- Moderne Märkte, moderne Korruption - Stephan, 20.06.2003, 22:37
Moderne Märkte, moderne Korruption
--><h3>Strukturwandel des Marktes (I)</h3>
jungeWelt / Werner Rügemer, 20.06.2003
Der »Markt« funktioniert nirgends nach der Lehrbuchdoktrin vom »freien Spiel der Kräfte«. Neben die selektive Staatsgewalt und den Einsatz militärischer Mittel tritt die Korruption. Sie gehört zum Instrumentarium der »unsichtbaren Hand« der »Marktwirtschaft« in den Kapitaldemokratien. Die gegenwärtige neoliberale Phase treibt zu einer bisher beispiellosen Entfesselung der Korruption- in ihren traditionellen und vor allem in »modernisierten« Formen.
Das »System Elf«
Das Verfahren mit 37 Angeklagten hat am 17. März 2003 begonnen und soll vier Monate dauern. Angeklagt sind der ehemalige Vorstandsvorsitzende von Elf Aquitaine, Le Floch-Prigent, weitere Vorstandsmitglieder, ehemalige Minister, Staatssekretäre, Mitglieder von Parteivorständen, hochrangige Geschäftsleute. Sie sind heute meist als Unternehmensberater tätig. Sie waren oder sind Mitglieder der politisch-wirtschaftlichen Elite, sie nennen vor Gericht ihre Orden und staatlichen Auszeichnungen, darunter die Légion d’honneur. Als aktuelle Wohnsitze geben sie Monaco, Paris, London, Zürich und Moskau an. Ihre insgesamt 80 Anwälte gehören zu den teuersten Frankreichs.
Die Eckdaten stehen bereits fest. Aus »schwarzen Kassen« des Konzerns wurden jahrzehntelang verdeckte Zahlungen geleistet. Sie flossen einmal an Politiker und Beamte der Staaten, in denen es für Elf um Ã-lförderrechte oder andere Geschäfte im Zusammenhang mit Erdöl ging. Dauerempfänger von Millionenzahlungen waren etwa der Präsident von Gabun, Albert-Bernard Bongo, sowie die Präsidenten Denis N’Guesso (Kongo-Brazzaville) und Paul Biya (Kamerun). Eine zweite Empfängergruppe waren führende Politiker der Regierungsparteien daheim in Frankreich, darunter Kollegen des gegenwärtigen Staatspräsidenten Jacques Chirac.
Die Zahl der Geber, Empfänger, mitverdienenden Vermittler und ihrer Helfer beträgt mehrere hundert. Die Gesamtsumme der für das Verfahren herangezogenen Zahlungen liegt bei 430 Millionen Euro. Tatsächlich wurde weit mehr gezahlt. Wegen der Verjährungsfristen und der Ermittlungsbedingungen geht es im Prozeß nur um die Jahre 1990 bis 1995. Darüber hinaus wurden mehrere Teilkomplexe ganz ausgeklammert, so die 35 Millionen Euro, die von Elf für den günstigen Kauf der ostdeutschen Minol-Tankstellen und des Chemiekomplexes Leuna in Sachsen-Anhalt »in Richtung« deutscher Parteien gezahlt wurden, wo die Endempfänger aber bis heute unbekannt geblieben sind.
Zum »System Elf« gehört die verdeckte Lenkung der Geldflüsse. Die dem Vorstand zugeordneten Berater Alfred Sirven und André Tarallo hatten die Verwaltung der schwarzen Kassen unter sich. Sie wurden in mehreren Briefkastenfirmen in der Schweiz bewirtschaftet. Für den Empfang der Schmiergelder unterhielten afrikanische Staatschefs ebenso wie französische Parteien in der Schweiz ebenfalls Briefkastenfirmen. Zum »System Elf« gehört weiter die Selbstbereicherung des Topmanagements. Die Zahlungen gingen nicht vollständig an die Endempfänger. Einen Anteil in zweistelliger Millionenhöhe behielten Topmanager und Berater für sich. Beim »System Elf« wird beispielhaft deutlich, daß eine große Zahl hochrangiger Akteure, Förderer und Mitwisser erforderlich ist. Die Wirtschaftsprüfer gründeten Briefkastenfirmen in Finanzoasen, die Buchführer des Konzerns sorgten durch Scheinrechnungen dafür, daß die schwarzen Kassen gefüllt wurden. Vom Finanzamt wurden die »Bonuszahlungen« oder »vorgezogenen Anerkennungszahlungen« als steuerbegünstigt anerkannt.
Damit erreichte der Konzern, daß er Ã-l zu so günstigen Konditionen erhielt, wie es im öffentlichen Wettbewerb nicht möglich gewesen wäre. Französische Politiker deckten die Praktiken und sorgten durch ihre Komplizenschaft für die »richtige« Besetzung der Posten im Topmanagement. Elf erlangte durch die dauerhafte Abhängigkeit von Politikern und Beamten einen Extraprofit. Auf der anderen Seite trug der Staatskonzern zur Unterhöhlung und Zerstörung von Demokratie in mehreren afrikanischen Staaten bei, aber auch in Deutschland, in der Schweiz und vor allem in Frankreich selbst: Hier bildete sich zwischen der Unternehmensspitze und den Staats- und Parteispitzen ein ebenso elitärer wie parasitärer und geheimdienstgeschützter »Staat im Staate« heraus.
Das Gerichtsverfahren um den ehemaligen französischen Staatskonzern Elf Aquitaine ermöglicht gegenwärtig einen tiefen Einblick in Tradition und Strukturen globaler Korruption. Es ist das umfangreichste gerichtliche Korruptionsverfahren, das je in einem Staat der »westlichen Wertegemeinschaft« stattgefunden hat. Staatsanwälte und Kriminalbeamte haben ein Jahrzehnt aufwendig ermittelt, sie waren Intrigen ausgesetzt und konnten nur unter Polizeischutz ihrer Arbeit nachgehen. Die Unterlagen kamen auch durch Amtshilfe aus anderen Ländern zusammen, so aus der Schweiz, aus Monaco, Italien, Luxemburg und aus afrikanischen Staaten. Die Empfänger im Ausland stehen nicht vor Gericht.
Elf konnte sich darauf berufen, daß man zu solchem Verhalten gezwungen gewesen sei, da die internationalen Konkurrenten genauso vorgegangen sei. Die Vorratshaltung von schwarzen Kassen in spezialisierten Tochterfirmen, die Einschaltung von Geheimdiensten, die Nutzung von Finanzoasen, der Einsatz von Beratern und Vermittlern, die parteiübergreifende Bestechung von Politikern im In- und Ausland - solche Systeme sind seit Jahrzehnten im internationalen Geschäftsverkehr üblich. Korruption ist nicht zufälligen, sondern systemimmanten Charakters.
Dies wurde, um zunächst in Frankreich zu bleiben, bei Gerichtsverfahren gegen den größten Baukonzern der Welt, Bouygues, bestätigt. Bouygues zahlte beispielsweise 900 Millionen US-Dollar für den Sechs-Milliarden-Dollar-Auftrag zum Bau der Universität Riad (Saudi-Arabien). Aber es muß nicht immer Bargeld sein: Nachdem Bouygues Anteile am größten französischen TV-Sender erworben hatte, erhielt die Tochterfirma SAUR des Baukonzerns als Gegenleistung für eine Gefälligkeitsreportage im Fernsehen die Lizenz zum Betreiben von Wasseranlagen in Elfenbeinküste. Präsident Félix Houphouet-Boigny hatte sich dankbar gezeigt. Für eine Sendung voller Lobeshymnen über König Hassan von Marokko erhielt die Tochterfirma Bouygues Bâtiment den Auftrag für den Flughafen von Agadir. Moderne Zeiten, moderne Mittel.
Bestechung in der Heimat
Deutsche Konzerne, die international wegen Korruption auffällig geworden sind, werden auch in Deutschland auffällig. Das gilt etwa für Siemens. Ob Griechenland, Uruguay, Südkorea oder Singapur: Siemens ist dabei, aber nicht nur in der Ferne, sondern auch in der Heimat. Ein Großverfahren gegen fünf Siemens-Manager wegen Bestechung für einen Klärwerksauftrag in München machte deutlich, daß hier mit denselben Methoden gearbeitet wird wie in Entwicklungsländern: Einschaltung eines externen Vermittlers, verdeckter Geldfluß über eine Finanzoase, Einrichtung eines Nummernkontos für den Empfänger in der Schweiz, Falschdeklarierung der Schmiergeldzahlung, Überhöhung des Auftragspreises. Die hochrangigen Manager, die zu Gefängnis- und Geldstrafen verurteilt wurden, zeigten kein Schuldbewußtsein. Das Unternehmen Siemens übernahm alle Anwaltskosten und gewährte den Verurteilten während ihres Gefängnisaufenthalts nicht nur ihr reguläres Gehalt, sondern auch die ihnen sonst zustehenden Gehaltserhöhungen.
Korruption ist in den deutschen Kommunen traditionell tief verankert. Das zeigt sich bei den wiederkehrenden Bauskandalen, zuletzt in größerem Ausmaß beim Bau von Müllverbrennungsanlagen in Köln, Böblingen, Hamburg, Pirmasens. Hier verhielt sich etwa der Generalunternehmer L+C Steinmüller in Deutschland wie in Südafrika. Dort hatte die Firma zusammen mit anderen deutschen Unternehmen wie Deutsche Bank und Daimler jahrelang die Apartheidpartei »National Party« heimlich finanziert, um an Aufträge für den Bau von Bergwerksanlagen zu kommen. In Köln und weiteren deutschen Städten zahlte Steinmüller an örtliche Politiker und Beamte, um den Auftrag für die Müllverbrennungsanlagen zu erhalten. In Köln steckten im Schmiergeldtopf, der juristisch seinen Standort in der Schweiz hatte, 15 Millionen Euro, die an ein knappes Dutzend Empfänger ausgezahlt wurden. Der reguläre kommunale Entscheidungsprozeß wurde beim Bau der Müllöfen ausgehebelt. Der Preis der Kölner Anlage stieg zugunsten des Bestechers weit über den Marktpreis, die Anlage wurde heimlich viel größer gebaut als genehmigt, die Müllgebühren stiegen nach der Fertigstellung stark an. Ein europaweiter, bis nach Neapel reichender Mülltourismus wurde in Gang gesetzt, um die überdimensionierte Kölner Anlage und die Auftragsbücher des privaten Betreibers zu füllen.
Noch wird in Deutschland der »Herzklappenskandal« gerichtlich abgearbeitet. Die zwei US-amerikanischen Hersteller medizinischer Geräte, St. Jude Medical und Medtronic, hatten Ärzte mit Hilfe verschiedener Vorteilsgaben dazu gebracht, Herzklappen und anderes Material der Herzchirurgie exklusiv bei diesen Firmen einzukaufen, und zwar zu Preisen, die bis zu 100 Prozent überteuert waren. Für jede einzelne Herzklappe erhielten die Ärzte einen »Erfolgsbonus« von einigen hundert Euro. Entsprechend dem Klischee »Italien ist ein korruptes Land« müßte man nun sagen: »Deutschland ist ein korruptes Land«. Dies wäre zwar genauso wenig falsch wie im Falle Italiens, aber man müßte dann auch sagen: »Die USA sind ein korruptes Land«, denn von dort operierten in diesem Fall die Bestecher. Die Annahme, es gebe bestimmte Länder, die besonders korrupt wären, ergibt angesichts global tätiger Schmiergeldzahler keinen Sinn.
Legalisierte Korruption
Die modernen bürgerlichen Kapitaldemokratien haben in ihren Aufstiegsphasen Korruption strafrechtlich inkriminiert. Dabei ging es vor allem um das Schutzgut »Ansehen des Staates«. Deshalb wurde vor allem der »Staatsdiener« unter Strafe gestellt, wenn er gegen Vorteilsgewährung staatliche Vorschriften und Gesetze verletzte. So wurde es auch im Bürgerlichen Gesetzbuch des Deutschen Reiches Ende des 19. Jahrhunderts geregelt und gilt im wesentlichen bis heute.
Aber schon nach dem Ersten Weltkrieg gingen die »entwickelten« Industriestaaten dazu über, die von den Unternehmen gezahlten Schmiergelder steuerlich zu fördern. Korruptionsleistungen zur Geschäfts- und Vertragsanbahnung wurden als »nützliche Ausgaben« betrachtet und als steuermindernde Betriebsausgaben anerkannt. In Deutschland geschah dies im ersten Jahressteuergesetz 1934 des Naziregimes, das mit dem Programm der konsequenten Korruptionsbekämpfung angetreten war. Die professionelle Unternehmenskorruption gehörte damit zu den »Modernisierungen«, die in Deutschland vom Naziregime durchgesetzt wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden solche Praktiken in der Exportwirtschaft der BRDebenso wie im eigenen Land fortgeführt und normalisiert. Auch die geheime finanzielle Ausstattung der »wirtschaftsfreundlichen« Parteien CDU, CSU und FDP durch den Bundesverband der Deutschen Industrie und durch Hunderte von Unternehmen wurde über Finanzoasen organisiert. Etwa 220 Millionen DM flossen auf diesen Wegen straflos in die Kassen staatstragender Parteien.
So entstand eine widersprüchliche Situation. Einerseits wurde die Schmiergeldzahlung eines Unternehmens an einen Beamten staatlich gefördert. Andererseits machte sich der Beamte wegen Bestechlichkeit strafbar. Bei dieser konfligierenden Wertsetzung setzte sich jedoch unter der Hand die Seite der »Wirtschaftsförderung« immer stärker durch. Und dies um so mehr, je weiter sich die neoliberale Auffassung durchsetzte, daß auch der Staat und staatliche Behörden sich selbst als Unternehmen, ja als »profit center« zu verstehen hätten. Dies hat zur Folge, daß einerseits die strafrechtliche Definition und Verfolgung auf einem nostalgisch-anachronistischen Stand verbleibt, der sich in Deutschland vor allem in den Strafrechtsparagraphen 331 bis 334 manifestiert. Andererseits wurde Korruption so modernisiert, daß die meisten wichtigen Korruptionsformen heute nicht unter Strafe stehen. Sie sind als »legalisierte Korruption« zu bezeichnen.
Dazu zählen die heute vorherrschenden Formen, mit deren Hilfe Unternehmen Politiker und Staatsdiener in Abhängigkeiten bringen. Dabei herrscht nicht mehr das alte Prinzip, daß auf einen gewährten Vorteil (Bargeld, geldwerte Leistung) unmittelbar die vereinbarte Gegenleistung folgt (etwa ein staatlicher Auftrag). Vielmehr handelt es sich um eine langfristige Netzwerkbildung, bei der Leistung und Gegenleistung zeitlich und operativ entzerrt werden: Unbefristete Beraterverträge mit regelmäßigen monatlichen Zahlungen, Mitgliedschaften in Aufsichtsräten und Arbeitsverträge ohne entsprechende Arbeitsleistung. Wenn, wie es sich bei den Müllverbrennungsanlagen in Deutschland herausstellte, Landtagsabgeordnete »nebenbei« einen hochbezahlten Geschäftsführerposten bei einem Tochterunternehmen des privaten Betreibers erhalten, hier der Entsorgungsfirma Trienekens/RWE, dann ist dies nicht strafbar.
Dasselbe gilt für die ausgeweiteten Formen der Selbstbereicherung des Topmanagements (Aktienoptionen, Halteprämien, goldener Handschlag u.ä.). Exzessive Formen hat diese gegenseitige Selbstbevorteilung bei Unternehmensfusionen angenommen: Die Zustimmung des Topmanagements des Übernahmekandidaten wird durch umfangreiche Zahlungen erkauft. Sie sind selbst zu einer wesentlichen Triebfeder für Unternehmensfusionen geworden. Bei der Übernahme der Mannesmann AG durch den englischen Konzern Vodafone wurde die Zustimmung durch Zahlungen in der Gesamthöhe von 125 Millionen Euro an zwei Dutzend Mitglieder von Aufsichtsrat, Vorstand und an weitere Topmanager befördert. Mannesmann-Aufsichtsratsmitglied Josef Ackermann, zugleich Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank, der die Zahlungen mit bewilligt hatte, verteidigte sie mit der Begründung, sie seien üblich und im internationalen Vergleich ohnehin noch ziemlich niedrig. Mit dieser Feststellung hat der gewichtigste Bankier der Bundesrepublik Deutschland gewiß nicht unrecht. Es trifft auch zu, daß in keinem Staat der westlichen Wertegemeinschaft solche Zahlungen strafbar sind. Die deutschen Staatsanwälte, die aufgrund des politischen Protests in diesem herausgehobenen Fall (andere vergleichbare Fälle wurden justitiell nicht aufgegriffen) eine Anklage formulierten, mußten sich mit dem Gummi-Straftatbestand der »Untreue« behelfen.
Ebenfalls in Deutschland wurde die Maklerfirma für politische Beziehungen, Hunzinger AG, auffällig. Sie finanziert Bücher von Politikern, vermittelt Politiker als Redner an Unternehmen und als Gesprächspartner an Manager, organisiert »Parlamentarische Abende«, vergibt günstige Privatkredite an Abgeordnete, richtete für den damaligen Verteidigungsminister Scharping ein Geldanlagekonto zu ungewöhnlich günstigen Bedingungen bei der einschlägig bekannten Privatbank Oppenheim ein, spendete selbst an alle Bundestagsparteien, vermarktete Ministerreisen in Krisengebiete wie das Kosovo. Zusätzlich unterhält die Agentur ein politisches Meinungsforschungsinstitut und bindet auch Gewerkschaftsvertreter in Aufsichtsrat und Teilhaberschaften ein. So werden Politiker verschiedener Parteien, Topmanager und andere Angehörige der Elite in ein undurchschaubares Geflecht eingebunden, das verdeckte Vorteile verschafft und verdeckte Abhängigkeiten erzeugt, die mit dem veralteten Strafrecht - und auch mit den parlamentarischen Kontrollregularien - nicht erfaßbar sind, offensichtlich auch nicht erfaßbar sein sollen.
Gruß
Stephan
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