- Ehrenrettung des Kapitalismus? - Stephan, 22.06.2003, 23:50
Ehrenrettung des Kapitalismus?
--><h3>Strukturwandel des Marktes (III)</h3>
JungeWelt / Werner Rügemer, 23.06.2003
Im letzten Jahrzehnt ist die öffentliche Aufmerksamkeit für Korruption gewachsen. Die Antikorruptionsorganisation »Transparency International« (TI), 1993 gegründet, agiert heute in 87 Staaten. Selbst Ex-BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel ist zu einem großen Kämpfer gegen die Korruption geworden. Vieles aber erweist sich als Wiederholung alter Klischees im neuen Gewand.
Die wichtigste Maßnahme gegen die globale Korruption war seinerzeit - zumindest auf Regierungsebene - der Foreign Corrupt Practices Act (FCPA) von 1977. Dieses Gesetz zur Bekämpfung der Bestechung durch US-Unternehmen im Ausland war die Antwort des US-Kongresses auf den »Lockheed-Skandal«. In den Jahren danach wurden ungefähr ein halbes Hundert US-Unternehmen wegen bekanntgewordener Bestechung - unter anderem in Deutschland, Israel und Ägypten - bestraft, darunter wiederholt auch Lockheed. Da die USA mit ihrem Gesetz aber alleine blieben, wurde es abgeschwächt, mit Ausnahmen versehen und schließlich nicht mehr angewandt. US-Handelsminister Ron Brown legte 1995 eine Studie vor, in der die Benachteiligung der US-Firmen gegenüber ihren Konkurrenten wie Siemens, Alstom und Airbus dargestellt wurde, die straflos an Bestechungspraktiken festhalten konnten.
Moral statt Kritik
Dies war der Ausgangspunkt für eine neue Entwicklung: Die in der OECD vertretenen 29 Industriestaaten einigten sich 1997 auf zwei internationale Konventionen: 1. Verbot der steuerlichen Begünstigung von Schmiergeldern und 2. Strafbarkeit der Bestechung ausländischer Amtsträger. Die Konventionen wurden in den meisten Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt, auch in Deutschland, nicht allerdings in den Finanzoasen Schweiz und Luxemburg. Freilich ist auch hierzulande von der Umsetzung der Vorschriften in den Unternehmen, Finanzämtern, Staatsanwaltschaften und Gerichten nicht viel zu spüren. Die neuen Gesetze werden im wesentlichen als Pflichtübung angesehen. Die Bevölkerung hat kaum Kenntnis von der neuen Rechtslage.
Die neue Gesetzeslage wird von einer Konjunktur »neuer Ethiken« begleitet. Zahlreiche Vereinigungen und Lehrstühle für »Wirtschaftsethik« wurden eingerichtet. Viele Konzerne haben »codes of conduct«, also unternehmensinterne Verhaltensregeln, verabschiedet. Dies sind Selbstverpflichtungen, die von niemandem als den Betreffenden selbst überprüft werden. Die Formulierungen sind so abstrakt wie diffus. Zudem läge die ethische Lösung des Problems nicht darin, daß gesonderte Wirtschafts- und Unternehmensethiken produziert werden, sondern daß die Wirtschaftsakteure sich den sonst geltenden demokratischen Standards unterwerfen und keine Sonderrolle beanspruchen. Schon eine korrekte Buchführung brächte mehr als neue Ethiken. Vor allem aber müßten nun Finanzämter und Staatsanwälte auf der Grundlage der neuen Gesetze aktiv werden - das ist bisher nicht der Fall.
Die Motivation für die neuen Wirtschaftsethiken wird am Beispiel des ehemaligen Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Hans-Olaf Henkel, deutlich. Er bezeichnet die Korruption als »einen der fleißigsten Totengräber der Freiheit«. Er plädiert dafür, daß neben den Bestochenen auch die Bestecher bestraft werden. Er wettert aber nur gegen »die Führungsschicht der armen Länder, die durch ihre Bestechungsanfälligkeit ihre Völker im Elend hält«, denn diese Führungsschicht würde »ihren Bürgern mehr Schaden zufügen als je ein realer oder eingebildeter Großkapitalist«. Daß das Schmiergeld für die »Anfälligen« vom zweiten Beteiligten der korruptiven Gemeinschaft kommt, also jenem »Großkapitalisten«, und daß dieser auch im eigenen reichen Staat und in den deutschen Städten Politiker und Beamte besticht und auch hier die Einwohner schädigt - das blendet Henkel aus. Er rettet das alte Klischee, und die globalen Schmiergeldzahler der Industriestaaten werden als schuldlos hingestellt.
Henkel beruft sich bei seiner Polemik gegen die Führungsschicht der armen Länder auf den »Korruptionsindex« von Transparency International (TI). TI wurde 1993 von einem ehemaligen Weltbankdirektor gegründet und ist rasch gewachsen. Das zeugt von jener höheren Sensibilität gegenüber dem lange tabuisierten Problem der Korruption. Die Organisation ist mit dem Anspruch angetreten, das jahrzehntelang vorherrschende Klischee von den »korrupten Entwicklungsländern« zu überwinden. TI vor allem ist es zu verdanken, daß die OECD die beiden genannten Konventionen verabschiedet und in den wichtigsten Industriestaaten eine Welle von Antikorruptionsgesetzen in Gang gesetzt hat. In weiteren internationalen Gremien - wie der UNO, der Weltbank, dem Europarat und der EU - hat TI einen geachteten Konsultativstatus erworben. Dabei half die prominente TI-Mitgliedschaft ehemaliger Staatsoberhäupter, Generalstaatsanwälte und Unternehmenschefs. Freilich ist mit diesem Aufstieg und der Anerkennung ein Verlust an Glaubwürdigkeit verbunden. Darin spiegelt sich ein Dilemma, das auch andere Nichtregierungsorganisationen (englisch NGO) haben und dem gewiß nur schwer zu entkommen ist.
TI möchte einen vertraulichen Dialog mit den Unternehmen und der Unternehmenslobby pflegen. Unternehmen werden als Fördermitglieder der Organisation gern gesehen. Das hat bereits nach wenigen Jahren dazu geführt, daß unter der Hand eine weitgehende Interessenidentität entstanden ist, die den Zielen der Organisation widerspricht. Der jährlich veröffentlichte Korruptionsindex gibt die Perspektive der Schmiergeldzahler wieder: Er beruht auf einer Befragung westlicher, d.h. vor allem US-amerikanischer Geschäftsleute, in welchen Staaten sie der Korruption begegnen. Für einen wissenschaftlich begründeten Korruptionsindex müßten zumindest auch die Bestochenen befragt werden, darüber hinaus Staatsanwälte, Bürgerinitiativen und andere - das aber unterbleibt.
Da ist zum Beispiel Enron. TI hatte die Firma bei ihrem Aufstieg zum Weltkonzern als Sponsor umworben. Enron trat als Fördermitglied ein und spendete in den Jahren 1995 bis 1999 jeweils 10000 Dollar an die US-Sektion von TI. Ein großer Teil der korruptiven Spendenpraxis von Enron hinsichtlich des Bush-Clans und der politischen Landschaft in Washington war damals bereits bekannt, wurde aber von TI nicht kritisiert. Auch dann nicht, als das ganze Ausmaß der Korruption bekanntwurde. Dies war spätestens nach dem Konkurs von Enron Ende 2001 der Fall. TI aber ging in der Ã-ffentlichkeit nicht auf das Verhalten seines Fördermitglieds ein. Vielmehr gab die US-Sektion im Juli 2002 eine Erklärung heraus, in der lediglich bedauert wird, daß der »Skandal« um Enron und dessen Wirtschaftsprüfer Andersen die »Glaubwürdigkeit der USA im Ausland« und die »Führerschaft der USA geschwächt« habe. Auch die Bestechungspraktiken Enrons und der CIA in Afghanistan thematisiert die NGO nicht. Kein Wunder, gehört doch auch der Erdölkonzern Unocal zu den Fördermitgliedern. TI bindet sich an das nationalistische Kriterium der »Glaubwürdigkeit« und »Führerschaft der USA«. Gegenüber den eigenen erklärten Zielen ist das verräterisch.
Sinn der Selbstkontrolle
Als eine Konsequenz aus dem Enron-Skandal forderte TI, daß Unternehmen freiwillige Antikorruptionsprogramme etablieren sollten. Daß Enron selbst schon ein solches Programm eingerichtet hatte, und zwar mit Hilfe von TI, und es als aufwendig gedrucktes Handbuch an die Mitarbeiter verteilen ließ - dies blieb unerwähnt. Es hatte wohl nicht viel geholfen. Als weitere Konsequenz forderte TI eine »bessere Anwendung« der General Accepted Accounting Principles (GAAP), also der in den USA geltenden Bilanzregeln. Doch wollte man etwas gegen Korruption in der Unternehmens- und Finanzwelt tun, dann müßten zunächst die sogenannten Deregulierungen zurückgenommen werden, die während der 90er Jahre unter dem Stichwort »kreative Buchführung« durch die Wirtschaftsprüfer in die GAAP eingeführt wurden. Sie sind der wesentliche rechtliche Rahmen für die Bilanzmanipulationen und die Selbstbedienung des Managements bei Enron, Andersen und Co. Zudem sind die Wirtschaftsprüfer in allen westlichen Staaten über die Schweigepflicht gesetzlich und finanziell so eng an das beauftragende Unternehmen gebunden, daß die buchhalterische Mitgestaltung korruptiver Geldflüsse zu ihren Aufgaben gehört, so zum Beispiel auch die Gründung geeigneter Briefkastengesellschaften in Finanzoasen, wie bei Enron, Elf Aquitaine und L+C Steinmüller geschehen. Es gibt keine Korruption und keine größere Bilanzmanipulation der letzten Jahre, auch nicht in Deutschland (Holzmann, Flowtex, Comroad und viele andere), die nicht durch eines der »renommierten« Wirtschaftsprüferunternehmen mitgestaltet und jeweils bis knapp vor dem Konkurs als ordnungsgemäß testiert worden wäre. Dennoch gehören die führenden Unternehmen KPMG, Price Waterhouse Coopers und Ernst & Young ohne jegliche Problematisierung zu den langjährigen Fördermitgliedern von TI.
Eine ähnliche Selbstblendung zeigt sich beim Problem der Geldwäsche. TI hat bemerkt, daß Korruption und Geldwäsche eng miteinander verbunden sind. Deshalb traf TI im Oktober 2000 mit zwölf führenden Weltbanken eine Vereinbarung gegen Geldwäsche. Zu den in der sogenannten »Wolfsberg-Gruppe« zusammengefaßen Banken gehören ABN-AMRO, Banco Santander, Barclays, Citigroup, Credit Suisse Group, Deutsche Bank, Goldman Sachs, HSBC, JP Morgan Chase, Société Générale, Bank of Tokyo-Mitsubishi und UBS. Die Nutzung des Bankensystems für kriminelle Zwecke und für Terroristen soll unmöglich gemacht werden, Banken sollen nur solche Kunden akzeptieren, bei denen die Herkunft von Geld, Vermögen und sonstigen Werten »vernünftigerweise als legitim betrachtet werden kann«.
Deshalb ist in der Vereinbarung festgelegt, daß keine Beziehungen zu »Briefkastenbanken« aufgenommen werden sollen. Freilich wird eine Ausnahme gemacht, wenn die Briefkastenbank eine »regulierte Tochtergesellschaft« einer regulären Bank ist. Dies kommt den großen Banken entgegen, die heute die Offshore-Bankparadiese extensiv nutzen. So hat allein die Deutsche Bank 350 Tochtergesellschaften auf den Cayman Islands. In der Vereinbarung wird weiter die sorgfältige Prüfung der »Korrespondenzbanken« festgelegt. Wenn nämlich eine Bank in einem anderen Staat keine eigene Filiale hat, kann sie zu einer dortigen Bank eine Korrespondenzbeziehung unterhalten und auf diese Weise Transfers abwickeln. Die Antigeldwäschekommission des US-Senats hat in Hearings und Gutachten dargestellt, wie schon durch Kreditkarten regulärer US-Banken der Zugang zu gewaschenen Geldern von Korrespondenzbanken möglich ist. Dieses Problem wird in der »Wolfsberg-Erklärung« ausgespart. Zudem ermöglichen es die internationalen Clearing-Institutionen für grenzüberschreitende Wertpapier-Transaktionen wie Clearstream (Luxemburg) und Euroclear (Brüssel), daß nichtregulierte Briefkastenbanken Beziehungen zu »regulären« Banken und Unternehmen unterhalten. In den Verwaltungsräten von Clearstream und Euroclear sitzen aber auch die Banken der Wolfsberg-Gruppe und brechen damit täglich ihre mit TI geschlossene Vereinbarung.
Schließlich wird der heute entscheidende Teil der Geldwäsche von den Großbanken selbst durchgeführt. Auch dies ist »legal«. Es geschieht vor allem mit Hilfe von Finanzderivaten, die staatlich weder kontrolliert noch dokumentiert werden und auch keine personenbezogene Erfassung von Eigentümern erfordern, wie sie in der Wolfsberg-Vereinbarung gefordert wird. Die Verantwortlichen von TI kleben an einem anachronistischen Bild der Geldwäsche, das von Banken unterstützt wird. Ob es sich hinsichtlich der kritiklosen Haltung gegenüber den modernsten und entscheidenden Formen der Geldwäsche bei TI um banktechnische Inkompetenz, naives Vertrauen oder um bewußte Verschleierung handelt, ist nicht ersichtlich, letztlich auch unerheblich.
Umsetzungsmängel?
Auch die Weltbank hat sich ein Antikorruptionsprogramm gegeben. Eine konkrete Durchsetzung vor Ort ist allerdings kaum erkennbar. Erst wenn Nichtregierungsorganisationen aktiv werden, kommen in der Regel Aktivitäten gegen Korruption in Gang. Dies zeigte sich zum Beispiel beim Bujagali-Staudammprojekt in Uganda. Nach Weltbank-Präsident James Wolfensohn handelt es sich um ein vorbildliches Modell für privatisierte Entwicklungshilfe. Das US-Unternehmen Applied Energy Systems (AES) will den Staudamm als Investor errichten und den hier erzeugten Strom 30 Jahre lang zu festgelegten Preisen und Kontingenten an den Staat verkaufen. Der verschuldete Staat Uganda müßte keine Kredite für den Bau aufnehmen, aber in den ersten zwölf Jahren jeweils 100 Millionen Dollar zahlen. Der Preis des Stroms würde bei 20 Cent pro Kilowatt liegen statt wie bisher bei 8 Cent. Teilhaber in dem mit der Regierung gegründeten Unternehmen AES Nilepower sind auch ein Bruder und eine Schwester von Präsident Yoweri Museweni. Der Standort wurde auch deshalb ausgesucht, weil der Bruder dort ein Grundstück einbrachte. Es gab keine öffentliche Ausschreibung. Der Vorstandsvorsitzende von AES gehört übrigens der religiösen Gruppierung »Wiedergeborene Christen« an, wie Präsident Museweni auch. Nachdem das Parlament von Uganda jahrelang über dieses größte nationale Projekt diskutiert hatte und Bestechungsvorwürfe aufkamen, beschloß es in einer Dringlichkeitssitzung im Sommer 1999 bei Anwesenheit nur eines Drittels der Abgeordneten den Vertrag mit AES.
Dies sind typische Indizien für Korruption. Organisationen wie die »Erklärung von Bern« und »International Rivers Network« haben das Projekt vor Ort begleitet und frühzeitig Kritik geäußert. Die ugandische Anwaltsgruppe »Green lawyers« kämpfte seit dem Parlamentsbeschluß um die Veröffentlichung des Vertrags, die schließlich gerichtlich erzwungen wurde. Trotz ihres Antikorruptionsprogramms genehmigte die Weltbank jedoch dem Unternehmen AES die für den Bau beantragten Kredite. Die Schweizer Regierung nahm dies zur Grundlage für den Beschluß, dem Schweizer Tochterunternehmen von Alstom für dessen Projektanteil (Turbinen) eine Export-Risikogarantie zu geben, übrigens mit der Begründung, daß eine Auftragsvergabe ohne öffentliche Ausschreibung in Entwicklungsländern »üblich« und deshalb nicht zu beanstanden sei. Die Weltbank hält ihre eigene Untersuchung über den wirtschaftlichen Nutzen des Projekts unter Verschluß. Erst als bekannt wurde, daß das norwegische Unternehmen Veidekke, das am AES-Nilepower-Konsortium beteiligt ist, über ihre englische Tochterfirma einen ugandischen Beamten bei einem kleineren Staudammprojekt bestochen hatte, blockierte die Weltbank im Jahre 2002 ihre Entscheidung.
Staaten und internationale Organisationen wie die Weltbank neigen trotz neuer Antikorruptionsprogramme in der Praxis dazu, sogar die strafbare Korruption zu decken. Um die legalisierte Korruption kümmern sie sich nicht. Die wichtigste Antikorruptionsorganisation TI ist in kurzer Zeit bei Regierungen und internationalen Organisationen zu einem anerkannten Akteur geworden, ist aber dabei, Glaubwürdigkeit und Kompetenz zu verlieren. Dies ist bei einer weitgehend als Honoratiorenclub organisierten Gruppe nicht grundsätzlich überraschend, belegt aber ungewollt die Richtigkeit der Aussage, mit der TI einst angetreten ist: Die staatlichen und privaten Akteure, die die gegenwärtige internationale Weltordnung einschließlich der systematischen Korruption aufgebaut haben, können sich nicht selbst daraus befreien. Die »Zivilgesellschaft«, von TI zu Recht als notwendiger Gegenspieler beschworen, muß aber offensichtlich sehr viel tiefer ansetzen, nicht nur im Bereich der Korruption.
* Unter dem Titel »Global corruption« findet sich im aktuellen Heft der Zeitschrift prokla (131) zum Thema »Korruptes Empire« eine ausführliche Fassung dieses Artikels, mit Fußnoten, Quellen und Literatur. prokla erscheint im Verlag Westfälisches Dampfboot und kostet 10,50 Euro.
Gruß
Stephan
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