- Politmagazine: Zahnlose Maulhelden - Sushicat, 16.06.2003, 22:48
Politmagazine: Zahnlose Maulhelden
-->Zum Verfall der Politmagazine im Fernsehen
Von Martin Hecht
Es gab eine Zeit in Deutschland, da zitterten die Mächtigen der Republik zur besten Sendezeit. Woche für Woche galt es, dem strengen Urteil von Instanzen wie Panorama, Monitor oder Report aus Baden-Baden standzuhalten. Wer ungeschoren davonkam, durfte sich mit einigem Recht in der Gewissheit wiegen, Ämter und Mandat verantwortungsvoll erledigt zu haben. Ein Blick in die Landschaft der heutigen Politmagazine zeigt, dass es nicht mehr gut bestellt ist um die einstigen Flaggschiffe des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.
So befördert der Enthüllungsjournalismus dieser Tage immer häufiger Mageres ans Tageslicht. Wo Panorama einst die Verstrickungen des Franz-Josef Strauss offen legte, macht Kontraste vom SFB heute mit einer auf Beitragslänge ausgedehnten Meldung auf, dass der verunglückte Reisebus von Lyon technisch nicht einwandfrei gewartet war. Wo Report Baden-Baden einst noch die Skandale um die Sicherheit deutscher Atomkraftwerke aufdeckte, berichtet Report München heute in gleicher Ernsthaftigkeit über Sicherheitsmängel in deutschen WM-Stadien.
Nicht Kritik, sondern Reizorientierung ist heute das Kriterium. Aber was bei Hallo Deutschland funktioniert, geht bei Report schief. Beispiel: die Sendung aus Mainz vom 2. Juni. Das Magazin möchte über den Stand der Diskussion über Leistungskürzungen im Gesundheitswesen für ältere Patienten berichten. Der Beitrag gerät zum Faux pas - mit dem Effekt einer gelungenen Panikmache, die losgetreten wird und der noch am Tag der Ausstrahlung die Bild-Zeitung sekundiert. Der Anlass dafür ist weitgehend selbst konstruiert: ein paar belanglose Mediziner wollen darüber nachdenken, älteren Patienten aus Spargründen bestimmte Leistungen vorzuenthalten. Report Mainz meint, deswegen für die Senioren der Republik das letzte Glöcklein läuten zu müssen. Man tut so, als stünde Deutschland gar vor einer neuen"Selektion von wertem und unwertem Leben". Kein einziger Politiker lässt sich auftreiben, der bestätigen würde, dass solche Ansichten auch nur irgendeine Chance zur politischen Umsetzung hätten. Aber das stört niemanden.
Warum ist man auf den Hund gekommen? Gibt es schlicht nichts mehr, was aufzudecken wäre? Wohl kaum. Kirch, Kohl, Möllemann - es gäbe viel zu tun. Oder hat nur das Personal abgebaut? Karrieristen statt Journalisten ohne Sinn für die eigene Aufgabe? Auf jeden Fall hat sich das Ziel des einst investigativen Journalismus gewandelt. Es heißt heute nicht mehr Aufklärung, sondern Quote.
Vor lauter Quote hat die Kritik der Politmagazine völlig die Orientierung verloren. Ein Beispiel, das für viele andere steht: Frontal 21 im ZDF. Der jüngste Vorfall: In einer Mischung aus Besserwisserei und unverhohlener Schadenfreude führte der Beitrag"Falsche Prognosen" nach dem Ende des Irak-Kriegs verschiedene deutsche Politiker vor, die als Kriegsgegner immense Opfer in der Zivilbevölkerung befürchtet hatten. Die Unterstellung lautet, mit"spekulativen Horrorzahlen" von Todesopfern sei Politik gemacht worden. Die gewählte Kritik gilt dabei Einschätzungen, die sich im Nachhinein als irrig erwiesen haben. Das aber ist so unsinnig wie jede Form der Kritik, die hinterher mehr weiß, als man zuvor wissen konnte.
Der neue Populismus verdrängt die zur echten Kritik nötige Gesinnung. Denn der Populismus fordert seine eigenen Themen. Stand im Mittelpunkt der öffentlichen Kritik früher der Politiker, der den Staat missbrauchte, so heute offenbar ein Staat, der von morgens bis abends seine Bürger belügt und betrügt. In den Augen der Boulevard-Kritik scheint die Frage nach der richtigen Politik nur noch auf diejenige nach dem Wohlbefinden des homo oeconomicus geschrumpft zu sein. Das Anbiedern gegenüber dem viel zitierten Otto Normalverbraucher ist denn auch der neue quotensichere Weg, das Befinden des ewig abgezockten Steuerzahlers der Gradmesser der politischen Kritik.
Eine solche Ausrichtung ist bildarm, und der Sensationseffekt bleibt aus. So holt man sich weitere Beiträge in die Sendung: Russenmafia, Neonazis, Verkehrsunfälle. Alles zusammen macht den Report, ein Format, das beim Bemühen um den Spagat zwischen Boulevard und höchster Seriosität, die alle ernste Kritik gebietet, regelmäßig in die Knie, wenn nicht vollends in die Hose geht. Herauskommt eine bizarre Mischung aus Verbrauchermagazin und Aktenzeichen XY ungelöst.
Vielleicht ist es ja ganz gut, dass die Betroffenheitsmasche, wie sie einst im roten Wollpullover von Klaus Bednarz ihren höchsten, textilen Ausdruck fand, passé ist. Aber dafür überhaupt auf eine kritische Gesinnung zu verzichten, das ist der Keim des heutigen Elends. Man hat bei vielen Machern der Politmagazinen - vor allem bei denen im Süden der Republik - den Eindruck, als herrsche keine rechte Idee mehr vor, welche Haltung sie zur politischen Macht in der Gesellschaft einnehmen - und welchen leitenden Werten sie dabei verpflichtet sind.
Gerade bei Report München. Hier verhindert einen wahrhaft kritischen Journalismus ein Berufsethos, das einen Sinn für Kritik nicht etwa in ihr selbst sieht, sondern nur in ihrer Funktion als Instrument, das außerhalb ihrer liegenden Zwecken dient: nämlich ausgerechnet der konservativen Gesinnung die Stange und ihr alle unliebsamen Kritiker vom Hals zu halten. In den Redaktionsräumen von Andreas Bönte und seinem Oberen Siegmund Gottlieb weht denn auch ein selten unfreier Geist vorauseilenden Gehorsams, Vasallentreue zu Person und Glaubenslehre ihres bayerischen Landesvaters. Und so ist es dort der blanke Opportunismus, den man ins Gewand der Kritik kleidet: gespeist von einer Weltanschauung, die nur die eine politische Richtung für moralisch legitim erachtet. Mit merkwürdigem Effekt: die altdeutsch-stramme Siegelringgesinnung verschafft sich dort unbeeindruckt von den Zeitläuften in Ornamentik und Tenor linkskritischer Agitation Gehör - ohne freilich ihren apologetischen Grundcharakter abzulegen. Die Macher der Sendung schlagen ihre Schlacht ausgerechnet mit den Waffen der Linken - werfen sich indes umso todesmutiger in die Schusslinie, wagt es jemand, ihre politischen Ziehväter zu provozieren. Zu Zeiten der Ära Kohl hielt man diesen die rot-grüne Opposition vom Leib, jetzt wo es gilt, die rot-grüne Regierung zu attackieren, tut man so, als sei das ganz selbstverständlich Geschäft jeglichen politischen Journalismus.
Aber wie so oft im Fernsehen, wie beim Musikantenstadl so nun auch im Politmagazin: Inhaltliche Defizite werden immer öfter durch die Betonung der Form wettzumachen versucht. So folgen"investigative" Filmberichte inzwischen einem eigenartig zugespitzten Jargon der Eigentlichkeit. Immer schonungsloser wird in die Trickkiste der Fernsehtechnik gegriffen und mit allerlei optischem Firlefanz hantiert, damit die Wahrheit ja nur erscheine, als sei sie unter Einsatz des eigenen Lebens aus den Höhlen der Löwen geholt worden. Prophylaktisch greift man allzu gerne auf die versteckte Kamera zurück - zur Not auch noch bei der offiziellen Pressekonferenz. Beliebt sind graphisch verfremdete Schriftstücke, bei denen irgendein Paragraf farblich abgesetzt wird. Und alle Bilder sind verwackelt. Subtext: Lebensbedrohungsästhetik. In der Nachbearbeitung untermalt mit Klängen von der CD"Gefahr bei Nacht" aus dem Schallarchiv. Die Bilder stehen für das Authentische, das im Grunde jeder Stilisierung spottet - paradoxerweise gerade deswegen aber immer öfter inszeniert wird. Stimmenverzerrung und das verpixelte Bild steigern nachweislich die Einschaltquoten - und so wird verfremdet und eingetrübt, bis am Ende selbst noch der Brötchen-Einkauf zur konspirativen Aktion gerät.
"Gegenüber unserem Reporter war man zu keiner Stellungsnahme bereit." Solche Sätze waren früher Momente höchsten Gruselns. Sie symbolisierten das Einschüchterungspotenzial, das von den Politmagazinen einmal ausging. Politiker fürchteten sie und tauchten ab. Wenn Moderatoren heute den gleichen Satz bemühen, dann wohl um unbewusst diesen Effekt zu beschwören. Und doch hat er dann eine ganz andere Bedeutung. Was von den Politmagazinen von übrig geblieben ist, halten viele der Mächtigen der Republik inzwischen für zu unbedeutend, als dass sie sich auch nur fünf Minuten für ein Statement nehmen würden.
<ul> ~ Quelle</ul>

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