- Sie erregen nur noch Mitleid: Des Kanzlers schwache Truppe - HB, 11.05.2003, 21:06
Sie erregen nur noch Mitleid: Des Kanzlers schwache Truppe
-->Während man früher über solche Bilder http://www.visiantis.com/e-card.php?CardID=1165 noch lachen konnte, erregen die Regierungsmitglieder derzeit nur noch Mitleid:
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Des Kanzlers schwache Truppe
Unter der Tarnkappe
Gewichtsprobleme, Tatenlosigkeit, Überalterung, Ideenmangel: Ohne den Kanzler und Wolfgang Clement, die in Asien unterwegs sind, wird deutlich, wie schwach diese Bundesregierung ist.
Etwas müde und grimmig wirkt der Kanzler, als er in den Kabinettssaal schreitet. Was er dort sieht, hebt nicht gerade seine Laune."Wenig los", murrt er und lässt sich in seinen Sessel fallen. Dann kommt Ulla Schmidt und wendet sich sofort an die Kollegin Bulmahn:"Wo warst du, Edelgard?"
Zwei kurze Bemerkungen, die durchaus treffend beschreiben, in welchem Zustand sich die Bundesregierung befindet. Es ist, abgesehen vom Tun Schröders und Wolfgang Clements, wenig los. Und die Frage, wo er eigentlich gewesen ist in letzter Zeit, müsste sich so mancher Minister stellen.
Die Schwäche des Kabinetts dürfte gerade in dieser Woche deutlich hervortreten. Der Kanzler und sein Superminister Clement weilen in Asien, und der Blick wird frei auf die Riege dahinter. Ohne die beiden Vorturner wirkt sie derzeit ziemlich schwächlich. Es ist nicht mehr die Regierung der starken Männer wie in der ersten Legislaturperiode von Rot-Grün, als Joschka Fischer, Otto Schily und Hans Eichel voll in Saft und Kraft standen.
Für Fischer könnte diese Woche eigentlich ein Höhepunkt seines politischen Lebens sein. Endlich ist der Grüne einmal nicht nur auf dem Papier Vizekanzler, sondern darf die Kabinettssitzung am Mittwoch leiten, darf für ein paar Stunden offiziell die Nummer eins der deutschen Regierung sein. Insgeheim hält er sich ohnehin dafür.
International allerdings zählt Fischer derzeit eher zu den kleineren Größen, wie er vorige Woche leidvoll an seinem Terminkalender ablesen konnte. Auf die Frage"Wo warst du, Joschka?" musste er antworten: im Baltikum. Auch seine Besucher in Berlin kamen nicht gerade von den Brennpunkten der Weltpolitik, sondern von einem vergessenen Kontinent. Am Montag hatte der Außenminister Besuch aus Ghana, Senegal, Guinea, Nigeria und der Elfenbeinküste. Am Mittwoch schaute auch noch Mustafa Osman Ismail in Fischers Büro vorbei, seines Zeichens Außenminister des Sudan.
Nach dem Gespräch wollte Fischer seinen Gast von der Peripherie des Weltgeschehens so schnell loswerden, dass die Fotografen kaum Zeit hatten, das traditionelle Shakehands ins Bild zu bannen. Nach drei Sekunden riss sich der deutsche Außenminister los und verschwand in seinem Büro. Aber was sollte er dort tun? Deutschland war inzwischen nicht ins Zentrum des Weltgeschehens gerückt. Fischer wollte Laufen gehen, konnte sich dann aber doch nicht aufraffen.
Auch sein Sport ist derzeit ziemlich mühsam für ihn, denn er hat das Training vernachlässigt. Einst dick und dann dünn, ist er wieder etwas dicklich geworden, ein Zeichen dafür, dass er auch persönlich nicht gerade auf der Höhe seiner Spannkraft ist. Die ewige Disziplin beim Essen und Laufen, zu der er sich verdonnert hat, ist ihm vorerst abhanden gekommen.
So hat er derzeit zwei Gründe, frustiert zu sein: das gewachsene Gewicht des eigenen Körpers und das geschrumpfte Gewicht der Bundesrepublik in der Welt. Wenn die Amerikaner von den Europäern etwas wollen, fragen sie nicht Fischer, sondern die Polen. Dieser Bedeutungsverlust schmerzt niemanden so wie den Außenminister, der gern als personifiziertes Bedeutungsmassiv auftritt.
Auch in der Innenpolitik wird das nicht mehr durch die Fakten gedeckt. Schröder hat ihn längst Richtung Rand gedrängt. Nach der Bundestagswahl feierte der"Stern" Fischer noch als den"heimlichen Kanzler". Doch beim Kampf um die Reformen spielt er kaum eine Rolle.
Noch unangenehmer ist für den stellvertretenden Regierungschef, dass ihm Schröder in der Vorkriegszeit die Außenpolitik weitgehend aus der Hand genommen hat. Fischer wollte die Nuancen der deutschen Position möglichst lange offen halten, der Kanzler neigte zu schnellen Festlegungen. Erst am Ende eines lautstarken Gesprächs fanden die beiden zueinander:"Sie mussten mal wieder in den Abgrund schauen", sagt ein Ministerkollege.
Nun ist der Kanzler Fischers Ambitionen womöglich erneut im Weg. Denn es kann ihm nicht recht sein, dass sich sein Vize einen Herzenswunsch erfüllen und Europäischer Außenminister werden will. Er braucht ihn in Berlin, um die Grünen zu disziplinieren und Wähler zu gewinnen.
Seinen zweiten starken Mann, Otto Schily, hat er immer gebraucht, um die SPD beim Thema Innere Sicherheit glaubwürdig zu machen. Doch jetzt ist es um den einst so forschen Innenminister still geworden."Früher hat er zu jeder Sache etwas gesagt, heute nur noch zu jeder zweiten", wundert sich eine Ministerin. Sie fragt sich,"warum der so abgetaucht ist".
"Ich abgetaucht?" Schily kann es kaum fassen. Einen Moment lang guckt er wie ein Boxer vor der letzten Runde, dann sammelt er sich, und es folgt ein länglicher Vortrag über die eigenen Großtaten."Es ist uns gelungen", beginnt jeder dritte Satz. Am Ende sagt er, was ihm nicht gelungen ist: das Zuwanderungsgesetz durchzubringen, das NPD-Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zu gewinnen.
Dass er nicht mehr so auffällt, erklärt Schily damit, dass seine neuen Projekte, zum Beispiel Abbau der Bürokratie,"etwas weniger scharf konturiert" seien.
Oder ist Schily am Ende zu alt für diesen Job? 71 wird er demnächst."Muss ich mir das noch antun?", fragt er sich manchmal beim Aufstehen um halb sechs in der Frühe."Ich könnte längst bei meinen Oliven sein", auf seinem Landgut in der Toskana. Aber dann spüre er wieder"diesen Reiz, etwas zu bewegen".
Damit erst gar nicht der Eindruck aufkommt, er leide an Altersmüdigkeit, fügt er sofort hinzu:"Alter ist nicht nur eine Frage der Zahl." Nun beginnt ein ebenfalls länglicher Vortrag, mit dem er die Grauen Panther in Entzücken versetzen würde. Kollege Clement zum Beispiel, 62 Jahre alt, nehme"es an Dynamik mit manchem etwas schmalbrüstigen 35-jährigen Manager auf". Und so rüstig wie Clement, findet Schily, ist er schon lange."Der Jugendwahn, Entschuldigung, ist auch dahin", ergänzt der Innenminister, Fanfarenklang in der Stimme.
Schily wirkt ein wenig wie der große Bellheim aus der gleichnamigen Fernsehserie, in der ein Rentner ein Kaufhaus saniert. Ähnlich ist es nun mit dem Bundeskabinett und dem Sozialstaat. Das Durchschnittsalter der Regierung liegt bei 57 Jahren, Zeit für den Vorruhestand.
Es ist allerdings nicht so, dass sich bei SPD und Grünen die Jungen mit Brillanz und Frische aufdrängten. Das Kabinett wirkt auch deshalb so schwach, weil es der Politik an Nachwuchs fehlt und dem Kanzler damit an Alternativen. Wer, zum Beispiel, sollte Hans Eichel ersetzen, einst ein starker Mann, nun die traurigste Gestalt in der Regierung?
Niemand im Kabinett ist so tief gestürzt wie der Finanzminister. Er hat immer noch das gleiche Gesicht und die gleiche Aktentasche wie in der vorigen Legislaturperiode. Aber hinter seiner ausdruckslosen Miene wird nicht mehr eiserner Sparwille vermutet, sondern Ideenmangel. In seiner Aktentasche stecken nicht mehr Haushaltspläne, vor denen die Kollegen Angst haben, sondern Entwürfe, die von ihnen genüsslich zerfleddert werden. Die Langeweile, die er ausstrahlt, gilt nicht mehr als kultig, sondern als nervtötend.
Zierten den Finanzminister ehedem die Vokabeln solide und sparsam, ist seit Monaten von Täuschung und Lügen die Rede. Eben erst musste er einräumen, dass alle seine politischen Ziele verfehlt wurden: das Defizitkriterium des Maastricht-Vertrags - unerreichbar, das Versprechen, 2006 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen - hoffnungslos, der Haushaltsplan - ein Fall fürs Altpapier.
Nun steht er gänzlich düpiert da, weil die Tabaksteuer gegen seinen Wunsch erhöht wird. Er ist reif für den Rücktritt, aber auch in seinem Fall fehlen dem Kanzler die Alternativen. So bleibt er im Amt, ohne Macht, als Erfüllungsgehilfe des Regierungschefs.
Nur Wirtschafts- und Arbeitsminister Clement kann derzeit die Schwäche der drei einstigen Säulen des Kabinetts nutzen, um zum neuen Star aufzusteigen. Insbesondere die Frauen scheitern mit allen Versuchen, in den Vordergrund zu treten. Das liegt auch daran, dass einige von ihnen nicht gerade das Wohlwollen Schröders genießen.
Eine Begegnung zwischen dem Kanzler und einer Ministerin sieht so aus: Es ist kurz vor halb zehn morgens, vorigen Mittwoch. Schröder sitzt auf seinem Stuhl am Kabinettstisch. Rechts von ihm ist ein Stuhl frei, dann kommt Heidemarie Wieczorek-Zeul, zuständig für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Sie freut sich, dass sie den Kanzler mal halbwegs für sich hat, lehnt sich weit zu ihm hinüber und redet auf ihn ein. Redet und redet und redet und lacht heftig zwischendurch. Der Kanzler sitzt da mit wächsernem Gesicht und starrt geradeaus. Wenn Wieczorek-Zeul lang und fröhlich lacht, lacht er kurz und gezwungen, aber auch nicht immer.
Schröder sitzt da wie ein König, der schon ein bisschen die Bindung an seine Umgebung verloren hat, der sich in Erhabenheit verpanzert.
Heidemarie Wieczorek-Zeul ist ja nicht seine schlechteste Ministerin. Sie kann in großem Stil nerven, aber ihre Entwicklungspolitik gilt als durchaus gelungen. Nur interessiert das Schröder nicht. Wichtiger wäre für ihn gewesen, hätte sie, die Parteilinke, das Aufbegehren der Linken gegen die"Agenda 2010" unterbunden.
So wie Schröder mit Wieczorek-Zeul umgeht, geht er mit vielen um. Seine Herablassung stärkt nicht gerade das Selbstbewusstsein der Minister. Schröder hat sich in den viereinhalb Jahren, die er Kanzler ist, einen präsidialen Regierungsstil zugelegt. Details interessieren ihn nicht, die Nebenschauplätze überlässt er den zuständigen Ministern. In der Hauptarena kämpft vor allem er selbst. Dort zieht er alles an sich, siehe die Außenpolitik vor dem Irak-Krieg, siehe derzeit die Reformpolitik.
Schröder ist misstrauisch. In seinem riesigen Kanzleramt sitzt er wie in einer Trutzburg, und der einzige Mitarbeiter, auf den er sich verlässt, ist er selbst. In den meisten Ministerien, so sieht Schröder die Welt, regiert der Status quo. Ideenlose Ressortchefs verschanzen sich hinter Hundertschaften antriebsschwacher Beamter, die am liebsten von Reformen jedweder Art verschont bleiben wollen. Ohne die von ihm installierten Kommissionen wäre doch außer Staub nichts aufgewirbelt worden! VW-Vorstand Peter Hartz musste den Ex-Arbeitsminister Walter Riester auf Trab bringen, Bert Rürup die Gesundheitsministerin Ulla Schmidt.
Auch wenn sie jetzt mit der von ihr lange verfolgten Erhöhung der Tabaksteuer einen Achtungserfolg erzielte, zeigt sich am Schicksal der allzeit frohgemuten Sonderschulpädagogin, wie eng die Spielräume einer Ministerin sind, der Schröder nicht viel zutraut. Sie hat nicht nur Rürup im Nacken, sondern auch Schröders sozialpolitischen Berater Heinrich Tiemann, der ihr Staatssekretär ist.
Weil das noch immer nicht reicht als Kontrolle, ist das Kanzleramt mit den zentralen Bausteinen der Gesundheitsreform seit Monaten selbst beschäftigt. Langsam werde er zum Experten, sagt Schröder.
Ulla Schmidt bleibt immerhin der Trost, dass sie all die Reformvorschläge in ihrem rheinischen Tonfall vortragen darf und deshalb im Mittelpunkt des Interesses steht.
Der anderen Schmidt im Kabinett wird nicht einmal mehr die Frage gestellt, wo warst du, Renate? Niemand scheint sich mehr für Familienpolitik zu interessieren, auch weil es Renate Schmidt versäumt hat, das Land für Familienpolitik zu interessieren.
Ihre Auftritte im Kabinett oder in der Fraktion beschränken sich auf Appelle, mehr für Familien und Frauen zu tun. Dann nicken alle zustimmend und wenden sich wieder anderen Dingen zu. Immerhin, frohlockt Renate Schmidt, sei sie regelmäßig in Frauen- und Familienzeitschriften präsent.
Den Kanzler wird es freuen. Er hat ja eine ganze Reihe von Ministern, die für die breite Ã-ffentlichkeit so wirken, als hätten sie eine Tarnkappe auf. Wo war eigentlich Verkehrsminister Manfred Stolpe in den letzten Wochen? Und, die Frage muss man tatsächlich stellen, wo war Bildungsministerin Edelgard Bulmahn?
Auf der grünen Seite des Kabinettstischs sieht es nicht viel besser aus, denkt der Kanzler. Für Umweltminister Jürgen Trittins größtes Verdienst hält er, dass er sich seit längerem schon mit politischen Pöbeleien zurückhält.
Bei Verbraucherministerin Renate Künast, deren Quirligkeit der Kanzler so sehr schätzt, wie er ihre Attacken gegen den Chef der Deutschen Bahn AG hasst, kann er keine allzu große Durchschlagskraft erkennen. Mit der Ankündigung einer"Agrarwende" vollmundig gestartet, verheddert sie sich jetzt im Kleinklein zwischen Brüssel und Bauernlobby.
Da mag man sich gar nicht ausdenken, was mit der Bundesrepublik passiert, falls sich Schröder und Clement auf ihrer Asienreise auch nur eine leichte Lungenentzündung holen und für ein paar Wochen ausfallen würden. Und auch sie müssen ja erst noch beweisen, dass sie in der Lage sind, ihre Reform-Agenda durchzusetzen und die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen.
Wenn alles gut geht, ist Schröder am Freitag wieder zurück. Am selben Tag wird auch US-Außenminister Colin Powell in Berlin erwartet, für Joschka Fischer ein Zeichen der Hoffnung. Vielleicht ist Deutschland demnächst doch wieder Teil des Weltgeschehens. Fischers Bedeutung könnte zunehmen.
Gleichzeitig wird er selbst wohl wieder abnehmen. Er läuft viel und isst wenig. Vor der Sitzung des Koalitionsausschusses am vergangenen Donnerstag hatte er sich vorgenommen, dem Mittagessen zu widerstehen. Es gab Schnitzel und Beelitzer Spargel. Fischer spürte die Versuchung, aber er gab ihr nicht nach."Die anderen", sagt er,"haben alle gemampft."
<ul> ~ Des Kanzlers schwache Truppe</ul>

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