- aus nation&europa - orwell, 10.03.2003, 17:19
aus nation&europa
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Und wer entwaffnet die USA?
Von Harald Neubauer
Man nannte ihn"Drôle de guerre", den drolligen Krieg. Monatelang lagen
sich deutsche und französische Truppen nahezu regungslos gegenüber.
Zwar hatten Paris und London dem Deutschen Reich am 3. September
1939 den Krieg erklärt, aber man machte keine Anstalten, den
bedrängten Polen zur Hilfe zu eilen. Warum auch? Polen war ein
Vorwand. Mehr nicht. Sonst hätte man den Fehdehandschuh zeitgleich
den Sowjets hinwerfen müssen. Denn sie machten bei der Aufteilung
Polens halbe-halbe mit Hitler. Doch die russischen Eroberungen störten
niemand - bis heute.
Damals, im"Drôle de guerre", schwankten die Gefühle der Menschen auf
beiden Seiten der Front zwischen Friedenshoffnung und Kriegsangst.
Mehr als ein halbes Jahr, bis Mai 1940, hätten die Politiker noch Zeit
gehabt, den Polen-Konflikt einzudämmen und das ganz große
Verhängnis abzuwenden. Sie taten es nicht, sondern organisierten ein
Menschheitsmassaker mit mehr als 50 Millionen Toten. Sehenden Auges
marschierte man in die Katastrophe, stellte Ultimaten, schlug
Friedensangebote und Kompromißvorschläge aus. Wie konnte das
passieren, fragen ratlos die Nachgeborenen.
Nun gibt die Gegenwart Auskunft über das Entstehungsmuster solcher
Eskalationen. Die Komik wird allerdings von dem Wissen überlagert,
wohin derlei Muskelspiele führen können. Diesmal liegen sich Amerikaner
und Iraker in den Schützengräben gegenüber. Seit Monaten bieten sie
das Lehrstück eines sich aufschaukelnden Konflikts, die allmähliche
Mobilisierung riesiger Militärapparate und die Konstruktion eines
Kriegsvorwands, der 1939 Polen hieß und 2003 als"Kampf gegen den
Terror" daherkommt. Allabendlich berichtet das Fernsehen so ungerührt
über Truppenaufmärsche und Gewaltdrohungen, als handele es sich um
die Lottozahlen. Der Krieg ist praktisch schon erklärt, es fehlt nur noch
der erste Schuß. Und ein halbwegs plausibler Anlaß.
"Suchet, so werdet ihr finden", heißt es schon in der Bibel. Da
schwärmen jetzt Hunderte von Waffeninspektoren aus, um im Irak nach
Massenvernichtungswaffen zu fahnden. Warum so weite Wege? Vom
New Yorker UN-Glaspalast ist es ein Katzensprung zum nächsten
Raketensilo, Plutoniumbrüter, Giftgaslabor. Im Unterschied zum Irak sind
die USA mit Massenvernichtungswaffen vollgestopft bis zur Halskrause,
und niemand wird behaupten wollen, daß Hiroshima und Nagasaki beim
Abwurf von CARE-Paketen zusammenkrachten. Auch über Vietnam
regnete es nicht Coca-Cola, sondern"Agent Orange".
Der Bock als Gärtner? Oder anders gefragt: Wen plagt ernstlich die
Sorge, daß ausgerechnet der Irak Hamburg und Dresden wegbomt und
danach den Schwarzwald entlaubt? Von den USA dagegen wissen wir,
daß sie nicht nur über die schrecklichsten aller Waffen verfügen,
sondern diese bereits eingesetzt haben - gegen Zivilisten. Neuere
Planungen in Washington halten ausdrücklich an der Nuklearoption fest.
Da ist es schon drollig, wenn nicht die Iraker in Amerika, sondern die
Amerikaner im Irak nach Massenvernichtungswaffen suchen.
Aber halt, genauso stellen sich unsere One-World-Planer die Zukunft
vor. Eine Zwei-Klassen-Menschheit. Die einen dürfen alles besitzen und
alles tun, die anderen dürfen es nicht. Privilegiert sind jene, die in
"God's own country" leben oder einen Sonderstatus als"auserwähltes
Volk" beanspruchen. Israel verfügt ebenfalls über Atombomben und
mißachtet seit Jahrzehnten Dutzende von UN-Resolutionen, ohne daß
sich ein einziger Waffeninspektor darum kümmert. Mehr noch:
Deutschland schickt"Patriot"-Abwehrraketen, damit niemand den
Israelis in ihre Aufrüstung hineinfunken kann.
Das Verhalten der Bundesregierung ist zwiespältig und halbherzig, das
der Opposition erbärmlich. Debattiert wird nicht die Frage, wie man den
Krieg verhindern kann, sondern ob wir Deutschen daran teilnehmen
sollen, und sei es auch nur politisch, indem wir einem US-Angriff auf
den Irak im UN-Sicherheitsrat grünes Licht geben (Grün und Krieg
gehören mittlerweile zusammen wie Joschka und Fischer). Dabei
schließt die Charta der Vereinten Nationen schon in Artikel l
Angriffskriege kategorisch aus. Zugleich wird allen Völkern das
Selbstbestimmungsrecht eingeräumt. Dazu zählt die militärische und
waffentechnische Souveränität. Auch des Irak.
Darauf kommt es an. Alles andere ist propagandistisches Blendwerk zur
Alibisierung eines ebenso überflüssigen wie verbotenen Angriffskriegs.
Schon die bloße Drohung der US-Regierung,"notfalls" auch ohne
UN-Mandat loszuschlagen, bricht den Weltfrieden und läßt nach den
Konsequenzen fragen. 1991 stellten sich die UN militärisch an die Seite
Kuwaits. Gelten bei einem Überfall der USA auf den Irak andere
Maßstäbe?
Die Vereinten Nationen stehen am Scheideweg: Gemeinschaft freier und
gleichberechtigter Völker oder verlängerter Arm derer, die sich bei ihren
Ausflügen zur Menschheitsbeglückung so gern verlaufen - am liebsten in
fremden Ã-lfeldern.

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