- eine meinung zur jetzigen börsenlage - orwell, 22.03.2003, 18:33
eine meinung zur jetzigen börsenlage
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Krieg stellt Anlegern viele
Fallen
Börsenpsychologen warnen vor falschen Schlüssen -
Rückblicke nicht hilfreich
von Jens Wiegmann
Berlin - Die spinnen, die Anleger. Erst meiden sie wochenlang
aus Angst vor einem Irak-Krieg Aktien und investieren massiv in
festverzinsliche Wertpapiere und Gold. Und gleich einen Tag
nach Beginn der Kampfhandlungen stürzen sie sich wie
Lemminge in den deutschen Aktienmarkt. Dieser Schluss lag
jedenfalls am Freitag nah, als der Dax in nur wenigen Stunden
um 3,7 Prozent auf 2700 Punkte kletterte. Nach Ansicht der
Diplom-Psychologin und Börsenexpertin Monika Müller ist der
Kursaufschwung jedoch leicht nachvollziehbar:"Für mich wird
hier eher ein rationales, gewinnorientiertes Verhalten sichtbar."
Die Situation sei völlig anders als nach den Terroranschlägen im
September 2001, als Banker und Börsianer selbst direkt betroffen
waren:"Da haben viele irrational und emotional gehandelt."
Schon seit einiger Zeit ist wieder die alte Börsenweisheit im
Umlauf, wonach man Aktien kaufen soll, wenn die Kanonen
donnern. Nun sei eben das eingetreten, was prognostiziert und
erwartet worden war, sagt Müller, die private und institutionelle
Investoren berät."Viele Leute haben das gehört und gelesen, und
springen jetzt auf den Zug auf." Die Expertin sieht allerdings
weniger Privatanleger am Werk, die auf eine Trendumkehr
setzen, als vielmehr professionelle Investoren, die kurzfristige
Möglichkeiten nutzen. Der aktuelle Trend ist nach Ansicht
Müllers nicht nur im Krieg begründet."Es ist grundsätzlich eine
Menge Kapital vorhanden, das investiert werden will, wie man
zum Beispiel gerade an der Kursexplosion der Bayer-Aktie sehen
konnte."
Die Marktteilnehmer hätten sich schon seit geraumer Zeit auf die
Stunde X vorbereitet, sagt Joachim Goldberg, Geschäftsführer der
auf die Analyse von Anlegerverhalten spezialisierten Firma
Cognitrend."Viele sind schon vorher aktiv geworden aus Angst,
den besten Zeitpunkt zu verpassen." Aber nun sei natürlich erst
einmal eine Dominanz der Ereignisse im Nahen Osten
festzustellen:"Stürzt ein Hubschrauber ab fallen die Kurse, wird
die Einnahme einer irakischen Stellung oder Stadt gemeldet
steigen sie."
Der Krieg macht eine Einschätzung der Finanzmärkte
schwieriger. Durch die schnellen und scharfen Kursbewegungen
werde bei vielen Anlegern das Gefühl verstärkt, etwas zu
verpassen, sagt Goldberg. Ein anderes Problem beschreibt der
Börsenpsychologe als"Verfügbarkeitsfalle": Meist würden nur
leicht verfügbare Informationen genutzt, zum Beispiel aus dem
Fernsehen. Das führe oft zu einem weiteren Fehler:"Da werden
einzelne Fakten für repräsentativ gehalten, und dadurch die
falschen Schlüsse gezogen." Andere als Kriegsnachrichten
würden am Markt zwar noch wahrgenommen, aber nur besonders
wichtige."Das ist wie in der Akustik mit dem Grundrauschen - da
sind nur noch Geräusche mit bestimmter Lautstärke und
Frequenz hörbar."
Es ist diese ungewohnte Situation, die viele Anleger auf der
Suche nach einer Orientierungshilfe in die Vergangenheit
schauen lässt."Gerade in so schwierigen Zeiten wie diesen
haben die Menschen ein Kontrollbedürfnis", sagt Goldberg.
Historische Vergleiche brächten aber nicht viel, wie der Rückblick
auf 1991 zeige. Solche Vergleiche seien nachträglich als
Erklärungen hilfreich, konkrete Handlungsanweisungen könne
man daraus aber nicht ableiten."Wenn sich alles in
vorhersagbarer Weise wiederholen würden, könnten sich ja alle
angemessen darauf vorbereiten." Privatanlegern rät Goldberg
trotz der jüngsten Kurssprünge zu Ruhe:"Wenn das, was wir
jetzt sehen, wirklich zu einem nachhaltigen Aufwärtstrend wird,
hat der langfristig orientierte Anleger immer noch genügend Zeit
für einen Einstieg."
Artikel erschienen am 22. Mär 2003

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