- FTD: 'USA vom Stützpfeiler zum globalen Risiko'. Der Autor liest hier im Forum! - Wal Buchenberg, 13.03.2003, 10:54
FTD: 'USA vom Stützpfeiler zum globalen Risiko'. Der Autor liest hier im Forum!
-->USA: Von der Ordnungsmacht zum Risikofaktor für den globalen Kapitalismus
Noch bevor der Krieg der US-Regierung gegen Irak begonnen hat, gibt es die ersten Kollateralschäden. Die Nato ist gespalten, und die Europäische Union hat einen Rückschlag auf dem Weg zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik erlitten.
Die Türken fragen sich, wofür sie eigentlich ein Parlament gewählt haben, wenn dessen Entscheidung gegen die Stationierung von US-Kampftruppen einfach ignoriert wird. Der britische Premier Tony Blair bangt um seine politische Zukunft, und auch Spaniens Konservativen unter José MarÃa Aznar geht es kaum besser.
Das erste Opfer hat die Kriegsstrategie aber in der US-Regierung selbst gefordert: Außenminister Colin Powell. Präsident George W. Bush ist über dessen Drängen auf eine multilaterale Politik hinweggegangen. Der Weg über die Uno, den Washington eingeschlagen hat, war von Anfang an Camouflage, weil er mit einer klaren Bedingung befrachtet war: Das Ergebnis musste in der Zustimmung zum Krieg bestehen, andernfalls, daran hat Präsident Bush keinen Zweifel gelassen, würden die USA ohne Unterstützung der Weltorganisation zuschlagen.
Zielstrebige Geopolitiker
Alle Überlegungen, ob Powell und damit die Multilateralisten in der amerikanischen Regierung durch den europäischen Widerstand gegen den Krieg geschwächt wurden, sind irreführend, denn Powell hatte seine Niederlage längst erlitten. Sein Ziel war es gewesen, den Irak-Krieg zu vermeiden oder ihn nur dann zu führen, wenn die Anti-Terror-Koalition dahinter stünde - nicht aber dann, wenn einem einseitig beschlossenen Krieg lediglich das Feigenblatt einer der Uno abgepressten Zustimmung angeheftet wird. Je stärker der Widerstand gegen Bushs Kriegsstrategie ist, desto größer sind die Chancen, dass der Multilateralismus irgendwann wieder zur Regierungspolitik in Washington wird.
Wer meint, die Falken um Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und Vizepremier Dick Cheney seien durch ein beflissenes Abnicken des Militärschlags zu bremsen gewesen, unterschätzt sie genauso wie jene Linken und Pazifisten, die in Rumsfeld nur eine militaristische Dumpfbacke sehen. Der Verteidigungsminister ist vermutlich einer der intelligentesten und unkonventionellsten Strategen in der Bush-Regierung. Rumsfeld schießt nicht aus der Hüfte, er denkt in langen Linien.
Eine davon beschreibt Bob Woodward in"Bush at War". Lange vor den Terroranschlägen des 11. September 2001 hatte das Pentagon mit Planungen für einen Militärschlag gegen Irak begonnen. In der Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats einen Tag nach den Anschlägen habe Rumsfeld vorgeschlagen, "die Gelegenheit zu nutzen, die sich mit den Terrorangriffen bot, um direkt gegen Saddam vorzugehen". Powell hielt dagegen und verlangte, sich auf al-Kaida zu konzentrieren. Und Cheney sagte laut Woodward schon an diesem Tag den Satz, der wie kein anderer die Absage an jede Art von Multilateralismus wiedergibt:"Die Aufgabe sollte die Koalition definieren, nicht die Koalition die Aufgabe."
Saddam und die aus Iran, Irak und Nordkorea bestehende Achse des Bösen aufs Korn zu nehmen sind Ziele, die von den Falken ebenso seit Jahren verfolgt werden wie die Präventivkriegsstrategie. Im September 2000 schrieben sie eine Art Masterplan: "Rebuildung America's Defenses", erarbeitet vom Think Tank"Project for a New American Century". Die führenden Leute des PNAC sitzen heute in der Regierung: Cheney, sein Stabschef Lewis"Scooter" Libby, Rumsfeld, dessen Vize Wolfowitz, Rumsfelds engster Mitarbeiter Stephen Cambone, sein Unterstaatssekretär Douglas Feith und der Chef des obersten Pentagon-Beratungsgremiums Richard Perle.
Abschied von Bündnissen
Das PNAC geht weit über das Ziel hinaus, Saddam auszuschalten. Es verlangt, massiv aufzurüsten, sich aus Rüstungskontrollverträgen zurückzuziehen, Nukleartests wieder aufzunehmen, den Weltraum als künftiges Schlachtfeld zu begreifen und neue Militärstützpunkte zu schaffen. Oberstes Ziel ist nicht Sicherheit durch Bündnisse, sondern unipolare"geopolitische Führerschaft" durch militärische Überlegenheit.
Nach den Terroranschlägen haben die Neokonservativen um Rumsfeld und Cheney die Initiative übernommen, Powell marginalisiert und einen politischen Durchmarsch geschafft. Die USA aber sind international nicht stärker geworden, sondern so isoliert wie vielleicht nie zuvor. Nato und EU, die ihre Entstehung den Vereinigten Staaten verdanken und die einen Teil der wirtschaftlichen, politischen und militärischen Sicherheitsphilosophie der Amerikaner bilden, sind geschwächt. Das Hasardspiel der Falken macht die USA von einer anerkannten Ordnungsmacht zum unberechenbaren Risikofaktor.
Darin liegt der Keim einer Niederlage. Aber wie lange wird es dauern, bis die Falken scheitern? In Amerika hat ein erstes Umdenken eingesetzt. Robert Byrd, dienstältester US-Senator, rief nach dem 11. September zur vollen Unterstützung von Bush auf. Vor einem Monat aber rechnete er in einer fulminanten Rede mit dessen Politik ab: "Diese Regierung hat traditionelle Bündnisse gespalten und internationale Institutionen zur Erhaltung der Ordnung, die Vereinten Nationen und die Nato, vielleicht für alle Zeiten verstümmelt." Irgendwann werden die Kollateralschäden ihres eigenen Vorgehens die Falken selbst stoppen. Hoffentlich ist es dann nicht zu spät.
Ungekürzt aus: Financial Times Deutschland, 13.03.2003

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