- USA: BĂŒrokratisch verordneter Brain-Drain -Spitzenleute werden rausgeekelt - kingsolomon, 13.04.2003, 19:56
- Re: USA: BĂŒrokratisch verordneter Brain-Drain - Der Text - Firmian, 21.04.2003, 19:19
Re: USA: BĂŒrokratisch verordneter Brain-Drain - Der Text
-->_Forscher in den USA
Die Besten mĂŒssen drauĂen bleiben
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Aus Angst vor Terroristen machen sich die USA immer mehr Feinde.
Hysterische Beamte schikanieren mit rigiden Kontrollen die Elite der Einwanderer.
Wissenschaftler, Studenten und GeschÀftsleute sehen sich bereits nach Alternativen um.
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----- Faramarz Farahani zog vor zwei Jahren von Kanada ins Silicon Valley, um als Datenbank-Manager bei der Technologiefirma Informatica zu arbeiten. Das Unternehmen in Redwood City hatte den gebĂŒrtigen Iraner mit einem sechsstelligen Jahresgehalt angelockt. Heute ist sein amerikanischer Traum grĂŒndlich zerstört, und er wartet auf den nĂ€chsten Hightech-Boom, um mit seiner Frau und zwei Söhnen die USA zu verlassen und anderswo Arbeit zu finden. âWas mir passiert ist, kommt mir immer noch wie ein schlechter Traum vor. So etwas erwartet man nicht in Amerikaâ, sagt der 42-jĂ€hrige Farahani. Der Mann mit der runden Brille im runden Gesicht und dem sparsam eingerichteten Einfamilienhaus am Stadtrand von San Jose ist fĂŒr die einen ein schĂŒchterner TĂŒftler, doch fĂŒr das Department for Homeland Security ein potenzieller Terrorist.
Als er wie gesetzlich im Dezember verfĂŒgt - nur zwei Tage zu spĂ€t - zur Registrierung aller MĂ€nner aus dem Iran, Irak, aus Syrien, Libyen und dem Sudan bei der Behörde erschien, nahmen die Beamten seine Daten und FingerabdrĂŒcke auf, bevor sie ihn in den Keller fĂŒhrten. In Handschellen und FuĂeisen wurde der Software-Ingenieur erst in zwei GefĂ€ngnisse verlegt und dann per Sonderflug in bewaffneter Begleitung nach San Diego gebracht. Dort saĂ er mit einem Dutzend Zellengenossen fĂŒnf Tage in einem Abschiebe-GefĂ€ngnis an der mexikanischen Grenze. Kein Bett. Keine Decke. Kein Kontakt zur AuĂenwelt. Ein Anwalt seiner Firma holte Farahani immerhin knapp vor Weihnachten heraus. Seinen kanadischen Pass hat er bis heute nicht zurĂŒckbekommen, auch wenn das Verfahren inzwischen eingestellt wurde. Das FBI schweigt, und was dem Mann zur Last gelegt wurde, ist nicht zu erfahren. âMir wurde bedeutet, ich solle froh sein, dass ich davongekommen bin.â
Ein isolierter Fehlgriff der ĂŒberlasteten Behörden war das wohl kaum. An UniversitĂ€ten, in staatlichen Labors und groĂen Unternehmen hĂ€ufen sich die FĂ€lle, in denen Studenten, Doktoranden, Kunden und international anerkannte Forscher mit auslĂ€ndischem Pass nicht ins âLand der unbegrenzten Möglichkeitenâ gelassen oder, wenn sie einmal da sind, wie Kriminelle behandelt werden. Dass ein derart harter Kurs dem Ruf der USA schadet, ein weltoffener Hort fĂŒr Forschung und Innovation zu sein, darf als sicher angenommen werden. âUnser Denken hat mit der MobilitĂ€t von Wissensarbeitern und Angestellten in der Wirtschaft nicht Schritt gehalten. Wir laufen Gefahr, ĂŒberzureagierenâ, wettert Bill Reinsch. Unter Bill Clinton war er fĂŒr die Exportpolitik im Handelsministerium verantwortlich, heute ist er PrĂ€sident des National Foreign Trade Council, einer Lobbyisten-Vereinigung fĂŒr Freihandel. Reinsch bezog jĂŒngst vor den GĂ€sten im Union League Club in New York gegen die harte Linie der Regierung Stellung. âSehen Sie sich die Freiheitsstatue an. Das ist das Symbol. Wir haben schon immer auf kluge Köpfe gesetzt, die hierher kommen wollten. Was wir jetzt erleben, kann verheerende Folgen haben.â
Reinsch weiĂ von Unternehmen, die Mitarbeiter und Kunden nicht mehr ins Land bekommen und deswegen AuftrĂ€ge in Millionenhöhe verlieren. âViele Firmen wollen das gar nicht an die groĂe Glocke hĂ€ngen, weil sie sonst ihrer Konkurrenz in Europa oder Asien einen Hinweis geben, wo die nachfassen können. Die lesen das, rufen sofort an und versprechen: In 24 Stunden holen wir euch in Frankfurt abâ, sagt der Export-Fachmann.
Motorola ist eines der Opfer der neuen Politik. Dem Kommunikationstechnik-Unternehmen mit Sitz in Illinois droht, einen zehn Millionen Dollar schweren Auftrag fĂŒr ein Polizeifunk-Netz in Vietnam zu verlieren. Eine sechsköpfige Delegation vietnamesischer Sicherheitsbeamter wollte mehrere StĂ€dte in den USA bereisen, um sich einen Ăberblick ĂŒber Motorolas Technik zu verschaffen. âDer Deal war so gut wie sicher, da sie drei Jahre zuvor ein Ă€hnliches System fĂŒr Hanoi von uns gekauft hattenâ, sagt Motorolas Direktor fĂŒr internationale Angelegenheiten, Richard Brecher. Nachdem die potenziellen Kunden lĂ€nger als ein halbes Jahr auf ihr Visum warten mussten, verloren die Vietnamesen die Geduld und schrieben den Auftrag international aus. Marconi in GroĂbritannien und Nokia in Finnland sprangen sofort ein.
â Aus einem simplen Beschaffungsprozess unter zwei Partnern wurde durch die Verzögerung ein Wettbewerb. Das ist frustrierendâ, sagt Brecher. âEin Unternehmen wie wir, das weltweit mehr als 110000 Menschen beschĂ€ftigt, ist darauf angewiesen, dass sich Mitarbeiter und Kunden frei bewegen können. Inzwischen liegen bei uns mehrere Projekte auf Eis.â
Der US-Konzern bahnt manche GeschĂ€fte mittlerweile schon auf neutralem Boden an: âWir hatten eine Gruppe aus Malaysia, die uns besuchen wollte. Wir haben ihnen gleich geraten, sich besser mit uns in England oder Australien zu treffen. Dort bekommen sie ohne Probleme ein Visumâ, erzĂ€hlt Brecher.
Freihandelslobbyist Reinsch wiederum weiĂ von Maschinenbauern zu berichten, die ihre Technik ins Ausland verkaufen und auch die entsprechende Exportgenehmigung aus Washington erhalten. âAber wenn die Kunden anreisen wollen, um ihr Eigentum in Besitz zu nehmen oder sich fĂŒr dessen Nutzung ausbilden zu lassen, werden sie von denselben Regierungsstellen, die den Export genehmigen, nicht hereingelassen. Das ist unmöglich!â
Den Weltwirtschafts-Nomaden, hoch qualifizierten Leuten, die stĂ€ndig auf dem Globus unterwegs sind, streut die Terror-Angst der Regierung krĂ€ftig Sand ins Getriebe. Konsulate, Botschaften, mehrere Ministerien, Geheimdienste, Firmen und Hochschulen tappen in einem Irrgarten sich stĂ€ndig Ă€ndernder Vorschriften herum. Eines der gröĂten Probleme sind die Visa-Programme Mantis und Condor. Ersteres wurde schon vor Jahren eingefĂŒhrt, um Hightech-Spionage sowie die Verbreitung von Waffen und GĂŒtern mit möglichem militĂ€rischen Nutzen (Dual Use) zu verhindern. Das Condor-Programm ist eine unmittelbare Folge des 11. Septembers. StaatsbĂŒrger aus zurzeit 26 LĂ€ndern, die auf einer Technology-Alert-Liste stehen, mĂŒssen danach gesondert geprĂŒft werden. Es sind vor allem islamische LĂ€nder, und es geht um mögliche terroristische HintergrĂŒnde.
Wer aus einem dieser LĂ€nder kommt und sich bereits in den USA aufhĂ€lt, wie Programmierer Farahani, musste sich im vergangenen Dezember melden. Nach etlichen IrrtĂŒmern wie auch in seinem Fall wurde die Frist auf Januar verlĂ€ngert. (Zum letzten Mal wurde eine Ă€hnliche Special Registration Ende der siebziger Jahre von Iranern verlangt, nachdem der Schah gestĂŒrzt worden war.) Die Behörden vergleichen die Namen Visa-Williger mit einer Datenbank, deren Umfang sich seit dem 11. September von sechs auf zwölf Millionen Personen verdoppelte, da nun auch Daten der Bundespolizei FBI genutzt werden. In ZweifelsfĂ€llen reichen die Sachbearbeiter die AntrĂ€ge nach Washington weiter.
Das FBI will null Risiko - aber das vertrÀgt sich schlecht mit freiem Waren- und Personenverkehr
Da Konsularbeamte seit der ersten World-Trade-Center-Attacke 1993 persönlich haftbar sind, falls sie einen Terroristen ins Land lassen, wird der schwarze Peter munter weitergereicht. Washington ist das Nadelöhr, durch das alle Visa-AntrĂ€ge hindurchmĂŒssen. Im Jahr 2001 gingen laut AuĂenministerium bei US-Botschaften weltweit rund zehn Millionen AntrĂ€ge ein, von denen mehr als 70 Prozent genehmigt wurden. Im Jahr 2002, fĂŒr das noch keine Gesamtzahlen vorliegen, wurden rund 65000 AntrĂ€ge, das sind mehr als dreimal so viele wie im Vorjahr, zur genaueren PrĂŒfung in die US-Hauptstadt weitergegeben.
Hinzu kommt, dass im Juli 2002 eine Regelung auĂer Kraft gesetzt wurde, bei der eine Genehmigung als erteilt gilt, wenn die prĂŒfende Behörde binnen 10 bis 30 Tagen nichts einzuwenden hat. âDas System ist völlig undurchschaubar gewordenâ, klagt Lobbyist Reinsch. âWenn man einer BĂŒrokratie keine Frist setzt, passiert nichts. Ich weiĂ, wovon ich rede, ich war selbst sieben Jahre Teil des Systems.â Ein weiterer Bremsklotz ist das FBI: âDas sind Polizisten, die wollen null Risiko, sprich am liebsten niemanden ins Land lassen. Das vertrĂ€gt sich schlecht mit freiem Waren- und Personenverkehr.â
Gehen die AntrĂ€ge zur WeiterprĂŒfung erst einmal im State Department ein, verschwinden sie in einem schwarzen Loch. Die meisten Unterlagen werden in Papierform an alle relevanten Ămter zur PrĂŒfung weitergereicht: Justizministerium, Pentagon, Handelsministerium, FBI, CIA und seit MĂ€rz an das Ministerium fĂŒr Heimatschutz. In diesen RĂŒckstau, den AuĂenminister Powell im September 2002 auf 25000 AntrĂ€ge bezifferte, geraten auch AntrĂ€ge aus LĂ€ndern wie China, Indien, Russland oder Deutschland, die auf keiner Terror-Liste stehen. Kein Wunder, dass die Bearbeitungsfrist auf drei bis sechs Monate angestiegen ist.
Motorola-Manager Richard Brecher glaubt, dass das State Department nicht nur auf zehntausenden von AntrĂ€gen sitzt, sondern etliche einfach verschlampt hat. Gleichzeitig sammelt die Einwanderungsbehörde, die sich seit 1. MĂ€rz Bureau of Citizenship and Immigration Services nennt, dank eines neu eingefĂŒhrten Programms mit dem KĂŒrzel SEVIS die Personendaten aller auslĂ€ndischen Studenten im Land. Wenn sich ein Student nicht regelmĂ€Ăig meldet oder nicht genug Kurse fĂŒr ein Vollzeit-Studium belegt, kann er festgenommen und deportiert werden. âDabeiâ, sagt Reinsch, âsind Studenten die besten Botschafter fĂŒr unser System, die wir in die Welt schicken könnten.â Erstes Opfer des patriotischen Ăbereifers ist der freie Austausch akademischer Ideen. âDie Terror-Hysterie blockiert auslĂ€ndische Studenten, die bereits akzeptiert wurden. Auf jeder Ebene unserer BĂŒrokratie herrscht Panikâ, ereifert sich Haim Baruh, Leiter des Studiengangs Mechanisches und Luftfahrt-Ingenieurwesen an der Rutgers UniversitĂ€t in New Jersey. Der 1976 aus der TĂŒrkei eingewanderte Professor konnte im Wintersemester 2002 statt, wie ĂŒblich, ein Dutzend chinesischer Studenten nur zwei begrĂŒĂen, da sich der Rest ebenso wie russische, iranische oder libanesische Kandidaten in monatelangen Genehmigungs-Warteschleifen befanden. 90 Prozent seiner Studenten sind AuslĂ€nder, die mit einem Visum in den USA sind.
AuslĂ€ndische Studenten sind gut fĂŒrs Uni-Budget und die US-Wirtschaft - wenn sie reingelassen werden
â Es ist mir völlig unbegreiflich, dass BĂŒrokraten nicht in der Lage sind, bei der PrĂŒfung der Visa-AntrĂ€ge zwischen Leuten zu unterscheiden, die sich bei einer Sprachschule oder irgendeiner Flugschule einschreiben wollen, und andererseits Studenten und Doktoranden, die 50 bis 60 Stunden die Woche im Labor stehen und Forschung und Lehre in diesem Land voranbringen. Solche Sturheit kann man in einem Dritte-Welt-Land erwarten, aber nicht in den USAâ, Ă€rgert sich Baruh. âWenn man die besten zehn Prozent der Leute nicht bekommt, gehen sie woanders hin. Das fĂŒhrt zu einem Nettoverlust von qualifizierten Studenten und Forschern und schadet auf absehbare Zeit der Wissenschaft und der Industrie in diesem Land.â
An haarstrĂ€ubenden Beispielen herrscht kein Mangel. âDie Situation ist ernstâ, berichtet Wendy White von der Nationalen Akademie der Wissenschaften (NAS) bei Washington. Seit Wochen tut sie nichts anderes, als Anekdoten abgewiesener Wissenschaftler zu sammeln und Fragen zu den neuen Einreise- und Aufenthaltsregelungen zu beantworten. Eine neue NAS-Website hat allein im Februar 40 FĂ€lle von schikanierten Wissenschaftlern dokumentiert, âund wir haben keinerlei Werbung gemachtâ.
Die PrĂ€sidenten der Akademie und andere Leiter wissenschaftlicher Einrichtungen warnten bereits im Dezember 2002 in einem offenen Brief: âJĂŒngste Bestrebungen unserer Regierung, den Zufluss internationaler Besucher im Namen der nationalen Sicherheit einzuschrĂ€nken, haben schwer wiegende, unbeabsichtigte Folgen fĂŒr Amerikas Wissenschaft, Ingenieurwesen und Medizin.â Diese drei Disziplinen âkönnen nicht erwarten, ihre gegenwĂ€rtige international fĂŒhrende Position zu behaupten, wenn sie vom Rest der Welt isoliert werdenâ. Denn: Amerikas UniversitĂ€ten und Labors sind auf den stĂ€ndigen Zustrom auslĂ€ndischer Studenten und Wissenschaftler angewiesen. Wie das Institute of International Education in New York in seiner jĂ€hrlichen Bildungsstatistik darlegt, waren im Schuljahr 2001/2002 rund 4,3 Prozent oder 583000 von 6,4 Millionen Studenten an Colleges und UniversitĂ€ten AuslĂ€nder. Dabei sind all jene Studenten noch nicht eingerechnet, die eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis oder Green Card besitzen.
Die drei gröĂten Kunden fĂŒr das höhere Bildungswesen der Vereinigten Staaten sind Indien, China und Korea. Deutsche Studenten stehen an elfter Stelle mit rund 9600 Visa. Nicht viel anders sieht es bei Gastdozenten aus: 86000 AuslĂ€nder mit Visum unterrichten in den USA, beinahe jeder fĂŒnfte kommt aus China; 5028 Deutsche folgen auf Platz fĂŒnf mit knapp sechs Prozent aller Gastdozenten.
Im Gegensatz zu amerikanischen Studenten zahlen AuslĂ€nder die vollen StudiengebĂŒhren. So subventionieren sie nicht nur einheimische Studenten, sondern pumpen im Jahr rund zwölf Milliarden Dollar in die US-Volkswirtschaft, schĂ€tzt die Lehrervereinigung NAFSA. Je mehr Studenten monatelang warten oder abgewiesen werden - im vergangenen Jahr lag die Quote bei 28 Prozent - desto stĂ€rker drohe Amerika der Verlust von Marktanteilen bei höherer Bildung gegenĂŒber Europa, Australien und Kanada, so warnt der Lehrer-Dachverband in einem Positionspapier vom Januar.
In den Naturwissenschaften lĂ€uft in Amerika ohne AuslĂ€nder so gut wie gar nichts mehr. âAuslĂ€ndische Studentenâ, wissen die Akademie-PrĂ€sidenten, âsind von essenzieller Bedeutung fĂŒr einen GroĂteil der mit Bundesmittel geförderten Forschung.â Ein Drittel aller Hauptstudiums-Studenten in Natur- und Ingenieurwissenschaften ist laut National Science Foundation mit einem Visum in den Vereinigten Staaten.
In einzelnen Disziplinen wie Computerwissenschaften oder Mathematik liegt ihr Anteil eher bei 50 Prozent. AuslĂ€nder stellen zudem mehr als die HĂ€lfte aller Doktoranden. Selbst bei den National Institutes of Health (NIH), der mit Abstand wichtigsten Quelle von Fördermitteln fĂŒr Grundlagenforschung, sind die HĂ€lfte der Mitarbeiter mit Doktortitel AuslĂ€nder. Sie haben zunehmend Angst vor Reisen auĂerhalb der USA, da sie trotz gĂŒltigem Visum womöglich nicht mehr ins Land gelassen werden, denn die Entscheidung darĂŒber liegt allein beim Grenzbeamten. âWir sagen unseren Leuten: Wenn ihr das Land verlasst, besteht immer das Risiko, dass ihr nicht wieder hereinkommtâ, sagt NIH-Mitarbeiter Candelario Zapata.
Heng Zhu hat den bĂŒrokratischen Irrsinn hautnah miterlebt. Der Biologe studierte, promovierte und forschte sieben Jahre lang in den USA, zuletzt als Nachwuchs-Star an der Elite-UniversitĂ€t Yale in Connecticut. Als er im April 2002 sein Visum verlĂ€ngern wollte, verpasste er die Frist und musste zurĂŒck nach Peking. Dort sitzt er heute noch - und wartet. âIch habe mich mehrfach erkundigt, das letzte Mal hieĂ es, mein Antrag sei durch, aber mit der Post habe ich nichts bekommenâ, berichtet Zhu den Stand von Anfang MĂ€rz. Sein mit anderthalb Millionen Dollar von den NIH finanziertes Forschungsprojekt an der UniversitĂ€t liegt derzeit auf Eis, das Stipendium ist gesperrt. WĂ€hrend der 35-JĂ€hrige bei seinen Eltern in Peking wohnt, haben die US-Banken seine Kreditkarten gesperrt, sein geleastes Auto wurde beschlagnahmt.
Der Kline Biology Tower auf dem Campus von Yale ist ein brauner Koloss, der die anderen im englischen Stil gehaltenen GebĂ€ude schon von weitem ĂŒberragt. Im neunten Stock steht Zhus Laborbank. Auf ihr stapeln sich seit einem Dreivierteljahr so genannte Micro Arrays einen knappen Meter in die Höhe. In den Plastikschalen mit je 96 Vertiefungen katalogisierte der Molekularbiologie das gesamte Erbgut einer einzelnen Hefeart - und erntete international Beifall. âHeng hat das Feld der Proteomik fĂŒr uns alle weit erschlossen. Seine Entdeckungen sind ein Meilenstein. Seitdem er weg ist, klafft eine groĂe LĂŒcke, die zehn Leute nicht fĂŒllen könnenâ, so Laborleiter Michael Snyder, der mit seinem ProtĂ©gĂ© einmal die Woche per eMail in Kontakt steht.
Der Professor sorgte persönlich dafĂŒr, dass Zhu vor vier Jahren nach Yale kam. Dank seiner Entdeckung der genauen Wirkungsweise der 6200 Hefegene beim Aufbau von Proteinen meldete die UniversitĂ€t zwei Patente an und grĂŒndete eine Firma aus. Mindestens ein Dutzend Labore quer ĂŒber die USA verstreut arbeiteten mit dem chinesischen Akademiker zusammen. âJetzt sind sie mindestens ein halbes Jahr im RĂŒckstand, und das alles wegen dieses lĂ€cherlichen Papierkramsâ, sagt Snyder. âWir von der UniversitĂ€t können nichts tun. Wir haben uns beim AuĂenministerium beschwert, haben unsere Kongressabgeordneten eingeschaltet - es nĂŒtzt nichts.â
Die negativen Folgen des nationalen Sicherheitswahns zeigen sich bereits schmerzlich bei internationalen Tagungen. Zur jĂ€hrlichen Konferenz fĂŒr Raumfahrtforscher (COSPAR) in Houston im vergangenen Oktober konnten knapp 100 Wissenschaftler nicht einreisen, weil sie kein Visum bekamen oder trotz dreimonatigem Vorlauf bis nach Ende der Veranstaltung immer noch keinen Bescheid hatten. Besonderes Pech hatten Teilnehmer aus China. Von 70 Forschern aus der Volksrepublik wurden 68 abgewiesen, rund 40 VortrĂ€ge und FachaufsĂ€tze mussten vom Programm gestrichen werden. Ein russischer Gelehrter, der in Deutschland lebt, kam ebenfalls nicht nach Houston und wartete Anfang MĂ€rz immer noch auf ein Visum, um seine Dozentenstelle am renommierten Caltech Institut in Pasadena antreten zu können.
Den Molekularbiologen Markus Noll an der UniversitĂ€t ZĂŒrich erinnern die Polizeimethoden an die Kommunistenjagd der McCarthy-Ăra. Die Menschenjagd, bei der auch der spĂ€tere US-PrĂ€sident Richard Nixon dabei war, sorgte unter anderem dafĂŒr, das dem Chemiker, NobelpreistrĂ€ger und Pazifisten Linus Pauling das State Department 1952 einen Pass versagte. Der NobelpreistrĂ€ger hatte um die Ausreiseerlaubnis zu einer wissenschaftlichen Konferenz in London gebeten. Vier von Nolls Studenten aus China und Armenien, die in der Schweiz eingeschrieben sind, erhielten kein Visum, um an einem internationalen Kongress zum Erbgut der Fruchtfliege in Chicago teilzunehmen - und das, obwohl sie sich Monate im Voraus bewarben. âDiese Diskriminierung aufgrund der Herkunft ist unakzeptabelâ, beschwerte sich Noll bei der Organisatorin der Tagung, die an der UniversitĂ€t Washington in Seattle lehrt und die Wut an die Behörden weitergeben will. FĂŒr Schlagzeilen sorgte auch ein in Pakistan geborener Akademiker mit kanadischem Pass, der auf dem Weg zu einem Kongress im Flughafen seine FingerabdrĂŒcke abgeben sollte. Er weigerte sich gegen diese Form der Diskriminierung und kehrte um.
FĂŒr NAS-Mitarbeiterin Wendy White sind diese FĂ€lle nur die traurige Spitze des Eisbergs. âWir sind Mitglied im internationalen Rat der Akademien der Wissenschaften und haben uns der freien Forschung und Lehre verpflichtet. Wenn die Zahl der Abweisungen durch US-Behörden weiter steigt, ist es das gute Recht des Verbandes, Konferenzen auĂerhalb Amerikas zu veranstalten.â Nur ein paar Flugstunden entfernt in Kanada winken Montreal, Toronto und Vancouver mit einfachen Einreisebestimmungen, von Europa einmal abgesehen. âDas wird nicht nur Folgen fĂŒr die Wissenschaft habenâ, grĂŒbelt Lobbyist Reinsch, âsondern auch fĂŒr die Hotel-Industrie, die von Konferenzen und GeschĂ€ftsreisenden lebt.â
Im absurdesten Fall finanziert die US-Regierung selbst Forschung und Entwicklung - und sperrt die Experten, die dazu notwendig sind, anschlieĂend aus. Vor den Toren Chicagos steht das Fermilab, Teil des Energieministeriums. An seinem Teilchenbeschleuniger und anderen Projekten arbeiten rund 2600 Forscher. Knapp die HĂ€lfte von ihnen sind AuslĂ€nder aus mehr als 20 Nationen. Daneben verbringen gut 2000 Gastwissenschaftler mehrere Semester oder Jahre im Physik-Labor in Illinois. âUnser Produkt ist globaler Wissenstransfer. Aber was sich jetzt abspielt, schadet Forschung und Innovationâ, sagt John Womersley, Leiter der Arbeitsgruppe D-Zero des Labors, der rund 500 Fachleute aus aller Welt angehören. Der gebĂŒrtige EnglĂ€nder wartet seit vergangenem Herbst im Schnitt immer auf Einreisegenehmigungen fĂŒr 15 Forscher seines Teams. Sobald ein Fall geklĂ€rt ist, tut sich das nĂ€chste Problem auf. Als eine Gruppe Russen festsaĂ, die fĂŒr die Software der Anlage unerlĂ€sslich waren, beschwerte sich der Physiker beim AuĂenministerium.
FĂŒr Womersley ist der Schaden schwer wiedergutzumachen. âDie Leute, die bereits hier sind und vom Ministerium bezahlt werden, trauen sich nicht zu reisen. Chinesen und Russen weigern sich, unsere Jahrestagung diesen Sommer in Frankreich zu besuchen. Doktoranden werden es sich zweimal ĂŒberlegen, ob sie in dieser AtmosphĂ€re nach Amerika kommen. Erfahrene Forscher glauben, dass sich die Lage noch verschĂ€rfen wirdâ, berichtet Womersley von der Stimmung im Labor. Julia Thom, eine Hamburger Physikerin, die auf einer Postdoktoranden-Stelle am Teilchenbeschleuniger arbeitet, bekennt: âNach all den Jahren merkt man plötzlich, dass man trotz Einladung, hier zu arbeiten und zu forschen, ein Fremder ist. Und mit einem deutschen Pass hat man es noch vergleichsweise leicht.â
Die nĂ€chste Sicherheitsvorkehrung ist noch nicht einmal in Kraft getreten. Per PrĂ€sidentendekret wird ein âInterministerielles Komitee fĂŒr Fortgeschrittene Wissenschaft und Sicherheitâ (IPASS) geschaffen, das entscheiden soll, welche auslĂ€ndischen Studenten welche hochsensiblen FĂ€cher belegen dĂŒrfen oder nicht. âBeamte legen fest, wer ein guter und wer ein böser Student istâ, sagt NAS-Mitarbeiterin Wendy White. Kompetente Forscher gebe es in dem Kontroll-Gremium nicht.
Der chinesische Biologe Heng Zhu gibt einen kleinen Vorgeschmack darauf, was dem Forschungsstandort Amerika blĂŒht. FĂŒr ihn ist das Thema Yale so gut wie abgeschrieben. WĂ€hrend der zehn Monate Wartezeit hat er Kontakt zur UniversitĂ€t Toronto und zum EuropĂ€ischen Labor fĂŒr Molekular-Biologie (EMBL) in Heidelberg aufgebaut. Professor Snyder von der Yale University half ihm dabei, auch wenn er die Folgen bedauert: âProteomik ist ein junges und brandaktuelles Gebiet. Alles, was Heng in Zukunft entwickelt, wird nicht Yale oder der US-Wirtschaft zugute kommen.â Bei beiden Instituten war Zhu bereits zu VorstellungsgesprĂ€chen fĂŒr eine Professorenstelle.
Viele der AuslÀnder sind Fans des amerikanischen Systems - aber die Liebe ist einseitig geworden
â Das Visum fĂŒr Kanada hatte ich in fĂŒnf Werktagen, fĂŒr Deutschland ging es noch schneller. Und sie bieten mir eine richtige Professurâ, berichtet Zhu. Eines ist ihm nach zehn Monaten in seinem Heimatland klar geworden: âSo wie ich denken viele Studenten in China, sie sehen sich mehr denn je auĂerhalb der USA um.â In Peking geben sich die Vertreter europĂ€ischer Unis, die auf Talentsuche an Hochschulen sind, die Klinke in die Hand.
FĂŒr die Einwanderungs-AnwĂ€ltin Julie Krasnogor in Manhattan addieren sich die schlechten Nachrichten zu einer Besorgnis erregenden Botschaft an den Rest der Welt: Komplikationen fĂŒr Angestellte, die GeschĂ€ftsvisa wollen; Studenten, die oft die neuen Bestimmungen nicht verstehen und ihre Ausbildung aufs Spiel setzen; zu Unrecht eingesperrte Einwanderer, die sich vielfach keinen rechtlichen Beistand zu verschaffen wissen; und schlieĂlich mehr als 1200 seit anderthalb Jahren in Haft gehaltene, des Terrorismus verdĂ€chtigte Menschen, von denen weder IdentitĂ€t noch Verwahrungsort bekannt sind.
â In meinem Berufsalltag habe ich nicht mehr Probleme als frĂŒher, da ich so gut wie keine Kunden aus islamischen LĂ€ndern habeâ, berichtet Krasnogor. âAber als Juristin bin ich besorgt. Dieses Land wird immer protektionistischer. Wir leben von offenen Grenzen, und zwar nicht nur fĂŒr qualifizierte Leute, sondern auch fĂŒr Arbeiter. Ohne sie hĂ€tten wir morgens keine Zeitung und bekĂ€men kein Essen im Restaurant.â Gerade AuslĂ€nder wie der iranische Programmierer Farahani aus San Jose, die freiwillig zur Registrierung erscheinen und dann festgehalten werden, sagt sie, seien eigentlich die gröĂten Fans des Systems USA.
Fermilab-Wissenschaftler Womersley sieht schwarz, wenn sich die VerhĂ€ltnisse nicht bald normalisieren: âIn 20 Jahren werden die USA auf diese Zeit zurĂŒckblicken und erkennen, was fĂŒr einen groĂen Irrtum sie begangen haben.â -----|

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