- o.t. Ein interessanter Aufsatz aus der Wochenendpresse: Globaler Antisemetismus - doppelknoten, 30.06.2003, 12:17
o.t. Ein interessanter Aufsatz aus der Wochenendpresse: Globaler Antisemetismus
-->aus dem amerikanischen von Hannes Stein copyright by Daniel Goldhagen.
sein jüngstes buch,"die katholische kirche und der holocaust", erschien letzten oktober bei goldmann.
///// zu einem foto, das über dem artikel eingeblendet ist.
anti-globalisierungs-demo in davos:
einer als rumsfeld, einer als scharon verkleidet, dahinter das"goldene kalb":
wie von selbst stellen sich die alten bilder des hasses ein
Foto: AP
das foto gibts im originallink unten/klicken zu sehen
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Der alte neue Hass
Wie der Antisemitismus global wurde
von Von Daniel Jonah Goldhagen
Der Antisemitismus entwickelt sich. Nach einer Zeit der Remission, die dem Schrecken des Holocaust geschuldet war, ist das uralte Vorurteil vor kurzem reaktiviert worden, katalysiert durch den israelisch-arabischen Konflikt. Es ist in eine neue Ära eingetreten, in der sich der Brennpunkt von den inneren Angelegenheiten hin zum Internationalen verschoben hat. Der Antisemitismus, der immer proteushaft war, hat sich globalisiert.
Der Judenhass hat stets innen- wie außenpolitische Komponenten gehabt. Während des langen Zeitalters des christlichen Antisemitismus verbreitete die katholische Kirche - eine übernationale Institution - den Glauben, die Juden seien als Christusmörder eine kosmische Kraft des Bösen. Aber das Hauptziel des antijüdischen Vorurteils lag im Lokalen; es waren die Juden der eigenen Stadt oder Region oder des eigenen Landes, die angeblich ihre christlichen Nachbarn schädigten.
Während seiner zweiten Ära im 19. und 20. Jahrhundert nahm der Antisemitismus eine säkulare und eher rassistische Form an, dergemäß eine internationale Verschwörung von Juden gegen die Menschheit arbeitete. Gewiss wurden die meisten Schüsse auf lokale Ziele abgegeben. Das"jüdische Problem", eines der brennendsten politischen Probleme seiner Zeit, drehte sich in überwältigendem Maß darum, was Deutsche, Franzosen und Polen mit den Juden in ihren eigenen Ländern tun sollten.
Der globalisierte Antisemitismus ist eine neue Konstellation von Wesensmerkmalen, die auf alte aufgepfropft wurden. Er ist vielfältig und komplex, und er orientiert sich an einer weltweiten Bühne. In weiten Teilen von Europa ist das innenpolitische"jüdische Problem" so gut wie tot. Nur Randexistenzen glauben, dass Juden vor Ort ihren nichtjüdischen Nachbarn finanziellen, beruflichen oder moralischen Schaden zufügten und dass eine radikale Antwort notwendig sei.
Der Brennpunkt der Animosität gegenüber Juden hat sich in überwältigendem Maß zu Juden anderer Länder verschoben: nach Israel und in die Vereinigten Staaten, die angeblich die moralischen und materiellen Hauptverbrecher in der internationalen Arena seien. Für viele ist der Zionismus zu einer mythischen Wesenheit geworden, zu einer zerstörerischen Kraft; und der Antizionismus ist mit dem Antiamerikanismus mittlerweile so weit verwoben, dass nationalistische Politiker in Russland ihre Furcht vor der amerikanischen Vorherrschaft ausdrücken, indem sie sagen, Russland sei in Gefahr,"zionisiert" zu werden.
Das Zentrum des Antisemitismus und die Richtungen seiner Transmission sind ebenfalls neu. In den früheren Ären des Antisemitismus floss die Dämonologie über Juden erst vom christlichen - dann vom europäischen - Zentrum in die Peripherie. Heute gibt es viele antisemitische Zentren, und die Dämonologie fließt in viele Richtungen, aus Europa in den Nahen Osten und anderswo und wieder zurück. Im Wesentlichen hat Europa seinen klassischen rassistischen und Nazi-Antisemitismus in die arabischen Länder exportiert, die ihn auf Israel und Juden im Allgemeinen anwandten und mit wirklichen oder eingebildeten Merkmalen des intensiven örtlichen Konflikts überzogen.
Anschließend re-exportierten die arabischen Länder die neue zusammengesetzte Dämonologie zurück nach Europa und in andere Länder rund um den Globus, indem sie von den Vereinten Nationen und anderen internationalen Institutionen Gebrauch machten. In Deutschland, Frankreich, Großbritannien und anderswo bedient sich die intensive antisemitische Ausdrucksweise und Propaganda von heute alter Tropen, die einst gegen die örtlichen Juden gerichtet waren - Anklagen, dass sie Chaos säen würden, um andere zu unterjochen -, aber sie füllen diese Tropen mit einem neuen Inhalt, der sich vor allem gegen Juden außerhalb ihrer Länder und ihres Kontinents richtet.
Die Bilder, die den globalisierten Antisemitismus charakterisieren, sind neu. Der Rambo-Jude hat in der antisemitischen Phantasie im großen und ganzen Shylock ersetzt. Der schlau und heimlich korrumpierende Jude der ersten zwei Jahrtausende des Antisemitismus, der nun mit seiner neuen militärischen und politischen Macht bewaffnet ist, hat sich in den unterdrückenden, brutalen und tötenden Juden verwandelt, der die Schmutzarbeit entweder selbst verrichtet, wie in Israel, oder andere dazu anstellt, sie für ihn zu verrichten, wie man es - phantastischerweise - den Juden nachsagt, die mit der Bush-Regierung zu tun haben.
Ein emblematisches Bild des globalisierten Antisemitismus ist jenes, das Donald Rumsfeld zeigt, wie er einen gelben Stern mit der Aufschrift"Sheriff" trägt, gefolgt von Ariel Scharon, der einen Knüppel schwingt und von einem goldenen Kalb flankiert wird. Es ist mehr als ein Zufall, dass diese Szene, die die (putative) weltweite Natur und die raubtierhaften Gelüste der Juden ausdrückte, für eine Anti-Globalisierungs-Demonstration in Davos geschaffen wurde.
Der globalisierte Antisemitismus hat noch andere wichtige und neue Merkmale - darunter seine sofortige und weltweite Verbreitung sowohl durch das Internet als auch die einseitigen Fernsehberichte und aufhetzenden Bilder vom Leiden der Palästinenser, die in das antisemitische Narrativ einfließen. Weitere Kennzeichen sind seine Vereinigung von Elementen der Rechten und Linken in Europa und sein halb durchlässiger Deckmantel des Antizionismus.
Vielleicht am bezeichnendsten ist indes die Ablösung des Antisemitismus von seinen ursprünglichen Quellen. Er hat sich freigemacht vom Christentum, auch wenn es noch mächtige christliche Quellen des Antisemitismus gibt. Er hat sich freigemacht von den europäischen Quellen der Nationenbildung im 19. Jahrhundert, auch wenn die Dämonologie dieser Ära in etwas verschobener Form immer noch mächtig ist
Der globalisierte Antisemitismus ist Teil der Vorurteilsstruktur der Welt geworden. Er schwebt frei, ist in vielen Ländern und Subkulturen beheimatet und in vielen Variationen erhältlich - und zwar für jeden, der Einflüsse aus dem Ausland, die Globalisierung oder die Vereinigten Staaten nicht mag. Er ist unbarmherzig international in seiner Konzentration auf Israel als Zentrum der mit Konflikten am stärksten geplagten Region der Welt und Amerika als allgegenwärtige Weltmacht. Er schöpft seine Kraft aus sich selbst, mit seinen phantastischen Konstruktionen von Juden und Zionismus - die etwas anderes sind als legitime Kritik, die man an Israels Politik üben kann -, und er liegt völlig außerhalb der Länder und Erfahrungen der Leute. Und er ist immer nur ein paar Mausklicks entfernt.
Nach dem Holocaust und dem Zweiten Vatikanischen Konzil schien es, als sei der Antisemitismus im Abnehmen begriffen und könnte im Laufe der Zeit verkümmern. Er hat tatsächlich abgenommen, und in den meisten europäischen Ländern inklusive Deutschlands wurde die Wahrnehmung der Ã-ffentlichkeit von ihren örtlichen Juden entdämonisiert. Viele Leute in Europa und anderswo weisen heute auch die neuen antisemitischen Phantasien zurück.
Doch das Wiedererwachen des Antisemitismus in seiner neuen globalisierten Form bedeutete, dass es dem Judenhass wiederum gelang, sich zu verwandeln und seine Einflusssphäre auszubreiten - sogar bis nach Afrika und Asien. Bisher hat der neue globalisierte Antisemitismus sich als nicht so gefährlich wie frühere Formen erwiesen - außer im Nahen Osten -, aber seine beunruhigenden Merkmale deuten darauf hin, dass er das Potenzial dafür hat. Eine echte Beilegung des arabisch-israelischen Konflikts würde viel Wind aus den Segeln dieses neuen Antisemitismus nehmen. Aber die tiefen Wurzeln des Antisemitismus im sich immer weiter ausbreitenden globalisierten Bewusstsein und die Beharrlichkeit und Formbarkeit, die er bewiesen hat, machen seine Auflösung unwahrscheinlich.
http://www.welt.de/data/2003/06/28/125396.html?s=1

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