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Generation Golfkrieg
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Vor allem junge Menschen engagieren sich in der Friedensbewegung. Ein ebenso echter wie schlichter Glaube an das Gute ersetzt die Ideologie.
Eine Lautsprecherdurchsage kurz nach Schulbeginn stockte das deutsche Friedensheer um knapp 500 Freiwillige auf: Der Leiter des Camille-Claudel-Gymnasiums in Berlin-Prenzlauer Berg gab sein Placet zur Teilnahme an der Friedensdemonstration. Beim Hausmeister konnten Pappe und Nägel abgeholt werden und was man sonst so braucht, um Protest zu artikulieren. Zwei Stunden, erzählt Anna, 13,"haben wir Plakate gebastelt und sind los".
Wie im Prenzlauer Berg wurde überall in Schulen der Stadt in Vollversammlungen diskutiert, setzten sich Schüler über Demo-Verbote hinweg oder ignorierten die Unlust ihrer Lehrer - am Ende quollen am vergangenen Donnerstag, sieben Stunden nach Kriegsbeginn im Irak, 50 000 Demonstranten aus den U-Bahn-Schächten am Alexanderplatz und dem S-Bahnhof Friedrichstraße. Die jungen Friedensmarschierer waren bereits am Brandenburger Tor angekommen, ehe es der überraschten Polizei gelang, alle Zufahrten für den Autoverkehr abzusperren.
Die neuen Akteure auf der Straße verblüfften die Sicherheitsbehörden auch sonst. Rund tausend Friedensdemonstrationen hatten sie bis zum Kriegsbeginn in Deutschland registriert. Davon seien weniger als 50 von rechten Gruppierungen organisiert worden, 500 von linken (von Attac bis zur SPD), aber weitere 500 wurden als"offen" eingestuft - dem Aufstand der Anständigen gegen rechts folgt nun offenbar der Aufstand der jungen Mitte gegen den Krieg.
Tatsächlich hat die neue Friedensbewegung nur noch wenig mehr als das Grundgefühl gemein mit jenen Aktivisten, die 1991 beim letzten Golfkrieg 200 000 Demonstranten im Bonner Hofgarten aufmarschieren ließen. Es fehlen die wochenlang vorgedachten Slogans, die professionell auf Wirkung getrimmten Transparente. Die Ideologie wird ersetzt durch spontane Gefühle, manchmal aber auch durch einen naiven Glauben an das Gute. Es müsse doch reichen, sagt der Industriekaufmann Sascha Goretzko, der am Abend mit 70 000 anderen Berlinern gegen Bush demonstrierte,"wenn man seinen Körper zur Verfügung stellt".
Die Auswirkungen der ideologischen Abrüstung auf die neue Protestkultur sind vielfältig. Obwohl weit mehr als eine Million Demonstranten auf der Straße waren, registrierten die Sicherheitsbehörden bis Mitte vergangener Woche nur 108 Straftaten mit Irak-Bezug,"inklusive einiger Farbbeutelwürfe", wie ein BKA-Mann erstaunt feststellt. Die Sorgen mit der Klientel sind andere: In Leipzig, wo zu den Montagsdemonstrationen wieder 30 000 Menschen wie selbstverständlich kommen, muss Pfarrer Christian Führer die Neulinge aufklären, dass man in einem Gotteshaus weder telefoniere noch Beifall klatscht. Und in Hamburg kehrten Demonstranten, das handgemalte Friedenszeichen noch im Gesicht, unter dem Gelächter des harten Kerns erst einmal auf einen Big Mac bei McDonald's ein.
Der ideologiefreie Demo-Raum animiert vor allem Jugendliche zu verstärktem Engagement. Es habe"keine kleinen Gruppen, keine Splitterparteien" gegeben,"die einen bequatschen und versuchen zu vereinnahmen", stellte der Gymnasiast Tillmann, 18, erfreut fest. Es sei seine dritte Demonstration -"und bestimmt nicht die letzte".
Professionelle Unterstützung ist nur noch bei der Organisation gefragt. Gruppen wie Attac oder das Antikriegskomitee der Humboldt-Universität werden zu einer Art Dienstleister. Auf ihren Internet-Seiten sind die Basisdaten abrufbar - der Rest wird auf den eigenen Kommunikationswegen erledigt. Ohne Internet, Handy und SMS wäre die neue Massenbewegung undenkbar. Und wenn in den E-Mail-Kettenbriefen auch Gleichgesinnte aus Tokio, Sydney oder Rom ins Berliner Jugendzimmer vordringen, wächst das Gefühl, sogar international ein wenig an den Stellschrauben der Politik mitzudrehen.
Tillmann glaubt gar, man habe Schröder"sozusagen den Rücken gestärkt, dass er, auch wenn das jetzt ein bisschen großspurig klingt, gegenüber den Amis besser auftreten kann". Anna, die eine Ché-Guevara-Fahne um die Hüften trägt,"weil der für die Freiheit gekämpft hat", macht sich hingegen keine großen Illusionen über die Wirkung ihres Protests auf Bush."Aber man hat das wenigstens nicht einfach so hingenommen." Die Geschichtsstudentin Anna, 20, die schon gegen rechts auf die Straße ging, bekämpft - mit einer Flasche Coca-Cola in der Hand - eher"so eine Ohnmacht, gegen die man sich wehren muss".
"Konkrete Empörung", glaubt der Wirtschaftswissenschaftler und Attac-Koordinator Sven Giegold, treibe die Menschen auf die Straße:"Die demonstrieren nicht, weil sie jeden Krieg ablehnen - sie lehnen diesen Krieg ab." An ihrem Arbeitsplatz bei DaimlerChrysler, berichtet die Auszubildende Julia, 19, werde derzeit"nur über den Krieg geredet. Sogar Leute, die sich sonst nicht für Politik interessieren, reden plötzlich über Politik. Und alle sind gegen den Krieg". Solche Erfahrungen, sagt Giegold, seien durchaus nachhaltig:"Ein Teil der jungen Leute wird politisiert bleiben."
Folgt also auf die Generation Golf nun die Generation Golfkrieg? Es sei schon richtig, sagt Tillmann:"Durch den Krieg werde ich zum Demonstranten."
Der Gymnasiast Christian, 18, beschreibt eher unbewusst, welche Ereignisse solch einen Protestimpuls auslösen. Er habe sich gefragt, nachdem er vom Kriegsbeginn erfahren habe,"wie ich mich so fühle" - und sofort an den 11. September gedacht. Die Gedanken nach den Terroranschlägen seien"zwar anders, aber ebenso stark" gewesen wie die jetzt."Die lassen einen gar nicht wieder los."
Damals habe er es als"mehr so unfassbar" empfunden, diesmal sei er"einfach total traurig". Sicher habe man ja lange mit dem Ausbruch des Kriegs rechnen müssen,"aber man ist doch entsetzt, wenn es passiert". Und weil er nun"nicht feindlicher, aber kritischer" über Amerika denke, protestiert er jetzt vor der US-Botschaft.
Die Absolution erhält der neue Friedensmarschierer von einem erfahrenen Alt-Aktivisten."Wer diesen Protest als Betroffenheitskitsch abtut", sagt der Theologe Friedrich Schorlemmer, der in Deutschland Ost die Wende mit herbeidemonstrierte,"dem wünsche ich mal einen kleinen Schuss in den Hintern."
STEFAN BERG, ALEXANDER KÜHN, CAROLINE SCHMIDT

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