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- Die Amerikaner hatten kein Verdun - Praxedis, 24.03.2003, 03:18
- Joschka, Joschka - mal hierherkommen und lesen - Turon, 24.03.2003, 03:36
- Titelartikel: Höllenfeuer in Bagdad - Sascha, 24.03.2003, 03:25
- Die Nacht von Captain Figlioli - Sascha, 24.03.2003, 03:27
- Süße Rache, neue Angst - Sascha, 24.03.2003, 03:28
- "Gesetzlose Männer" - Sascha, 24.03.2003, 03:29
- Verschuldet und erpressbar - Sascha, 24.03.2003, 03:30
- "Nur eine Frage von Tagen" - Sascha, 24.03.2003, 03:32
- Der Fluch von Kirkuk - Sascha, 24.03.2003, 03:33
- Der Krisenkanzler - Sascha, 24.03.2003, 03:35
- Generation Golfkrieg - Sascha, 24.03.2003, 03:37
- SPIEGEL-GESPRÄCH:"Amerika hatte kein Verdun" - Sascha, 24.03.2003, 03:38
- "Du musst das hochziehen" / Eine Chronik - Sascha, 24.03.2003, 03:40
- "Relativ surrealistisch" - Sascha, 24.03.2003, 03:41
- Saddams deutsches Netz - Sascha, 24.03.2003, 03:42
- Die Amerikaner hatten kein Verdun - Praxedis, 24.03.2003, 03:18
Der Krisenkanzler
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Getragen von der Antikriegsstimmung in Deutschland und befördert durch eine orientierungslose Opposition, hofft Gerhard Schröder auf mehr Rückhalt bei den Wählern. Den riskanten außenpolitischen Kurs will er mit dem Reformprogramm absichern - und die SPD auf Linie zwingen.
Links der Reichstag und das Brandenburger Tor, unten demonstrierende Schülerscharen. Und ganz oben der Kanzler.
Mit Neugier und Nachdenklichkeit sah Gerhard Schröder am vergangenen Donnerstagnachmittag auf sein Volk hinab, das sich, aufgebracht von den ersten Kriegsbildern, durch die Grünanlage in der Berliner Mitte schlängelte."Das sind ja Zehntausende", sagte er leise, wie zu sich selbst. Immer näher sei er an die Panoramascheibe herangerückt, berichtet ein Besucher. Schade nur, dass man nichts von draußen hören konnte: Das schusssichere Glas schluckte die Parolen weg.
Auch er, der Politikprofi, sei"zum Mitgefühl fähig", sagte er später, am Rande des EU-Gipfels in Brüssel. Müde sah er dabei aus, ab nachts um halb vier hatte er CNN geschaut. Die grellen Blitze über Bagdad, verursacht von rund 40 Marschflugkörpern der US-Armee, markierten auch den Sturz aus allen Friedensträumen.
"Es hätte einen anderen Weg zur Entwaffnung des Diktators gegeben", formulierte Schröder am frühen Nachmittag des vergangenen Donnerstags für seine Fernsehansprache. Wohl kein Kanzler vor ihm hat der Regierung der USA so kühl und so öffentlich seine Meinung gesagt:"Es ist die falsche Entscheidung getroffen worden." Was das heißt, fügte er hinzu:"Tausende von Menschen werden darunter schrecklich zu leiden haben."
Wenn es richtig ist, was Außenminister Joschka Fischer über den Kanzlerberuf sagt, dass nämlich die Kraftlinien der Republik durch die Persönlichkeit des Regierungschefs hindurchführen, dann fließt derzeit auch Energie zurück: Der Chaos-Kanzler, der seit seiner Wiederwahl vor allem durch Steuererhöhungen auffiel, flößt offenbar vielen, vor allem Jüngeren, neues Vertrauen ein. Selten waren Regierte und Regierende in den vergangenen Jahren so dicht beieinander wie im Nein zu diesem Krieg, so die aktuelle Momentaufnahme.
Schon am ersten Tag des Bombardements versammelten sich Hunderttausende auf Straßen und Plätzen, getrieben vom Zorn über den Alleingang der"Vereinigten Krieger von Amerika" ("taz"). Was der Oberbürgermeister im baden-württembergischen Villingen-Schwenningen für sein Städtchen anordnete, traf das Gefühl der Republik: Deutschland flaggte halbmast.
Von der Grundschule bis zu den Gymnasien, allerorten füllten sich Schulhöfe, pinselten Knirpse Schilder, entrollten Jugendliche Transparente. Die Parolen, frech und teilweise frivol, illustrieren vor allem eines: Wut und Verzweiflung über den Alleingang des US-Präsidenten:"Bushs Attacke ist Kacke","Ã-lkonzerne und Diktatoren, ihr habt am Golf nichts verloren","War is not the answer" (siehe Seite 46).
Das Kabinett in Berlin gilt den Friedensfreunden als vornehmster Verbündeter. Der Fahrer von Regierungssprecher Béla Anda konnte am Donnerstag mit seiner Limousine den Zug der Demonstranten im Schritttempo durchqueren - ohne dass auch nur ein Faustschlag auf die Karosse niederging.
Zuspruch von hoher Warte traf am vergangenen Freitag ein. Nobelpreisträger Günter Grass, ein glühender Willy-Brandt-Fan, war es, der dem Nach-Nach-Nachfolger historische Größe bescheinigte. Seit 1990 sei die Bundesrepublik zwar ein souveräner Staat, aber:"Zum ersten Mal hat die Regierung von dieser Souveränität Gebrauch gemacht, indem sie den Mut hatte, dem mächtigen Verbündeten zu widersprechen." Pathetisch dankte der Großschriftsteller, derden rot-grünen Regenten oft schon Beliebigkeit vorgeworfen hatte, der Koalition für"ihre Standhaftigkeit".
Was als Wahlkampftaktik begann, sich unter dem Druck einer kritischen Ã-ffentlichkeit zur Haltung verfestigte und dann - auch gegen den zunächst erhobenen Vorwurf der Isolation - durchgehalten wurde, könnte die bisher eher glanzlose Amtszeit von Rot-Grün womöglich doch noch zur Ära veredeln, hoffen die Akteure.
Dabei war der Kanzler erkennbar mit seiner Friedenspolitik für den Irak gescheitert. Nun würde er nur zu gern die Niederlage zumindest in einen innenpolitischen Erfolg verwandeln. Die Stunde dieses Scheiterns, so das Kalkül, könnte der Beginn einer Renaissance sein - wenigstens in den Umfragen. Zuletzt hatte Schröder laut den von Infratest dimap gemessenen Popularitätswerten hinter dem schrillen FDP-Chef Guido Westerwelle gelegen.
Nun gibt er also wieder den Krisenkanzler, sorgenvoll und unermüdlich. Auf dem TV-Bildschirm zeigt er Dauerpräsenz: Der groß angekündigten Regierungserklärung zur Lage der Nation ("Mut zum Frieden - Mut zur Veränderung") folgte die Haushaltsrede, schon ganz im Zeichen des nahenden Kriegs. Dann, 40 Stunden vor Beginn der Bombardierung, die erste dramatisch ernste TV-Ansprache ("Der Krieg wird Tausenden von unschuldigen Kindern, Frauen und Männern den sicheren Tod bringen"), der zwei Tage später die nächste folgte.
Dazwischen Stellungnahmen und Fernsehinterviews dutzendfach. Die großen TV-Stationen haben vorsorglich - wie zu Zeiten der Jahrhundertflut vom vergangenen Sommer - ihre Satellitenschüsseln vor dem Kanzleramt aufgestellt. Die erste Lagebesprechung im Bundespresseamt fand am Donnerstag bereits um 4.30 Uhr statt.
Die Power-Kommunikation soll von entschlossenem Regierungshandeln begleitet werden, so der gute Vorsatz. Die Minister wurden von Schröder allesamt mit Arbeitsaufträgen versorgt, im Kabinett gilt Urlaubssperre, bis zur Sommerpause sollen alle innenpolitischen Vorhaben von Bedeutung in das parlamentarische System eingespeist werden.
DIE SICHERHEITSBEHÃ-RDEN SCHLIESSEN NICHTS MEHR AUS: EXTREMISTISCHE GRUPPEN KÃ-NNTEN LOSSCHLAGEN.
Vorrang hat alles, was der Sicherheit des Landes dient. Zum Schutz der 58 US-Militärstandorte in Deutschland bietet Verteidigungsminister Peter Struck mittlerweile 3700 Soldaten auf. Feldjäger unterstützen die Polizei bei Streifenfahrten in Wohngebieten amerikanischer Soldatenfamilien.
Alle nur irgendwie verfügbaren Kräfte wurden zum Wachdienst abkommandiert: Matrosen von Minensuchern und Schnellbooten schützen den bayerischen Truppenübungsplatz Grafenwöhr, Tornado-Piloten, deren Ausbildung gut zwei Millionen Euro kostete, schieben Wache an US-Flugplätzen.
Vor allem den Schutz rund um die Air Base Ramstein und den Flughafen Frankfurt ließ die Regierung enorm verstärken. Denn von hier aus starten beinahe im Stundentakt die US-Mannschaften mit ihren Großraumtransportern. Auf dem Weg aus den USA in den Mittleren Osten legen sie in Deutschland einen Zwischenstopp ein, werden hier mit Kriegsgerät und Soldaten der in Deutschland stationierten US-Verbände beladen.
Auch Otto Schily ist im Großeinsatz. Seit vergangener Woche lässt der Innenminister keine Gelegenheit aus, die Bürger auf mögliche Folgen des Irak-Kriegs vorzubereiten. Mit dem Beginn des Feldzugs habe sich die Gefahr von Anschlägen verschärft, heißt es, doch bisher lägen"keine konkreten Hinweise auf geplante terroristische Aktivitäten vor". Schily gab die paradoxe Parole aus:"Gelassenheit wahren - aber bei höchster Wachsamkeit."
Die deutschen Sicherheitsbehörden schließen nichts mehr aus. Extremistische Gruppen aller Art könnten versucht sein loszuschlagen: Osama Bin Ladens Netzwerk al-Qaida; Spontantäter aus dem islamistischen Milieu in Deutschland, die Kriegsopfer rächen wollen; militante Kurden, die ein türkischer Einmarsch in den Nordirak provoziert; deutsche Gruppierungen aus der rechts- und linksextremistischen Szene.
Zu den üblichen Informationspannen der Behörden soll es diesmal nicht kommen. Am Donnerstag richtete das Bundeskriminalamt eine"Informationsstelle Irak" ein, an die Bundesnachrichtendienst, Militärischer Abschirmdienst und die Verfassungsschutzämter rund um die Uhr ihre Erkenntnisse liefern."Wir sind Feindesland für al-Qaida", da ist sich der Innenminister sicher.
DER SINNESWANDEL DER GENOSSEN WURDE DURCH DEN US-ANGRIFF BESCHLEUNIGT - DIE SPD RÜCKT WIEDER ZUSAMMEN.
Auch ökonomisch rechnet die Regierung mit dem Schlimmsten. Ein langer Irak-Krieg könnte gravierende Spuren in der Wirtschaft hinterlassen und den für 2004 vorhergesagten Aufschwung verhindern.
Die Börse, die sich nach dem Platzen der New-Economy-Blase immer noch nicht erholt hat, würde erneut einbrechen, der Ã-lpreis steigen - und die Zuversicht von Verbrauchern und Investoren weiter schwinden. Wie solch ein ökonomisches Szenario aussehen könnte, haben Experten der Europäischen Kommission erst jüngst untersucht. Die Ergebnisse sorgten in Berlin für Aufregung.
In dem fünfseitigen Papier über"Die wichtigsten ökonomischen Konsequenzen" werden vier Entwicklungen durchgespielt. Der Extremfall,"Szenario vier", beschreibt eine schwere Rezession. In diesem Fall würde der Ã-lpreis nicht nur für einige Monate stark ansteigen, sondern ein Barrel der Sorte Brent bis weit ins nächste Jahr hinein 50 Dollar kosten (Höchststand vor dem Krieg: 34,50 Dollar).
Ein Klima der Unsicherheit an den Märkten wäre die Folge: Die Konsumenten würden aus Angst sparen, statt zu kaufen; die Investoren abwarten, statt Jobs zu schaffen; die Börsenkurse fallen. Der Flugverkehr könnte zurückgehen, der globale Warenverkehr einbrechen - selbst Turbulenzen an den Devisenmärkten wären denkbar.
In einem solchen Krisenszenario könnte das Wachstum der Euro-Zone 2003 um 1,3 bis 1,4 Prozent niedriger ausfallen als derzeit vorhergesagt - ein Zustand, den selbst die sonst eher vorsichtigen Experten der EU-Kommission als"Stagnation oder Rezession" bezeichnen.
Im Kanzleramt und im Berliner Finanzministerium haben längst die Vorarbeiten für ökonomische Gegenmaßnahmen begonnen. Das Ziel: Der europäische Stabilitätspakt, der bisher als Korsett starrer Vorgaben für die gesamte Staatsschuld und die jährliche Kreditaufnahme verstanden wird, soll neu interpretiert werden - vor allem weicher.
So ist sich Schröder auch mit der Europäischen Kommission mittlerweile einig, dass der Krieg ein"außergewöhnliches Ereignis" darstellt, wie es der Pakt vorsieht. Die Regierung könnte neue Schulden machen und zusätzliches Geld in die Wirtschaft pumpen oder die Steuern senken.
Vor allem aber will der Kanzler seinen riskanten Antikriegskurs mit der längst überfälligen und von ihm selbst immer wieder aufgeschobenen Modernisierung der Republik verbinden."Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Emanzipation im Äußeren und den Reformen zur Wiedererlangung der ökonomischen Kraft", sagt Schröder.
Nicht alles, was da am Standort Deutschland"rumgemeckert" werde, hält er für berechtigt. Aber schon allein um das außenpolitische Gewicht zu steigern, müssten die Wirtschaftsreformen greifen, die er im Bundestag vorgestellt hat. Nur wer ökonomisch stark sei, so die Schröder-Gleichung, könne sich auch als politisches Schwergewicht in die internationale Debatte werfen. Das eine versteht der Kanzler als Ergänzung, fast schon als Bedingung des anderen. Also: mehr Flexibilität beim Kündigen, runter mit dem Arbeitslosengeld, weg mit der Arbeitslosenhilfe und mehr Eigenvorsorge im Gesundheitssystem. Andererseits: mehr Milliarden für die außenpolitischen Instrumente, vor allem eine modernisierte Bundeswehr.
Der Widerstand gegen Schröders Wirtschaftsprogramm scheint innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion bereits zu schwinden. Wichtige Wortführer der Linken sind bereit, Schröders Zielvorgaben zu akzeptieren. Etliche Gewohnheitsblockierer wollen sogar mithelfen, sie umzusetzen. Allen voran wirbt Fraktionschef Franz Müntefering bei der Achse der Unwilligen um Unterstützung.
Müntefering, der im Vorfeld der Schröder-Rede noch durch gezielten Widerspruch gegen ein allzu forsches Reformtempo aufgefallen war, ist auf die Kanzlerlinie eingeschwenkt."Natürlich ist das eine Herausforderung, die uns bitter wehtut", sagt er, um sich dann einen Ruck zu geben:"Wir setzen das jetzt Punkt für Punkt um."
Der Sinneswandel der Genossen wurde durch den US-Angriff auf Bagdad zumindest beschleunigt. Die SPD rückt wieder zusammen."Wir müssen streiten, aber das ist jetzt nicht die richtige Zeit", sagt selbst die Parteilinke Andrea Nahles.
Innerhalb weniger Stunden verstummte bei Kriegsausbruch alle Kritik an Schröders Ruckel-Rede zur Lage der Nation. In einer Sondersitzung der Fraktion wurde der Kanzler mit donnerndem Applaus begrüßt. Müntefering - sonst kein Freund pathetischer Gesten - reichte Schröder feierlich die Hand:"Lieber Gerhard, ich möchte dir und der Regierung dafür danken, dass ihr euch für eine friedliche Lösung dieser Krise eingesetzt habt."
Auch um den eigenen Truppen die Gefolgschaft zu erleichtern, denken Schröder und Fischer über eine Neujustierung ihrer Außen- und Sicherheitspolitik nach. Die Emanzipation von den Amerikanern und der Ausbau Europas zu einer politischen und wirtschaftlichen Union haben schließlich erst begonnen.
DIE CDU-CHEFIN KANN SICH NICHT ENTSCHEIDEN, OB SIE DIE AMERIKANER BEDINGUNGSLOS ODER HALBHERZIG UNTERSTÜTZEN WILL.
Noch wird die Diskussion im innersten Zirkel der Regierung skizzenhaft und mit vielen Fragezeichen geführt. Wie sinnvoll, überlegen die Spitzen der Koalition, ist nach dem Ende des Kalten Kriegs und im Zeitalter der militärischen Interventionen eine Bundeswehr, die auf Landesverteidigung setzt und ein Heer von Wehrpflichtigen unterhält? Könnte nicht eine Berufsarmee womöglich jetzt politisch durchgesetzt werden - auch mit dem Argument, Deutschlands Rolle in der Weltpolitik zu stärken?
Schröder und Fischer sind bereit, für die Bundeswehr insgesamt mehr Geld auszugeben - wenn es denn hilft, Europa als globalen Akteur zu stärken. Zugleich denken sie über kreative Wege aus der Krise der EU nach. Sie wollen die einheitliche Außen- und Sicherheitspolitik forcieren - zuerst mit einer Pioniergruppe, gemeinsam mit Frankreich und Belgien etwa. Felder der europäischen Kooperation hat Berlin bereits identifiziert, zum Beispiel die Rüstungsindustrie oder militärische Spezialkräfte.
Fischer träumt davon, in der EU einen"erweiterten Sicherheitsbegriff" zu verankern, der klassische Außenpolitik, Militärpolitik und Entwicklungshilfe umfasst, als Alternative zur Interventionspolitik der USA. Auf einem eigenen EU-Außenministergipfel würde er darüber gern mit den Kollegen diskutieren - freilich erst nach dem Ende des Golfkriegs (siehe SPIEGEL-Gespräch Seite 49).
Das alles zusammen ist eine ziemlich mutige Agenda für eine Regierung, die eben noch am Boden schien. Der Konfliktkurs gegenüber den USA hat offenbar frische Kräfte geweckt.
Die Opposition will dem Kanzler das Geschäft erschweren. Die FDP kündigte am Freitag an, den Einsatz deutscher Soldaten in Awacs-Aufklärungsflugzeugen vom Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen. Die Maschinen sichern im Nato-Dienst den Bündnispartner Türkei - so weit der Auftrag, auf den sich das Berliner Kabinett stets berief und der kein Mandat des Bundestags erforderte.
Doch können die Mannschaften der fliegenden Hightech-Zentralen stets sauber trennen zwischen Verteidigung und Hilfe zu Kampfhandlungen? Die Zweifel der Liberalen wollte die Regierung nicht teilen. In der Nacht zum Samstag allerdings wurde bekannt, dass türkische Truppen in den Norden des Irak vordrangen - ein Abzug der Deutschen aus den Awacs-Flugzeugen wurde wahrscheinlicher.
Gleichzeitig verstärkte Verteidigungsminister Struck seine Truppe in Kuweit. Er schickte 110 Soldaten des ABC-Abwehrbataillons aus dem ostwestfälischen Höxter an den Golf, um das dort stationierte"Fuchs"-Spürpanzer-Kommando aufzustocken - als reine Abwehrmaßnahme im vom Bundestag abgesegneten Kampf gegen den Terrorismus, versteht sich.
Oppositionsführerin Angela Merkel gelang es bisher nicht, aus solchen Unschärfen der rot-grünen Koalition politisches Kapital zu schlagen. Stattdessen manövrierte sie ihre Truppen geradezu zielsicher in Richtung Abseits. Wohlmeinende sind verwirrt, andere regelrecht wütend. Die CDU-Vorsitzende kann sich einfach nicht entscheiden, ob sie die Amerikaner bedingungslos oder halbherzig unterstützen will. Ebenso wenig lässt sich ihren Aussagen entnehmen, ob der Kanzler gescholten oder geschont werden muss.
"Heute ist nicht der Tag, in Konfrontation mit der Regierung zu gehen", sagte Merkel am Donnerstag vor der Fraktion, einige Stunden nachdem der Angriff gegen den Irak begonnen hatte. Noch am Vortag - als nur der Zeitpunkt des Militärschlags fraglich war - gab sie eine andere Parole aus:"Sie haben durch Ihre Haltung, die Einigkeit nicht befördert hat, den Krieg im Irak wahrscheinlicher und nicht unwahrscheinlicher gemacht", hielt sie Schröder vor. SPD-Fraktionschef Müntefering schimpfte zurück:"Eine Frechheit."
Im kleinen Kreis hat die Parteichefin zwar klar gemacht, dass sie am strikten Pro-Amerika-Kurs keine Abstriche zulassen will. Nur laut darf sie diese Extremposition nicht vertreten - schon ihre eigene Partei würde ihr nicht folgen, noch weniger die CSU.
Denn auch in der Führungsspitze der Union ist das Unbehagen über die Bush-Mannschaft unverkennbar."Ich glaube, dass man über die jetzt getroffene Entscheidung sehr wohl unterschiedlicher Meinung sein kann", sagte Fraktionsvize Wolfgang Schäuble, ein ausgewiesener Atlantiker. Andere drängen offen zur Korrektur der vagen Merkel-Vorgabe. Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller nannte den Feldzug ohne Billigung des Uno-Sicherheitsrats in einer Telefonkonferenz des CDU-Bundesvorstands"nicht akzeptabel".
Etliche Beobachter fühlen sich an die Zeit Anfang der siebziger Jahre erinnert: Damals lief die Union Sturm gegen die Ostpolitik des SPD-Kanzlers Brandt, warf ihm Verrat vor und"Ausverkauf deutscher Interessen". Bevölkerung und Wirtschaft folgten den Sozialdemokraten - die Union blieb 13 Jahre lang Oppositionspartei.
Der damalige Revoluzzer Fischer glaubt ohnehin an eine Theorie der Generationen, wonach jede Altersstufe ihr Spiel zu Ende spielt."Jetzt sind wir dran", sagt der 54-Jährige."Merkelchen", sechs Jahre jünger als er, müsse noch warten.
PETRA BORNHÃ-FT, MARKUS DETTMER, ROLAND NELLES, RALF NEUKIRCH, ULRICH SCHÄFER, GABOR STEINGART

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