- Syriens Präsident al-Assad im STANDARD-Interview - Sushicat, 31.03.2003, 20:59
- Re: Syriens Präsident al-Assad im STANDARD-Interview // und in der Süddeutschen - rocca, 31.03.2003, 21:04
Re: Syriens Präsident al-Assad im STANDARD-Interview // und in der Süddeutschen
-->31.03.2003 18:21
Interview
„Die einzige Supermacht hat den Kontakt zur Welt verloren“
Der syrische Präsident Baschar el-Assad prophezeit den USA globale Turbulenzen als Reaktion auf den Krieg im Irak.
Interview: Gudrun Harrer
Besorgt über amerikanische Pläne für den Nahen Osten: Baschar el-Assad. (dpa )
Amerika führt Krieg im Irak, doch die Blicke der Welt sind auch auf das Nachbarland Syrien gerichtet. In der vergangenen Woche warnte US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld Syrien davor, die irakischen Truppen mit Waffen zu unterstützen. Damaskus wies derartige Vorwürfe zurück, doch an den Spannungen zwischen Syrien und den Vereinigten Staaten hat das nichts geändert. Die Regierung in Damaskus fürchtet zum Opfer der amerikanischen Pläne zu werden, den Nahen Osten neu zu ordnen. Über diese Sorgen und die Aussichten auf einen Frieden mit Israel sprach die österreichische Tageszeitung Der Standard mit dem syrischen Präsidenten Baschar el-Assad. Der 37-Jährige hat im Jahr 2000 das Amt von seinem Vater Hafis el-Assad übernommen.
Frage: Syrien war nach dem 11. September 2001 Teil der von den USA geführten Antiterror-Koalition. Das wurde in Washington auch anerkannt. Nach Beginn des Irakkrieges sind die Beziehungen nun aber denkbar schlecht. Aus dem Pentagon kommen Drohungen gegen Syrien. Was ist geschehen?
Assad: Die Beziehungen zwischen Syrien und den USA sind seit jeher voller Widersprüche, der jüngste ist da nur die letzte Facette. Wir stimmen mit den USA beim Thema Terrorismus überein, und wir widersprechen ihnen komplett beim Thema Irakkrieg. Das Problem ist vielleicht, dass die USA als Großmacht gewohnt sind, anderen ihre Meinung aufzuzwingen, aber jedes Land hat eben eigene Meinungen und Interessen. Vielleicht gibt es wieder einmal ein Thema, in dem wir übereinstimmen, und dann sehen auch die Beziehungen wieder gut aus.
Frage: Aber die USA stellen sehr wohl eine Verbindung zwischen den Themen Terrorismus und Irak her.
Assad: Das ist ihnen nicht gelungen - weder in Bezug auf Terrorismus noch in Bezug auf Massenvernichtungswaffen. Wir haben gehört, was UN-Chefinspekteur Hans Blix gesagt hat: Es gibt keinen Beweis für Massenvernichtungswaffen. Meine Überzeugung ist, dass es eine solche Verbindung nicht gibt. Im Irak haben wir ein säkulares Regime, da gibt es keine ideologischen Berührungspunkte zu Extremisten.
Frage: Ein erklärtes amerikanisches Ziel ist der Umbau der Region nach dem Krieg. Richard Perle, einer der Vordenker der Regierung, hat klar gesagt: Syrien könnte das nächste Land nach dem Irak sein. Fürchten Sie das?
Assad: Das werden wir immer gefragt. Eigentlich sollten wir gar nicht kommentieren, was irgend ein Offizieller sagt, noch dazu einer, der Extremist ist. Aber das Problem liegt darin, dass die Realität nicht sehr beruhigend ist - dass die einzige Supermacht den Kontakt zur Welt verloren hat. Die größte militärische Supermacht hilft der Welt nicht, sondern beginnt einen Krieg. Wenn ein kleines Land Fehler macht, dann leiden die Nachbarn darunter, aber wenn eine Supermacht Fehler macht, dann leidet die ganze Welt.
Frage: Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe für den Irakkrieg der USA?
Assad: Manchmal müssen wir die Gründe analysieren. Diesmal können wir uns das sparen, denn die Amerikaner haben alles offengelegt: Sie sagten, sie wollen das Ã-l und sie wollen die Region neu gestalten. Natürlich spielt bei Letzterem Israel eine Rolle: Israel ist sehr interessiert daran, dass der Irak in ethnische und religiöse Einheiten zerfällt. Wenn Sie sich die Zusammensetzung der Länder der Region ansehen, entdecken Sie, dass alle aus verschiedenen Volksgruppen und Religionen bestehen - alle außer Israel, das ist von einer Farbe. Eine Teilung des Iraks nach ethnischen, religiösen oder nationalen Kriterien würde Israel mehr soziale Legitimität verleihen.
Frage: Aber wo liegen die Interessen der USA?
Assad: Wenn wir sagen, sie wollen das irakische Ã-l, dann ist damit auch gemeint, dass andere Länder mehr von ihnen abhängen werden. Aber es könnte auch noch andere, nicht deklarierte Motive geben. Manche Leute meinen, das Ganze habe ein globales Element. Die Kontrolle über den Irak käme gleichzeitig mit einer Kontrolle über das Kaspische Meer und Afghanistan. Aus geographischer Sicht wären die USA dann die größte Macht. Ich persönlich sehe diese Vision als unrealistisch an. Es wird für Amerika Turbulenzen überall in der Welt geben, nicht nur hier. Und das wird seinen Interessen, auch den wirtschaftlichen, schaden. Dazu kommen die Demonstrationen, die wir überall sehen. Sie sind eine Reaktion auf die hegemonialen Ansprüche der USA, und diese Reaktion wird noch zunehmen.
Frage: Sie haben wiederholt vor einem Anwachsen des Extremismus und Terrorismus durch einen Irakkrieg gewarnt. Nun sind aber die westlichen Bevölkerungen ziemlich geschlossen gegen den Krieg. Macht es das nicht schwerer für die Extremisten, den Irakkrieg zu instrumentalisieren?
Assad: Das ist der einzige positive Punkt. Es ist eine historische Gelegenheit, die wir ergreifen müssen. Sie verstehen vielleicht gar nicht, was die Demonstrationen in Europa im Nahen Osten bewirken. Diese neue Situation verdanken wir der Rolle des Papstes. In Syrien waren wir immer stolz auf die guten Beziehungen zwischen muslimischen und christlichen Bürgern. Das sind wärmere Beziehungen als sonst irgendwo auf der Welt. Nach dem 11. September wurde alles anders, besonders als die Amerikaner anfingen, vom „Kreuzzug“ zu sprechen. Zum Irak gibt es eine gemeinsame christlich-muslimische Position, und das hat positive Auswirkungen auf das Verhältnis im allgemeinen.
Frage: Glauben Sie, dass es nach dem Irakkrieg einen neuen Friedensprozess mit Israel geben könnte, so wie 1991? Und haben sich die Bedingungen Syriens seit den letzten Verhandlungen mit Israel geändert?
Assad: Die Regierung von George Bush senior war eine sehr ernsthafte - mit sehr guten Leuten. Es gab damals einen tiefen Dialog über den Frieden. Später kam die Clinton-Administration, und obwohl Bill Clinton als Person ernsthaft den Frieden verfolgt hat, waren seine hochrangigen Beamten der Aufgabe nicht gewachsen. Die jetzige US-Regierung legt keinen Wert auf einen Friedensprozess. Manchmal macht sie Vorschläge wie den Mitchell-Plan, den Tenet-Plan, die Road Map, aber obwohl das Kleinigkeiten sind, lehnt Israel sie ab. Das zeigt, dass Israel jetzt keinen Frieden will. Ariel Scharon, der in Israel ein Krimineller genannt wurde wegen der Massaker von Sabra und Schatila, wurde zweimal gewählt. Also: Israel will nicht und die USA haben keine Vision. Deshalb sehen wir momentan keine Möglichkeit für den Frieden. Seit in den 70er Jahren erstmals von einem Friedensprozess gesprochen wurde, sagen wir dasselbe: Wir wollen die Erfüllung der Resolutionen des UN-Sicherheitsrates.
Frage: Glauben Sie, die Geschichte des israelisch-syrischen Friedensprozesses wäre anders verlaufen, wäre Jitzchak Rabin nicht ermordet worden?
Assad: Ja, das Gefühl habe ich. Aber es ist nur ein Gefühl. Alle, die nach ihm gekommen sind, haben es nicht ernst gemeint. Wir haben im Jahr 2000 in Shepherdstown die Verhandlungen wieder aufgenommen, aber die Israelis haben nichts ernsthaft angeboten.
Frage: Und dann kam der schlecht vorbereitete Gipfel zwischen Clinton und Ihrem Vater in Genf.
Assad: Das Treffen war überhaupt nicht vorbereitet. Präsident Clinton persönlich wollte den Frieden, aber vor Genf wurde er von seinem eigenen Team ausgetrickst. Die Berater sagten ihm, Präsident Assad sei zu Konzessionen bereit. Präsident Clinton war da gerade auf einer Asienreise. Er rief Präsident Assad an und sagte ihm:,Auf dem Weg zurück in die USA würde ich Sie gerne in Genf treffen.’ Präsident Assad war erstaunt, niemand hatte uns gesagt, dass sich die Umstände geändert hätten. Zu Beginn wollte er nicht fahren, weil er nicht einsah, warum. Aber Clinton sagte zu ihm:,Ich habe sehr gute Neuigkeiten. Sie werden sehr zufrieden sein.‘ Was konnte also Präsident Assad erwarten, wenn nicht die Rückgabe der Territorien, also die Anerkennung der von den USA früher gegebenen Garantien. Als sich die beiden Präsidenten in Genf trafen, legte Clinton die Landkarte hin und sagte:,Israel ist damit einverstanden, Ihnen 95 Prozent des Territoriums zurückzugeben.’ Präsident Assad hat das sofort abgelehnt. Er war überrascht, dass ihm Clinton so etwas vorschlägt, und Clinton war überrascht, dass er es ablehnt - weil ihm ja gesagt worden war, dass Syrien damit einverstanden wäre.
Frage: Zurück nach Syrien: Glauben Sie, dass eine wirtschaftliche Entwicklung des Landes ohne eine politische überhaupt möglich ist? Nach Ihrem Amtsantritt im Sommer 2000 gab es Hoffnungen und Anzeichnen auch für eine politische Ã-ffnung, man sprach bereits von einem Damaszener Frühling - aber er wurde dann abgebrochen.
Assad: Ich sage Ihnen das ganz ehrlich: Ein Entwicklungsprozess sollte auf einer Gesamtbasis stattfinden, er sollte wirtschaftlich, sozial, politisch sein, auf allen Feldern. Aber ohne Zweifel kommt ein Bereich als erster. Welcher das ist, hängt erstens davon ab, in welchem es leichter und deshalb schneller geht und zweitens, welcher für das Land dringender ist. Und ganz gewiss ist das größte Problem für jemanden, wenn er hungrig ist. Aber es ist nicht wahr, dass wir auf politischem Gebiet nichts erreicht hätten. Wir haben Fortschritte gemacht, wenngleich langsamer. Jetzt haben wir private Zeitungen, die die Regierung und das System kritisieren. Und jede Entscheidung fällen wir nach einem breiten Dialog mit spezialisierten Institutionen und dem Parlament. Ob auf wirtschaftlichem oder politischem Gebiet, wir tun einen Schritt, dann schauen wir uns die Probleme an, und dann machen wir den nächsten Schritt.
Frage: Herr Präsident, wie sehen Sie die Zukunft Syriens und der Region.Wird es in einer Generation Frieden geben?
Assad: Ja. Der Frieden wird unter den jetzigen Umständen spät kommen, aber er kommt, denn er ist der normale Zustand, den alle Menschen haben wollen und haben sollen. Krieg ist abnormal. Die Region muss zu ihrem normalen Leben zurückfinden. Jeder will in Frieden und gut leben, niemand will den Krieg außer ein paar Verrückten. Ja, ich bin optimistisch, weil ich die Menschen kenne.

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