- wer es verpasst hat (Frontal21): Nebenverdienste der Bundestagsabgeordneten - marocki4, 11.06.2003, 14:42
wer es verpasst hat (Frontal21): Nebenverdienste der Bundestagsabgeordneten
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Ausgezählt
Nebenverdienste der Bundestagsabgeordneten
Sie sitzen in Aufsichtsgremien großer Firmen, haben gut dotierte Beraterverträge oder vertreten - gegen Bezahlung, versteht sich - die Interessen eines Verbandes oder einer Stiftung. Die Mehrheit der Abgeordneten des Bundestages sind längst nicht mehr nur im Namen des Volkes tätig.
von Werner Martin Doyé, Christian Esser, Astrid Randerath, 10.06.2003
Jetzt läuft es also vom Band: Das neue Handbuch des Deutschen Bundestages. Seit dem 10. Juni 2003 ist es offiziell erhältlich. Frontal21 hat schon mal einen Blick darauf geworfen und festgestellt, unsere Abgeordneten sind fleißige Leute.
Denn von unseren 602 Volksvertretern begnügen sich nur 93 damit, einfache Abgeordnete zu sein. Die weitaus meisten übernehmen freiwillig noch weitere Aufgaben. Kann man ein Abgeordnetenmandat nebenbei wahrnehmen?
Wie schafft man das?
Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Burkhard Hirsch:"Es ist ein Fulltime-Job, bei dem Sie mit äußerster Anstrengung noch erreichen können, sich neben dem Mandat eine eigene wirtschaftliche Basis zu erhalten, wenn Sie sie mitbringen. Man kann sie sich nicht erst während des Mandates erarbeiten."
Trotzdem sitzen die meisten Abgeordneten auch noch in Verbänden, Stiftungen und Vereinen. Aber wir finden sie auch in Aufsichts- oder Verwaltungsräten von Konzernen. Oder sie sind durch Beraterverträge und Beteiligungen mit Unternehmen verbunden. Bei 160 Abgeordnete insgesamt ist das der Fall und nur 22 davon geben an, dies ehrenamtlich zu tun. Wie schafft man das? Hat ein Aufsichtsrat so wenig zu tun?
Ein zeitlicher Aufwand
Ganz im Gegenteil meint Jürgen Kurz von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz:"Wenn Sie die Position ernst nehmen, ist es schon ein zeitlicher Aufwand. Sie müssen so ein bis zwei Wochen rechnen, um die Unterlagen, die sie da bekommen, durchzuarbeiten, um auf die Aufsichtsratssitzung auch vernünftig vorbereitet zu sein."
Bei vier Sitzungen im Jahr macht das ein bis zwei Monate - pro Aufsichtsrat. Wie aber machen das jene, die laut Bundestagshandbuch gleich in mehreren dieser Aufsichtsräte sitzen und weitere Firmen beraten?
Wolfgang Bötsch zum Beispiel ist fünfmal im Aufsichtsrat und dreimal Berater. Das macht circa sechs Monate Arbeit. Kollege Rexrodt ist fünfmal im Aufsichtsrat, zweimal im Beirat, einmal im Vorstand und noch einiges mehr. Das macht also noch mehr Arbeit. Und erst Heinz Riesenhuber, da steht siebenmal Aufsichtsrat, dreimal Beirat und einmal Verwaltungsrat. Den Experten zufolge, ist das schon ohne Mandat in einem Jahr kaum zu schaffen.
Eine Frage von Belastbarkeit
Wir haben nachgefragt, wie regeln die das eigentlich zeitlich? Ex-Postminister Bötsch teilt uns daraufhin mit:"Ich schaffe das, weil ich bei der Zeiteinteilung unabhängig bin."
Für Günter Rexrodt ist das eine Frage von Belastbarkeit und Arbeitsstil:"Im Einzelfall hängt die individuelle Belastung auch nicht von der Länge einer Liste von unterschiedlichen Mitgliedschaften, sondern von anderen Kriterien ab."
Und Heinz Riesenhubers Rezept besteht aus Fleiß und guten Absprachen:"In einem Arbeitstag von zwölf bis 14 Stunden kann man ziemlich viel unterbringen. Im Übrigen respektieren die Firmen, mit denen ich arbeite, auch bei der Terminplanung weitgehend meine politischen Verpflichtungen."
Nebenjobs bringen also gutes Geld
Wie schön! Abgeordnete arbeiten gern und hart. Es lohnt sich ja auch.
Kurz:"Bei den großen Unternehmen, also bei den 30 Unternehmen, die im Dax notiert sind, dürfte es so zwischen 60.000 und 70.000 Euro liegen, was bezahlt wird für Aufsichtsräte. Das zeigt auch die Bedeutung eines Aufsichtsrates. Das ist kein Nebenjob, sondern man muss auch dafür was tun. Die Unternehmen bezahlen das nicht ganz für lau, sondern man muss wirklich arbeiten dafür."
Die Nebenjobs bringen also gutes Geld. Aber warum bezahlen Unternehmen Politiker-Aufsichtsräte, die für umfangreiches Akten-Studium gar nicht die Zeit haben?
Kurz:"Ja, Politiker haben natürlich Kontakte. Also Kontakte sind für das Unternehmen ja auch was wert. Wenn ich in die politische Welt, in die politische Klasse Kontakte habe, kann das für das Unternehmen durchaus was bringen."
Hirsch:"Jede Nebentätigkeit beinhaltet natürlich, dass sie in einen Konflikt kommen. Wenn man zwei Herren dient, kann das Konflikte geben. Diese Konflikte steigen, wenn sie eine Nebentätigkeit haben, von der sie eigentlich nichts verstehen und wenn sie eine Nebentätigkeit haben, die ihnen erst während des Mandates angetragen worden ist."
Abgeordnetengesetz wurde verschärft
Nach der Affäre um Rudolf Scharping und seinen PR-Berater Hunzinger wurde das Abgeordnetengesetz deshalb ja auch verschärft. Beraterverträge und Beteiligungen müssen jetzt im Handbuch des Deutschen Bundestages veröffentlicht werden.
Für den Verwaltungswissenschaftler Hans Herbert von Arnim ist das nicht genug:"Das reicht überhaupt nicht aus. Man braucht da nur als Unternehmensberater oder Rechtsanwalt diesen Beruf hinzuschreiben, aber nicht anzugeben, wen man berät, wie viel Geld man bekommt, so dass auch Scheinberaterverträge nicht rauskommen. Zum Beispiel auch nicht der Vertrag, den Kohl, der ehemalige Bundeskanzler, mit dem Medienunternehmen Kirch abgeschlossen hat. Ein Beratervertrag für den er viele hunderttausend jährlich bekommen hat. Das ist nur durch Zufall rausgekommen, nicht durch Publikation im amtlichen Handbuch."
Sachverstand einbringen
Aber sonst wird im amtlichen Handbuch des deutschen Bundestages alles ganz amtlich aufgeführt. Zum Beispiel, dass der CDU-Abgeordnete Rolf Bietmann Aufsichtsratsvorsitzender der GEW Rhein Energie ist. Ein Interessenkonflikt?
Bietmann:"Nein, mit Sicherheit nicht, weil dieses Gesetz, dass wir heute diskutieren und das Thema Erneuerbare Energien ja nicht das Thema für ein Unternehmen ist, sondern für die gesamte Breite der deutschen Energiewirtschaft und ich denke, das es durchaus gut ist, wenn sie auch den Sachverstand aus der konkreten Arbeit der Energiewirtschaft haben, den sie dann hier einbringen können."
"Ein befruchtender Austausch"
Auch der CDU-Abgeordnete Joachim Pfeiffer fordert den Sachverstand einzubringen und geht mit gutem Beispiel voran. Laut Handbuch sitzt er in vier Aufsichtsräten und ist Berater des Oberbürgermeisters von Stuttgart.
Pfeiffer:"Das ist ja nicht nur eine Einbahnstraße. Das ist doch ein gegenseitiger befruchtender Austausch. Da habe ich inhaltlich gar kein Problem. Sie sprechen die Dinge ja an. Es wird ja auch nichts verborgen, in keinster Weise. Es wird ja offen gelegt, wer in welchem Aufsichtsrat ist oder in sonstiger Tätigkeit. Da ist ja auch die Tätigkeit in einem Aufsichtsrat, im übrigen aus meiner Sicht, nichts anderes, als wenn sie in einem karitativen oder sozialen Verein engagiert sind."
Aufsichtsratsmandate und andere karitativ-soziale Nebentätigkeiten sind für die Mehrheit der Abgeordneten völlig okay, wenn sie nur das Bundestagshandbuch ordentlich auflistet.
Der gläserne Abgeordnete
Für Kritiker, wie Anke Martiny von Transparency International dagegen bestenfalls ein Anfang:"Ein erster Schritt ist, dass die Nebentätigkeiten veröffentlicht werden. Ein zweiter Schritt muss sein, dass die Nebeneinkünfte veröffentlicht werden. Und ein dritter Schritt muss sein, wie in den Vereinigten Staaten, dass die gesamte Palette der Einkünfte von Abgeordneten transparent ist und bestimmte Interessenkonflikte dadurch nicht entstehen, dass die Nebentätigkeiten verboten sind."
"Wir brauchen den gläsernen Abgeordneten", fordert auch Arnim."Vor einigen Jahren haben die damaligen Oppositionsparteien, die SPD und die Grünen, einen solchen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht. Das scheiterte am Widerspruch der damaligen Regierung, Union und FDP. Heute haben SPD und Grüne die Mehrheit und könnten das leicht durchsetzen. Warum tun sie es eigentlich nicht?"
<ul> ~ Kwälle</ul>

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