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Süddeutsche - Kommentar: Alte und neue Weltmacht
-->21.03.2003 17:25
Kommentar
Alte und neue Weltmacht
Von Has Werner Kilz
(SZ vom 22./23.03.2003) Krieg ist auch immer die Stunde der großen Vereinfacher. Hans-Olaf Henkel, der allgegenwärtige Lobbyist eines problemfreien Kapitalismus, konnte sich die Welt schon immer so vorstellen, wie sie eigentlich funktionieren müsste: Der Starke sagt, wo es langgeht - und wer nicht folgen kann, ist selber schuld. Hätten die Europäer 1938 einen Bush und keinen Chamberlain gehabt, so hat es Henkel im Frühstücksfernsehen schneidig formuliert, dann wäre Hitler beseitigt worden und der Welt viel erspart geblieben. Ein famoses Verständnis von Realpolitik. Da ist der Krieg nicht die schlechteste aller Lösungen, sondern das einzig probate Mittel, Konflikte zu lösen.
Politische Macht hat die Menschen zu allen Zeiten irregeführt, auch intelligente. „Um hier den Blick zu schärfen“, schrieb der Atomphysiker Werner Heisenberg in seiner Ordnung der Wirklichkeit, „müssen wir uns vor allem daran erinnern, dass die politische Macht noch stets durch Verbrechen begründet worden ist.“ Und dies wird auch nicht dadurch besser, dass politische Macht, wenn sie einer großen menschlichen Gemeinschaft als Ordnung aufgezwungen wird, schließlich auch gute Wirkungen hervorbringen kann.
Ob Bush Heisenberg kennt, ist nicht überliefert. Wie der Präsident denkt, wissen wir: Wer sich nicht von selbst in die Gemeinschaft einordnet, muss mit brutaler Gewalt eingegliedert werden. Nach dem schlichten Prinzip „Und willst Du nicht mein Bruder sein, dann schlag ich Dir den Schädel ein“ funktioniert amerikanische Machtpolitik. Sie lebt vom Mythos der Machbarkeit, von einem rücksichtslosen „can do spirit“, der vorgaukelt, alles im Griff zu haben.
Europäer müssen zwangsläufig wie Zauderer dastehen, wenn Amerikaner die Zukunft - die eigene und die der restlichen Welt - in globalen Entwürfen denken. Sie allein ordnen diese Welt. Wie sonst hätte Donald Rumsfeld, den nur 29 Prozent seiner Landsleute überhaupt kennen, die osteuropäischen Umbrüche als Folge eigener Politik betrachten können? Dem Bedürfnis nach Stabilität und Sicherheit hat sich alles zu fügen.
Die Vereinigten Staaten, die auf Rohstoffe aus anderen Ländern angewiesen sind, fürchten sich, zu Recht, vor der Proliferation gefährlicher Waffen. Und deren Einsatz im Kampf um überlebenswichtige Ressourcen ist eine ständige Bedrohung. Zu diesen „weapon states“ zählen die an der Peripherie gelegenen, rückständigen Staaten wie Irak, Nordkorea, Pakistan oder Iran, die im Verdacht stehen, notfalls auch Massenvernichtungswaffen einzusetzen.
Amerikas Sonderrolle
Um diese Waffen zu kontrollieren und die Staaten, die damit hantieren, konsequent zu überwachen, verfolgen die USA einen robusten Interventionismus, zu dem alle anderen Staaten dieser Welt gar nicht in der Lage sind. Allein Amerika hat die Stärke und den Willen, eine unipolare Welt zu führen und, ganz ohne Scham, die Regeln der Weltordnung aufzustellen und auch durchzusetzen. Bush handelt nach dem Raster „the good, the bad and the ugly“ - was im aktuellen Fall heißen würde: der Präsident, das alte Europa und der Diktator. Nur spielt Bush nicht die Hauptrolle in einem Italo-Western, sondern in der Weltpolitik.
Doch eine Weltordnung, in der Gewalt regiert, die internationale Normen und Werte ignoriert, kann eine große demokratische Nation wie Amerika auf Dauer nicht wollen. Ressourcenkriege werden die Welt in Brand stecken. Wer politische Ziele allein mit militärischer Gewalt durchsetzen will, ermuntert die Unterlegenen zu neuen Gewalttaten und Terror. Moralisten sind in der Politik im falschen Gewerbe. Aber ohne Moral geht es auch nicht.
Bush mangelt es an moralischer Führungsstärke. Er will die Welt Mores lehren und untergräbt damit den selbst erhobenen moralischen Anspruch. Der warlord aus Washington, der, wie der Papa, seine Entscheidungen geradezu zwanghaft mit der Aura universeller Bedeutung versieht, hat vor dem Krieg plakativ, vordergründig und scheinheilig-instrumentell mit Werten wie Demokratie und Menschenrechte argumentiert. In Wahrheit will er nur eines: Zeigen, wer die Macht hat.
Dazu hätte es des Krieges nicht bedurft. Nach dem 11. September war Amerika stark, weil sich die ganze Welt hinter der neuen Friedensmacht versammelte. Diesen Kredit hat Bush mit seinen „Falken“ im Weißen Haus verspielt. Wer täglich nur Kriegsrhetoriker um sich versammelt, dem müssen abwägende Europäer als Schwächlinge erscheinen. Die Weltmacht Amerika hat den alten Kontinent zerbröselt, die Russen ignoriert, die Staaten der Dritten Welt mit Arroganz verprellt. Aber eine andere Weltmacht, die sich neu gebildet hat, kann einer Demokratie wie Amerika nicht egal sein: die geschlossene, nicht manipulierbare Weltöffentlichkeit. Wäre der Kriegswunsch Washingtons glatt erfüllt worden, hätten alle gesagt: die sind so stark, dass sich keiner traut zu widersprechen.
Tapferkeit der Kleinen
Bei allem außenpolitischen Dilettantismus, der anfangs zu beobachten war, liegt hier das historische Verdienst des deutschen Kanzlers. Er hat im Verbund mit Frankreich und Russland bewirkt, dass die einflusslosen, abhängigen Staaten dieser Welt nicht wie Domino-Steine unter dem Druck der Amerikaner reihenweise gekippt sind. Die UN werden deshalb nicht geschwächt aus dieser Auseinandersetzung hervorgehen. Im Kalten Krieg, in der bipolaren Welt, ja, da waren die Vereinten Nationen einflusslos. Die Sitzung des Sicherheitsrats, in der US-Außenminister Powell mit lächerlich dünnen Beweisen den Krieg zu rechtfertigen versuchte, wird als Tag der tapferen Kleinen in die Geschichte der UN eingehen. Erstmals war weltweit sichtbar geworden, dass Staaten wie Mexiko, Chile, Angola oder Pakistan nicht mehr käuflich sind und großem Druck standhalten.
Die USA waren seit vorigem Jahr fest entschlossen, diesen Krieg zu führen - ganz egal, wie ihre Verbündeten dazu stehen. Alles Gerede von friedlicher Entwaffnung Saddams war Lüge. Auf die deutschen, wahrlich nicht ausschlaggebenden Verhältnisse übertragen, heißt das: Die desolate Wirtschaftspolitik der Bundesregierung hat im Innern den Blick verstellt für eine ehrliche Beurteilung der Schröderschen Haltung. Angelika Merkel darf für sich die Lehre ziehen, dass Außenpolitik nicht dazu taugt, innenpolitisch instrumentalisiert zu werden. Nicht Schröder hat den Krieg wahrscheinlicher gemacht, sondern Merkel das Ende ihrer politischen Karriere.
Sicher: Europa hat als machtpolitisches Korrektiv versagt. Deutsche und Franzosen müssen begreifen, dass die Staaten Osteuropas, die Einlass in die EU begehren, nicht allein die Wohlstand verheißende Geborgenheit der Wirtschaftsgemeinschaft suchen. Sie suchen erst mal Sicherheit - und das im transatlantischen Bündnis, an der Seite der Amerikaner. Europa muss dafür sorgen, dass es im Nahen Osten nicht in den Ablehnungssog gegen die USA gerät. Die Region am Golf können die Amerikaner nicht allein befrieden. Wo bleibt die Nahost-Initiative von Chirac und Schröder, gerade jetzt, wenn in Bagdad die Bomben fallen? Bush müsste dankbar sein.
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winkääää
stocksorcerer
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