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Süße Rache, neue Angst
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Als einstiges Opfer Saddam Husseins frohlockt das Emirat Kuweit über den Krieg der Amerikaner - trotz irakischer Raketenangriffe.
Eine Herde von Zweibeinern mit klobigen dunklen Schnauzen trampelt in Panik die Betontreppe des Hotels hinunter. Manche der Monster haben einen Busen, andere schleppen schwere Fernsehkameras, aber die schweinsgesichtigen Masken verwandeln alle in eine große Familie. Sirenen treiben die keuchende Kohorte 18 Stockwerke hinab in die Tiefe.
Wer als Reporter keine Gasmaske besitzt, fühlt sich unter seinesgleichen eher deplatziert als gefährdet. Aber die Disziplin lässt schon beim dritten Raketenalarm nach: Dann laufen im Safir-Hotel von Kuweit-Stadt fast nur noch die gewissenhaften Kollegen aus Japan und China mit den Masken herum, und auch die geben ihre Vorsicht nach und nach auf.
Das kuweitische Fernsehen meldet in grüner Schrift Entwarnung. Der Aufenthalt im Schutzraum des Safir-Hotels dauert selten länger als drei Minuten. Das muss wohl daher kommen, dass zwischen dem Raketeneinschlag und dem Sirenengeheul oft eine gute halbe Stunde verstreicht. Wenn die Reporter vor dem Schutzraum eintreffen, ist die Gefahr bereits vorbei. Auf dem langen Weg dürfte das Risiko am höchsten sein.
Glückliche Fügung also, dass die Raketen des Saddam Hussein - von denen zwischen Donnerstagnachmittag und Freitag früh der vergangenen Woche mindestens ein Dutzend auf kuweitischem Gebiet einschlugen - weder chemische noch bakteriologische Menschenvertilgungsmittel beförderten. Vorerst kamen weder amerikanische Soldaten noch einheimische Zivilisten zu Schaden.
Über die Abwehr chemischer Waffen müssten in Kuweit die Deutschen bestens Bescheid wissen: die Besatzung der Bundeswehr-Spürpanzer, die hier seit gut einem Jahr zum Schutz vor chemischen und biologischen Kampfmitteln im Einsatz sind. Im Rahmen der Anti-Terror-Operation"Enduring Freedom" beauftragt, führen die Soldaten ihre Arbeit auch im Krieg weiter. Wenn das nicht fast an Kriegsteilnahme grenzt: Deutsche helfen Kuweit gegen die Vergeltungsschläge, mit denen Saddam auf den"Enthauptungsschlag" der Amerikaner in Bagdad reagiert.
Es mag diese Rolle sein, die den deutschen Offizieren am Golf plötzlich hohe Diskretion abverlangt."Jetzt haben die Politiker das Wort", wimmelt Klaus Geier, der Sprecher der Spürpanzereinheit, die Anfragen eines Reporters ab. Eines seiner Fahrzeuge sei immer unterwegs, räumt Geier ein:"Die Besatzung hat Order, sich auf ein Gespräch mit Journalisten nicht einzulassen."
So reden auch die Amerikaner:"Während der nächsten Tage gibt es kein Briefing, kein Hintergrundgespräch", erklärt ein weiblicher Sergeant. Da rollten bereits Tausende Militärfahrzeuge über die Nordgrenze Kuweits, und es war klar: Ehe die Alliierten nicht einen großen Teil des Irak fest im Griff haben, werden ihre Generäle sich nicht öffentlich ausfragen lassen.
Noch am Freitagnachmittag heulen in Kuweit-Stadt die Sirenen, trotten Reporter in ihre Schutzräume, verkriecht sich die steinreiche Elite in ihren Kellern. Offenkundig ist es den Amerikanern und Briten noch nicht gelungen, die Raketenstellungen des Diktators auszuschalten. Noch viel schwerer wird es sein, kurzfristig etwas gegen die"Politik des verbrannten Ã-ls" auszurichten, mit der Saddam die Eindringlinge behindern will. Wie vor zwölf Jahren bei seinem erzwungenen Rückzug aus Kuweit, hinterlässt der Zerstörer nun auch im eigenen Land ein ökologisches und wirtschaftliches Desaster.
Dass Gasmasken sich bisher nicht als überlebensnotwendig erwiesen haben, ist für Menschen, die keine besitzen, ein schwacher Trost. Es nimmt ihnen nicht die Angst, wenn wieder ein Raketenalarm durch Mark und Bein schrillt.
Der zwölfjährige Nassir Tarik hatte das nicht erwartet, er war mit seinen Gefühlen den Erwachsenen schon weit voraus: Das Kind sah die Amerikaner in Bagdad einrücken und Saddam Hussein in einem Feuerball verschwinden - doch vor allem träumte Nassir sich seinen Vater herbei, den er in seinem Leben noch nie zu Gesicht bekommen hat; die Schergen Saddams verschleppten 1990 den jungen Polizisten Tarik al-Ghatni aus dem besetzten Kuweit, bevor Nassir auf die Welt kam.
Wie so viele Kuweiter kam der Junge nicht ohne die Hoffnung aus, dass 600 geraubte oder verschwundene Landsleute noch irgendwo im irakischen Gulag am Leben sind - europäische Diplomaten halten das für unwahrscheinlich. Ein Saddam jedoch, der Kuweit noch heute mit Raketen beschießen kann, ist nur allzu lebendig; wenn wieder die Sirenen aufheulen, sieht der kleine Nassir, wie das Traumbild des Vaters von der drohenden Visage seines Peiniger überlagert wird.
Die Zuversicht der Oberschicht ist nicht so leicht zu entmutigen wie die des Kindes."Saddam wusste genau, was in der Uno-Resolution 1441 mit,ernsten Konsequenzen' gemeint war", schreibt der frühere Erdölminister Ali Ahmed al-Baghli."Diesmal wird er zur Hölle fahren!"
Diese Gewissheit hat auch die Börse in Kuweit, die zweitgrößte der arabischen Welt, viel früher erfasst als die Märkte in den Finanzmetropolen der Welt. Die genießen erst seit kurzem die belebende Wirkung, die von der Aussicht auf ein baldiges Ende Saddam Husseins ausgeht. In Kuweit hatte schon vor Monaten, bald nach der Ankunft der Amerikaner, das lange Börsenhoch eingesetzt, das nun - in Vorwegnahme eines alliierten Sieges - einem Gipfelpunkt zustrebt.
Der aufgeräumten Stimmung, die im Emirat bei Kriegsbeginn herrschte, hat nicht nur der irakische Raketenbeschuss einen Dämpfer versetzt. Auch die zerfurchten Mienen von George W. Bush und Donald Rumsfeld werden von der Führungsschicht mit Sorge registriert. Was soll da aus dem"Blitzkrieg" werden, den die Nachrichtenagentur Reuters - das belastete deutsche Wort benutzend - den Amerikanern in Aussicht gestellt hat?
"Im Gegensatz zum Rest der Welt hat es bei uns nie Kriegsangst gegeben", erzählt Chalil Ali Heidar, politisch liberaler Zeitungskommentator."Wir haben eher befürchtet, der jüngere Bush könnte unter internationalem Druck einen Rückzieher machen." Das aber, so Heidar, wäre ein Triumph für Saddam in der ganzen islamischen Welt geworden:"Sterben muss das Scheusal meinetwegen nicht. Mir genügt es, wenn er besiegt, gedemütigt, entzaubert und auf ewig als Popanz entlarvt ist."
CARLOS WIDMANN

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