- Bagdad vor dem Angriff: Die Flucht beginnt - Sascha, 16.03.2003, 13:16
Bagdad vor dem Angriff: Die Flucht beginnt
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<font size=5>Die Flucht beginnt</font>
Von Markus Deggerich aus Bagdad
Die meisten Inspektoren haben den Irak verlassen, die Botschaften weden geräumt, Journalisten reisen aus: Alle Hoffnung ist dahin, wer kann, flüchtet nun aus Bagdad. Saddam versetzt sein Militär in Bereitschaft - und eliminiert politische Gegner aus Angst vor einem Putsch.
Bagdad - Manchmal reicht schon ein Stück Papier zum Unwohlsein. Einige irakische Hotels haben ihren ausländischen Gästen dezent einen Ratgeber für Notfälle in vier Sprachen aufs Kopfkissen gelegt:"Versuchen Sie nicht, aus dem Fenster zu steigen", lautet ein gut gemeinter Hinweis - in einer Stadt, in der neuerdings jeder beim Verpuffungsknall eines Autos in Deckung geht.
Die Stimmung in Bagdad schwankt an diesem Wochenende zwischen ansteckender Hysterie und an Naivität grenzender Sorglosigkeit. Die rund hundert ausländischen Friedensaktivisten, die sich als menschliche Schutzschilde vor Wasseranlagen, Krankenhäusern oder Lebensmittellagern postieren wollen, spielen Fußball. In diplomatischen Kreisen dagegen bereitet man sich auf Kriegs-Szenarien vor. In Bagdad läuft die Zeit ab. Sie vergeht unerträglich langsam, und jeder liest die Zeichen anders.
Das Auswärtige Amt in Berlin hat die Bediensteten der Deutsche Botschaft aufgefordert, das Land zu verlassen. Wenn am Sonntag bei dem Kriegsrat von Bush, Blair und Aznar nicht eine überraschende Wende für eine neue Friedensfrist eintreten sollte, werden die verbliebenen Deutschen ausreisen. In einem Konvoi fahren sie dann nach Amman in Jordanien, die Schweizer Botschaft schließt sich an, die französische folgt spätestens am Dienstag.
Der Ausreisedruck stieg in den vergangenen Tagen permanent. Bis Mitte kommender Woche sind alle Flüge ausgebucht, ab Montag dürfte es sich an der irakisch-jordanischen Grenze stauen. Die Preise für Mietwagen mit Fahrern steigen täglich. Die russische Botschaft hat ihre Mitarbeiter und deren Angehörige mit Sonderflügen außer Landes gebracht. Eine Minimalbesetzung bleibt in Bagdad, da die Botschaft über einen ABC-Bunker verfügt.
Drei Viertel der Inspektoren sind schon ausgereist
Von ehemals 200 Waffeninspektoren sind still und leise drei Viertel ausgereist. Noch rund 50 UN-Mitarbeiter sind vor Ort, die hauptsächlich damit beschäftigt sind, die Zerstörung der irakischen Raketen zu überwachen. Die Uno-Beschäftigten könnten allerdings im Kriegsfall innerhalb weniger Stunden mit eigenen Flugzeugen ins Ausland gerettet werden. Von den Hilfsorganisationen wird voraussichtlich nur das Rote Kreuz mit kleiner Besetzung vor Ort bleiben.
Auch die große Mehrheit der zurzeit rund 300 Journalisten in Bagdad ist bereits auf dem Weg in Nachbarländer oder bereitet die Abreise für Anfang der Woche vor. Aus Diplomatenkreisen waren eindeutige Warnungen an die Pressevertreter durchgesickert, dass ihre Sicherheit weder von amerikanischer noch von irakischer Seite garantiert werden könne. Saddam Hussein soll gegenüber Diplomaten erklärt haben, dass er nicht zurücktreten oder aufgeben werde."Wir werden uns mit allen Mitteln verteidigen", soll er gesagt haben. Auf die Nachfrage, was unter"allen Mitteln" zu verstehen sein, habe er geantwortet:"Mit kriegerischen und subversiven". Das wurde in Diplomatenkreisen so interpretiert, dass der Irak auch zu terroristischen Mitteln greifen wird wie etwa Selbstmordanschläge und Geiselnahmen, von denen auch Journalisten betroffen sein könnten.
Saddam versucht, mögliche Umstürzler auszuschalten
Nach Angaben aus Regierungskreisen haben die irakischen Geheimdienste am Wochenende begonnen mit Greiftrupps mögliche Aufständische und der Oppositionelle zu verhaften, um einen Putsch oder Bürgerkrieg auszuschließen. In Kerbala, einer schiitisch dominierten Stadt in der Nähe von Bagdad, soll am Samstag während einer friedlichen Demonstration auf die Menschen geschossen worden sein, berichteten Augenzeugen. Es gab angeblich mehrere Verletzte. Die Schiiten stellen die Mehrheit in dem Land und hatten bereits im Golfkrieg 1991 versucht, Hussein zu stürzen. Ihr Aufstand war niedergemetzelt worden und hat Schätzungen zufolge Hunderttausend Menschen das Leben gekostet.
Zwar wird davon ausgegangen, dass der Irak einem Angriff militärisch nichts entgegenzusetzen hat und bereits nach wenigen Tagen Kapitulationsreif ist."Aber in Bagdad kann es sehr blutig werden", glauben Diplomaten. Zwar liegt Bagdad flach wie auf einem Präsentierteller und wäre leicht einzunehmen, und auch die sichtbare Bewaffnung und Ausrüstung des Irak macht einen jämmerlichen Eindruck. Aber selbst wenn Saddam kapitulieren würde, sollen einige irakische Generale angekündigt haben, dass sie aus Patriotismus weiterkämpfen wollen.
Angst vor dem Feind, Angst vor den eigenen Leuten
Rund um die Stadt sind Erdlöcher zu sehen, die mit Ã-l gefüllt werden können. Auch in die Flüsse und Kanalisation könnte Ã-l eingeleitet werden, um es anzuzünden und Bagdad in eine Rauchwolke zu hüllen, damit Bomben schlechter navigiert werden können. Die große Mehrheit der Fünf-Millionen-Bevölkerung Bagdads wird bei einem Angriff einfach zu Hause sitzen und abwarten. Eine Ausgangssperre wird sie zu Gefangenen in ihren Häusern machen.
Saddams Leibgarden, rund Hunderttausend Mann, sind angeblich auf Privathäuser verteilt und sollen einen Häuserkrieg anzetteln. Da die USA vermutlich kaum eigene Soldaten opfern wollen, wird so jedes Privathaus, in dem ein Scharfschütze vermutet wird, zum Ziel der Bomben. Für Tausende Zivilisten kann das den Tod bedeuten. Teile der Armee werden wahrscheinlich sofort überlaufen,, andere werden kämpfen - nicht weil sie Saddam stützen wollen, sondern weil sie den Krieg als Kolonialisierung empfinden."Bush hat selbst viele Saddammüde Iraker erst zu Patrioten gemacht", sagt ein Diplomat.
Und dann gibt es die vielen, die unter Saddams Regime gelitten haben, Familien, deren Söhne exekutiert oder gefoltert wurden."Hier sind viele Rechnungen offen und in diesem Kulturkreis wird das nicht vor Gericht verhandelt", heißt es aus Regierungskreisen. Da es für die irakische Elite kaum eine Fluchtmöglichkeit gibt, und sie mit der Wut der Straße rechnen müssen, werden sie sich bis zum Letzten verteidigen. Jedes Büro der Baath-Partei könnte brennen, jeder Blockwart und Repräsentant des verhassten Systems muss fürchten, an der nächsten Laterne zu baumeln. Und dann kommen in dem Chaos noch Banden dazu, die die Chance für Plünderungen und Überfälle nutzen könnten.
Blitzkrieg oder Häuserkampf
Unklar ist, ob Saddam tatsächlich über ein weit verzweigtes Bunker- und Tunnel-Netz unter der Stadt verfügt. Da in Bagdad das Grundwasser sehr hoch steht, ist es unwahrscheinlich. Dennoch sind in den Vorgärten der Ministerien nahe der Wachposten, notdürftig in Blumenbeeten getarnt, Eingänge erkennbar, die unter die Erde führen. Das könnte die USA veranlassen, die"Moab"-Bombe einzusetzen, deren Sprengkraft vergangene Woche absichtlich bereits demonstriert wurde. Die Bombe ist in ihrer Wirkung nur noch durch eine Atombombe zu übertreffen und löst Erdbeben aus.
Keiner weiß, wie der Krieg aussehen wird, beide Szenarien sind denkbar: Ein sehr kurzer Krieg, weil der Irak sofort zusammenbricht. Oder ein aufreibender Kampf mit blutigen Straßenkämpfen. Zehn Tage oder zehn Monate lautet die Faustformel, die in Bagdad kursiert. Der Irak wird alles versuchen, um den Krieg in die Länge zu ziehen. Die Bilder von sterbenden Zivilisten, so das Kalkül, würden den Druck auf die Angreifer unerträglich machen. Klar ist bisher nur, dass es kaum unabhängige Berichterstattung über den Krieg geben wird. Die wenigen Journalisten, die fest entschlossen sind, in Bagdad zu bleiben, müssen fürchten, von den USA behindert zu werden, weil vermutlich sämtliche zivil genutzten Satteliten abgeschaltet werden. Der Irak wird vor allem versuchen, Fernsehstationen für Bilder von zivilen Opfern zu instrumentalisieren - so lange es ihnen nützt und die alte"Ordnung" noch funktioniert. So oder so - wenn Bush und Blair am Sonntag nicht doch noch einen anderen Weg finden als den Kriegspfad, geht Bagdad in die entscheidende Woche.
Quelle: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,240495,00.html[/b]

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