- Das Ende des endlosen Wachstums - Praxedis, 22.03.2003, 03:00
Das Ende des endlosen Wachstums
-->Ã-lpreise, Leitzinsen, Wechselkurse - Ã-konomen rätseln über die kurzfristigen Folgen des Irak-Kriegs. Doch wie sieht es langfristig aus? Die WELT hat Volkswirte befragt
von Anja Struve
Die Ã-konomen sind sich einig, dass das weltwirtschaftliche Gefüge durch mehrere Paradigmenwechseln beeinträchtigt werden könnte. Hier die sechs wichtigsten Thesen:
Globalisierung in Gefahr
Die Volkswirte befürchten, dass der tiefe Riss in den in den einst soliden politische Bündnissen tiefgreifende ökonomische Folgen haben könnte."Es ist gut möglich, dass Sand ins weltweite Getriebe gekommen ist", sagt Thomas Mayer, Europa-Chefvolkswirt der Deutschen Bank in London."Künftig könnte es noch schwerer werden als bisher, sich auf gemeinsame Positionen beim weltweiten Handel oder beim globalen Klimaschutz zu einigen." Doch auch im Kleinen sind gravierende Folgen denkbar. So ist zu befürchten, dass US-Touristen wegen der politischen Situation weniger ins Ausland reisen. Auch den Handel könnte es treffen, meint Julian Callow von CSFB:"Es ist gut möglich, dass die USA künftig mehr in Richtung Pazifik und nicht mehr so sehr über den Atlantik schauen." Stephen Roach von Morgan Stanley sieht sogar den"tiefsten geopolitischen Bruch seit dem Zweiten Weltkrieg". Seine These:"Die einst unaufhaltsam wirkende Globalisierung ist in Gefahr." Dazu trügen nicht nur politische Spannungen bei, sondern auch das drohende Ende des US-Wachstums. Nach dem Platzen der New-Economy-Blase seien die Vereinigten Staaten"nicht mehr in der Lage, den Rest der Welt einfach huckepack zu nehmen." Stattdessen dürften die USA eher daran interessiert sein, ihre Währung weiter abzuwerten. Das würde wiederum den Euroraum und Japan belasten. Der Globalisierungshindernisse in Form von Schutzzöllen könnten daher künftig wieder an Bedeutung gewinnen, warnt Roach.
Primat der Politik
Ã-konomen rechnen nicht nur in Handelsfragen damit, dass politische Entscheidungen wieder zunehmend wirtschaftliche Entwicklungen dominieren. Kopfzerbrechen bereitet den Experten etwa die künftige Positionierung der arabischen Staaten in der Wirtschaft und an den Finanzmärkten. So sei gut vorstellbar, dass die arabische Welt künftig auf stärker Distanz zu den USA gehen werde und sich statt dessen auf die europäischen Kernländer Deutschland und Frankreich als Gegenpol besinnen, sagt der Ã-konom und Islamexperte Volker Nienhaus von der Ruhr-Universität Bochum. So werde in diesen Ländern sogar diskutiert, künftig Erdöl in Euro statt in Dollar abzurechnen oder den Dollar-Anteil an Fremdwährungsreserven zu reduzieren."Diese Diversifizierungsbemühungen könnten zu Verwerfungen an den weltweiten Finanzmärkten führen", sagt Nienhaus. Allerdings warnte der Professor davor, diesen möglichen Boykott überzubewerten. Schließlich sei das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der arabischen Staaten zusammen genommen nur etwa so groß wie das Spaniens.
Rückkehr höherer Inflation
Die befragten Experten befürchteten unisono die Abkehr von der Stabilitätspolitik. Die immense Neuverschuldung der USA und die zunehmend fehlende Haushaltsdisziplin der Euro Länder, die den Stabilitäts- und Wachstumspakt gefährdet, könnte schon bald zu höheren Inflationsraten führen."Der Rückfall in die Staatswirtschaft, steigende Staatsschulden und die Forderung nach einer expansiven Geldpolitik dürften sich in ihren Konsequenzen als der kostenträchtigste Weg erweisen, die Volkswirtschaften an die Anforderungen anzupassen, die der Weg in eine neue Weltordnung bringt", warnt Thorsten Polleit, Chefökonom von Barclays Capital Deutschland. Eine solche Entwicklung würde wiederum die Notenbanken zu höheren Leitzinsen zwingen. Und das würde die staatlichen Haushalte wie auch die Unternehmen zusätzlich belasten.
Geringere Risikobereitschaft
Einen weiteren Paradigmenwechsel sehen die Ã-konomen im geänderten Risikoverhalten von Unternehmern und Investoren weltweit. Die gestiegene Risikoaversion dürfte nach Meinung der meisten Experten auch nach dem Ende des Konflikts am Golf weiter anhalten."Wir werden auch künftig größere Risikoprämien sehen, denn die Welt ist im Vergleich zu früher ein deutlich unsicherer Ort", sagt CSFB-Ã-konom Callow.
Geringeres Wachstum
Protektionismus, höhere Inflationsraten und geringere Risikobereitschaft blieben nicht ohne Folgen auf Wachstum und Beschäftigung. Auch wenn einige Paradigmenwechsel nicht eintreten sollten, rechnet kaum ein Ã-konom damit, dass die Weltwirtschaft nach einem Ende des Konflikts am Golf wieder zu Wachstumsraten von vier oder mehr Prozent zurückkehren wird."Dazu war die vorangegange Phase der New Economy zu überhitzt", sagt Ã-konomieprofessor Nienhaus. An ein dauerhaft niedriges Potenzialwachstum glaubt der Experte aber auch nicht."Die langfristige Wirtschaftsdynamik wird durch den Konflikt und seine möglichen Folgen nicht gedämpft werden." Vielmehr sei das, was die Wirtschaft derzeit erlebe, ein"Knick in der langfristigen Trendkurve."
Prognoseprobleme
Keine Illusionen machen sich die Ã-konomen über ihre eigene Branche. Schließlich werde auch nach einem schnellen Ende des Konflikts die Angst vor Terror-Anschlägen weiter anhalten und die Stimmung dämpfen. Zudem völlig unklar, in welche Richtung sich die Welt künftig entwickele."Optimisten rechnen damit, dass der Krieg schnell beendet wird, und wir danach so bald wie möglich zur Tagesordnung übergehen können", sagt John Hatherly von der Vermögensverwaltung M&G."Pessimisten befürchten hingegen, dass die USA mit ihrem Verhalten im Golfkonflikt die Büchse der Pandora geöffnet haben könnten - mit all den negativen Folgen, die das auch für die Wirtschaft und Finanzmärkte weltweit haben könnte." Die Wahrscheinlichkeit, dass ein bestimmtes von den Ã-konomen errechnetes Szenario eintrete, sei mittlerweile viel geringer als in früheren Jahren, ergänzt Thomas Mayer von der Deutschen Bank."Aber mit diesen geänderten Wahrscheinlichkeiten müssen wir wohl vorerst leben, unabhängig davon, welchen Verlauf der Krieg am Golf nimmt." Allerdings warnen die Ã-konomen davor, allzu schwarz zu malen:"In Zeiten von Bärenmärkten, wie wir jetzt einen haben, glauben die Menschen, dass es nie wieder aufwärts geht. Aber das stimmt nicht", sagt M&G-Experte Hatherly, der seit über 30 Jahren in der britischen Finanzbranche arbeitet."Denn alle Bullen- und Bärenmärkte in der Geschichte haben eine Gemeinsamkeit: Sie enden irgendwann."
Artikel erschienen am 22. Mär 2003
<ul> ~ Welt-Online - 22. März 2003</ul>

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