagdad den Russen seit langem schuldet.
Moskaus Wunschzettel für Washington
Als Gegenleistung für den Fall einer Zustimmung, zumindest aber einer Enthaltung Moskaus im Uno-Sicherheitsrat steht aber noch mehr auf Putins Wunschzettel: vorneweg eine baldige Aufnahme Russlands in die World Trade Organisation (WTO), dazu ein Verzicht der USA auf Proteste gegen russische Menschenrechtsverstöße.
Mit Massenprotesten im eigenen Land müsste Moskau kaum rechnen, sollte es seinen Kurs korrigieren: Die russische Friedensbewegung ist schwach, gegen die amerikanischen Kriegspläne demonstrierten zuletzt nur ein paar hundert Friedensfreunde.
Eine mögliche Wende zeichnete sich am 27. Februar ab, als Putin mit Bush telefonierte. Die beiden Staatschefs, verlautbarte der Kreml, hätten eine gemeinsame Initiative im Weltsicherheitsrat verabredet, der auch die bisherigen Kriegsgegner möglicherweise zustimmen könnten. Der neue"Einsatzplan" solle, so Moskau, die Interessen der gesamten internationalen Gemeinschaft berücksichtigen.
Chinas Durst auf irakisches Ã-l
Auch der Vetomacht China - die sich schon bei einschlägigen Uno-Abstimmungen 1990 und 1991 der Stimme enthalten hat - hätten die USA im Falle erneuten Wohlverhaltens einiges zu bieten.
US-Außenminister Colin Powell nahm von seinem jüngsten Besuch in Peking beispielsweise den Wunsch mit nach Hause, Washington möge doch bitte darauf verzichten, China in der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen erneut an den Pranger zu stellen.
Außerdem möchten auch die Chinesen - deren rasch wachsende Wirtschaft zunehmend von Erdölimporten anhängig ist - von der Nachkriegsdividende profitieren: Sie erhoffen sich von den USA, ihrem größten Handelspartner, die Zusage, an den irakischen Erdölvorkommen partizipieren zu dürfen.
"Die Chinesen wollen so hilfreich wie möglich sein," gibt sich der Peking-Reisende Powell optimistisch: Das Land habe"ein klares Verständnis davon, was unsere Interessen sind".
Warnung vor der"diplomatischen Atombombe"
Sollten aber Russland und China im Fall Irak auf ein Veto verzichten und sollten auch die so genannten"U 6" im Sicherheitsrat - die"undecided six members" - dem Druck aus den USA nachgeben, müsste wohl auch Frankreich prüfen, ob es wirklich die"diplomatische Atombombe" eines Vetos einsetzt. Offen drohte am Wochenende der US-Botschafter in Paris, Howard Leach, ein Widerspruch werde Paris"teuer zu stehen kommen".
Wenig Sorgen müssen sich die angloamerikanischen Strategen um ihre beiden getreuesten Vasallen im Sicherheitsrat machen: Spanien und Bulgaren.
Obwohl über 90 Prozent der spanischen Wähler einen Angriffskrieg gegen den Irak ablehnen, hat sich Ministerpräsident José MarÃa Aznar bedingungslos auf die Seite der USA geschlagen. Der stolze Spanier, der sich und sein Randland von den Kerneuropäern nie hinreichend gewürdigt fühlte, genießt sichtlich jeden Auftritt an der Seite des mächtigen US-Präsidenten (der Aznar noch vor einiger Zeit"Anzar" genannt hatte).
Von Bush wünscht sich der Madrider nicht nur Beistand für Spaniens Bemühungen, in die G-7-Gruppe aufzurücken. Aznar erhofft sich von den USA auf längere Sicht auch mehr wirtschaftliche Unterstützung als von den europäischen Partnern, deren Spanienhilfe nach der EU-Erweiterung gänzlich zu versiegen droht.
Wie druckempfindlich ist Bulgariens Ex-Zar?
Spekulationen anderer Art ranken sich um Bulgariens Ministerpräsidenten, den früheren Zaren Simeon II., der unter seinem bürgerlichen Namen Sakskoburggotski im Sommer 2001 haushoch die Wahlen gewann. Über die Motive des Blaublüters, der den Washingtoner Irakkurs bedingungslos unterstützt, wird seit langem gerätselt.
Rechte wie linke Oppositionelle, meldete die"FAZ" jüngst aus Sofia, vermuteten, der Premier sei aus gewissen Gründen"für Druck aus Amerika empfänglich": US-Diplomaten lancierten seit längerem Informationen über bulgarische Waffengeschäfte mit dem Irak sowie über Korruption und einstige KGB-Kader im Umfeld der Regierungspartei - allesamt Hindernisse auf dem vom Ex-Zaren angesteuerten Weg in die EU und in die Nato.
Ob Sakskoburggotski sich genötigt sieht, die von US-Vertretern gestreuten Zweifel an seiner Zuverlässigkeit durch 150-prozentige Gefolgschaftstreue zu kompensieren, steht dahin. Offen ist auch, ob und wie sein Kurs honoriert wird.
Sofias Verteidigungsministers Nikolaj Swinarow ließ nach einem Washington-Besuch verlautbaren, er habe mit den USA über die Einrichtung von bis zu fünf US-Militärbasen auf bulgarischem Staatsgebiet verhandelt. Auf diesen Stützpunkten sollten US-Truppen stationiert werden, die Deutschland angeblich demnächst verlassen.
Nur Gerüchte? Sicher scheint, dass sich Bulgarien derzeit ebenso großer Anteilnahme amerikanischer Strategen erfreut wie alle anderen Nato-Anwärter vom Baltikum bis zum Balkan.
Nato-Aspiranten auf Falkenkurs
Dass eine kräftige Ost-Erweiterung des Atlantikpakts (wie auch der EU) nicht zuletzt deshalb im Interesse der USA liegt, weil dadurch eine Konsensbildung unter den Europäern erschwert und der Einfluss Washingtons entsprechend verstärkt würde, ist unter Diplomaten weithin unumstritten: Schon wegen der historisch begründeten Vorbehalte vieler Erweiterungsländer gegen Russland und Deutschland könnten die USA von einem vergrößerten Europa mehr Rückhalt erwarten als vom"alten Europa", dem renitenten Kern des Kontinents.
Ein vergrößertes Europa werde"nicht europäischer, sondern amerikanischer" sein als bisher, sagt ein deutscher Militärexperte. Nicht nur die Kriegsplaner im Pentagon, auch US-Rüstungskonzerne erhoffen sich denn auch positive Impulse von den Beitrittsstaaten.
Im Falle Polens hat sich dieses Konzept bereits bewährt. Obwohl das künftige EU-Land Milliardensubventionen aus Brüsseler Kassen erhält, bestellte Polen - laut Bush Washingtons"treuester Verbündeter in Mitteleuropa" - Kampfflugzeuge im Wert von 3,8 Milliarden Euro beim US-Rüstungskonzern Lockheed Martin; der US-Präsident persönlich hatte sich dafür eingesetzt.
Bush sät Zwietracht unter den Europäern
In der EU-Kommission wie auch beim Hohen Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana, sorgte der polnisch-amerikanische Deal prompt für Verärgerung.
Die USA würden sich, so ein vertrauliches Papier des Solana-Stabes, der östlichen Beitrittsstaaten bedienen, um ein Erstarken der EU in der Außen- und Sicherheitspolitik zu behindern. Die Amerikaner, heißt es darin,"legen es sogar darauf an, einen europäischen Akteur gegen den anderen auszuspielen". Und weiter: Wann immer die EU mit Nachdruck eigene Standpunkte vertrete,"tun sich die USA schwer, die Gemeinschaft überhaupt als Verhandlungspartner zu akzeptieren" (SPIEGEL 8/2003).
Bislang war kaum bekannt, wie intensiv US-Organisationen nicht nur Lobbyarbeit für eine Osterweiterung treiben, sondern im Stillen auch dafür kämpfen, die Beitrittsländer auf Washingtoner Falkenkurs zu halten und eine Art Ost-Front gegen das"alte Europa" (Rumsfeld) aufzubauen, vor allem gegen die Bush-Kritiker in Berlin und Paris.
Einige der Fäden dieses Netzwerks laufen in der Washingtoner Pennsylvania Avenue zusammen. In einem unauffälligen Haus residiert der Ex-Geheimdienstler und Ex-Pentagon-Beamte Bruce Jackson, der nach neun Jahren im Dienst des Rüstungskonzerns Lockheed Martin 1996 ein"U.S. Committee on Nato" gegründet hat, das mit Erfolg für eine Erweiterung des Bündnisses gen Osten kämpfte.
Mittlerweile wirkt Jackson auch für ein"Committee for the Liberation of Iraq", das die Politik des Pentagon flankiert und für einen Regimewechsel in Bagdad Stimmung macht.
Die US-Lobby und die Vilnius-Gruppe
Der Ex-Agent hatte, wie US-Journalisten jüngst aufdeckten, heimlich auch seine Finger im Spiel, als zehn osteuropäische Länder, die so genannte Vilnius-Gruppe, Anfang Februar eine Solidaritätsadresse an die US-Regierung richteten, mit der sie sich die Washingtoner Position zu Eigen machten und auf Gegenkurs zu den Regierungen Frankreichs und Deutschlands gingen.
Enthusiastisch begrüßten Jackson und sein Mitstreiter Randy Scheunemann vom Irakkriegskomitee die Erklärung der Zehn mit den Worten:"Europas jüngste Demokratien haben uns darin gesagt, dass es Zeit ist für die Vereinten Nationen zu handeln. Es ist Zeit, mit der Befreiung des irakischen Volkes zu beginnen."
"Nie zuvor seit dem Kalten Krieg," urteilte die"International Herald Tribune","haben die Worte kleiner europäischer Länder so viel Aufmerksamkeit in den führenden Hauptstädten der Welt auf sich gezogen."
Dasselbe Blatt hat unterdessen aber auch herausgefunden, wie die Erklärung der Osteuropäer zustande gekommen ist. Mit initiiert wurde das spektakuläre Papier in aller Stille von den US-Lobbyisten vom regierungsnahen Irak-Befreiungskomitee.
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Lesen Sie demnächst, wie ein Zirkel einflussreicher Falken aus dem Dunstkreis der US-Rüstungsindustrie schon 1997 ein Konzept für"Amerikas globale Führerschaft" entwickelte - samt einer Art Blaupause für eine Intervention im Irak:"Der Krieg, der aus dem Think Tank kam."
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Vieles wußte ich, vieles ahnte ich. Aber mich erstaunt, dass mir noch immer der Hut hoch geht......
winkääää
stocksorcerer

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