- Zinsprognosen völlig unbrauchbar - Hirscherl, 18.03.2003, 01:45
Zinsprognosen völlig unbrauchbar
-->SZ-Interview mit Markus Spiwoks
„Alle wissen, dass es nur Tricks sind“
Der Professor für Finanzwirtschaft und frühere Analyst hält Zinsprognosen für völlig unbrauchbar
München - Wie wenig von Aktienprognosen zu halten ist, konnten Anleger zuletzt am eigenen Leib erfahren. Kaum ein Analyst konnte korrekt vorhersagen, wie lange es nach oben und nach unten geht - vom Ausmaß der jeweiligen Bewegung ganz zu schweigen. Nun hat der Betriebswirtschafts- Professor Markus Spiwoks eine Studie über Zinsprognosen vorgestellt. Die Ergebnisse sind ähnlich verheerend.
SZ: Herr Spiwoks, was haben Sie in Ihrer Untersuchung über die Qualität von Zinsprognosen herausgefunden?
Spiwoks: Die Vorhersagen sind komplett unbrauchbar. Die Prognostiker haben nicht die Zukunft vorausgesagt, sondern nur die Gegenwart. Sprich: Sie haben sich vor allem an den Zinssätzen orientiert, die im Zeitpunkt der Prognose-Erstellung galten.
SZ: Ein konkretes Beispiel, bitte.
Spiwoks: Die Zinsen fielen zwischen 1990 und 1993 auf unter sechs Prozent. In diesem Zins-Tief kündigte die Research-Abteilung der Deutschen Bank an, dass zwölf Monate später die Werte auf demselben Niveau liegen würden. Tatsächlich kletterten sie aber bis auf 7,5 Prozent. Prompt wurden ähnliche Werte für 1995 vorhergesagt - tatsächlich fielen die Zinsen aber deutlich.
SZ: Aber es wird doch auch Vorhersagen gegeben haben, die vom Jetzt-Zustand abgewichen sind.
Spiwoks: Ja. Aber sie lagen ebenfalls meist daneben. Das hat das Gesamtergebnis noch weiter gedrückt. Alle Prognose-Zeitreihen haben sogar noch schlechter abgeschnitten, als wenn man die Gegenwart einfach eins zu eins auf die Zukunft übertragen hätte. Und von Renditen über dem Marktdurchschnitt, wie sie Kunden von Vermögensverwaltern regelmäßig versprochen werden, sind alle himmelweit entfernt.
SZ: Ist es möglich, dass die Ergebnisse nur zufälligerweise so schlecht sind?
Spiwoks: Nein, das ist fast ausgeschlossen. Bes onders bemerkenswert ist, dass es zwischen fast allen Prognosen nur unwesentliche Abweichungen gegeben hat. Dies deutet darauf hin, dass es unter Analysten das berühmte Herdenverhalten tatsächlich gibt - alle trampeln in dieselbe Richtung.
SZ: Aber es wäre doch für einen Analysten ein großer Erfolg, eine bessere
Vorhersage zu liefern als seine Kollegen. Warum sollte er dann mit der Herde rennen?
Spiwoks: Weil ein Erfolg weniger honoriert wird als ein Misserfolg Strafe nach sich zieht. Wenn ein Analyst eine Prognose abgibt, die stark vom Branchenschnitt abweicht, wird er intern skeptisch beäugt. Hat er damit Erfolg, heißt es oft, das sei reiner Zufall. Hat er keinen Erfolg, bekommt er Riesen-Ärger. Wenn er aber in der Masse mitgeschwommen ist und falsch liegt, wird das den widrigen Umständen zugeschrieben, die eben alle getroffen haben. Liegt er richtig, gilt das als Ergebnis seiner guten Arbeit. Das habe ich als Analyst selbst erlebt.
SZ: Könnte die Gleichförmigkeit auch daran liegen, dass alle Analysten dieselben Modelle verwenden und damit dieselben Ergebnisse bekommen?
Spiwoks: Nein, das glaube ich nicht. Es gibt im Gegenteil einen unüberschaubaren Wust von Modellen, die auch tatsächlich Anwendung finden.
SZ: Sind denn gute darunter?
Spiwoks: Aus meiner Sicht nicht. Vermutlich ist die Realität zu komplex, um sie auch nur einigermaßen zutreffend zu erfassen. Vielleicht gibt es irgendwann einmal einen Quantensprung in der Prognose- Genauigkeit, aber derzeit sind gute Vorhersagen offensichtlich nicht möglich.
SZ: Wissen die Analysten denn, dass sie im Grunde zu wenig wissen?
Spiwoks: Ja, zumindest die mit etwas größerer Erfahrung. Als junger Analyst habe ich noch geglaubt, es gebe einen Erkenntnisfortschritt, und ich könnte treffendere Prognosen als andere hinbekommen. In Gremien und auf Branchentreffen machten mir aber dann die älteren Kollegen klar, dass ich mich keinen Illusionen hingeben sollte. Mir wurde geraten, weniger über höhere Treffsicherheit nachzudenken, sondern eher darüber, wie ich durch ein neues Modell die Kunden beeindrucken kann. Ich kam mir dann wie auf einer Konferenz von Zauberern vor, wo jeder weiß, dass keiner wirklich zaubern kann. Man tauscht sich nur über die neuesten Tricks aus.
Interview: Martin Reim

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