- Paul Krugmann ĂŒber Bush / Saddam ist eine Obsession geworden - LenzHannover, 15.03.2003, 12:46
- Was fĂŒr ein tolles Zitat:-) - stocksorcerer, 15.03.2003, 13:35
Paul Krugmann ĂŒber Bush / Saddam ist eine Obsession geworden
-->14.03.2003 17:19 Einer gegen Bush
âSaddam ist eine Obsession gewordenâ
Der Wirtschaftsprofessor Paul Krugman beschimpft den US-PrĂ€sidenten als LĂŒgner und Versager.
Von Marc Hujer
(SZ vom 15.03.2003) â Es ist beinahe Mitleid erregend, Paul Krugman unter Menschen zu sehen: Wie er die Treppe zu McCosh Hall Nummer 10 hinaufkeucht, das Saalmikrophon an seinen Wollpulli nestelt und mit beiden HĂ€nden Halt am Folienprojektor sucht.
Mehrmals dreht er sich nach der Saaluhr um, um die Vorlesung exakt zur Minute beginnen zu lassen. Immer wieder blĂ€st er dabei die Backen auf und atmet so hingebungsvoll aus, als stehe ihm ein olympischer Wettkampf bevor. Er hĂ€tte jetzt mit einem groĂen Satz eröffnen können, wenigstens mit einem Hieb in die Richtung derer, die heute trotz der nahenden ZwischenprĂŒfung nicht erschienen sind. Doch Wirtschaftsprofessor Krugman blickt nur milde in die Runde und als er schlieĂlich die PrĂŒfung erwĂ€hnt, verheddert er sich mit der Saalnummer. âAchâ, sagt er schlieĂlich, âSie wissen ja sicher besser Bescheidâ.
âFlut roter Tinteâ
An diesem Morgen hat der Zeitungskiosk gegenĂŒber in der Nassau Street schon das zweite Paket der New York Times verkauft. Wie jeden Dienstag und Freitag findet sich ein donnernder Kommentar von Paul Krugman darin, ein Kassandraruf, das sich diesmal mit der bevorstehenden âFlut roter Tinteâ im Staatshaushalt beschĂ€ftigt. UngefĂ€hr 730 Worte sind es wie immer, kraftstrotzend, unnachgiebig, renitent und fast jede Zeile richtet sich gegen den PrĂ€sidenten.
Einen LĂŒgner hat Paul Krugman den PrĂ€sidenten schon genannt, einen Versager, einen Ahnungslosen und einen Korrupten, er hat ihm Machenschaften mit der Ă-lindustrie vorgeworfen, Schiebereien zugunsten der Reichen und âCrony Capitalismâ, einen Kapitalismus unter Busenfreunden. An diesem Morgen ist ist es das âfiskalisches Wrackâ Amerika, das George W. Bush geschaffen haben soll und Krugman so sehr erbost.
Jetzt zieht er auch noch gegen das wichtigste auĂenpolitische Projekt des PrĂ€sidenten zu Felde, gegen den geplanten Krieg gegen den Irak. Nicht nur aus ökonomischen GrĂŒnden hĂ€lt Krugman einen Krieg fĂŒr gefĂ€hrlich, ihm fehlt aus sonst jeglicher Beleg fĂŒr die Notwendigkeit eines Angriffs.
âDie ursprĂŒnglichen GrĂŒnde, um einen Krieg gegen den Irak zur obersten PrioritĂ€t zu machen, sind allesamt in sich zusammengebrochenâ, schreibt Krugman. âEs hat nie Beweise fĂŒr eine Verbindung zu El Quaida gegeben, noch fĂŒr die Existenz eines Nuklearprogramms.â Bush habe komplett die Verbindung zur RealitĂ€t verloren. âDie Entmachtung Saddams ist inzwischen eindeutig eine Obsession geworden.â
Seit 2000 lehrt Krugman, 50, als Wirtschaftsprofessor an der EliteuniversitĂ€t Princeton. Er wuchs nicht weit von seinem heutigen Wohnort auf, behĂŒtet als Einzelkind eines Versicherungsmanagers. Zu den wenigen âkleinen SĂŒndenâ, die sein Privatleben ausmachen, zĂ€hlt er eine Flasche WeiĂwein im IsoliermĂ€ntelchen, die er fĂŒr alle FĂ€lle im Kofferraum seines Autos gelagert hat. Warum er, der eigenbrötlerische Professor, plötzlich so eine öffentliche Person geworden ist, weiĂ er selbst nicht genau, vielleicht einfach, sagt er, âweil ich damals so wahnsinnig wĂŒtend warâ, als PrĂ€sident Bill Clinton vom Niedergang Amerikas sprach.
Dem Spiegel vertraute er jĂŒngst an: âAls ich im Herbst 1999 meine Kolumne mit der New York Times vereinbarte, dachte ich eigentlich daran, gut gelaunte Anmerkungen zu den EigentĂŒmlichkeiten der New Economy zu liefern.
Chronist der Ăra Bush
Stattdessen finde ich mich nun wieder als die einsame Stimme der Wahrheit in einem Meer von Korruption.â Aber sein Sendungsbewusstsein hat einen hohen Preis: âEs ist noch kein Tag vergangenâ, sagt er, âan dem ich nicht denke, wie viel schöner das Leben wĂ€re, wenn ich damals nicht diesen Anruf von der New York Times bekommen hĂ€tteâ.
In Washington gilt Krugman als der Chronist der Ăra Bush, so wie es einst George Will fĂŒr die Reagan-Jahre war. Die Zeitschrift Washington Monthly bezeichnete ihn jĂŒngst als den âbedeutendsten Kolumnisten Amerikasâ und Editor & Publisher kĂŒrte ihn zum Kolumnisten des Jahres.
Kein anderer notorischer Bush-Kritiker, weder Noam Chomsky noch Molly Ivins, haben eine annĂ€hernd so groĂe BĂŒhne fĂŒr ihre Kommentare wie Paul Krugman. Seit 1999 druckt die New York Times zweimal wöchentlich seine Kolumne.
Ex-Notenbankvize und Princeton-Kollege Alan Blinder verteilt Kopien von Krugmans Kolumne in seinen Vorlesungen und lobt die âmissionarische QualitĂ€t seines Schreibensâ. Die Washington Post spricht Krugman sogar Kultstatus zu, und die UniversitĂ€tszeitung The Daily Princetonian jubelte jĂŒngst, er sei der âeinzige Existenzialist unserer Zeit - âder Camus der Kolumnistenâ.
Mehrere Krugman-Internetseiten verehren den Kolumnisten inzwischen, es gibt die âneueâ, die offizielle und die inoffizielle Paul Krugman-Seite. Letztere nahm ihm zu seinem 50. Geburtstag in die Ahnengalerie der ganz groĂen Ă-konomen auf, von Adam Smith, David Ricardo, John Maynard Keynes bis zu Robert Solow.
Die Konservativen, natĂŒrlich, hassen Krugman fĂŒr seine Kommentare. âEs gibt nette Postâ, sagt Krugman, âes gibt böse Post - und dann gibt es die Hassbriefeâ. Man hat ihm schon gesagt, man wolle ihm auflauern, man wolle ihm jemand auf den Hals schicken, aber fĂŒr Krugman gehört das zum GeschĂ€ft. âWenn ein Meinungsartikel oder eine Kolumne nicht eine betrĂ€chtliche Zahl von Leuten verĂ€rgertâ, sagt Krugman, âhat der Autor den Platz verschwendetâ.
WĂ€hrend des Enron-Debakels bemerkten seine Kritiker, dass der âsaubere Kolumnistâ selbst einmal auf der Gehaltsliste von Enron gestanden habe und 50.000 Dollar Beratungshonorar einkassierte.
HĂ€me im WeiĂen Haus
Im Internet wurden PrĂ€mien geboten, wenn jemand Informationen ĂŒber das Privatleben Krugmans mitzuteilen gehabt hĂ€tte. Ari Fleischer, der Sprecher des PrĂ€sidenten sagt: âKrugman ist im WeiĂen Haus nicht das, was man unbedingt einen hĂ€ufig gelesenen Kolumnisten nennt.â Ein anderer Bush-Getreuer sagt, Krugmans Spalten seien âreine Hau-auf-Bush-drauf-Ăbungenâ.
Krugman kennt nur wenig Respekt vor Leuten mit Rang. âIch habe zwar immer gerne etwas mit Politik zu tun gehabt, aber glĂŒcklicherweise habe ich es nie geschafft, Politiker wirklich ernst zu nehmenâ, sagt er. Der 11. September 2001 hat ihn anders als viele andere Amerikaner nicht staatstragender werden lassen. âPolitiker, die sich in die Flagge wickeln, indes ohne Unterlass ihre parteilichen Ziele verfolgen, sind keine wahren Patrioten, und die Geschichte wird ihnen nicht verzeihenâ, schreibt er. âBush benutzt diese Ereignisse, um seine ursprĂŒnglichen Ziele zu rechtfertigen.â
Die Medien spielten dabei eine Handlangerrolle. âDas nĂ€chste Mal wenn die Regierung darauf besteht, dass Schokolade Vanille istâ, tobt Krugman, âwird ein GroĂteil der Medien nicht mehr berichten, dass das Zeug braun ist, entweder um Konsequenzen zu vermeiden oder um ausgewogen zu berichten. Bestenfalls werden sie berichten, dass die Demokraten behaupteten, Schokolade ist braun.â
Ein strammer ParteigĂ€nger der Demokraten ist Krugman allerdings nicht. âWĂ€re Al Gore PrĂ€sident, wĂ€re nichts besserâ, sagt Krugman. Als PrĂ€sident Bill Clinton vor dem Niedergang Amerikas warnte, als er die eigene Wirtschaft mit Staatseingriffen vor auslĂ€ndischer Konkurrenz schĂŒtzen wollte, prangerte Krugman âprimitiven Populismusâ des PrĂ€sidenten an.
Robert Reich, Clintons Arbeitsminister nannte er einen âeinfĂ€ltigen Schreiber, der seine Hausaufgaben noch immer nicht machtâ, MIT-Professor Lester Thurow, einen der Vordenker Clintons, bezeichnete er als einen âökonomischen Ketzerâ und Clintons Wirtschaftsweise Laura Tyson beschimpfte er als âPseudo-Ă-konominâ.
In seinem Buch âPop Internationalismâ trat er den Kampf gegen die âintellektuelle Barbereiâ der Clinton-Berater an, die dem Irrglauben nachhingen, Volkswirtschaften konkurrierten miteinander wie Unternehmen, und Freihandel wĂ€re letztlich ein Nullsummenspiel. Als Clinton PrĂ€sident wurde, wollte er dessen Wirtschaftsberater werden.
Aber heute sagt er: âEs wĂ€re ein Desaster gewesen. Ich bin temperamentmĂ€Ăig mĂ€Ăig geeignet fĂŒr einen Job, in dem man sich auf die Zunge beiĂen muss, wenn Leute dummes Zeug sagen.â
Er selbst bezeichnet sich als einen âFree-Market-Keynesianer: Ich bin fĂŒr freie MĂ€rkte, aber ich halte Staatseingriffe fĂŒr sinnvoll, um Marktversagen zu verhindern und StabilitĂ€t sicherzustellen.â In Amerika fordert er, die Finanzhilfen des Bundes an die Einzelstaaten aufzustocken, die Sozialabgaben zu senken und die Zahlungen fĂŒr Arbeitslose zu verbessern, um die Nachfrage zu beleben. Gleichzeitig warnt er vor neuen Verpflichtungen fĂŒr die Zukunft.
Das europĂ€ische Sozialstaatsmodell etwa hĂ€lt er fĂŒr wachstumshemmend, er beklagt die ausbleibenden Arbeitsmarktreformen und die restriktive Geldpolitik der EuropĂ€ischen Zentralbank.
Speziell ĂŒber Deutschland hat er einmal geschrieben, das Land kranke an seinem Perfektionismus und seinem Misstrauen in die MĂ€rkte. Wenn er zwischen der Politik Bushs und der Europas wĂ€hlen mĂŒsste, sei das wie die Wahl zwischen Pest und Cholera. Die gegenwĂ€rtige StĂ€rke des Euro, sagt er, sei âangesichts der Lage Europas ein ziemlich miserables Urteil ĂŒber Amerikaâ.
Krugman wurde lange Zeit als einer der AnwĂ€rter fĂŒr den Nobelpreis gehandelt, seine Chancen sind allerdings eher gesunken, seitdem er in der politischen Debatte so prominent mitmischt. Krugman hat mehr als 20 BĂŒcher veröffentlicht, und mehr als 200 Artikel in Magazinen wie Fortune, Foreign Affairs und Harvard Business Review. Er lehrte an drei der renommiertesten UniversitĂ€ten Amerikas, in Yale, Princeton und am MIT. Er ist Ehrendoktor der Freien UniversitĂ€t Berlin.
Princeton verlĂ€sst Krugman nur selten und die Menschen, ĂŒber die er schreibt, trifft er fast nie. Er könne vielleicht deshalb so pointiert schreiben, sagt er, weil er nicht auf Informationen von Politikern angewiesen sei. Bush hat er noch nicht einmal die Hand geschĂŒttelt, und der Kontakt mit Notenbankchef Alan Greenspan beschrĂ€nkt sich auf ein einziges Telefonat, als Greenspan erbost anrief, um sich ĂŒber eine Kolumne zu beschweren.
In einem sehr persönlichen Aufsatz hat Krugman einmal ĂŒber seine Lebensphilosophie geschrieben: âIch habe eine eigennĂŒtzige Theorie: Interessante Ideen haben wenig mit interessanten Lebenserfahrungen zu tun. Jemand, der in acht LĂ€ndern gelebt hat und fĂŒnf Sprachen spricht, der mit dem Schlitten durch Sibirien gefahren ist und mit dem Boot den Amazonas entlang, hat keine bessere Kenntnis von sozialen ZusammenhĂ€ngen als jemand, der in einem Mittelklasse-Vorort aufgewachsen ist und Science-Fiction-BĂŒcher gelesen hat.â
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