- der desinformationskrieg - orwell, 20.03.2003, 09:37
der desinformationskrieg
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Der Desinformationskrieg hat begonnen
von Robert Fisk
The Independent / ZNet 16.03.2003
Sie sind im gesamten Nahen Osten zu Tausenden stationiert. In den Wüsten Kuwaits, in Amman, im Norden des Iraks, in der
Türkei, in Israel und sogar auch in Bagdad. Es müssen 7000 Journalisten und die dazugehörigen Teams sein, die „dem
Schauspiel beiwohnen wollen", wie es die chauvinistischeren von ihnen ausdrücken. In Katar wurde ein großes Pressezentrum
für die Journalisten, die vom Kriegsgeschehen nichts sehen, errichtet. Niemand weiß, wie oft General Tommy Franks der
Presse seine Geschichten beim alltäglichen Schauspiel um 21:00 Uhr vorspinnen wird. Eigentlich redet er gar nicht gerne mit
Journalisten.
Aber die journalistischen Ressourcen, die in der Region platziert werden, sind gewaltig. Allein die BBC hat 35 Reporter im
Nahen Osten, davon sind 17 in militärischen Einheiten - zusammen mit Hunderten von Reportern der amerikanischen
Netzwerke und anderer Sender - „eingebettet". Wenn die Invasion erst einmal beginnt, werden sie ihre Freiheit verlieren und
nicht mehr das schreiben können, was sie wollen. Es wird eine Zensur stattfinden. Und, da wage ich schon einmal eine
Vermutung, wir werden viele britische und amerikanische Journalisten sehen, die wieder einmal einen alten Trick anwenden und
in die Rolle des Spielzeugsoldaten schlüpfen und sich für ihre nächtlichen theatralischen Vorstellungen im Fernsehen
Militärkleidung anziehen. Es ist unglaublich, aber einige amerikanische Netzwerke haben sich im von Kurden bewohnten
Norden des Iraks niedergelassen, mit dem Auftrag, keinen einzigen Bericht vor Beginn des Krieges anzufertigen - für den Fall,
dass dies die Iraker provozieren und ihre Netzwerkreporter aus Bagdad ausweisen könnte.
Die Dramaturgie wird das Entscheidende sein; die Bilder werden oft gestellt und der Einstellungswinkel von „Aufpassern"
ausgesucht werden - die Iraker werden übrigens das Gleiche in Bagdad machen. Nehmen wir einmal die Fotos, die gestern von
den massierten britischen Truppen auf den Titelseiten vollständig mit Panzern, die in Reih und Glied standen und perfekt
aufgemachten Hubschraubern, erschienen. Das war eine vorbildlich geplanter Fototermin. Natürlich wird es nicht so bleiben.
Hier sind einige Vermutungen über die zu erwartende Kriegsberichterstattung. Amerikanische und britische Streitkräfte werden
Tausende mit Uran abgereicherte Granaten - die von den Veteranen des 1991er Golfkrieges größtenteils als Ursache für das
Golfkriegssyndrom und ebenfalls für den Krebs, an dem Tausende Kinder im heutigen Irak erkrankt sind, betrachtet werden -
verwenden, um sich über die irakisch-kuwaitische Grenze durchzuschlagen. Innerhalb weniger Stunden werden sie die Stadt
Basra betreten und von den schiitischen Einwohnern als Befreier begrüßt werden. Den US- und britischen Truppen werden
Rosen überreicht und sie werden nach arabischer Tradition mit Reis beworfen werden, wenn sie „siegreich" durch die Straßen
fahren. Die ersten Nachrichtenbilder werden die Herzen von Mr Bush und Mr Blair erwärmen. Die Reporter werden die
Verwendung von abgereichertem Uran praktisch nicht erwähnen.
Aber in Bagdad werden die Reporter von den Bombenangriffen, die erst Dutzende, dann Hunderte von Zivilisten töten,
berichten. Wie gewöhnlich werden diese Journalisten beschuldigt, „dem Feind Trost zu spenden, während die britischen
Truppen um ihr Leben kämpfen". Zu diesem Zeitpunkt werden sich Iraker in Basra und anderen „befreiten" Städten furchtbar
an Funktionären der Baath Partei Saddam Husseins rächen. Männer werden an Laternenpfählen aufgehängt. Ein großer Teil
des Filmmaterials über diese Szenen muss geschnitten werden, um den Film von dem Gewaltausmaß zu säubern.
Viel besser für die US- und die britische Regierung wird die makabere Entdeckung von Folterkammern und
„Vergewaltigungsräumen" sowie von Gefangenen, die persönlich von den schrecklichsten Leiden, die ihnen von Mitgliedern der
Geheimpolizei Saddams zugefügt wurden, berichten. Dies wird „beweisen", wie richtig „wir" mit der Befreiung dieser armen
Menschen liegen. Danach werden die USA die „Massenvernichtungswaffen", die vermutlich diesen blutigen Krieg provozierten,
finden müssen. Bei der journalistischen Jagd nach diesen Waffen wird jede alte Rakete für den Moment als Beweis ausreichen.
Bunker, die chemische Waffen enthalten werden abgesperrt, weil sie natürlich zu gefährlich sind, als das Journalisten sich ihnen
nähern dürfen. Vielleicht enthalten sie tatsächlich VX oder Anthrax. Aber für den Augenblick ist es am wichtigsten für
Washington oder London, der Welt zu beweisen, dass der Kriegsgrund richtig war - und Reporter in Militärkleidung oder ohne
werden präsent sein, uns genau das mitzuteilen.
Bagdad ist umzingelt und seine Verteidiger bekommen den Befehl, aufzugeben. Es wird Kämpfe zwischen Schiiten und
Sunniten in den Slums der Stadt geben, der Beginn eines grausamen Bürgerkrieges, auf den die Invasionsarmeen nicht
vorbereitet sind. Amerikanische Truppen werden auf der Jagd nach Saddam Hussein an Bagdad vorbeieilen bis sie seine
Heimatstadt Tikrit erreicht haben. Bush und Blair werden im Fernsehen auftreten und von ihren großartigen „Siegen" sprechen.
Aber während sie sich dieser rühmen, wird die wahre Geschichte erzählt werden: der Zerfall der irakischen Gesellschaft, die
Rückkehr von Tausenden von Flüchtlingen aus dem Iran, die Basra einst verlassen mussten, von denen viele bewaffnet sind und
sich weigern unter westlicher Besatzung zu leben.
Im Norden werden kurdische Guerillas Kirkuk betreten, wo viele arabische Bewohner der Stadt getötet oder „ethnisch
gesäubert" werden. Überall im Irak werden die Invasionsarmeen Zeugen schrecklicher Racheakte werden, die man nicht länger
den Fernsehzuschauern vorenthalten kann. Der Zusammenbruch der irakischen Nation hat begonnen...
Natürlich könnten die Amerikaner und Briten in drei Tagen Bagdad erreichen um mit Rosen und Reis begrüßt zu werden. Das
schafften die Briten 1917. Und von diesem Zeitpunkt an ging es bergab.
Nehmen wir uns vor den folgenden verdächtigen Aussagen in Acht:
„Unvermeidliche Rache" - für die Hinrichtungen der Parteifunktionäre der Baath Partei Saddams, von denen tatsächlich
niemand sagt, sie seien unvermeidlich.
„Störrisch" oder „selbstmörderisch" - werden verwendet, wenn irakische Truppen kämpfen, statt sich zurückzuziehen.
„Angeblich" - für alle Blutbäder, die von westlichen Streitkräften angerichtet werden.
„Schließlich der vernichtende Beweis" - wird verwendet, wenn Reporter die alten Folterkeller betreten.
„Die Regierungsbeamten hier gewähren uns keinen Zutritt" - ein deutliches Zeichen dafür, dass Reporter in Bagdad in ihren
Hotels eingesperrt sind.
„Das Leben geht weiter" - für Fotos von armen Irakern beim Zubereiten von Tee.
„Überreste" - angeblich „unnachgiebiger" irakischer Truppen, die noch auf die Amerikaner schießen, aber tatsächlich die ersten
Anzeichen einer Widerstandsbewegung, die sich die „Befreiung" des Iraks von seinen neuen westlichen Besatzern zum Ziel
gesetzt hat.
„Frisch befreit" - für Gebiete und Städte, die gerade erst von den Amerikanern und Briten besetzt wurden.
„Was ist schief gegangen?" - Kommentar zu Fotos, welche die wachsende Anarchie im Irak, die nicht vorhersehbar war,
illustrieren

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