- Statt uns Alte zu pflegen probt die Jugend den Aufstand! - R.Deutsch, 24.06.2003, 15:17
- OT: Dietmar Wischmeyers zweite Reise durch das Land der Bekloppten - HB, 24.06.2003, 17:02
OT: Dietmar Wischmeyers zweite Reise durch das Land der Bekloppten
-->Für die Berliner, Kölner, Hannoveraner, Frankfurter, Hamburger und Münchner hier (aus Dietmar Wischmeyer, Zweite Reise durch das Land der Bekloppten und Bescheuerten):
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ZWISCHEN BOSPORUS UND BAIKALSEE
Berlin
Dort wo sich der mitteleuropäische Kulturkreis allmählich in
den Weiten der ostzonalen Taiga verliert, lag das einstige
Bollwerk der freien Welt: Westberlin. Gepeppelt von allerlei
Schmankerln aus dem Bundeshaushalt hatte sich hier über vier
Jahrzehnte eine faulige Mischpoche aus westdeutschen Wehr-
dienstschwänzern, schwäbischen Oberschülerinnen und
steuerflüchtigem Kapital eingefunden. Dazwischen siedelten
anatolische Schmurgelbuden und eine Art schmerbäuchiger
Kampfhund, auch als Ur-Berliner bekannt. Jahrelang wars
ganz schön lustig in Lummerland, da wurde Politik verfilzt,
Heroin verköstigt und das Trottoir zugeschissen, daß es nur so
eine Art war. Plötzlich 1989 ging der Vorhang hoch, und Sense
war's mit dem Lotterleben. Unterm Brandenburger Tor stand
nicht der Russki mit der Wumme, sondern schlimmer: das
Verwandtenpack aus der Zone. Mit dem über 40 Jahre lang
auswendig gelernten Spruch »Wir sind das Volk« schafften sich
die DDR-Gefangenen Zutritt zu Aldi und zur Rentenkasse.
Seither ist Berlin die Hauptstadt von Absurdistan. Im Schlag-
schatten der Currywurst reift hier ein protziges Regierungs-
viertel heran, mit dem die Deutschen noch einmal alles geben,
bevor Europa die Staatsmächte zu Provinzheinis degradiert.
Weltkonzerne rammen ihre potemkinschen Konzernzentralen
durch die verstreuten GröFaZ-Gebeine am Potsdamer Platz,
während in Tegel der letzte Direktflug in die USA gestrichen
wird. Berlin will es noch mal wissen, träumt den Traum von der
Weltstadt, will wieder sein wie London und Paris. Dabei ist die
Streusiedlung an der Spree eher auf dem Wege so zu werden
wie Mexiko-City oder Sao Paulo. An der ersten Dönerbude in
der freien Welt wird so mancher Schnauzevollhabender aus
der Müllgrube des aufgelassenen Sozialismus für immer Halt
machen. Nachdem die Apartheid in Europa abgeschafft
wurde, ist Berlin schon heute zum größten Durchwanderer-
lager des Kontinents geworden; für Leute, die 'ne billige
Stereoanlage suchen das Paradies. Der Nischenberliner aus der
Vorwendezeit ist eher abgetörnt. Ihm gefiel sein Spree-Athen
als größte Kleinstadt der Welt. Wenn heute eine halbe Million
versäumter Abtreiblinge hinter brüllenden Tiefladern her-
wackelt, dann wird ihm schon die Molle sauer. Sein Berlin war
der Ku'damm, piefigster Boulevard der Welt, das peinliche
Europacenter und die scheißkaputte Kirche dazwischen.
Das war Weltniveau im Westentaschenformat. Aber direkt hin-
term Zaun war eben die Hauptstadt der Tätärä, und im Ver-
gleich zu dieser nordkoreanisch überarbeiteten Trümmerland-
schaft sah der Wessihorchposten noch ganz passabel aus.
Mit der Zonenmetropole starb auch der Hochmut der Inselaffen.
Heute überholt der Osten die Restberliner aus den westlichen
Vororten am Ku'damm und macht aus dem ganzen Moloch
eine moderne Stadt mit allen Problemen und Faszinationen
einer wirklichen Metropole. Damit hat Berlin etwas, von
dem so lächerliche Siedlungserscheinungen wie Köln oder
München nicht mal träumen dürfen.
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NOCH WITZIGER ALS NOWOSIBIRSK
Köln
Man kann fast überall leben: In Düsseldorf, Cottbus, Braun-
schweig, sogar in München, aber in Köln, das geht gar
nicht. Mann, ist es da scheiße. Die ganze Stadt ist eng und laut,
es gibt entschieden zuviel häßliche Kirchen, und der Fluß sieht
aus wie die Einfahrt zum Containerhafen Rotterdam. Mitten in
die zugebaute Innenstadt drängelt sich ein Dom, arrangiert
wie von unten durch 'ne Betonplatte geschossen - grauenhaft.
Der Rest der Gegend ist City von der Stange: Schlecker, Grill-
restaurant Athen, Karstadt, Joop und Aldimarkt. Nicht weiter
schlimm, so sieht's halt überall aus im Land der Bekloppten
und Bescheuerten. In Köln kommt aber erschwerend hinzu,
daß der behämmerte Ureinw ohner sein Debilenkaff tatsäch-
lich für 'ne scharfe Metropole hält. Und genau das macht den
Aufenthalt in der Mediendeponie am Rhein so unerträglich.
Es ist nicht die 08/15 Stadt, es sind die blöden Leute. Ein
unerträglich von sich selbst eingenommener Menschenschlag,
vulgär, laut und zotig. Extra für diese Hominiden werden
Primitivprodukte hergestellt, die es sonst - zum Glück - nirgends
gibt: ein Bierersatz, der nach Pisse schmeckt, und eine Beklopp-
tenmusik in Eingeborenensprache. BAP, De Höhner, Black Föös,
Gabi Köster, Hella von Sinnen, RTL, Karneval und Kölsch: So stell'
ich mir den Eingangsbereich der Hölle vor. Der Kölner hingegen
nicht: Er hält das für normal. Was Wunder, er hat ja sein blödes
Köln auch noch nie verlassen. Die höchste vorstellbare Form
von Fremdheit und Exotik ist für ihn der Düsseldorfer.
Konrad Adenauer, immerhin eine Zeitlang Bundeskanzler,
hielt Berlin schon für Rußland - mehr ging eben in die rheini-
sche Runzelrübe nicht rein. Wie kein anderer Städter dieser
Republik findet der Kölner nur gut, was aus Köln ist. Zugleich
hält sich der Trampel aber für weltoffen und kontaktfreudig.
Das sieht in etwa so aus, daß sich in einer Kölner Kaschemme
wildfremde Blödiane zu dir an den Tisch setzen und mit ihrem
vulgären Dialekt anspucken. Wenn du noch mehr Pech hast,
kommt einer der vagabundierenden Urinkellner vorbei und
stellt dir 'ne Stange schaler Jauche vor die Nase. Prost Mahlzeit.
Diese Stadt überläßt man besser den Bekloppten, die's frei-
willig dort aushalten. - Wenn man ihn allerdings ärgern will,
den Kölner, dann erzählt man ihm, man finde alles Kölsche
total klasse: die Doofenmucke von BAP, daß jeder schwul is',
den Karneval - einfach alles, aber am besten fand man das
Altbier hier, das sei ja so was von schweinelecker und würde
zu der Stadt passen wie Arsch auf Eimer. Spätestens dann darf
man sich rühmen, einen Kölner als Feind zu haben.
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MAHNMAL DER FRÜHEN SIEBZIGER
Hannover
Jeder Mensch sehnt sich danach, dem Fremden stolzgeschwellt
und ungefragt den Ort seiner Herkunft mitzuteilen, »l'm scot-
tish« brüstet sich der Polarrandsiedler im karierten Tuntenrock,
als ob damit schon ein persönlicher Verdienst verbunden sei. Selbst
der Grieche, seit zweieinhalb Jahrtausenden vom Weltgeist
getrennt lebend, bildet sich auf seine Nation etwas ein. Da hat's
der Deutsche nach 1945 natürlich schwer, und abgesehen von einer
Handvoll kahlrasierter Kleinhirne greift er lieber zur Ersatzher-
kunft. Da ist man voller Stolz ein Hamburger, Münchner, Berliner,
ja sogar Kölner. Es bedarf selbstredend kaum einer Erwähnung,
daß alle genannten Städte zu 95 % aus dem gleichen Mumpitz
bestehen wie Braunschweig oder Bremerhaven und die 5 % Rest-
faszination dem Besucher eher bekannt sind als dem Eingebore-
nen. Dennoch macht das Herz einen kleinen Hüpfer, wenn der
Insasse aus Wilhelmsburg auf Mallorca verkündet: »Ich bin Ham-
burger.« Dem Einwohner der Leine-Metropole geht ein entspre-
chender Satz weniger flüssig über die Lippen. Nur durch das
vorgeschaltete »Ã-mm« mit anschließender Kunstpause kann er
den ganzen Mut zusammenfassen und sich zu seiner Herkunft
bekennen. Um anschließendes Hohngelächter gleich zu parie-
ren, schiebt er gern noch eine entschuldigende Erklärung nach:
»Das liegt 250 km nördlich von Frankfurt« oder »Kann sein, daß
ich da aber bald wieder wegziehe... nach Berlin oder so.« Warum
diese unterwürfige Bescheidenheit? Hat Hannover doch den
Hanomag R 455 S hervorgebracht. Es gibt andere Städte, ja ganze
Nationen, die der Welt keinen einzigen vorzeigbaren Acker-
schlepper geschenkt haben. Und da soll man seine Heimat hinter
einem kriecherischen »Ã-mm...« verstecken? - Ja, man soll! Denn
alle anderen, mühsamen Imagekorrekturen der Stadt sind im Sande
verlaufen. Da wurden operettenhafte Schießereien in der City
inszeniert, um in der Kriminalstatistik mit Hamburg und Frank-
furt gleichzuziehen, da wird eine chaotische Weltausstellung
geplant, riesige Messehallen werden täglich aus dem Boden ge-
stampft und Kreuzungen unterhöhlt. Allein, es hilft alles nichts.
Selbst wenn Hannover die Megametropole der Superlative wird
und Hamburg ein aasiges Loch im Norden - selbst dann wird der
Fertige von der Elbe noch immer stolz behaupten »Ich komme aus
Hamburg« und der Hannoveraner kleinlaut mit »Ã-mm...« be-
ginnen. Warum bekennt sich diese Stadt nicht endlich zur Provin-
zialität als Markenzeichen? Sollen sie doch alle nach Berlin oder
Köln ziehen: wieder 'n Parkplatz mehr, wieder 'ne Wohnung frei!
Hannover ist mit Sicherheit auch keine Medienmetropole, aber
wer wollte Adolf Molabesi und Vagina Feldbusch wirklich abends
in der Kneipe treffen? Hannover ist keine Stadt der großen
Werbeagenturen, aber orgeln nicht auch so schon viel zu viele
Harleys durch die Stadt? Hannover ist - besonders auf der Bahn-
hofsnordseite - ausgesucht häßlich, aber kreuzen sich nicht
gerade hier zwei ICE-Linien, auf denen man Hannover hurtig
verlassen kann: ins Theater nach Frankfurt, zum Konzert nach
Hamburg, Fußballgucken in Dortmund. Zeichnet sich nicht
gerade Weitläufigkeit dadurch aus, daß man seinen piefigen
Kiez nicht für den Nabel der Welt hält? Hannoveraner würden
nie sagen, ihre Stadt sei die geilste Deutschlands. Von einem
Kölner und Münchner hat man das groteskerweise allerdings
schon mal vernommen. Arme Irre! Da lebt man hier doch näher
an der Realität. Ich fordere deshalb endlich den längst überfälli-
gen Autoaufkleber: »Ã-mm... ich komme aus Hannover!«
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DEN HESSE SEI' DALLAS
Frankfurt
Schwer zu lieben, allein schon weil dort der Hesse wohnt,
ist Frankfurt am Main, hesslich eben. An einer Überdosis
amerikanischer Vorabendserien leidend, haben die Stadtväter
das Krämernest am Taunus zu einem Dallas-Plagiat geklont:
Banken, Chemiekonzerne und noch mal Banken: Alle haben
ihre Glitzertürme an den Main geknallt. Und dazwischen west
der Resthesse als Gaudium für Amis und Japaner. Bevorzugtes
Folklore-Gesöff ist ein verwässerter Appelkorn, der einen
Schädel bereitet wie kein zweites. Dieser verniedlicht als
»Äbbelwoi« titulierte Darmzottensprenger wird in mehrlitrigen
Kannen gereicht - sogenannten Bembeln. Die knetet der Hesse
selbst aus frischem Beton, um sie danach noch mit irrer Graphik
zu bepinseln. »Oi Bembel Äbbelwoi« haut einen dermaßen
um, daß man auch schon anfängt, so bekloppt zu lallen wie
der Frankfurter es die ganze Zeit nur tut. Irgendwie ist die
Zunge zu lang, der Mund zu kurz oder sonstwie was daneben-
gegangen in der Ontogenese des Hessen. Jedenfalls will ihm
kein klarer Konsonant über die Lippen kommen, alles ist ein
breiiges Gebabbel. Der größte Hesse aller Zeiten, Heinz
Schenk, soll schon die fünfte Zunge haben: alle ändern durch-
gebabbelt. Weils mit dem Sprechen nicht so klappt, redet der
Frankfurter gerne auch rektal. »Handkäs mit Musik« heißt der
entsprechende Schambezwinger, der die Rosette zum Klingen
bringt. Stinkiger Gummikäse mit öligen Zwiebeln, ja da bleibt
kein Schließmuskel auf Dauer verschlossen. Mit Frankfurt
treten wir in den Bereich Deutschlands ein, der sich durch offen
gelebte Analerotik auszeichnet. »Wenn's Arscherl brummt, ist's
Herzl g'sund« formuliert wenige Kilometer südöstlich hinter
der Landesgrenze schon der Bajuware sein Lebensmotto. Die
merkwürdige Metropole am Main kennt allerdings nicht nur
den Bembel und den Bänker. Dort wo das Kapital zu Hause ist
siedelt auch der Linksalternative. Unter dem hiesigen Pflaster
wurde einst der Strand vermutet, und jede pseudomarxistische
Sektiererclique hat hier ihre behämmerten Pamphlete verteilt.
In Frankfurt wurden Adorno die Möpse gezeigt, und auf der
Startbahn West war die bekannteste grüne Protestkirmes im
Lande. Heute glotzen Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit
rührselig in den Bembel und freuen sich, wenn in ihrem Alter
nach Handkäs mit Musik die Rosette noch anständig rasselt.
Da wo das heutige Frankfurt keine Hochhäuser hat, stehen
nachgemachte Altstadtfassaden namens »Römer« oder eine
»Alter Oper« mit Kern aus Stahlbeton. Mehr Historie braucht
kein Japaner und kein Ami, und der Hesse ist froh, daß er sich
schon wieder drei Tage hintereinander beim Sprechen nicht
die Zunge abgebissen hat. Eigentlich lebt hier gar keiner mehr.
Die, die sich's leisten können, wohnen im Taunus, die anderen
nutzen die hervorragenden Verkehrsverbindungen, um dem
miefigen Loch so oft es geht den Rücken zu kehren. Frankfurter
Kreuz, Frankfurter Hauptbahnhof, Frankfurter Flughafen:
Nirgends sonst kommt man besser weg. Felix Francoforte!
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DAS SOLL DANN SOWAS SEIN
Hamburg
Hamburg gehört zu den fünf Städten in Deutschland, bei
denen die Einbildung der Bewohner der real existierenden
Attraktivität um ein vielfaches voraus ist. Was findet er denn
eigentlich so spitzenmäßig an seiner Gemeinde, der Hambur-
ger? Zuerst einmal: St. Pauli! Na toll! Haben wir gelacht.
Unter einer hauchdünnen Schicht verblichener Hans-Albers-
Romantik blicken wir in ein Kriminellen- und Asozialenviertel
voller häßlicher Gebäude und überhöhter Bierpreise. Stände
der ganze Scheiß in Unna würden alle sagen: »Typisch Provinz!«
Dann gibt's noch den Hamburger Michel, auch nix Dolles, im
Grunde nur irgendeine von diesen leeren Kirchen, wie sie
überall wertvollen Parkraum in den Innenstädten verbauen.
Der Hamburger Dom hingegen ist überhaupt keine Kirche,
sondern eine prollige Kirmesveranstaltung. Verkehrte Welt des
Elbanrainers. Ach ja, beinahe vergessen: Den Hamburger Hafen
gibt's ja auch noch, warum auch nicht. Aber muß man deshalb
ein feuchtes Gewerbegebiet romantisch verklären! Feiert Uelzen
etwa jedes Jahr den Geburtstag seiner Zuckerrübenfabrik?
Der Hamburger aber ist ein unverbesserlicher Sehnsuchtsheini,
jeder Piss wird zur maritimen Folklore hochgeschwiemelt.
Irgendwie blickt jeder der zwei Millionen Fischköppe im Geiste
immer aufs Meer hinaus. Witzig, denn diese Stadt da oben
liegt eigentlich nicht für zwei Pfennig am Meer, bei näherer
Betrachtung genausoweit im Binnenland wie z. B. Neubranden-
burg. Das hindert den Hamburger aber nicht daran, das ganze
Arsenal maritimer Horrorfolklore abzufeuern: Shantychöre,
ausgestopfte Fische, alberne Halstücher, doofe Mützen, rostiges
Eisen und alles voller Netze: ewig singt die Haifischbar!
Auf Segelschiffen faulige Zwiebäcke fressen oder unter Deck
stinkende Heringe ausnehmen, das ist touristisch schon hundert-
prozentig durchgeschwiemelt. Jetzt können die Elbkasper sich
daran machen, die Containerschiffahrt folkloremäßig aufzu-
bereiten. Bald singt der Shantychor vom armen philippinischen
Kuddel, dem ein 40-Fuß-Container auf die nicht versicherten
Stelzen gefallen ist, de Masten so scheep es den Schipper sien
Bein, to my hoday, to my hoday! Der Hamburger identifiziert
sich jedoch nicht nur mit der ideellen Gesamt-Fischfrikadelle,
sondern ist auch noch »Hanseat«. Was soll'n der Scheiß nun
schon wieder? Die Hanse war ein mittelalterlicher Krämer-
verein, der mit gerade mal schwimmtauglichen Äppelkähnen
im wesentlichen auf der Ostsee herumkajohlte. Wenn ein
Hamburger heute »hanseatisch« sagt, meint er damit aber
was anderes: unterkühltes Understatement! Logisch, hitzige
Lebensfreude ist in dem Regenloch an der Unterelbe auch
schwerlich zu entwickeln. Der Mann trägt gerne Nadelstreifen,
und die Frauen sehen alle so aus, als ob in der Popeline-Abtei-
lung von Jil Sander Ramschverkauf gewesen ist. Zu den gerne
verbreiteten Märchen über Hamburger Deerns gehört, unter
dem adretten Vorzimmer-Outfit schlummere irgendwas -
glutheiße Leidenschaft zum Beispiel. Sagen wir so, ich will's
mal hoffen für die Hamburger. Wenn nicht, können sie ja
immer noch in die Herbertstraße gehen oder sich beim ewig
überschätzten FC St. Pauli das Hanseatische aus den Rippen
schwitzen.
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MISTHAUFEN MIT MCM-LOGO
München
Als Heinrich die Ziege, seines Zeichens Welfenkönig von
Peine-Salzgitter, mal 'ne richtige Stadt sehen wollte,
gründete er München. Der sonst dort vegetierende Bajuware
war anscheinend zum Münchengründen bisher zu blöd
gewesen. Noch heute besteht die »Weltstadt mit Herz« aus
zwei Bewohnergruppen: einerseits den zugereisten Kolonial-
herren, kurz Schickeria genannt, und aus dem bayrischen
Bodensatz. Letztere nagen schon zum Frühstück an bleichen
jungen Ratten herum, die sie »Weißwürschtl« nennen, und
vertilgen dazu Unmengen einer bierhaltigen Schlempe aus
großen Einmachgläsern. Menschen der nächsthöheren Evolu-
tionsstufe werden von ihnen »Saupreißn« genannt, und sogar
die Inkontinenzwindeln im Altersheim tragen noch das
blauweiße Rautenmuster. Kurz gesagt: Es ist eine verflucht
eingebildete Bande. Gott sei Dank sprechen sie kein Deutsch.
Die Münchner Oberschicht ist nicht weniger blasiert. Die Hälfte
von ihnen arbeitet als Promidarsteller, die andere Hälfte als
dessen Friseur. Ich weiß nicht wirklich, was das Wort »ange-
schwult« bedeutet, es fällt mir aber als erstes ein, wenn ich an
die Münchner Schickeria denke. Braungebratene Tagediebe
und verlebte Blondinen schlürfen Schampus beim Friseur, so
sieht der Alltag der Bussibären aus. Und wenn man ganz viel
Glück hat, darf man in der 1300. Folge von Derrick hinten
durch's Bild schleichen. Schickeria und Trachtenseppl leben in
der Stadt nebeneinander her, nur einmal im Jahr trifft man sich
auf der »Wiesn«, einem mehrtägigen Saufgelage, das weltweit
seinesgleichen sucht. Nirgends sonst wird der Mensch so auf
seine Grundbedürfnisse Saufen, Fressen, Kotzen und Grölen
reduziert - und das zu überhöhten Preisen. Selbst bis ins ferne
Nippon reicht die Kunde vom Münchner Oktoberfest und
beschert der Stadt alljährlich einen Zustrom gelber Hobby-
alkoholiker. Überhaupt gilt die Bayernmetropole dem Aus-
länder als Inbegriff deutscher Folklore. Was Wunder, hat doch
hier schon der braune Atze mit den Hitlerchören das Horst-
Wessel-Lied geschmettert und ein halbes Jahrhundert früher
ein durchgeknallter König die Staatsfinanzen ruiniert - deut-
scher geht's nicht mehr. Der Münchner selbst versteht sich eher
als Italiener im Lodengewand. Städtische Imagefuzzis ver-
suchen seit Jahrzehnten, aus der »Stadt der Bewegung« einen
Ort mediterraner Beschaulichkeit zu formen. Keine leichte
Aufgabe in einem Provinznest, das um 22 Uhr die Biergärten
verriegelt. Drum lebt der Schickeriamensch sowieso am Garda-
see, und die blauweißen Dumpfbacken hauen sich am Vor-
mittag schon das Dünnbier rein, um vor Ladenschluß noch
breit zu werden. Über all dieser voralpinen Schwiemeligkeit
regieren zwei mächtige Verbände, die CSU und Bayern
München. Einer von beiden läßt zwei Dutzend Ausländer für
sich Fußball spielen, der andere versucht die durchgeknallten
Ideen des Papstes in Tagespolitik umzusetzen.
Bei allen Vorbehalten gegen dieses München muß man doch
zugeben, daß es eine sehr schöne Stadt ist für Menschen, die
auf die eine oder andere Weise mit dem Leben abgeschlossen
haben.

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