- Klimaforschung: Neue Betriebsweise der Erde - Yak, 08.06.2003, 09:02
Klimaforschung: Neue Betriebsweise der Erde
-->Quelle: Frankfurter Rundschau, 04.06.2003
Kurzschluss Erde
Der Mensch greift so stark ein, dass der Planet in eine neue"Betriebsweise" überzugehen droht
Von Joachim Wille
Paul Crutzen weiß, wovon er spricht. Der Forscher aus Mainz, der den chemischen GAU über der Antarktis namens Ozonloch analysierte und dafür 1995 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden ist, hat gute Chancen, als"Namensgeber" für eine neuen geologischen Epoche in die Wissenschaft einzugehen. Er hat vorgeschlagen, das Geo-Zeitalter des Menschen auszurufen: das"Anthropozän" (griech. anthropos = der Mensch). Eine wachsende Zahl von Wissenschaftlern ist bereit, ihm dabei zu folgen, wie jetzt die Dahlem-Konferenz der Freien Universität Berlin zum Thema"Die Erde als System" zeigte.
Der Mensch - so die Erkenntnis, die dahintersteckt - ist seit Beginn der Industrialisierung vor rund 200 Jahren selbst zu einer Kraft geworden, die das Funktionieren des gesamten"Systems Erde" mitbestimmt."Die Menschheit hat inzwischen alle Gegenden auf der Erde bewohnt oder zumindest besucht, sie hat sogar den Fuß auf den Mond gesetzt", sagt Crutzen.
Doch die extrem gesteigerte Verbreitung und Mobilität des homo sapiens sapiens alleine rechtfertigt natürlich nicht, den Menschen als beherrschenden Faktor einer Epoche zu setzen, die die"Nach-Eiszeit-Epoche", das Holozän, ablöst. Crutzen zeigt, wie stark der Einfluss der"Krone der Schöpfung" angestiegen ist. Beispiel eins: Seit 1700 hat sich die Zahl der Menschen auf über sechs Milliarden verzehnfacht; Tendenz steigend auf neun bis zehn Milliarden um 2050. Beispiel zwei: Dreißig bis fünfzig Prozent der Erdoberfläche sind vom Menschen etwa durch Entwaldung, Siedlungsbau, Erosion auf Ackerböden, Rohstoffabbau verändert worden. Beispiel drei: Binnen weniger Generationen werden in Autos, Industrieanlagen und Heizungen die fossilen Brennstoffe verbrannt, für deren Entstehung hunderte Millionen Jahre notwendig waren.
Dass der Mensch seit dem Beginn des Ackerbaus vor etwa 10 000 Jahren teils mit regional verheerenden Folgen in den Naturhaushalt eingreift, ist bekannt. Schulwissen ist es, dass die mesopotamische Hochkultur an Euphrat und Tigris im dritten Jahrtausend vor Christus infolge unangepasster Landwirtschaft zusammenbrach, dass im Altertum die einst baumreichen Mittelmeerländer bei der Expansion des römischen Weltreiches entwaldet wurden, ebenso, dass der vom Mensch gemachte Treibhauseffekt die Temperaturen seit mehreren Jahrzehnten global nach oben treibt.
Doch die Berliner Konferenz sollte zu klären versuchen, ob die Eingriffe des Menschen in die Ã-kologie schon so stark geworden sind, dass sie den Planeten irreversibel in eine andere"Betriebsweise" zwingen werden. Das ginge weit hinaus über die Veränderungen, die für das laufende Jahrhundert im Rahmen der Klimaprognosen diskutiert wird. Es ginge nicht mehr"nur" um eine Meeresspiegelerhöhung um einige Zentimeter bis Dezimeter, sondern etwa um eine Abschwächung des Golfstroms und damit das abrupte Abschalten von Europas"Zentralheizung". Und nicht mehr"nur" um vermehrte Niederschläge und Trockenheiten, sondern um ein"Ausknipsen" des für Asien überlebenswichtigen Monsun-Systems.
Die Erde im Großexperiment
Vierzig Forscher aus den verschiedensten Disziplinen - von Astrobiologie über Anthropologie und Klimaforschung bis Politologie - trafen sich an der Freien Universität eine Woche lang, um die (Un-)Wahrscheinlichkeit solcher Gefahren zu diskutieren. Leitidee war dabei das Konzept einer"Erdsystem-Analyse", das vom Gründungsdirektor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Hans-Joachim Schellnhuber entwickelt worden ist.
Die Fakten sind Besorgnis erregend, am deutlichsten, vermutlich weil am besten untersucht, beim Klima: Die Rekonstruktion von Umweltbedingungen während der vergangenen 500 000 Jahre - ermöglicht durch die Analyse von Eisbohrkernen aus der Antarktis - zeigt, dass das Erdsystem sich während dieser Zeit aus bisher noch nicht vollkommen geklärten Gründen offenbar selbst reguliert hat. Die Konzentration des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) bewegte sich, trotz sich abwechselnder Eis- und Warmzeiten, immer in den Grenzen zwischen 180 und 280 ppm (Teile pro Million Teile Luft). Inzwischen hat der Mensch durch die Nutzung von Kohle, Ã-l und Erdgas sowie die Vernichtung der tropischen Regenwälder die CO2-Konzentration bereits um mehr als 30 Prozent ansteigen lassen, von 280 auf 370 ppm, und für das Jahr 2100 erwartet das UN-Klimaforschergremium IPCC bei ungebremster Entwicklung 600 bis 700 ppm - Werte, wie sie in der Erdgeschichte zuletzt vor 20 Millionen Jahren herrschten. Der Mensch verursache einen"Kurzschluss" in der Kohlenstoff-Bilanz der Erde, dessen Folgen noch gar nicht absehbar seien, sagte in Berlin der Potsdamer Klimatologe Professor Martin Claußen.
Als Langzeitfolge, freilich über Jahrtausende gerechnet, schließen die Klimaforscher das Verschwinden sämtlicher Eismassen des Planeten nicht mehr aus, verbunden mit einem Anstieg der Meeresspiegel im Hundert-Meter-Bereich. Das wäre dann in der Tat eine andere"Betriebsweise" des Planeten. Alle derzeitigen Küstenzonen wären unbewohnbar.
Für die heute lebenden Menschen und die nächsten Generationen sind solche Klima-Orakel irrelevant. Trotzdem lassen neuere Forschungsergebnisse die Zweifel daran wachsen, ob die ökologischen Leitplanken im ersten"richtigen" Treibhausjahrhundert, dem 21., nicht niedergewalzt werden. Nobelpreisträger Crutzen warnt, dass bei den IPCC-Progosen zur Temperaturentwicklung vermutlich die höheren, dramatischeren Varianten die realistischeren seien. Die UN-Forscher hatten im Report von 2001 einen Anstieg der Erd-Mitteltemperatur um 1,5 bis 5,8 Grad bis 2100 vorausgesagt. Crutzen hält es heute für wahrscheinlich, dass nach der bisher gemessenen Zunahme um 0,6 Grad allein in diesem Jahrhundert weitere drei bis vier Grad auf der Skala hinzukommen.
Grund: Der abkühlende Effekt, den - paradoxerweise - die besonders in Asien virulente Luftverschmutzung auf die Atmosphäre hat (die Aerosolteilchen in der Luft mindern die Sonneneinstrahlung), wird in den nächsten Jahrzehnten zurückgehen. Um die Gesundheit der Menschen und die Umwelt zu schützen, sei eine bessere Luftreinhaltung unumgänglich. Nur: Damit fällt auch die"Maskierung" des zusätzlichen Treibhauseffekts weg und eine wichtige Grenze für die biologischen Systeme wird überschritten - denn die Forscher rechnen damit, dass die Ã-kosysteme sich nur Temperaturerhöhungen bis maximal 0,1 Grad pro Jahrzehnt anpassen können.
Forscher und das Klima-Orakel
Die Frage, ob es unter diesen Bedingungen aber tatsächlich zu einem"Runaway"- Treibhauseffekt kommen kann, wagt keiner der Forscher zu entscheiden - das wäre eine sich durch positive Rückkoppelungen stark aufschaukelnde Entwicklung. Crutzen sieht als reale Gefahr, dass ein Auftauen der Permafrost-Gebiete in Sibirien große Mengen Methan, ein besonders starkes Klimagas, freisetzen wird und damit die Temperaturkurve noch stärker steigt. Doch dann wäre die Theorie von der neuen"Betriebsweise" der Erde gar nicht mehr so spekulativ. Bereits relativ kleine Veränderungen im Wasserregime könnten zum Beispiel die Nordatlantikströmung versiegen lassen, die Europa als Golfstrom-Ausläufer klimatisch prägt. Europa müsste sich plötzlich auf ein abrupt kälteres Klima einstellen, nachdem es vorher die Folgen der Erwärmung zu spüren bekam.
Konferenz-Chef Schellnhuber persönlich glaubt übrigens nicht, dass die Erde wegen eines Klima-GAUs völlig unbewohnbar werden könnte. Trotzdem hat er schon einmal darüber geforscht, ob ein Massenexodus der Menschen auf einen anderen Planeten in unserem oder einem entfernteren Sonnensystem in Zukunft machbar wäre."Machbar vielleicht", sagt er,"aber mit einem Bruchteil der Geldmittel, die man dafür braucht, könnte man die heutige Erde in ein Paradies verwandeln."
<ul> ~ Kurzschluss-Erde</ul>

gesamter Thread: