- Zur BuBa-Mahnung an die Regierung - Popeye, 08.03.2003, 07:08
Zur BuBa-Mahnung an die Regierung
-->Die Bundesbank schlägt Alarm
Aufruf zu tiefgreifenden Reformen / Denkschrift an die Regierung /"Vertrauenskrise"
bf. FRANKFURT, 7. März. In einem ungewöhnlichen Schritt hat die Deutsche Bundesbank die Regierung zu raschen und tiefgreifenden wirtschaftspolitischen Reformen aufgefordert. Andernfalls drohe das Potential für Wirtschaftswachstum weiter zu schrumpfen, was die Lösung der Probleme nur noch schwieriger mache, schreibt die Bundesbank in einer Denkschrift mit dem Titel"Wege aus der Krise - Wirtschaftspolitische Denkanstöße für Deutschland". Wohl nicht zufällig hat die Bundesbank das in seiner Deutlichkeit wohl einmalige Papier genau eine Woche vor der mit Spannung erwarteten Regierungserklärung von Bundeskanzler Gerhard Schröder veröffentlicht.
"Die deutsche Wirtschaft leidet unter einer Vertrauenskrise", konstatiert die Bundesbank unverbrämt. Um den sich ausbreitenden Pessimismus zu überwinden, müsse eine schlüssige Gesamtstrategie entwickelt werden, schreibt sie weiter - was sich als Kritik an der derzeitigen Bundesregierung lesen läßt. Das ist um so pikanter, als Bundesbankpräsident Ernst Welteke ein altgedienter und in seiner Partei verwurzelter SPD-Politiker ist. Mit der Schelte löst Welteke nun ein Versprechen ein, das er im vergangenen Frühjahr anläßlich der organisatorischen Neuordnung der Notenbank gegeben hat: daß die traditionsreiche, politisch unabhängige Bundesbank als ein"ordnungspolitisches Gewissen" wirken werde.
Ganz in diesem Sinne fordert die Bundesbank die Regierung nun auf, sich klar zum Leitbild der Sozialen Marktwirtschaft zu bekennen. Denn nur durch Vorgabe klarer ordnungspolitischer Perspektiven lasse sich das verlorene Vertrauen von privaten Haushalten und Unternehmen zurückgewinnen sowie ein Rahmen für die nötigen Einzelreformen entwickeln. Soziale Marktwirtschaft aber bedeute, daß die Planung und Lenkung wirtschaftlicher Prozesse grundsätzlich über den Preismechanismus der Märkte erfolge."Dieses Leitbild fordert und fördert den Leistungswillen, die Eigenverantwortung und Risikobereitschaft. Zudem muß Klarheit darüber bestehen, daß Produktion und Leistung, das heißt die Schaffung von Werten und Arbeitsplätzen, Vorrang vor der Verteilungspolitik haben."
An die Gewerkschaften gerichtet, fordert die Bundesbank, bei den Lohnverhandlungen den Verteilungsspielraum nicht voll auszuschöpfen. Angesichts der hartnäckigen Arbeitslosigkeit wäre"für eine gewisse Zeit ein substantieller Abschlag von der neutralen Lohnrate angebracht". Ferner befürwortet die Bundesbank eine Aufweichung des Flächentarifvertrags: Nur bei einer"Feinabstimmung" der Löhne am Ort könne das Potential an Arbeitsmöglichkeiten ausgeschöpft werden.
Ähnlich klar äußert sich die Bundesbank auch zur Konsolidierung der öffentlichen Finanzen, zur Steuerpolitik, zu den Sozialversicherungen und weiteren Aufgaben der Wirtschaftspolitik. Immer sollte sich der Staat am übergeordneten Leitbild der Sozialen Marktwirtschaft orientieren, fordert die Bundesbank. Nur wenn es gelinge, die einzelnen Reformen als Teil eines überzeugenden Gesamtkonzepts darzustellen, lasse sich die notwendige Durchschlagkraft für eine Redynamisierung der Wirtschaft erzeugen. Ein Sprecher des Finanzministeriums sagte, die Regierung sehe sich durch das Papier in ihrem Kurs bestätigt:"Wir müssen uns den Realitäten stellen. Das tun wir mit den Debatten, die wir um die Lohnnebenkosten führen."
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.03.2003, Nr. 57 / Seite 11
Bildmaterial: dpa

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