- Berlins Guantanamo Bay für überflüssige Beamte - RetterderMatrix, 04.05.2003, 11:01
- wie funktioniert Altersteilzeit im öffentl. Dienst? (owT) - Dieter, 04.05.2003, 22:33
Berlins Guantanamo Bay für überflüssige Beamte
-->In Berlin entsteht die skurrilste Behörde aller Zeiten - ein Sammellager für Tausende überzählige Angestellte und Beamte der Hauptstadt.
Der Brief kam an einem Freitag, dem 13. Er war anderthalb Seiten lang und hochoffiziell. Der Empfang war schriftlich zu bestätigen.
Im schönsten Bürokratendeutsch wurde Beate K., 47, seit 13 Jahren Angestellte der hauptstädtischen Senatsbauverwaltung, mitgeteilt, dass Berlin nun ohne sie auskommen will:"Im Zusammenhang mit den Einsparvorgaben für das Jahr 2002" werde ihre Stelle dem"Personalüberhang zugeordnet". Eine andere"vollfinanzierte Daueraufgabe" könne ihr nicht übertragen werden.
Als sie diesen Brief gelesen habe, sagt Beate K., sei sie sich"wie eine Arbeiterin zweiter Klasse" vorgekommen."Auf einmal", klagt sie,"fühlst du dich verraten und verkauft."
Objektiv liegen Gefühl und Realität weit auseinander - bislang zumindest. Denn die Umwelttechnikerin ist weder Arbeiterin erster noch zweiter Klasse: Sie gehört zur Extraklasse der Angestellten des Ã-ffentlichen Dienstes. So kann sie zwar verraten, aber weder verkauft noch gekündigt werden. Auch über ein halbes Jahr nach Erhalt der Überflüssigkeitserklärung arbeitet sie weiter, als wäre nichts geschehen, an ihrem Schreibtisch in der Bauverwaltung.
Das soll sich nun allerdings ändern. Denn am 1. Juli dieses Jahres wird in Berlin die skurrilste Behörde aller Zeiten eröffnet - eine zentrale Steuerungsstelle für Tausende überflüssige Beamte und Angestellte. Von 140 000 Bediensteten will das Land in den nächsten Jahren 40 000 loswerden. Und sie alle sollen - zunächst verwaltungstechnisch - überführt werden in jene Behörde, die offiziell Stellenpool heißt und inoffiziell schon als Guantanamo Bay Berlins verspottet wird. Denn das Lieblingsmodell des Berliner Finanzsenators Thilo Sarrazin (SPD), 58, sieht vor, dass diese Mitarbeiter später auch leibhaftig in das behördliche Sammellager wechseln.
Viele Rechte werden die Ausgelagerten aber schon vom Sommer an nicht mehr haben. Ob Stadtplaner, Buchhalter oder Vermesser, wer im Stellenpool erst einmal zwischengeparkt ist, kann als Leiharbeiter an die freie Wirtschaft verleast werden und muss in Berlins Verwaltung zukünftig beinahe jede Arbeit annehmen.
Das entsprechende Senatskonzept führt etliche Aufgaben auf, die Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und sein Vollstrecker Sarrazin den eigentlich Überflüssigen übertragen wollen: die Einhaltung der Verpackungsverordnung kontrollieren, Kitas verschönern, Sozialdetektive unterstützen oder einfach in Berlins Archiven für - so wörtlich -"Ordnung im Keller" sorgen. Keine gute Aussicht für Berlins Staatsdiener.
Um den Betroffenen den Abstieg bewusst zu machen, soll ihnen ein für Bürokraten wichtiges Herrschaftsmittel genommen werden: Sie verlieren ihr Mitzeichnungsrecht auf Vorlagen der Verwaltung. Ein"gewisser Mobbing-Faktor", räumt ein Mitglied einer der beiden Regierungsfraktionen ein, sei schon gewollt.
Letztlich will Berlin einen Teil der Leute ganz abschieben. Doch bis Ende 2004 gilt noch ein genereller Kündigungsschutz, den einst CDU-Regent Eberhard Diepgen mit den Gewerkschaften ausgehandelt hatte.
Mit dem drakonischen und bundesweit einmaligen Vorgehen wollen Wowereit und seine sozialistischen Mitregenten von der PDS einmal mehr den Willen zum proklamierten Mentalitätswechsel unter Beweis stellen. Denn bislang fand der Personalabbau im Ã-ffentlichen Dienst der Metropole oft nur auf dem Papier statt. Beschloss der Senat etwa die Streichung Hunderter Stellen, wurden brav kw-Vermerke ("kann wegfallen") auf die Stellenpläne gekritzelt und an die Hauptverwaltung gemeldet. Im Alltag änderte sich allerdings nichts - die Leute blieben, die Bezahlung auch. Allein in der Senatsverwaltung Stadtentwicklung von SPD-Landeschef Peter Strieder wurden bei rund 2900 Mitarbeitern auf diese Weise etwa 800 Stellen eingespart und doch erhalten.
Die Verwaltung des Personals war derart dilettantisch, dass die Finanzverwaltung jüngst ein peinliches Geständnis machen musste:"Mangels einer vollständigen landesweiten Transparenz" sei in Berlin ein"effizienter, dienststellenübergreifender Ausgleich" zwischen Behörden mit Personalmangel und Behörden mit Personalüberfluss bislang nicht organisierbar.
Wurden also Stellen von außen besetzt, konnte es durchaus sein, dass anderswo Mitarbeiter mit dieser Qualifikation auf ihrer Planstelle herumsaßen und nichts zu tun hatten. Die Koordination soll nun das Pool-Hauptquartier übernehmen, das unweit des"Friedhofs der Sozialisten" im Ost-Berliner Stadtteil Friedrichsfelde residieren wird. Dafür stehen laut Plan 84,02 Dienstkräfte und ein Etat von sechs Millionen Euro zur Verfügung. Im ersten Schwung sollen rund 3000, später dann 6000"Personalüberhangkräfte" (Senatsvorlage) gesteuert werden.
Bei aller Entschlossenheit - vor der Eröffnung der Verwahranstalt am 1. Juli graut den Senatoren von SPD und PDS. Zum einen fürchten sie, die Berliner Verwaltung könnte diese Maßnahme torpedieren. Zum andern erwarten sie spektakuläre Fernsehauftritte Betroffener, die sie sich auf der letzten Senatsklausur schon einmal ausmalten.
Eines der entworfenen Szenarien sah so aus: Ein Ausgelagerter könne womöglich mit einem Pappschild vor der Brust ("Ich muss in den Überhang") vor der Kamera über das Mobbing von Amts wegen klagen. Und dessen Chef könnte sich dazugesellen und wettern, dass er ausgerechnet seinen erfahrensten Bauleiter in den Stellenpool abgeben musste.
Lieber wäre den Senatoren eine stille Lösung wie etwa im Fall Günther H., 54. Er erhielt ebenfalls an jenem Freitag, dem 13. Dezember 2002, die amtliche Mitteilung über den Wegfall seiner Stelle. Ihn hat das Mobbing allerdings inzwischen mürbe gemacht. Einen Monat war der Bauleiter krank, dann meldete er sich für die Altersteilzeit.
<ul> ~ http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,247223,00.html</ul>

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