- Fünftausendzwölf Gründe für einen Krieg - Praxedis, 10.03.2003, 12:00
Fünftausendzwölf Gründe für einen Krieg
-->Fünftausendzwölf Gründe für einen Krieg
von Santiago Alba / Rebellion.org / ZNet 05.03.2003
Es gibt mindestens zwölf Gründe, einen Krieg gegen den Irak zu unterstützen:
1. Saddam ist böse;
2. er wird nicht in der Lage sein, großen Widerstand zu leisten;
3. wir brauchen eine billige Versorgung mit gutem Ã-l;
4. die Wirtschaft ist ins Stocken geraten;
5. die Sprengköpfe unserer Raketen verrosten;
6. neue Vernichtungswaffen müssen getestet werden;
7. es wäre gut für Israel;
8. es wäre schlecht für Russland;
9. wir mögen eine gute, aufregende Show;
10. wir mögen es, uns zivilisiert zu fühlen;
11. einige Muslime wissen es nicht zu schätzen, was wir für sie tun;
12. im Allgemeinen haben wir sehr hohe Prinzipien und einen sehr niedrigen Instinkt.
Wir könnten 5000 zusätzliche Gründe nennen, einschließlich der Tatsache,
dass die Erde rund ist, die Orchidee eine einkeimige Blume ist und Kafka
1883 in Prag geboren wurde.
Andererseits gibt es nur zwei Gründe gegen diesen Krieg zu sein.
Der erste ist, wenn sie so wollen, uneigennützig. Anders als juristische müssen
moralische Urteile kurz und knapp abgefasst werden: Wenn du zehn Leute siehst,
die einen Menschen brutal zusammenschlagen, fängst du nicht erst an darüber
nachzudenken, ob das Opfer ein Taschendieb oder ein Handtaschenräuber ist, du
reagierst genau so schnell und aus den gleichen Gründen, die dich bewegen
würden, deine Hand von einer Hitzequelle zu nehmen, oder du bist zumindest über
das Geschehen schockiert. Niemand auf dieser Welt, der mit moralischen
Grundwerten ausgestattet ist, würde gleichgültig bleiben, wenn er einem Lynchprozess zusieht.
Wenn es statt zehn Leute eintausend sind, die derart
mächtig sind, dass gegen sie keine Verteidigung möglich ist, und sie fortfahren,
nicht nur den angeblichen Taschendieb, sondern auch seine Verwandten und
Nachbarn zu lynchen, nennt man dies einen Pogrom. Wenn dieser Pogrom von einem
Staat begangen wird und dieser ballistische Raketen, Splitterbomben und
abgereichertes Uran einsetzt und droht, Nuklearwaffen zu verwenden, dann nennt
man diesen Pogrom Völkermord. Unsere Ideologie oder unsere Religion ist in
diesem Fall nicht länger wichtig: ein Völkermord wird von Gott, der Moral und den Vereinten Nationen verboten.
Der zweite Grund ist vielleicht, zumindest im Vergleich zum ersten,
egoistischer. Der I. Weltkrieg verhinderte keinen Zweiten und der Zweite
verursachte neue objektive Bedrohungen, welche im allgemeinen Bewusstsein zu der
Notwendigkeit führte, um jeden Preis einen III. Weltkrieg zu verhindern. Die von
den USA erklärte Absicht, außerhalb des zerbrechlichen internationalen
Rechtssystems, das 1945 geschaffen wurde, zu agieren (ein System, bei dessen
Aufbau sie selbst geholfen haben und dessen Regeln sie in den letzten 60
Jahren oft verletzt haben, ohne ihre formale Zustimmung zu widerrufen),erscheint
in einem technologischen und sozialen Zusammenhang gefährlicher als der Austritt Nazi-Deutschlands aus dem Völkerbund im Jahre 1936. In einer Welt, die von
Hunger, Elend, Gewalt und Unterdrückung zerstört wird, in der die vernichtende
Gewalt, die von der Waffentechnologie ausgeht, ebenso wie deren Vertrieb und
Verbreitung, nicht nur planetarische sondern „universelle" Proportionen erreicht
hat, droht der Angriff auf den Irak die Unsicherheit auf jeder Ebene zu
globalisieren, ohne Unterschied von Klasse oder Kontinent. Danach wird kein
Gehalt, kein Zuhause, keine Armee in der Lage sein, unsere Immunität zu
garantieren.
Aber es gibt schließlich noch einen dritten Grund. Der Terror des
Hegemonieprojektes der USA (dieser „demokratische Faschismus, wie ihn Brecht
bezeichnete) will nicht nur die Kontrolle über die Weltwirtschaft erlangen und
die internationalen Beziehungen neu gestalten; er strebt auch danach, von
vornherein, jedes alternative oder politische Projekt, das seine Ziele in Frage
stellt, auszuschalten; ohne Unterschied, ob es sich um Pazifisten der
Anti-Kriegsorganisation ANSWER oder den Islamisten der Al-Qaeda handelt. Die
Politik selbst ist in all seinen Varianten nicht mit der Art Unsicherheit und
Unordnung vereinbar, die das Lynchens des Iraks bewusst zu etablieren versucht:
Angst bricht alle Ketten und alle Organisationsformen. Deshalb sollten wir auch
gegen einen „Krieg" sein, der in Wirklichkeit der erste Akt eines
Staatsstreiches im Rahmen einer unvermeidlichen „globalen" Welt ist (das Pendant
für uns alle, was für die Chilenen 1973 die Bombardierung des Präsidentenpalastes bedeutete). Lasst uns nicht verzweifelt und beunruhigt sein,
wenn man uns vorwirft, „wir würden Saddam in die Hände spielen". Wir müssen
diese Last tragen. Während des II. Weltkriegs trug die Linke die Verantwortung,
gegen Hitler einen Imperialisten wie Churchill, der die Kurden in den 1920ern
vergast hatte, zu unterstützen oder Truman, der die Atombombe auf Hiroshima
werfen ließ. Die Linke gewann dadurch nichts, so wie sie jetzt wenig zu gewinnen
hat, außer, dass sie alles verlieren kann. Wenn man sich unter solchen Umständen
zwischen Bush und Saddam zu entscheiden hat, muss man den moderatesten, den
weniger gefährlichen, denjenigen, der für die gesamte Menschheit am wenigsten
zerstörerisch ist, auswählen. Die einzige Möglichkeit (wie es auch die
irakischen Kommunisten, die von dem Regime gefoltert und verfolgt wurden,
sehen), den Irak zu demokratisieren, ist zu verhindern, dass Saddam durch einen pro-amerikanischen Klon von sich selbst ersetzt wird.
Wir haben somit fünftausendzwölf Gründe für den Krieg und zweieinhalb dagegen.
Jeder sollte sich entscheiden, wie viele Gründe er auf seiner Seite haben will.
<ul> ~ Quelle: ZNet Deutschland</ul>

gesamter Thread: