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Der Fluch von Kirkuk
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Die irakischen Kurden bereiten sich auf die Wiedereroberung ihrer heimlichen Hauptstadt vor.
Der Held so mancher Schlachten schweigt. Mit schnellen Schritten erklimmt Mustafa Nasraddin den Hügel von Qosh Tepe, seinen Turban tief in der Stirn, das Gewehr über der Schulter, die alte Wunde am linken Arm verdeckt von der traditionellen Kluft der Peschmerga. Die grün beflaggten kurdischen Gräber am Wegrand beachtet er nicht.
Oben auf dem Kamm stehen seine Soldaten mit Kalaschnikows vor dem Bauch und Handgranaten am Gürtel. Wenige Kilometer weiter beginnt schon das Feindesland der irakischen Armee.
Die Kämpfer haben Holzscheite in mehreren Lagen aufgeschichtet und eine Fackel mit Benzin getränkt. Alles wartet auf das Signal des Kommandeurs. Es ist Newroz, das kurdische Neujahrsfest, und an diesem Tag feiern die Kurden den Schmied Kawa, ihren ersten Widerstandskämpfer, der sein Volk vor gut 2600 Jahren von dem Despoten Duhok erlöste. Jetzt geht es wieder um Befreiung, und Nasraddins junge Truppe will von ihrem wortkargen Anführer eine Rede.
Es sind Angehörige der Spezialeinheit"Spi Kirkuk". Nur Männer aus der verlorenen Stadt Kirkuk dürfen in der Brigade dienen. Nur Soldaten, die von Saddams Armee vertrieben wurden. Außer Panzerfäusten und Kalaschnikows haben sie keine Waffen, aber Spi Kirkuk soll die Speerspitze bei der ersehnten Rückeroberung sein. Wenige Kilometer nur sind sie entfernt von ihrer Heimatstadt. Sie wollen die Befreier sein.
Und so erzählt Nasraddin von dem Tyrannenmord im Jahre 612 vor Christus und dem Feuer, das Kawa, der Schmied, nach vollbrachter Tat entfacht hat:"Damals hat das Feuer als Symbol für die Befreiung der Kurden geleuchtet, nächste Woche werden wir es in Kirkuk anzünden. So Gott will - inschallah." Er hält die Fackel an den Holzhaufen, und die Flammen schlagen in den Abendhimmel."Srwddi Newroz" singen sie, das Neujahrslied."Das neue Jahr ist ein Jahr des Sieges."
Auch die Nordfront gegen den Irak ist eröffnet. Während im Süden die Allianz immer weiter vorrückt, erreichen erste Berichte von Explosionen in Mossul im Norden die ungeduldigen kurdischen Truppen in ihren Kasernen. Die Ã-lfelder von Kirkuk sollen bereits von amerikanischen Special Forces gesichert sein. Aber ein Sieg der USA gegen Saddam Hussein wäre für die Kurden ebenso wenig wert wie ein demokratischer, föderaler Staat Irak mit einer autonomen Provinz Kurdistan, wenn Kirkuk nicht wieder kurdisch würde.
Wie keine andere Stadt symbolisiert sie die Unterdrückung. Zigtausende kurdische Familien wurden im Namen von Saddams Arabisierungskampagne vertrieben und arabische zwangsweise angesiedelt. 160 000 deportierte Kurden aus Kirkuk leben allein in Arbil, im kurdischen Nordirak. Sie sollen, nicht nur nach dem Willen von Nizan Madin Gly, zurückkehren.
Nizan, ein führendes Mitglied der Demokratischen Partei Kurdistans, spricht mit bestimmter Stimme. In seinem kühlen Büro in Arbil sitzt er unter einem Bild der alten Burg von Kirkuk und schreibt Anweisungen auf kleine Notizzettel. Alle paar Minuten kommt ein leichtfüßiger Diener, serviert gesüßten Tee in Gläsern und überreicht Botschaften aus der den Kurden verbotenen Stadt. Denn Nizan ist der Bürgermeister von Kirkuk.
In seinem Exil sammelt der korpulente Mann sämtliche Nachrichten und Gerüchte, die Überläufer mitbringen: Die arabische Bevölkerung sei bewaffnet worden in den letzten Tagen. 30 bis 40"al-Samud"-Raketen seien um Kirkuk positioniert. Die Lastwagen, mit denen die Raketen hin und her gefahren werden, würden ständig neu lackiert."Sie ändern die Farbe, um mehr Material vorzutäuschen, als sie haben", sagt der Bürgermeister ohne Stadt."Das wird ihnen nichts helfen."
Nicht einmal die Posten von Chamchamal fürchten die Samud-Raketen. 40 Kilometer von Kirkuk entfernt hocken die kurdischen Grenzbeamten, an die Wand ihres Häuschens gelehnt, zwischen Gewehren und zusammengeschnürten Decken. Zwei Hunde liegen im Gras vor dem gesenkten Schlagbaum und blinzeln in den Abend. Das Dorf Chamchamal ist evakuiert, nur noch alte Männer und Peschmerga schlendern durch die Straßen.
Ibrahim steht an der geschlossenen Grenze und starrt Richtung Kirkuk. Er beobachtet auf den Hügeln die Silhouetten der letzten irakischen Soldaten. Sie scheinen ihm wie Gefangene im eigenen Land."Wir hören es, wenn auf Deserteure geschossen wird", sagt Ibrahim, und Mitleid schwingt in seiner Stimme.
Über den Weg nach Kirkuk will er so wenig sprechen wie die höheren Peschmerga-Kader. Sie stehen unter dem Kommando der Amerikaner und wollen keinen Zwist riskieren. Zu nah sind sie ihrem Traum vom Ende des Regimes in Bagdad, zu nah der Rückkehr nach Kirkuk.
Gewiss, türkische Soldaten sollen schon im Nordirak bedrohlich nahe gerückt sein. Unsicher ist auch, wie die USA reagieren, wenn dieser Einmarsch eskaliert. Doch wer immer Kirkuk zuerst nimmt - es wird wieder kurdisch werden, das wissen die Peschmerga schon jetzt. Und wenn sie ihre heimliche Hauptstadt nicht im Triumph erobern können, so werden es halt Zivilisten sein, die Kirkuk zurückgewinnen.
Die Amerikaner hätten den Kurden ein Rückkehrrecht versprochen, sagt der Befehlshaber der kurdischen Truppen der PUK, Rasul Ali, genannt"Kosrat". Die Frage, wem Kirkuk gehört, löse sich insofern von allein, sagt Kosrat verschmitzt."Die Stadt ist kurdisch, wenn die Mehrheit der Einwohner kurdisch ist."
Natürlich weiß auch Kosrat, dass der Krieg gegen Saddam nicht für die Kurden geführt wird. Vor zwölf Jahren befehligte er den Aufstand der kurdischen Guerrilla gegen das irakische Regime. Kirkuk konnte für kurze Zeit zurückerobert werden, doch ohne die erhoffte Hilfe der multinationalen Streitkräfte musste er sich geschlagen geben. Der Veteran betrachtet das Foto seines gefallenen Sohnes auf dem Schreibtisch."Dies ist das erste Mal in der Geschichte, dass die Kurden mit zu den Siegern gehören werden."
Für die Zivilisten hingegen ist dieser Sieg noch weit entfernt. In einem Massenexodus sind Tausende Familien in die Berge geflohen. Doch vor Saddams Giftgas wären sie auf den Wiesen zwischen Arbil und Suleimanija genauso wenig geschützt wie in den Städten. Sie haben keine Gasmasken, keine Schutzanzüge. Die Vorräte reichen nur für Tage. Viele Zelte sind undicht und in der vom tagelangen Regen aufgeweichten Erde kaum zu befestigen.
Mohammed Abu hat seine Kinder deshalb Steine sammeln geschickt. Mit klammen Fingern beschweren sie damit die Zeltwände. Der ehemalige Lehrer ist des ewigen Überlebenskampfes müde:"Wäre doch in Kirkuk nie Ã-l gefunden worden", sagt Abu und schaut auf die Kinder, die jetzt am Bach ein Feuer entfachen."Es ist ein Fluch und hat uns nichts als Krieg und Zerstörung gebracht."
CAROLIN EMCKE

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