- Rating Agenturen - Die Allmächtigen der Finanzmärkte - Palstek, 10.03.2003, 09:34
Rating Agenturen - Die Allmächtigen der Finanzmärkte
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Nach der Abstufung von ThyssenKrupp hagelt es Kritik an Standard&Poor’s und Moody’s. Der Vorwurf: Die Rating-Agenturen verfolgten vor allem die Interessen von US-Investoren, ihr Handeln sei zu intransparent. Der Ruf nach einer europäischen Rating-Agentur wird lauter
von Jörg Billina
In der Finanzwelt gelten sie als die Supermächte. Ihr Einfluss auf die Kapitalmärkte ist mindestens so groß wie der von US-Notenbanker Alan Greenspan oder des Internationalen Währungsfonds. Moody’s und Standard& Poor’s (S&P), die beiden US-Rating-Agenturen, nehmen rund 80 Prozent der globalen Geldströme unter die Lupe. Von ihrem Urteil hängt es ab, zu welchen Bedingungen Unternehmen oder Staaten mittels Anleihen Kredite auf dem Kapitalmarkt aufnehmen können. Zudem dienen die in Buchstabenfolgen wie AAA, Baa oder C ausgedrückten Bonitätsnoten Millionen von Anlegern als Orientierung. Sie wissen: Ein Schuldner, der mit dreifach A bewertet ist, wird seinen Zahlungsverpflichtungen mit hoher Wahrscheinlichkeit vollständig und rechtzeitig nachkommen. Unmissverständlich aber auch die Aussagekraft eines C: Hände weg, hier laufen Investoren Gefahr, ihr Geld nicht wiederzusehen.
Gespannt achten Anleger rund um den Erdball auf die von Moody’s und S&P immer wieder vorgenommenen Herab- oder Heraufstufungen. In der Regel löst eine Neueinschätzung heftige Kursbewegungen aus. So auch im Fall Ahold: Nach der Bekanntgabe von Bilanzunregelmäßigkeiten rasselte der Lebensmittelkonzern bei Moody’s gleich um vier Stufen nach unten - auf BBB-. Damit gelten Papiere der Niederländer als Schrott-Anleihen oder Junk-Bonds. Folge: Der Kurs der Anleihe sank in der Spitze um mehr als 40 Prozentpunkte. Viele Fondsmanager waren auf Grund ihrer Anlagevorschriften gezwungen, die nicht mehr Investment-tauglichen Bonds aus dem Depot zu entfernen.
Die Noten von Moody’s und S&P beschäftigen aber nicht nur Anleger. Banken und Zulieferer interessiert die Liquidität ihrer Geschäftspartner. Sie kaufen daher gerne die Agentur-Analysen. Abhängig vom Rating räumen sie dann ihrerseits Kreditlinien ein oder legen Zahlungskonditionen fest.
Bonitätsbewertung ist ein einträgliches Geschäft. Für eine erstmalige Einstufung stellen S&P oder Moody’s zwischen 50000 und 60000 Euro in Rechnung. Die jedes Jahr zu treffende Neueinschätzung kostet weitere 35000 Euro. Das summiert sich. S&P verfügt über rund 10000 Unternehmenskunden. Dazu kommen zahlreiche Ratings für die Bonds öffentlicher Schuldner wie Staaten oder Kommunen. Allein die Zahl der Länderbewertungen beläuft sich auf über 100. Der große Vorteil der Agenturen: Selbst wenn sie die Kreditfähigkeit eines Schuldners falsch einschätzen und Anleger, die sich auf ihr Urteil verlassen haben, Verluste erleiden, kann sie niemand auf Schadenersatz verklagen.
Grobe Fehleinschätzungen dürfen sich die Agenturen dennoch nicht leisten. „Die Macht ist ihnen nur so lange gegeben, wie ihre Urteile im Markt insgesamt mehr Zustimmung als Widerspruch finden", sagt Oliver Everling, Inhaber des Everling Advisory Services, die Banken und Unternehmen in Sachen Rating berät.Heftige Kritik mussten sich Moody’s und S&P im Fall Enron gefallen lassen. Wenige Tage, bevor die massiven Betrügereien des US-Energiekonzerns publik wurden, hatten beide Enron noch als Investment-tauglich eingestuft.
Die Erklärung, gegen kriminelle Energie sei man machtlos, reichte vielen nicht als Entschuldigung. Anleger verwiesen auf die Tatsache, dass niemand einen so tiefen Einblick in das Zahlenwerk eines Konzerns habe wie die Rating-Agenturen. Der Vorwurf lautete, Moody’s und S&P hätten die Entwicklung verschlafen beziehungsweise - was noch schlimmer ist - die mit Enron verbundenen Banken hätten auf die Agenturen eingewirkt, eine vorzeitige Aufklärung zu unterlassen. Ohne Folgen blieb die im Fall Enron geäußerte Kritik nicht. Seither beobachten Experten eine starke Zunahme bei den Herabstufungen.Vor allem deutsche Unternehmen fühlen sich dabei falsch bewertet. Beispiel ThyssenKrupp: Um zwei Stufen schlechter, von BBB auf BB+ und damit auf Non-Investment-Grade-Status, hatte S&P den Stahlkonzern vor kurzem bewertet - obwohl die Düsseldorfer innerhalb von nur zwei Jahren ihre Verbindlichkeiten um vier auf insgesamt 4,9 Milliarden Euro nahezu halbieren konnten.
Doch S&P interessierte das wenig. Die Agentur hat ihre Bewertungsmethoden geändert und verbucht nun die Absicherung der Pensionsverpflichtungen über Rückstellungen - bei vielen deutschen Unternehmen Usus - nicht mehr auf der Habenseite, sondern ordnet sie der Sollseite zu. Die Folge: Die Kreditfinanzierungskosten von ThyssenKrupp steigen um 20 Millionen Euro. Nun zittern auch Deutsche Post und Linde. Sie stehen ebenfalls wegen „ungedeckter Pensionsverpflichtungen" auf der Beobachtungsliste.
Grund genug für deutsche Politker, sich zu Wort zu melden. So unterstellte der finanzpolitische Sprecher der SPD, Joachim Poss, den Agenturen, die Wirtschaftskultur deutscher Unternehmen nicht zu verstehen. Parteifreund Rainer Wend, der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses des Bundestags, vermutet sogar einen indirekten Zusammenhang zwischen der Abstufung und den aktuellen Verstimmungen zwischen den USA und Deutschland wegen der Irak-Krise. S&P dagegen betont seine Unabhängigkeit.
Rating-Experte Everling hat da so seine Zweifel. Moody’s und S&P haben ihren Sitz in New York, und natürlich komme es zwischen Politikern, Bankern und Rating-Analysten zum Meinungsaustausch. Sein Fazit: Die Agenturen lassen sich bei ihren Entscheidungen auch von den Interessen der US-Investoren leiten. Raphael Kassin, Fondsmanager des ABN Amro Emerging Markets Bond Fund, teilt Everlings Meinung. Der Spezialist für Schwellenländer verweist auf die unterschiedliche Einstufung von Mexiko (BBB-) und Venezuela (CCC+). „Die Wirtschaftsdaten der beiden Länder fallen aber nahezu gleich aus", sagt Kassin. Zudem verfüge Venezuela über hohe Währungsreserven dank der Ã-leinnahmen. Ein Ausfall der Zins- und Tilgungszahlungen sei nicht zwingend zu erwarten. „Die Rating-Agenturen berücksichtigen in der Bonitätseinschätzung Venezuelas aber die kritische Meinung der US-Regierung zu Präsident Hugo Chavez. Der ist wegen seines Anti-US-Kurses und seiner Nähe zu Kuba Washington ein Dorn im Auge." Kassin stört ein weiterer Punkt. Herab- oder Heraufstufungen würden meist dann bekannt gegeben, wenn die Märkte in Europa schon geschlossen seien, die Börse in New York aber noch geöffnet sei. „US-Anleger können so auf Neueinstufungen schneller reagieren als europäische Anleger."
Kassin vertraut auf sein eigenes Urteil, auch wenn er die Analysen der Agenturen beachtet. Mit Erfolg. So blieb er im Vorfeld der Wahl in Brasilien investiert, obwohl die Moody’s und Co sich zunehmend kritisch gegenüber dem später erfolgreichen Kandidaten Lula da Silva geäußert hatten. „Hätte ich damals verkauft, wäre die Entwicklung des Fonds nicht so gut verlaufen."Von der zunehmenden Kritik an den undurchsichtigen Entscheidungen der US-Agenturen könnte Fitch profitieren. Das französische Unternehmen mit Sitz in London, vom Auftragsvolumen weit hinter Moody’s und S&P, hofft, vergraulte deutsche oder EU-Unternehmen als Kunden zu gewinnen. Fitchs Vorteil: Man ist mit der Wirtschaftskultur in Europa vertraut. Eine Änderung bei der Einschätzung der Pensionsverpflichtungen ist vorerst nicht geplant. Auch am AAA-Rating der Bundesrepublik will man festhalten. Bislang jedenfalls. Der Ausblick für Deutschland ist immer noch stabil.
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