- FTD: Die Ideologen des Kapitals: ratlos - Wal Buchenberg, 13.06.2003, 08:54
- Re: FTD: Die Ideologen des Kapitals: ratlos - CRASH_GURU, 13.06.2003, 09:12
- Re: FTD: Die Ideologen des Kapitals: ratlos - Euklid, 13.06.2003, 09:30
- Re: FTD: Die Ideologen des Kapitals: ratlos - Wal Buchenberg, 13.06.2003, 11:18
- Re: Noch viel ratloser: Die Ideologen des Staates - dottore, 13.06.2003, 16:15
- Re: FTD: Die Ideologen des Kapitals: ratlos - Wal Buchenberg, 13.06.2003, 11:18
- Re: FTD: Die Ideologen des Kapitals: ratlos - Euklid, 13.06.2003, 09:30
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FTD: Die Ideologen des Kapitals: ratlos
-->Die Ideologen des Kapitals: ratlos
Financial Times Deutschland: „... Leute wie George W. Bush... setzen wieder auf Politik - eine ökonomisch heikle Wendung.
Erst hat er seinen Finanzminister rausgeworfen, dann den ersten wirtschaftspolitischen Berater. Der zweite ging kürzlich freiwillig. Nun will George W. Bush sogar, dass das gesamte Gremium des Council of Economic Advisers aus dem Weißen Haus auszieht - ein Umzug mit hoher Symbolkraft: Das Wirtschaftliche scheint dem US-Präsidenten eher zuwider. Und damit liegt er weltweit möglicherweise gut im Trend.
Was vom geopolitischen Schock des 11. September beschleunigt wurde, kommt einer Zeitenwende gleich: die Abkehr vom naiven Glauben der 90er Jahre, dass Ã-konomie und Marktkräfte die Probleme der Welt schon lösen werden. Das Gefährliche ist nur, dass das neue Primat der Politik reichlich chaotisch daherkommt und wirtschaftlich höchst riskant wirkt. Dafür könnte George W. Bush bald zum traurigen Symbol werden.
<font color=red>Das „Primat der Politik“ war immer schon eine Propagandalüge: Bei Stalin ebenso, der diesen Slogan populär machte, wie bei Bush, bei dem nicht die Politik den Vorrang hat, sondern Militär und Krieg. </font>
Enttäuschte Euphorien der Märkte
Noch vor ein paar Jahren gab es US-Regierungen, die als Finanzminister charismatische Wall-Street-Vertraute wie Robert Rubin oder den heutigen Harvard-Präsidenten Larry Summers beschäftigten. Damals schien auch der Vorsatz klar, dass die Politik sich am besten aus (fast) allem heraushält und die Märkte über (fast) alles entscheiden. Und: Was das Primat der Ã-konomie bedeutet, war spätestens seit dem Experiment der französischen Sozialisten von 1982/83 klar. Der Versuch, gegen die Märkte Politik zu machen, endete im Desaster, als die Devisenmärkte den Franc abstürzen ließen - und die Regierung zur Rücknahme jener Versprechen zwangen, mit denen sie immerhin höchst demokratisch gewählt worden waren. Ähnlich erging es später Schweden, Briten und etlichen anderen.
<font color=red>Die Gebetsmühle der neoliberalen Politik: „Politiker sind dumm, der Markt ist klug“ - klingt mit Dauer und Zunahme der gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise immer hohler. Popularität bekam dieses Glaubensbekenntnis von der Allmacht und Weisheit der kapitalistischen Märkte sowieso nur durch den ersten Halbsatz: Dass Politiker dumm sind (oder wenigstens nicht klüger als wir), das ist längst eine Volksweisheit. </font>
(...)
Am Ende glaubten selbst nüchterne Köpfe vor lauter Ã-konomie-Taumel, dass Firmen keine Gewinne machen müssen und Börsenkurse ewig zweistellig wachsen - weil es so unvorstellbar schien, dass die Märkte mit ihrer Euphorie danebenliegen könnten. Der Konjunkturzyklus galt als überwunden - weshalb es auch keine Politik geben bräuchte, die Krisen verhindert oder abfedert.
<font color=red>Was damals (auch von manchen Linken) als „Neue Ã-konomie“ bestaunt wurde, war schon der Beginn der jetzigen kapitalistischen Krise: Durch industrielle Überinvestitionen und dem damit verbundenen Fall der Profitraten, lohnten sich Investitionen in Sachanlagen immer weniger. Das verzweifelt Anlagen suchende Kapital wurde zunehmend in Aktien- und Währungsspekulationen angelegt. Die explodierenden Aktienkurse waren kein Symptom wirtschaftlicher Gesundheit, sondern eine Folge sinkender Profitraten.</font>
Wie stark das Pendel seitdem zurückschlägt, wird erst allmählich erkennbar, und der Wechsel ist nicht allein eine Folge des 11. September 2001, der neue Prioritäten in Sachen Krieg und Sicherheit gebracht hat. Niemand wäre auf die Idee gekommen, den Irak-Krieg deshalb abzublasen, weil er die Weltwirtschaft in eine Rezession hätte stürzen können.
<font color=red>Auch hier liegt die Wahrheit ganz auf der anderen Seite: Die Berater von Bush meinten und meinen, sie könnten die Weltwirtschaft oder mindestens die US-Wirtschaft vor der Krise retten, wenn sie sich gewaltsam den Zugang zu neuen profitversprechenden Anlagesphären schaffen. Tatsächlich beendete erst der zweite Weltkrieg die schlimme Weltwirtschaftskrise von 1929-1939. So wie Pleiten und Bankrotte der unterlegenden Unternehmen für die Siegerunternehmen wachsende Marktanteile und steigende Profite, so bringt ein zerstörtes Land Anlagemöglichkeiten für die Sieger. Der Kapitalismus erkauft sich seine Aufschwungphasen nur durch zunehmende Vernichtung und Zerstörung. </font>
Der Abschied vom Primat der Ã-konomie reicht allerdings noch viel weiter.
Der Glaube der Notenbanken an allzu einfache Regeln wankt, zuletzt räumte selbst Europas eher orthodoxe Zentralbank ein, dass sie das einst als Wundermittel gefeierte Steuern der Geldmenge nicht mehr so schrecklich ernst nimmt. Und Europas Regierungen sind auf bestem Wege, wie schon vor Jahren die USA, den Glauben aufzugeben, dass sich Defizite Jahr für Jahr steuern lassen.
Gescheiterter Musterschüler Argentinien
Mehr noch: Als gescheitert gilt der Washington Consensus - spätestens seit der große Musterschüler Argentinien in eine Krise stürzte und die Dollar-Bindung in höchster Not aufgeben musste. In Brasilien regiert unter dem Respekt der Märkte ein linker Präsident, obwohl die Finanzwelt noch im Wahlkampf höchst allergisch darauf reagierte.
All dies kann erklären, warum das Primat der Ã-konomie in Not geraten ist. Nur ist das noch keine vernünftige Alternative zum alten Dogma: Frankreich pocht auf Steuersenkungen, obwohl das gegen den Stabilitätspakt ist. Italien will EU-Ausgabenprogramme - und Deutschland weiß noch nicht, was es will.
Nur George W. Bush demonstriert ziemlich klar und heikel, was das Primat der Politik bedeutet - wenn er etwa seinen Berater Larry Lindsey deshalb entlässt, weil der ausgerechnet hatte, dass der Irak-Krieg (ökonomisch) teuer werden könnte. Bei Bush gilt auch, dass der Staat selbst dann immer mehr ausgibt und die Steuern rasant zu senken versucht, wenn die Schulden dadurch drastisch steigen und der Dollar abstürzt. In Kürze sollen die Steuern wieder sinken, weil der Präsident darauf setzt, dass die Wirtschaft (anders als 1991 bei Vater Bush) frühzeitig vor den Wahlen 2004 wieder kräftig wächst: Der politische Konjunkturzyklus kehrt zurück.
<font color=red> „Wodurch überwindet die Bourgeoisie Krisen? Einerseits durch die erzwungene Vernichtung einer Masse von Produktivkräften; andererseits durch die Eroberung neuer Märkte und die gründlichere Ausbeutung der alten Märkte. Wodurch also? Dadurch, dass sie allseitigere und gewaltigere Krisen vorbereitet und die Mittel, den Krisen vorzubeugen, vermindert.“ Karl Marx, Kommunistisches Manifest, MEW 4, 468. </font>
Das alte Primat der Ã-konomie mag naiv gewesen sein, jetzt wäre es allerdings gut, ein neues aufzustellen - ob in Sachen Währungssystem, Finanzpolitik, Notenbankstrategie oder nationaler Sicherheit. Das Gros der Ã-konomen hat sich in den vergangenen beiden Jahrzehnten derart viel Mühe gegeben zu erklären, wie überflüssig der Staat ist, dass für das Primat Politik bisher die Anleitung fehlt.
<font color=red>Die Ideologen des Kapitals sind ratlos! </font>
Text in Normal aus: Financial Times Deutschland, 13.6.03
<font color=red>Roter Kommentar: Wal Buchenberg, 13.06.03. </font>

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