- Der entfesselte Gulliver - Sascha, 16.03.2003, 05:12
- Re: Der schlaflose Sascha / thĂ€nks fĂŒrs Zeitunglesen! Liebe GrĂŒsse (owT) - Toni, 16.03.2003, 11:54
Der entfesselte Gulliver
--><font size=5>Der entfesselte Gulliver</font>
<font color="#FF0000">Die USA sind militĂ€risch, wirtschaftlich und kulturell unangefochten die Nummer eins in der Welt. Aber die Supermacht beginnt an der Krankheit aller Imperien in der Geschichte zu leiden: SelbstĂŒberschĂ€tzung und SelbstĂŒberforderung. LĂ€utet der Irak-Krieg womöglich den Niedergang ein?</font>
Fast sieht es so aus, als genieĂe George W. Bush die Freizeit, die ihm seine Berater in den letzten beiden Wochen verschafft haben - der PrĂ€sident ist wegen der Irak-Krise weitgehend von seinen normalen zeremoniellen Aufgaben und Inlandsreisen befreit.
Er joggt jeden Tag eine Stunde. Er schaut sich in seinem Lieblingssender, dem Sportkanal ESPN, Baseball an. Er betet. Er liest morgens als Erstes das neue"Bedrohungsszenario", in dem ihm die Geheimdienste die aktuellen Terrorwarnungen zusammenfassen. Er hĂ€lt die Strategiesitzungen mit seinen Vertrauten kurz und telefoniert viel mit auslĂ€ndischen Staatschefs. Er spricht regelmĂ€Ăig mit seinem Vater,"43 ruft 41", heiĂt es dann scherzhaft - so stehen sie in der zeitlichen Rangfolge der amerikanischen PrĂ€sidenten. Er isst abends kalorienarm. Er meidet Alkohol. Er schlĂ€ft nach eigener Aussage sehr gut. Er sagt:"Wenn irgendjemand mit so einer Sache seinen Frieden machen kann, dann habe ich meinen Frieden gemacht."
Die Sache, mit der er Frieden gemacht hat, das ist der Krieg mit dem Irak - George W. Bush ist wohl ĂŒberzeugt davon, dass er sein muss. Der amerikanische PrĂ€sident sei keiner, der eine solch schwer wiegende Entscheidung leichtfertig fĂ€lle, sagen alle, die ihn gut kennen. Der Krieg gegen Saddam Hussein aber ist fĂŒr ihn ein moralischer und machtpolitischer Impetus; ob man ihn nach einem Uno-Beschluss gemÀà des Völkerrechts fĂŒhrt, mit einer"Koalition der Willigen" oder auch ganz allein, ist dabei zweitrangig."Wenn es um unsere nationale Sicherheit geht, brauchen wir niemandes Erlaubnis", sagt der PrĂ€sident."Ich habe geschworen, unsere Verfassung zu schĂŒtzen und zu verteidigen. Ich habe meine Hand auf die Bibel gelegt und den Amtseid gesprochen."
<font color="#FF0000">Aber hat er auch geschworen, amerikanische Werte zwangsweise zu verbreiten - die Verfassung von"Gottes eigenem Land" zum neuen Grundgesetz der Welt zu erheben? </font>Die Eroberung fremder Reiche - eine karitative Tat zum Segen aller, bis auf einige zigtausend tote Zivilisten eben? Amerika - neue Heimat eines wohlwollenden Imperialismus?
Die Welt ist voller Skeptiker. Ein unglÀubiger Thomas, der sich nicht bekehren lassen wollte, reihte sich letzte Woche an den anderen bei der Kritik an der Supermacht in der Uno. Eindrucksvoll waren viele PlÀdoyers, wenngleich auch viele Scheinheilige unter den flammenden Aposteln des Rechts waren, die in ihrer Heimat sonst jedem Rechtsbruch tatenlos zusehen. Von 28 Rednern, deren Staaten nicht im Sicherheitsrat vertreten sind, wollten mit Australien und Kuweit nur zwei der Kriegslogik Washingtons folgen.
Zu widersprĂŒchlich waren die BegrĂŒndungen fĂŒr einen Irak-Feldzug, die Bush und sein Verteidigungsminister Donald Rumsfeld auftischten: Mal ging es um den Schutz amerikanischer BĂŒrger vor den angeblich irgendwo versteckten Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins, mal um - unbewiesene - al-Qaida-Kontakte zu Osama Bin Laden, die den Irak mit dem Terror des 11. September in Verbindung bringen; mal stand die Rettung der riesigen ErdölvorrĂ€te in Nahost vor der WillkĂŒr eines aggressiven Diktators im Mittelpunkt.
Washington hat zeitweise den Eindruck erweckt, es genĂŒge, den irakischen Gewaltherrscher so abzurĂŒsten, dass er keine Gefahr mehr fĂŒr seine Nachbarn darstelle. Doch je klarer sich zeigt, dass sich Saddam Hussein - angesichts einer von den USA aufgebauten militĂ€rischen Drohkulisse und dem diplomatischen DrĂ€ngen der Uno - zu substanziellen AbrĂŒstungsschritten gezwungen sieht, <font color="#FF0000">desto deutlicher formulieren die fĂŒhrenden US-Politiker nun ihre wirklichen Ziele: Sie wollen einen militĂ€risch erzwungenen Regimewechsel, eine geopolitische Neuordnung der ganzen Region. Sie planen, völkerrechtlich entscheidend, keinen aufgezwungenen Verteidigungskrieg, sondern einen selbst gewĂ€hlten PrĂ€ventivkrieg. Ein Recht darauf gibt es nicht - auch nicht fĂŒr die USA, die eingebildete Weltmacht</font>.
Wie unterschiedlich im Detail die amerikanischen Szenarien fĂŒr die Zeit nach Saddam aussehen, wer in Bagdad fĂŒr eine Amnestie in Frage kommt, welch groĂe Rolle zu welchem Zeitpunkt irakische Exil-Politiker spielen können, in einem Punkt hat sich George W. Bush so gut wie festgelegt: <font color="#FF0000">Die USA werden den Irak mitsamt seinen Ă-lfeldern besetzen. Sie werden ihn zu einem BrĂŒckenkopf ihrer Interessen im Nahen Osten machen - das Wohl der Weltmacht deckt sich laut Washington mit dem der einheimischen Bevölkerung</font>. Von einem prosperierenden und mit demokratischen Institutionen ausgestatteten Bagdad, das"so schnell wie möglich" (Bush) in zuverlĂ€ssige einheimische HĂ€nde ĂŒbergeben wird, soll fĂŒr den gesamten Nahen Osten ein Aufbruchsignal ausgehen.
Jeder darf sich aus der amerikanischen Gedankenkette heraussuchen, was ihm am ehesten einleuchtet. Das Argument fĂŒr Idealisten: Die entstehende Muster-Republik wird die Demokratie in allen arabischen Staaten attraktiv machen, die sich wie Dominosteine in eine"Pax americana" fĂŒgen. Das Argument fĂŒr Realpolitiker: Der neue, befriedete Irak wird keine Bedrohung mehr fĂŒr Israel sein und erlaubt deshalb gröĂeren Druck auf die rechtslastige Regierung Scharon, sich mit gemĂ€Ăigten palĂ€stinensischen KrĂ€ften zu arrangieren. Das Argument fĂŒr Zyniker: Im Irak liegen die zweitgröĂten Erdölreserven der Welt; sie können den Amerikanern, auch wenn es mit der Demokratie nichts wird, eine zuverlĂ€ssige, billige Energiezufuhr sichern und das Preiskartell der Opec zerschlagen.
Der PrĂ€zedenzfall Irak soll nach Meinung der Falken Washington auch freie Hand schaffen, in anderen Staaten unliebsame Regime aus dem Weg zu rĂ€umen. Manche MilitĂ€rs sehen die Amerikaner schon als die gĂ€nzlich unumstrittenen Herren der Welt, die Zukunft als Abfolge von Eroberungen im Reich der Schurkenstaaten: <font color="#FF0000">heute Bagdad - morgen Damaskus, Teheran, Pjöngjang</font>. Andere glauben nicht an diese Allmacht. <font color="#FF0000">Sie erkennen in George W. Bushs Vorgehen bereits die Saat des Niedergangs."Weltmacht USA - Ein Nachruf" heiĂt das provozierende Buch des französischen Politologen Emmanuel Todd, in dem er zu beweisen versucht, dass Washington"die Herrschaft entgleitet".</font>
Auf den ersten Blick haben die Triumphatoren alle Argumente fĂŒr sich. Wohl noch nie in der Geschichte der Menschheit hat ein Land mit seiner Politik, mit seinen Panzern und seinen Produkten die Welt so dominiert wie heute die USA.
Die Vereinigten Staaten sind Nummer eins in allen machtpolitisch entscheidenden Bereichen. <font color="#FF0000">Sie schaffen mit viereinhalb Prozent der Weltbevölkerung 31 Prozent des wirtschaftlichen Gesamtprodukts auf der Erde</font>. <font color="#FF0000">Sie geben in diesem Jahr mehr fĂŒr RĂŒstung aus als die nĂ€chsten zehn Staaten zusammengenommen</font>. Sie dominieren die Zukunftsindustrien, sie beschĂ€ftigen in ihren Elite-UniversitĂ€ten ein Gutteil aller NobelpreistrĂ€ger. Der extrem erfolgreiche US-"Kulturexport" reicht von Big Macs bis zu Baywatch und Britney Spears. Und manchmal tragen die zornigen Jugendlichen der Dritten Welt, die amerikanische Flaggen verbrennen und die"Coca-Colonisierung" verdammen, dabei originale"stonewashed Levis".
Kaum ein Konflikt in der Welt kann ohne die Amerikaner gelöst werden, was zĂ€hneknirschend auch diejenigen zugeben mĂŒssen, die daran nichts Positives zu erkennen vermögen: Alle Konfliktparteien im Nahen Osten wie in Zentralasien und Fernost wissen um den zentralen Einfluss der USA. Und auch wenn George W. Bush jetzt von den Vereinten Nationen gedemĂŒtigt werden sollte, so spricht doch alles dafĂŒr, dass sich Amerika in dem von Stammes- und Religionskonflikten zerrissenen Irak militĂ€risch durchsetzen wird. <font color="#FF0000">Die einzig verbliebene Supermacht kann es sich - zumindest ohne kurzfristig sichtbare SchĂ€den - leisten, die Weltmeinung zu ignorieren, das oberste Staatengremium notfalls links liegen zu lassen, internationale Gesetze zu beugen</font>.
Doch alles deutet auf einen Pyrrhussieg: Die Bush-Doktrin des PrĂ€ventivkriegs mit anschlieĂendem Regimewechsel <font color="#FF0000">könnten sich mit demselben Recht auch andere anmaĂen, mit unabsehbaren Folgen fĂŒr den Weltfrieden. Beispielsweise Indien im Kampf gegen die - möglicherweise - einmal tödliche Bedrohung aus Pakistan; Russland gegen den - vermutlich - immer noch Terroristen beherbergenden Nachbarn Georgien; China gegen die - vielleicht einmal - aggressiven Renegaten von Taiwan</font>.
Auch fĂŒr Amerika selbst wĂ€re der geplante Angriff auf den Irak ohne völkerrechtliche Legitimation ein weltpolitischer Einschnitt, wie es nach dem Ende des Kalten Krieges keinen gegeben hat.
In den letzten 60 Jahren hat Washington an vorderster Linie daran mitgewirkt, internationale Organisationen, Verteidigungs- und HandelsbĂŒndnisse aufzubauen. Das System der Regeln und Partnerschaften schuf zumindest unter den demokratischen Staaten <font color="#FF0000">Gemeinsamkeiten - und AbhĂ€ngigkeiten -, von denen alle profitierten</font>. Die Amerikaner verpflichteten sich gegenĂŒber ihren europĂ€ischen und asiatischen VerbĂŒndeten zum militĂ€rischen Schutz und erlaubten ihnen Zugang zu MĂ€rkten; im Gegenzug erhielten sie von generell verlĂ€sslichen Partnern diplomatische und logistische UnterstĂŒtzung."Das Resultat war das stabilste und prosperierendste internationale System in der Weltgeschichte", sagt Professor John Ikenberry von der Washingtoner Georgetown UniversitĂ€t.
Das alles gilt nun nicht mehr: Die USA bauen sich eine neue Weltordnung, in der internationale VertrĂ€ge gegenĂŒber ureigenen amerikanischen Interessen und deren Verbreitung zurĂŒckstehen mĂŒssen. Es ist ein gewagter, sehr gefĂ€hrlicher Weg: Ein herrischer Gulliver ist dabei, die Liliputaner (unter FĂŒhrung der Gallier und ReuĂen) abzuschĂŒtteln, die ihn am Uno-Tisch fesseln und ins Völkerrecht zwingen wollen. Aber braucht der Gigant auf die Dauer nicht doch mehr als nur FuĂvolk, das Weltreich mehr als nur Vasallen?
Ob Washington nach dem militĂ€rischen Sieg auch den Frieden in Nahost ohne Partner wie Frankreich, Deutschland oder Russland gewinnen kann, ist fraglich. <font color="#FF0000">Anders als bei der von der Uno abgesegneten Befreiung Kuweits von 1991 trĂ€gt diesmal die internationale Gemeinschaft keine Kriegskosten</font>. Und die riesigen Aufbauleistungen, die im geschlagenen Irak anfallen werden, <font color="#FF0000">ĂŒbersteigen selbst das Budget einer Supermacht</font>.
Eine lĂ€ngere Truppenstationierung (in Japan dauerte die MilitĂ€rherrschaft sieben Jahre) verbietet sich nicht nur wegen arabischer Empfindlichkeiten. Die amerikanische Ă-ffentlichkeit, auf kurzfristige Lösungen und ein personelles Feindbild fixiert, wird nicht bereit sein, ihre Soldaten fĂŒr lĂ€ngere Zeit zum kostspieligen"nation building" im Irak zu lassen - wenn Saddam Hussein erst einmal"bei den Taliban im MĂŒlleimer der Geschichte" (Rumsfeld) gelandet ist.
Schon drohen neue, gefĂ€hrliche Konflikte, mit denen sich die US-Politik dringend beschĂ€ftigen muss. Nordkoreas Diktator Kim Jong Il provoziert, indem er, anders als jetzt Saddam, die Uno-Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde aus dem Land wirft und an Nuklearwaffen bastelt. <font color="#FF0000">Nach Bushs GrundsĂ€tzen mĂŒsste die US-Armee lĂ€ngst in Pjöngjang einmarschiert sein, die Gefahr der Verbreitung von Massenvernichtungsmitteln ist nirgendwo so groĂ</font>.
Es sei fĂŒr das US-MilitĂ€r"kein Problem", in zwei verschiedenen Staaten zuzuschlagen, hat ein Pentagon-Sprecher vollmundig verkĂŒndet, FlugzeugtrĂ€ger und Bomber wurden in Reichweite gebracht. Doch dem amerikanischen PrĂ€sidenten wird wohl letztlich nichts anderes ĂŒbrig bleiben, als der atomaren Erpressung nachzugeben und in direkte Verhandlungen mit dem stalinistischen Regime einzutreten: Zu riskant ist der Krieg gegen einen Nuklearstaat; und diese Bedenken dĂŒrften wohl auch bald im Umgang <font color="#FF0000">mit Iran gelten, der Nummer drei in Bushs"Achse des Bösen"</font>.
Die ĂŒberwĂ€ltigende Mehrheit der Menschen im Nahen Osten glaubt, dass der US-PrĂ€sident auch im <font color="#FF0000">israelisch-palĂ€stinensischen Konflikt mit zweierlei MaĂ misst</font>. Zur groĂen Verbitterung der Araber hat Bush dem israelischen MinisterprĂ€sidenten Ariel Scharon beim Siedlungsausbau in den besetzten Gebieten freie Hand gelassen, immer wieder die Verurteilung Israels im Uno-Sicherheitsrat mit seinem Veto gestoppt und dem Fahrplan fĂŒr einen palĂ€stinensischen Staat lange Monate keinerlei PrioritĂ€t eingerĂ€umt - bis er Ende letzter Woche eine"Nahost-Friedensinitiative" plötzlich zur Chefsache machte.
Und dann ist da noch der brennendste Konflikt von allen, Amerikas unvollendeter"Krieg gegen den Terror".
Besonders durch diese Auseinandersetzung werden die Ressourcen der Weltmacht bis zum ĂuĂersten in Anspruch genommen. Es geht dabei nicht nur um Kampfhubschrauber, FlugzeugtrĂ€ger und Smart bombs. Um terroristische Netzwerke zu bekĂ€mpfen, ist ein gewaltiger Aufwand nötig, ĂŒber konventionelle militĂ€rische EinsĂ€tze hinaus bis zur Einschleusung von Agenten, TelefonĂŒberwachung und Kontrolle von Bankverbindungen. JĂŒngste Erfolge bei der Festnahme von Terroristen dĂŒrfen nicht darĂŒber hinwegtĂ€uschen, dass die meisten der Chefplaner noch frei herumlaufen und dass der Hydra al-Qaida stĂ€ndig neue Köpfe nachwachsen.
<font color="#FF0000">In mehr als einem Dutzend LĂ€ndern weltweit, vom Jemen ĂŒber Somalia bis Pakistan, von Kolumbien bis Indonesien und den Philippinen, sind amerikanische TerroristenjĂ€ger im Einsatz</font>. Dazu kommen Blauhelm-Missionen der Uno, an denen sich Washington vom Balkan bis Ost-Timor ja immer noch beteiligt. <font color="#FF0000">Wohl noch nie hat Amerika an so vielen Fronten gekĂ€mpft - und das gleichzeitig</font>.
<font color="#FF0000">GroĂe Reiche neigten dazu, sich zu ĂŒbernehmen, hat der britische Historiker Paul Kennedy in seinem Bestseller"Aufstieg und Fall der groĂen MĂ€chte" geschrieben</font>. Einige sind, wie das Römische Reich, wohl von innen her verfault und dann durch zahlreiche nadelstichartige EinfĂ€lle der"Barbaren" zerstört worden. Viele aber, wie etwa das Imperium der Habsburger Ende des 17. Jahrhunderts, scheiterten an SelbstĂŒberschĂ€tzung und SelbstĂŒberforderung. An der zu groĂen Zahl ihrer Verpflichtungen - an"imperialer Ăberdehnung".
Auch die Vereinigten Staaten befĂ€nden sich im <font color="#FF0000">"relativen Niedergang"</font>, schrieb der Yale-Professor Ende der achtziger Jahre. Beim SPIEGEL-GesprĂ€ch 1997 damit konfrontiert, dass es in Bill Clintons Reich bei einem EtatĂŒberschuss in Milliardenhöhe und Zuwachsraten in allen Bereichen von Wirtschaft ĂŒber MilitĂ€r bis Hollywood doch offenbar unablĂ€ssig aufwĂ€rts gehe, sagte Kennedy, <font color="#FF0000">er gĂ€be den Amerikanern"noch fĂŒnf Jahre zum Feixen"</font>. Zumindest in Bezug auf den Staatshaushalt hat der Prophet Recht behalten: Unter George W. Bush weist der Etat jetzt ein <font color="#FF0000">Rekorddefizit </font>aus, <font color="#FF0000">fĂŒr die nĂ€chsten zehn Jahre wird ein Fehlbetrag von unvorstellbaren 1,8 Billionen Dollar prognostiziert </font>- und doch erweitert der PrĂ€sident stĂ€ndig Amerikas imperiale Ambitionen.
Eine Doktrin fĂŒr die AuĂenpolitik, die den Namen George W. Bushs trĂ€gt: HĂ€tte ein politischer Beobachter in Washington so etwas noch vor zwei Jahren vorauszusagen gewagt, er wĂ€re belĂ€chelt worden.
Der Ă-l-Kaufmann aus dem hinterwĂ€ldlerischen Midland (Texas) hatte sich bis zu seiner Bewerbung ums PrĂ€sidentenamt so gut wie gar nicht fĂŒr die weite Welt interessiert. Peking hatte er einmal besucht, weil sein Vater dort Botschafter war, Europa und den Nahen Osten kannte er fast gar nicht. Bei einem Fernsehinterview im Wahlkampf 1999 wusste er nicht einmal den Namen des pakistanischen Machthabers. Und selbst in seiner RegierungserklĂ€rung finden sich nur schwammige Bemerkungen zur AuĂenpolitik: Er werde sich selbstverstĂ€ndlich an internationale VertrĂ€ge halten, Amerikas AuslandseinsĂ€tze sollten auf ein Minimum begrenzt, seine Soldaten im Zweifel heimgeholt werden.
Dass aus George W. Bush der auĂenpolitisch ambitionierteste PrĂ€sident der letzten Jahrzehnte geworden ist, liegt vor allem an 19 MĂ€nnern, die Flugzeuge gekapert haben - und an einer Hand voll MĂ€nnern, die Amerikas AuĂenpolitik gehijackt haben. Die Geschichte, ohne die die aktuellen Entwicklungen nur unvollstĂ€ndig zu verstehen sind, beginnt in der Regierungszeit von Bush senior.
Als der Kalte Krieg mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion zu Ende geht, ist Richard Cheney (heute VizeprĂ€sident) Verteidigungsminister. Er beauftragt seine beiden besten strategischen Denker, Colin Powell (heute AuĂenminister) und Paul Wolfowitz (heute Vize im Verteidigungsministerium), die Bedeutung der geschichtlichen ZĂ€sur fĂŒr Washington zu ermessen und RatschlĂ€ge fĂŒr die Zukunft zu formulieren. Hausinterner Arbeitstitel:"Cheney's Song for America".
Powells Grundmelodie im Arbeitspapier von 1991 klingt optimistisch: Er sieht die USA als einzig verbliebene Ordnungsmacht, die sich allenfalls auf unĂŒbersichtliche regionale StreitfĂ€lle und"unvorhersehbare Ăberraschungen aller Art" vorbereiten mĂŒsse. Der MilitĂ€r Powell empfiehlt, die <font color="#FF0000">Verteidigungsausgaben weiter zu erhöhen und auch sonst alles zu tun, um den Rang Amerikas als Nummer eins zu halten und auszubauen</font>. Zugleich aber betont Powell die Wichtigkeit von VerbĂŒndeten und internationalen Organisationen.
Der Weltentwurf des Zivilisten Wolfowitz steckt dagegen voller Pessimismus. Es mĂŒsse alles getan werden, um den"unipolaren Moment der Weltgeschichte" zu nutzen, da zu erwarten sei, dass sich andere Staaten gegen die USA verschwören. <font color="#FF0000">Mögliche Konkurrenten wie China am Aufstieg zu hindern ist oberstes Ziel</font>. Nach Wolfowitz' Meinung engen internationale Institutionen und VertrĂ€ge dabei die Vereinigten Staaten nur unzulĂ€ssig ein. Washington muss sich nach seiner Auffassung aktiv mit Schurkenstaaten befassen und sie, wenn nötig, <font color="#FF0000">mit vorbeugenden Kriegen ĂŒberziehen</font>.
Bush senior folgt eher der Linie Powells. Den Wolfowitz-"Leitfaden fĂŒr militĂ€rische Planung" hĂ€lt auch der damalige Pentagon-Chef Cheney fĂŒr zu radikal; er verschwindet in einer Schublade. VorlĂ€ufig.
Die beiden Polit-Strategen mit den unterschiedlichen Schwerpunkten sind nicht nur Gegenspieler beim Ausarbeiten einer Doktrin fĂŒr das imperiale Amerika. Sie stehen auch in verschiedenen Lagern, seit die USA sich mit Saddam Hussein herumschlagen. Powell, im Golfkrieg Vorsitzender der Vereinigten Stabschefs, plĂ€diert nach den schnellen Siegen auf dem Schlachtfeld dafĂŒr, Halt zu machen und nicht nach Bagdad durchzumarschieren - im Vertrauen darauf, dass der vernichtend geschlagene Diktator die militĂ€rische DemĂŒtigung nicht lange ĂŒberstehen könne.
Wolfowitz denkt anders, kann sich aber nicht durchsetzen: Bush senior folgt wieder dem BedĂ€chtigen - was man im Pentagon bald fĂŒr die gröĂte FehleinschĂ€tzung seit dem Vietnam-Krieg hĂ€lt. Denn Saddam Hussein festigt seine Macht, verspottet Amerika wie die Uno-Inspektoren und versucht wohl, Bush senior 1993 durch ein Spezialkommando in Kuweit ermorden zu lassen.
Doch PrĂ€sident Bill Clinton bleibt trotz gelegentlicher imperialer AlleingĂ€nge im Wesentlichen bei den Eckpfeilern der amerikanischen AuĂenpolitik seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs: <font color="#FF0000">militĂ€rische EindĂ€mmung möglicher Konkurrenten, Einbindung in internationale VertrĂ€ge</font>.
Auch im Umfeld George W. Bushs setzt man im Jahr 2000 noch auf"containment", auf ein friedliches, durch Abschreckung bestimmtes Miteinander. Bushs heutige Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice schrieb damals in einem Aufsatz fĂŒr die Zeitschrift"Foreign Affairs":"Saddam Husseins Regime ist isoliert, seine konventionelle MilitĂ€rmacht wurde entscheidend geschwĂ€cht. Falls die Iraker und Nordkoreaner tatsĂ€chlich Massenvernichtungswaffen erwerben, werden sie diese nicht einsetzen können, weil jeder Versuch die Auslöschung ihres Landes nach sich ziehen wĂŒrde." Ihr Fazit:"Das sind Regime auf Abruf. Kein Grund, bei ihrem Anblick in Panik zu verfallen."
Die Panik hat dann einen anderen Namen: World Trade Center, und sie hat ein Datum: 11. September 2001.
Schon Tage nach dem Massenmord durch die Qaida-Terroristen kommt es zu einem neuen Showdown zwischen den alten Konkurrenten Powell und Wolfowitz - zum Krieg um den Krieg. Diesmal gewinnt der Scharfmacher. Als Angriffsziel neben dem Afghanistan der Taliban wird auch gleich der Irak genannt.
George W. Bush erklĂ€rt seinen"Krieg gegen den Terror" und weitet ihn aus auf alle Staaten, die - nach Amerikas Meinung -"Terroristen Unterschlupf gewĂ€hren". In seiner Rede vor der MilitĂ€rakademie West Point im Juni 2002 sagt der PrĂ€sident:"Unser MilitĂ€r muss jederzeit von einem Moment zum nĂ€chsten in jedem dunklen Winkel der Erde zuschlagen können." In seiner Nationalen Sicherheitsstrategie vom September 2002 nimmt Bush dann endgĂŒltig Abschied von der Abschreckungsstrategie: Er will"vorbeugend" Gefahren in anderen Staaten begegnen. <font color="#FF0000">Und:"Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns." </font>
Unter den PrĂ€ventivkriegstreibern tut sich neben Wolfowitz besonders Pentagon-Chef Rumsfeld vor. Er macht klar, dass Washington nur mehr sehr begrenzten Wert auf internationale VertrĂ€ge und gemeinsame Aktionen der Völkergemeinschaft legt."Die Mission muss die Koalition bestimmen, nicht umgekehrt. Sonst kommt nicht mehr als der kleinste gemeinsame Nenner heraus, und das können wir uns nicht leisten." Ob im Irak Massenvernichtungswaffen gefunden werden oder ob es Verbindungen Saddams zu Osama Bin Laden gibt, ist nach Meinung der Falken ziemlich gleichgĂŒltig. Die USA bestimmen ohnehin unilateral-eigenmĂ€chtig, wo's langgeht.
Doch die Falken können sich nicht auf ganzer Front durchsetzen. AuĂenminister Powell ĂŒberredet Bush, die Vereinten Nationen bei einem Angriff auf Bagdad einzubinden. Er ist zutiefst davon ĂŒberzeugt, dass die permanenten Sicherheitsratsmitglieder kein Veto einlegen werden, die ĂŒbrigen mit ein wenig Armumdrehen und Milliardenspritzen auf US-Linie gebracht werden können - Ausdruck einer Hybris, die zum Kennzeichen der gesamten Regierung Bush geworden ist.
WĂ€hrend der US-AuĂenminister noch davon spricht, es gehe im Irak selbstverstĂ€ndlich nur um"Entwaffnung", erlĂ€utert der US-Verteidigungsminister schon den"Regimewechsel". <font color="#FF0000">Und der PrĂ€sident macht klar, dass er die Uno fĂŒr eine Schwatzbude hĂ€lt, die nur dann irgendeine Bedeutung erhĂ€lt, wenn sie so abstimmt, wie Washington es fĂŒr richtig hĂ€lt</font>.
<font color="#FF0000">Amerikas Missachtung des Kyoto-Protokolls zum Klimaschutz, seine Verachtung fĂŒr den Internationalen Strafgerichtshof, sein Desinteresse an einer weltweiten Biowaffen-Konvention - die meisten Staaten der Weltgemeinschaft schienen sich mit der Arroganz und dem Unilateralismus der USA schon abgefunden zu haben. Doch die Bush-Doktrin der VorwĂ€rtsverteidigung, die den Artikel 51 der Uno-Charta und seine Kriterien des Rechts zur bewaffneten Selbstverteidigung ad absurdum fĂŒhrt, setzt offensichtlich bei vielen eine Trotzreaktion frei. So, als wollten sie sagen: Niemand kann etwas gegen die ĂŒberragende Vormachtstellung der USA und die daraus resultierende Arroganz tun, aber niemand kann uns zwingen, auch noch die Beugung des Völkerrechts durch Washington abzusegnen. Davon blieb nicht einmal der amerikanische PrĂ€sident unbeeindruckt</font>.
Dass sich George W. Bush mit seiner auĂenpolitischen Doktrin ĂŒberhebt, gilt nicht nur europĂ€ischen Kritikern wie dem Franzosen Todd als wahrscheinlich. In der Wirtschaftspolitik sind die USA auf ein Geflecht verbindlicher VertrĂ€ge und Quoten angewiesen; <font color="#FF0000">werden sie verletzt, droht Washington von seinen Handelspartnern eine ebenso empfindliche Strafe wie umgekehrt</font>.
Die Bush-Regierung schĂ€tzt in diesem Bereich internationale Organisationen, jedenfalls solange sie erkennbar Washington nĂŒtzen. Das zeigt sich allein schon darin, dass sie die Aufnahme der Volksrepublik China in die Welthandelsorganisation gefördert hat. Die wirtschaftliche AbhĂ€ngigkeit voneinander erzwingt Kompromisse. Selbst manche amerikanische Waffensysteme sind heute ohne Bauteile aus Asien kaum denkbar. Und gerade beim Grenzen ĂŒberschreitenden informationstechnologischen Kampf gegen Terror ist die"soft power" anderer Staaten wichtig.
Wie selektiv die Regierung Bush den Kampf gegen Diktaturen fĂŒhrt, zeigt ein Blick nach Afrika und Zentralasien. Im westafrikanischen Liberia, der einst von idealistischen schwarzen Amerikanern gegrĂŒndeten Republik nach dem Vorbild der US-GrĂŒndervĂ€ter, herrscht mit Charles Taylor der wohl furchtbarste aller Despoten; er hat Zehntausende auf dem Gewissen, lĂ€sst Frauen foltern und zwingt Kinder in den BĂŒrgerkrieg. Von einem amerikanischen Eingreifen in dem Armenhaus ist nicht die Rede - Washington unterstĂŒtzt in Liberia das Uno-Embargo.
In Zentralasien, der strategisch wichtigen Region jenseits des rohstoffreichen Kaspischen Meers, stabilisiert die Bush-Regierung autoritĂ€re Herrscher, deren Menschenrechtsverletzungen von Monat zu Monat schlimmer werden. Die PrĂ€sidenten Emomali Rachmonow in Tadschikistan, Islam Karimow in Usbekistan und Askar Akajew in Kirgisien mĂŒssen aber nicht mit einem US-Angriff rechnen wie Saddam Hussein - sie verdienen sogar an den MilitĂ€rstĂŒtzpunkten, die sie der U. S. Army eingerĂ€umt haben.
Aus dem Pentagon ist im letzten Monat ein vertrauliches Papier bekannt geworden. Danach plant die Bush-Regierung im August im Hauptquartier des"Strategic Command" bei Omaha (Nebraska) ein geheimes Treffen, in dem eine Weiterentwicklung des amerikanischen Nuklearprogramms beschlossen werden soll. <font color="#FF0000">Das Ziel: kleinere, taktische Atombomben und Neutronenbomben</font>. Sie sollen bei PrÀventivschlÀgen gegen"Schurkenstaaten" eingesetzt werden. Nordkorea, Iran, Irak, Syrien und Libyen könnten laut Pentagon-Chef Rumsfeld mögliche Angriffsziele sein.
Selbst die US-freundliche britische Presse beklagt nun dessen militaristische Auftritte nach dem Motto"Preise Gott, und reich die Munition rĂŒber". In Frankreich spucken die BlĂ€tter Gift und Galle gegen den bulligen Rumsfeld, König der FettnĂ€pfchen: Jedes Mal, wenn er den Mund aufmache, sei ein Alliierter weg. AusfĂ€lle amerikanischer Kolumnisten gegen die"kĂ€sefressenden Kapitulations-Affen" sind ohnehin an der Tagesordnung. Kann es wirklich erst 18 Monate her sein, dass die Pariser Zeitung"Le Monde" unter dem Eindruck der Terrorbilder aus New York und Washington schrieb:"Wir sind alle Amerikaner"?
Ein US-Professor, der seit einigen Jahren in BrĂŒssel lebt und beide Seiten kennt, glaubt nicht mehr an viele Gemeinsamkeiten diesseits und jenseits des Atlantiks. <font color="#FF0000">"Wir sollten nicht lĂ€nger so tun, als hĂ€tten wir die gleiche Weltsicht. Die Amerikaner kommen vom Mars, die EuropĂ€er von der Venus"</font>, meint der Politologe und Bestseller-Autor Robert Kagan. Europa bewege sich in einer funktionierenden Welt von Gesetzen und Regeln, transnationalen Verhandlungen und internationalen Kooperationen. Die USA lebten in einer"anarchischen Welt" und betrachteten alle sie einschrĂ€nkenden VertrĂ€ge wie das Völkerrecht mit Misstrauen."Wahre Sicherheit sowie die Verteidigung und Förderung einer freiheitlichen Ordnung hĂ€ngen in unseren Augen vom Besitz und Einsatz militĂ€rischer Macht ab".
Amerika hat sich durch das einschneidende Erlebnis des 11. September wohl weniger verĂ€ndert, als dass es wieder zu sich selbst fand. Zu seinen Wurzeln. Schon die GrĂŒndervĂ€ter, die sich aufmachten, die Wildnis zu zĂ€hmen, suchten ihre Umwelt zu dominieren."Die Sache Amerikas ist die Sache der ganzen Menschheit", hat Benjamin Franklin einmal gesagt. Vor diesem Hintergrund wirkt Washingtons Multilateralismus der letzten 60 Jahre wie eine Periode der historischen Abweichung.
Amerikaner halten es auch fĂŒr normal, dass sich ihr Land das Recht herausnimmt, gelegentlich Regeln zu brechen und einseitig zu agieren. Wenn sie eine Legitimation fĂŒr ihre Aktionen im Ausland suchten - und suchen -, dann greifen sie nicht auf supranationale Institutionen zurĂŒck, sondern auf ihre eigenen Prinzipien.
In Paris, Moskau und Berlin hat man ganz andere Erfahrungen mit imperialen Ambitionen gemacht, andere Schlussfolgerungen aus der Geschichte gezogen. Aber auch in Italien, Spanien und GroĂbritannien, wo die Regierungen einem US-Angriff auf den Irak zuneigen, <font color="#FF0000">sind Millionen Menschen auf die StraĂe gegangen, um gegen den militĂ€rischen Messianismus der Amerikaner zu protestieren. Ob Fernost, SĂŒdamerika oder in der arabischen Welt: Kaum jemand will glauben, dass es Washington primĂ€r um Demokratie im Irak geht</font>. Der"hĂ€ssliche Amerikaner" ist wieder in aller Munde.
Selbst in sonst US-freundlichen NachbarlĂ€ndern eskaliert der Zorn. Mexikos PrĂ€sident Vicente Fox beklagt sich öffentlich ĂŒber den brutalen Druck der Amerikaner, in Kanada sprechen fĂŒhrende Politiker von einer"spĂŒrbaren Entfremdung". <font color="#FF0000">Machtpolitisch entscheidender ist die neue Partnerschaft Paris-Moskau-Berlin, die - wenn sie denn hĂ€lt - auch langfristig auf der politischen WeltbĂŒhne ein Gegengewicht zu den USA bilden könnte</font>.
Besonders empfindlich trifft den tief religiösen PrĂ€sidenten Bush die geballte Opposition der Kirchen; vom Papst in Rom ĂŒber den Erzbischof von Canterbury bis zu den amerikanischen Baptisten wird dem Irak-Krieg eine moralische und rechtliche Legitimation abgesprochen. Der sĂŒdafrikanische Erzbischof und FriedensnobelpreistrĂ€ger Desmond Tutu:"PrĂ€sident Bush ist ein Mann des Glaubens. Hoffentlich ist er auch ein Mann des Rechts."
Wird es einen ideologischen Gegenentwurf zum amerikanischen Militarismus geben? Steht der Koloss wirklich auf so tönernen FĂŒĂen, wie es europĂ€ische Autoren herbeibeschwören, von denen gerade im Wochenrhythmus Bush-kritische BĂŒcher erscheinen?
Vor dem Hintergrund ihrer militĂ€rischen MachtfĂŒlle mag Washington die unipolare Welt derzeit komfortabel finden - Bush on top of the world, so ganz anders als an diesem traumatischen Septembertag vor 18 Monaten, als der mĂ€chtigste Politiker der Erde in seiner PrĂ€sidentenmaschine stundenlang durch den amerikanischen Luftraum irren musste, ohne dass sich seine Begleiter auf einen Landeplatz einigen konnten. Aber Anzeichen fĂŒr einen langfristig möglichen Niedergang der Hypermacht USA gibt es ĂŒberall: Bush und Co. könnten sich ĂŒberheben.
Die gröĂte Gefahr fĂŒr die USA ist wohl die"imperiale Ăberdehnung", von welcher der Historiker Kennedy spricht und an der GroĂreiche von den Habsburgern ĂŒber das Britische Empire bis zum Vielvölkerstaat Sowjetunion gescheitert sind. Aber dicht dahinter folgt das"Römische Modell" des Niedergangs. <font color="#FF0000">Wie das Reich der CĂ€saren könnte auch das Reich der Bushisten von innen her verfaulen. Amerika hat damit begonnen, selbstgefĂ€llig, ja selbstzerstörerisch seine Ideale im eigenen Land zu verraten - die BĂŒrgerrechte, auf die man in der Heimat von Thomas Jefferson und George Washington so stolz ist, werden aufgeweicht</font>.
Aus Furcht vor immer schrecklicheren TerrorĂŒberfĂ€llen maĂen sich US-Richter an,"rassisch verdĂ€chtige" BĂŒrger regelmĂ€Ăig zu ĂŒberprĂŒfen. Auf die auch nach einem Jahr noch ohne jeden rechtlichen Beistand im Lager von Guantanamo einsitzenden TerrorverdĂ€chtigen wenden die Amerikaner den Begriff"ungesetzliche Kombattanten" an; <font color="#FF0000">fĂŒr sie gilt die Genfer Konvention nicht, die Kriegsgefangene schĂŒtzt</font>.
Auch die Meinungsfreiheit wird eingeschrĂ€nkt. Wer offen gegen den Krieg ist, hat es in den USA derzeit schwer. Amerikanische Schauspieler, die sich öffentlich gegen Bushs Kriegskurs Ă€uĂern, mĂŒssen um ihre Rollen bangen. Nur noch wenige Zeitungen, wie etwa die"New York Times", berichten kritisch ĂŒber die Irak-AufmarschplĂ€ne."Entweder fĂŒr das MilitĂ€r sein oder das Maul halten", empfahl ein Moderator des US-Nachrichtensenders Fox, der sich besonders scharfmacherisch gibt.
Ex-PrĂ€sident Jimmy Carter warnt vor der Aushöhlung der BĂŒrgerrechte."Mittlerweile versucht eine Gruppe von Konservativen, unter dem Deckmantel des Kriegs, lang gehegte Ambitionen zu verfolgen." Und Carter plĂ€diert in einem flammenden Appell gegen das Irak-Abenteuer:"Es gibt noch keine Rechtfertigung fĂŒr einen Angriff. Wir unterminieren die Vereinten Nationen und destabilisieren die Region. Das amerikanische Ansehen in der Welt wird so mit Sicherheit weiter sinken."
Die neoimperiale Bush-Doktrin soll die Welt zu ihrem GlĂŒck zwingen. Aber schon bevor die erste Bombe auf Bagdad geworfen, der erste Schuss in Basra gefallen ist, hat die neue Lehre gewaltige KollateralschĂ€den angerichtet. <font color="#FF0000">Die Uno ist gedeckelt, Europa (auch durch eigene Schuld) gespalten, das Völkerrecht womöglich bald gebrochen - und das alles durch einen Krieg zum Wohl der Menschheit. Der preuĂische MilitĂ€rstratege Karl von Clausewitz hat einmal gesagt:"Denn in gefĂ€hrlichen Dingen, wie der Krieg eins ist, sind die IrrtĂŒmer, welche aus GutmĂŒtigkeit entstehen, gerade die schlimmsten."</font>
Und Saddam Hussein? Er wird gestĂŒrzt werden - und hat doch mehr erreicht, als er je wagen konnte zu hoffen: die westliche Welt entzweit, ihre GrundsĂ€tze durcheinander gewirbelt."Nicht, was heute ĂŒber mich geschrieben wird, interessiert mich, sondern das, was man in 500 Jahren ĂŒber Saddam sagen wird", erzĂ€hlte er einmal einem Biografen. Jetzt hat der Diktator eine groĂe Chance, wenigstens als ein <font color="#FF0000">bedeutender Zerstörer </font>in die GeschichtsbĂŒcher einzugehen.
ERICH FOLLATH, GERHARD SPĂ-RL
Quelle: Spiegel

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