- Bassam Tibi:"Bush wird gehaßt werden und Saddam glorifiziert" - Tempranillo, 10.04.2003, 11:39
- einen Punkt möchte ich hervorheben: - RetterderMatrix, 10.04.2003, 12:27
- Re: ein großer bayerischer Demokrat sagte mal"Vox populi vox Arschloch" - Luigi, 10.04.2003, 13:33
- Plagiat - Caliban, 10.04.2003, 14:47
- So ein Blödsinn - Spirit of JuergenG, 10.04.2003, 14:22
- Re: ein großer bayerischer Demokrat sagte mal"Vox populi vox Arschloch" - Luigi, 10.04.2003, 13:33
- einen Punkt möchte ich hervorheben: - RetterderMatrix, 10.04.2003, 12:27
Bassam Tibi:"Bush wird gehaßt werden und Saddam glorifiziert"
-->Eine sehr, sehr skeptische Prognose bezüglich"Befreiung und Demokratisierung" des Iraks stellt der in Syrien geborene Bassam Tibi in einem Kommentar der FTD. Er vergleicht Bush mit Napoleon, und erwartet, daß der Amerikaner in der muslimischen Welt einen ähnlich nachhaltigen Haß provozieren wird wie seinerzeit Napoleon in Ägypten und D-Land.
Gastkommentar:
Missionarisches Bewusstsein
Von Bassam Tibi
Als Napoleon Bonaparte 1798 Kairo eroberte, hoffte er vergebens, von der Bevölkerung als Befreier gefeiert zu werden. Dem US-Präsidenten George W. Bush wird es in Bagdad ähnlich ergehen.
Am 31. März richtete sich US-Präsident George W. Bush von Philadelphia aus an das irakische Volk und versprach ihm Freiheit für die Zeit nach der"Befreiung". Als eine Woche später die US-Truppen vor Bagdad standen, berichtete al-Dschasira von fremdenfeindlichen Gefühlen der Bagdader Bevölkerung gegenüber den Eroberern. Nun ist Bagdad gefallen, und wir werden Zeugen einer großen historischen Wende in Nahost, die Parallelen zu einem Ereignis im Jahre 1798 aufweist - als Napoleon mit seiner Streitmacht vor Kairo stand. Dank ihrer technischen Überlegenheit konnte die westliche Macht die Stadt damals einnehmen.
Wie der amerikanische Präsident hatte Napoleon ein missionarisches Bewusstsein und wollte von den muslimischen Ägyptern keineswegs als Eroberer, sondern als Befreier wahrgenommen werden. Dies misslang Napoleon 1798, und viel spricht dafür, dass George W. Bush gut 200 Jahre später dasselbe widerfährt. Vergleichbar mit den Ägyptern im 18. Jahrhundert sind auch die Iraker zwar gefügige Untertanen, aber keine Bürger, die sich ihrer demokratischen Rechte bewusst sind.
Orientalische Despoten lassen in der Regel keine Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft zu, und ihre Untertanen wissen, dass der Tod der Preis jeden Widerstands ist. Anders als Bush heute konnte Napoleon 1798 keine Flugblätter aus der Luft abwerfen lassen, um der ägyptischen Bevölkerung sein Freiheitsversprechen zukommen zu lassen. Aber auch er ließ in Kairo Flugblätter verbreiten. Französische Orientalisten hatten für ihn ein Papier auf Arabisch vorbereitet, das mit den Worten beginnt:"Im Namen Allahs des Gnädigen, im Namen der französischen Republik, die auf den Grundsätzen der Freiheit und Gleichheit beruht, gibt Bonaparte kund (...): Ich bin einzig gekommen, um Euch von Euren Unterdrückern zu befreien." Dieses Flugblatt ist heute ein historisches Dokument, so wie Bushs Rede aus Philadelphia von historischer Bedeutung sein wird.
Gefühl der Demütigung
Die zitierten Worte Napoleons kamen damals ebenso wenig bei der Bevölkerung an, wie Bushs Freiheitsversprechen die Iraker überzeugen wird. Damals riefen die Gelehrten von Kairo zum Aufstand gegen den Fremdherrscher auf, der meinte, die Französische Revolution nach Ägypten tragen zu können. Er musste sich mit dem Bajonett durchsetzen. Die Technologie, die den USA zur Verfügung steht, ist weit grausamer als die Artillerie Napoleons. Entsprechend tiefer sind der Hass auf die Eroberer und das Gefühl der Demütigung bei den technisch Unterlegenen.
Bagdad ist das Symbol für den Höhepunkt der islamischen Zivilisation zwischen dem 9. und 13. Jahrhundert. Kairo hat diesen Status nie eingenommen. Dennoch hat sich die Eroberung durch Napoleon tief ins Kollektivgedächtnis der Muslime eingegraben. Nichts anderes wird mit der Eroberung Bagdads durch George W. Bush geschehen: Die Menschen im Orient werden schnell vergessen, wie blutig die Herrschaft Saddam Husseins war; sie werden sehr bald dazu übergehen, ihn zu glorifizieren und den amerikanischen Präsidenten zu dämonisieren.
Die Enttäuschung, die Napoleon 1798 in Ägypten erlitt, wiederholte sich einige Jahre später, als Napoleon wieder nach Frankreich zurückgekehrt war und Deutschland vom Joch der Feudalherrschaft befreite. Für den Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel etwa war Napoleon ein"Weltgeist zu Pferde", nicht aber für den bis zu diesem Zeitpunkt gläubigen Jakobiner Johann Gottlieb Fichte, der nach der Schlacht von Jena 1806 zum deutschen Nationalisten und Franzosenhasser wurde. Seine Antwort auf Napoleon waren die hetzerischen"Reden an die deutsche Nation". Genau so wie die Deutschen damals die französische Eroberung wahrnahmen, werden die Araber auf die"Befreiung" durch die USA reagieren.
Demokratisierung braucht Jahre
Demokratie ist kein System, das sich ein Volk ohne weiteres aussuchen kann. Demokratie ist eine politische Kultur, deren Verbreitung nur über entsprechende Institutionen erfolgen kann und deren Etablierung mehr als eine Generation beansprucht. Seitdem Deutschland 1945 von den Alliierten befreit wurde, hat das Land zweifellos eine starke Demokratisierung erlebt. Ich behaupte dennoch, dass selbst hier zu Lande bis heute keine voll entwickelte demokratische Kultur existiert. Und Deutschland ist ein europäisches, westliches Land; in einem orientalischen Land ist solch eine Entwicklung weitaus schwieriger.
Napoleon etwa misslang es, in Kairo die französische"mission civilisatrice" zu verbreiten. Eine ähnliche Enttäuschung wird George W. Bush erleben, der demokratische Grundsätze nach Bagdad tragen will.
Dass das Regime des irakischen Diktators Saddam Hussein gefallen ist, ist ein Grund zur Freude - bedeutet aber nicht automatisch die Freiheit der irakischen Bevölkerung. Die irakischen Bürger, die für sie erkämpfte demokratische Rechte nutzen würden, gibt es noch nicht. Man muss die Menschen dort erst zu solchen erziehen. Nur wenn die politische Kultur des demokratischen Bewusstseins in alle Bereiche und Institutionen der irakischen Gesellschaft getragen und dort verankert wird - in die sunnitischen, schiitischen und kurdischen Kollektive, die sich jeweils aus zahlreichen Untergruppierungen zusammensetzen -, hat Irak überhaupt eine Chance, eine Demokratie und damit ein Vorbild für den gesamten Nahen Osten zu werden.
Fraglich ist nur, ob die Vereinigten Staaten - anders als in Afghanistan - die nötige Geduld für diese schwierige Mission mitbringen.
Bassam Tibi stammt aus Damaskus (Syrien) und lehrt Internationale Beziehungen in Göttingen sowie Islamologie in St. Gallen.

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