- Die Sozialstaatlüge 3/5 - Wal Buchenberg, 07.07.2003, 09:49
Die Sozialstaatlüge 3/5
-->3. Teil:
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<h2>3. Der Staat übernimmt die Aufgaben der Arbeiter- Hilfskassen.
Der"Wohlfahrtstaat" wird geboren</h1>
Überall, wo sich kapitalistische Warengesellschaft und Lohnarbeit ausbreiteten, waren auch selbstverwaltete oder betriebliche Hilfskassen für die Risiken der Lohnarbeit entstanden. Zwar hatten diese Kassen kaum mehr als hundert Mitglieder, aber erfassten doch große Teile der Erwerbsbevölkerung.[01] Wozu dann staatliche Versicherungen?"Vor allem gilt es zu verstehen und zu erklären, warum kollektive, gesetzliche Sozialversicherungssysteme entstehen konnten, um die Hauptrisiken der Lohnabhängigen abzudecken. Alle hier erörterten Länder (USA, England, Frankreich, Deutschland, Holland wb) riefen sie irgendwann zwischen 1883 und 1932 - einer Zeitspanne von knapp fünfzig Jahren - ins Leben."[02]
Das Rätsel löst sich für den, der den ökonomische Nutzen, d.h. die kapitalistische Rationalität der staatlichen Zwangsversicherung gegenüber privaten Hilfskassen verstanden hat:"Die staatlichen Eingriffe in das Versicherungswesen brachten drei einzigartige Neuerungen: Beständigkeit, landesweite Ausdehnung und gesetzlichen Zwang."[03]
Solche staatlichen Zwangsversicherungen sind jeder kleinen Hilfskasse oder privaten Versicherung überlegen, weil sie die Risiken über eine größere Zahl von Versicherten streuen. Sie können daher für einen geringeren individuellen Beitrag eine höhere Absicherung bieten. Halbstaatliche oder staatliche"Versicherungsinstitutionen haben jedenfalls eine langfristige Bestandssicherheit, da Zwangsmitgliedschaft herrscht, Austritte also nicht möglich sind."[04] Für das gesamtgesellschaftliche Kapital bewirken staatliche Zwangsversicherung geringere Lohnkosten. Die Gesamtlohnkosten der Volkswirtschaft sinken in dem Maße, wie der individuelle Lohn nicht mehr den vollen Betrag einer privaten Vorsorge für Notzeiten enthalten muss, sondern nur einen Umlagebeitrag, der umso geringer ist, je mehr Versicherte erfasst werden.
Über diese kapitalistische Rationalität und Effektivität hinaus wurde der Klassenkonflikt zwischen Lohnarbeit und Kapital zunehmend vergesetzlicht, versachlicht und befriedet:"Da Arbeitszeiten, Frauen- und Kinderarbeit, Produktqualität, Lärm, Schadstoffe etc. zunehmend gesetzlich geregelt wurden, griffen nun staatliche Inspekteure und Beamte unaufhörlich in die Beziehungen zwischen Arbeitern und Management ein."[05] Der Kampf zwischen Kapital und Arbeit wurde zwar politisiert, aber dadurch auch entschärft. Die Stacheln und scharfen Kanten"kapitalistischer Willkür" wurden abgeschliffen, an denen sich immer wieder Protest- und Kampfaktionen der Arbeiterbewegung entzündeten."... Der moderne Staat ist... nur die Organisation, welche sich die bürgerliche Gesellschaft gibt, um die allgemeinen äußeren Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise aufrechtzuerhalten gegen Übergriffe sowohl der Arbeiter wie der einzelnen Kapitalisten."[06]
Arbeitsgesetzgebung und Verstaatlichung der Sozialversicherungen veränderten das Gesicht der Staatsgewalt."Die neue Regelung veränderte das Verhältnis zwischen Bürgern und Staat: Eine Transferbindung fesselte jene als Beitragspflichtige, potentielle und faktische Anspruchssteller an die öffentliche Hand, während diese ihre Ansprüche unter festgelegten Voraussetzungen erfüllen musste."[07]
Der Staat - bisher hauptsächlich Gewaltapparat und Staat der Besitzenden - verwandelte sich durch die Arbeitsgesetzgebung scheinbar zum Schlichter im Konflikt zwischen Lohnarbeit und Kapital und durch die Sozialgesetzgebung scheinbar zum Wohltäter der Besitzlosen. Doch beides ist und blieb Schein, der sich in jeder Konflikt- und Krisensituation schnell verflüchtigt.
Der moderne Staat ist nur Sachwalter der kapitalistischen Rationalität, kein Sachwalter der Lohnabhängigen. Durch staatliche Normierung der Lohnarbeitsverhältnisse und durch staatliche Sozialversicherung werden die Notlagen der Lohnarbeit gedämpft, nicht die prinzipiell prekäre Lage der Lohnarbeiter und ihre Unterwerfung unter die Interessen des Kapitals beseitigt.
Wer meint, die Sozialversicherungen seien Ideal und Modell von"sozialer Gerechtigkeit" und Klassenharmonie, der glaubt dem schönen Schein schlimmer Verhältnisse.
Zwangsbeitrag und Zwangsmitgliedschaft in der Sozialversicherung verschaffen den Lohnabhängigen weder Einflussrecht noch Eigentumsanspruch."Über seine privaten Ersparnisse kann der Berechtigte frei verfügen, während die staatlich einbehaltenen Abgaben bloß spezielle - nicht übertragbare Ansprüche begründen. Lohnabhängige haben also keinen Zugriff auf jene Gelder, die sich durch ihre Beiträge akkumulieren."[08] Aber das Kapital hat - über den Kapitalmarkt - durchaus Zugriff auf die einbehaltenen Versicherungsbeiträge:"Darüber hinaus bildete das in den Versicherungskassen akkumulierte Transferkapital eine Quelle enormer finanzieller und ökonomischer Macht.... Heute dürfte es die größte Investmentquelle der Gesamtwirtschaft sein."[03]
<h2>3.1. Bismarck als"Erfinder" des Sozialstaat</h2>
"In Deutschland verwirklichte Bismarcks alldeutsche Regierung - ein autoritäres, aktivistisches Regime par excellence - erstmals eine landesweite gesetzliche Versicherung gegen Einkommensverluste. Das geschah gegen den Widerstand der Arbeiterbewegung, gegen starke parlamentarische Opposition, doch meist unterstützt von der Führung des Zentralverbandes der Industrie."[10]
"Bismarck plante eine Klasse von Staatspensionären: der Regierung loyal ergeben und streitbar gegen jede Veränderung, die ihre kleinen Vorteile hätte gefährden können - zwar ohne Vermögen, aber mit einem eigenen materiellen Interesse am Bestand der politischen Ordnung.... Keines der Ziele wurde jedoch erreicht. Die Sozialistische Partei wuchs nach Verabschiedung der Versicherungsgesetze sogar noch schneller, der Reichstag gewann an Einfluss,... und die Posten in der Versicherungsanstalt wurden überwiegend mit Arbeiterführern besetzt: Sie fanden dort sichere Zuflucht in einer Gesellschaft, die Streikführer und linksradikale Agitatoren sonst regelmäßig verstieß oder gar einsperrte."[11]
Mit der Vernichtung des kleinen Eigentums durch Warenproduktion und Lohnarbeit lösten sich auch die traditionellen Familienstrukturen auf, worin dieses kleine Eigentum geschaffen, bewahrt und weitervererbt worden war. Die staatliche Gesetzgebung folgte auch hier nur den eingetretenen wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen."Eine besondere Rolle in diesem Prozess spielte schließlich die Kodifizierung des Verwandten-Unterhaltsrechts im BGB, welches elf Jahre nach der Rentenversicherung, im Jahre 1900, in Kraft trat. Dessen rechtliche Struktur... beinhaltet normativ die Abkehr von dem ursprünglichen kollektiven Unterhaltsverband der 'Großfamilien'."[12]
Zwischen 1911 und 1916 wurde die Hinterbliebenenversorgung in die Rentenversicherungen eingegliedert und Angestellte in die Rentenkassen einbezogen. Die Altersgrenze wurde von zunächst 70 Jahre auf 65 Jahre gesenkt.
Wie reagierten die sozialen Hauptgruppen auf Bürokratisierung und Verstaatlichung der privaten und betrieblichen Hilfskassen?
<h3>3.1.1. Sozialstaat und Kapitalisten</h3>
Die Kapitalisten"misstrauten jeder Form von Arbeiterorganisation, weil sich dahinter stets gewerkschaftliche Aktivitäten oder schlimmeres - politische Verschwörung gar - verbergen konnten. Ihren besonderen Verdacht erregte die Arbeitslosenversicherung, die sich - argwöhnten sie - leicht in eine Streikkasse umwandeln ließ. Verlässlicher erschienen dagegen Betriebskassen: Sie wurden zwar durch Beiträge der Arbeiter finanziert, aber von der Unternehmensleitung selbst verwaltet, manchmal auch bezuschusst. Als erste richteten die damals größten Unternehmungen kollektive Versicherungsprojekte für ihre Beschäftigten ein: Minen und Eisenbahnen...
Finanzstarken Unternehmen boten betriebliche Kassen beträchtliche Vorteile: Sie halfen bei der Anwerbung neuer Arbeitskräfte, waren nicht direkt zu finanzieren, und man konnte die Rücklagen in eigene Projekte investieren. Das Management regelte die Voraussetzungen der Fälligkeit und... band dadurch die Belegschaft an den Betrieb, denn meist verfielen die Ansprüche bei Entlassung oder Kündigung..."[13]
"Die Arbeitgeber hatten wenig Anlass, sich gegen Rentenanstalten zu wehren: Sie erleichterten es ihnen, älteren Arbeitern zu kündigen, und entlasteten die Unternehmen von den drückenden Verpflichtungen gegenüber ihren Pensionären."[14]
Hinzu kommt:"Für Großunternehmer und ehrgeizige, aktivistische Regimes schien der Hauptanreiz nationaler Rentenmodelle darin zu liegen, dass sie bestens dazu geeignet waren, die Arbeiter durch Anteile am akkumulierten Transferkapital lebenslang an ihr Unternehmen und an den Staat zu fesseln."[15] Die Vertreter des Kapitals fanden schnell heraus, dass der Sozialstaat eine für das Kapital notwendige und nützliche Veranstaltung ist. Sie gaben jedoch ihre Einflussrechte nicht sofort an Staatsbürokraten ab."Überall, wo organisierte Unternehmer mit nationalen Versicherungsprojekten konfrontiert wurden, bemühten sie sich um alleinige Kontrolle, notfalls sogar um den Preis, einen Teil der Kosten zu tragen."[16]
<h3>3.1.2. Sozialstaat und Kleinbürger</h3>
"Für das Kleinbürgertum war private Akkumulation der Angelpunkt des Wirtschaftslebens, so dass es sich hartnäckig und erbittert dagegen wehrte, kollektive Versicherungsmodelle einzuführen."[17]"Zwangsakkumulation von Transferkapital bedeutete direkten Eingriff in den Geldfluss zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern und in das Konsumverhalten der Lohnabhängigen - damit zugleich Vordringen der Staatsbürokratie in jeden Betrieb, jeden Haushalt. Dagegen setzten sich kleine selbständige Unternehmer überall hartnäckig zur Wehr. Je stärker ihre politische Position war, desto länger zögerten sich die Sozialgesetze hinaus."[18]
"Die Geschichte des Sozialversicherungswesens zeugt... vom Machtverlust des selbständigen Kleinbürgertums..."[19]
"... Gesetzliche Versicherungsanstalten (wurden) vor 1900 meist von autoritären Regimes in wenig industrialisierten Ländern eingeführt...: Deutschland, Ã-sterreich, Finnland, Schweden und bedingt auch Italien. Zweifellos wollten die autoritären politischen Eliten dadurch die Parteien umgehen und direkt auf die arbeitenden Massen zugreifen, um sich deren Loyalität zu sichern.... Unter diesen autoritären Regimes, allen voran das kaiserliche Deutschland, waren nicht bloß die Industriearbeiter faktisch von der Staatsmacht ausgeschlossen - wie in vielen parlamentarischen Demokratien jener Zeit ebenfalls -, auch das Kleinbürgertum besaß kaum Einfluss, jedenfalls erheblich weniger als in demokratischen Staaten....
Im Wilhelminischen Deutschland fielen die Kleineigentümer politisch kaum ins Gewicht, dagegen die Junker (Landadel), Industriellen und Bürokraten um so mehr. Solange die Gesetzesvorhaben ländliche Interessen nicht bedrohten, konnte das Regime den Widerstand der Kleinbürger - die innerhalb der katholischen Zentrumspartei und den liberalen Gruppen gespalten waren - per Koalition mit den Großunternehmern überwinden....
Beim Auf und Ab der deutschen Politik brachte eine... dafür typische Koalition die Sozialversicherung zustande: das Bündnis zwischen der administrativen und politischen Eliten auf der einen und den Großindustriellen auf der anderen Seite. So zeichneten die Spitzen des Industrievereins für wichtige Teile der Gesetzentwürfe verantwortlich und traten auch in engem Einvernehmen mit Bismarcks Beamten persönlich für die Annahme des Modells ein. Wie bekannt, wurde die deutsche Sozialversicherung ohne Unterstützung, ja sogar ohne formelle Konsultation der Arbeiterorganisationen in Kraft gesetzt."[20]
<h3>3.1.3. Sozialstaat und Arbeiterbewegung</h3>
"Die relativ privilegierten Schichten der Arbeiterklasse - sicher beschäftigte Facharbeiter in fortgeschrittenen Industrien - traten im großen und ganzen für freiwillige und sogar betriebliche Kassen ein. Zugleich wehrten sie sich meist gegen umfassendere, besonders aber gegen Zwangsversicherungen."[21]
"Ein radikaler Flügel der Arbeiterbewegung lehnte alle Sozialreformen rundweg ab, weil sie rein kosmetische Operationen am repressiven Kapitalismus seien und die bevorstehende Revolution bestenfalls hinauszögern könnten.
Die Maximalisten (mit utopischen Reformvorschlägen, wb) in der Arbeiterbewegung forderten,... der Staat müsse sämtliche Risiken des Einkommensverlustes gesetzlich absichern und die Reichen durch höhere Steuern dafür bezahlen lassen...
Andere Gruppen verbanden ihre Minimalforderungen mit Widerstand gegen staatliche Eingriffe: Die Anarcho-Syndikalisten beharrten auf selbständiger Verwaltung der Hilfsvereine, da sie in autonomen Arbeiterzusammenschlüssen die Saat proletarischer Selbstverwaltung sahen."[22]
Entweder geschichtliche Unkenntnis oder bewusste Geschichtsfälschung ist es, wenn staatsgläubige Linke heute behaupten, die staatlichen Sozialversicherungen seien eine direkte oder indirekte Folge der Kämpfe der Arbeiterbewegung gewesen. So meint J. Strasser:"Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts erlebten die meisten Industriestaaten Europas unter dem Druck einer erstarkenden Arbeiterbewegung eine fortschreitende Ausdehnung staatlich organisierter Hilfe und Daseinsvorsorge."[23] Noch weiter von der Wahrheit entfernt ist, wer die staatlichen Zwangsanstalten der Sozialversicherung sogar als erkämpftes Ziel der Arbeiterbewegung feiert. [24]
Tatsache ist, dass die staatlichen Zwangsversicherungen gegen den aktiven oder passiven Widerstand der Arbeiterbewegung eingeführt wurden."Gewerkschaften konnten erst dann zur Sozialversicherung bekehrt werden, wenn sie nicht mehr auf Selbsthilfe oder eine direkt bevorstehende Revolution hofften und den begrenzten Horizont der örtlichen und branchenbezogenen Mitgliedschaft überschritten."[25]"Die Anwerbung der Arbeiterführer für das Sozialversicherungswesen trug... auch dazu bei, die Arbeiterbewegung zu bezähmen, am weitesten die Sozialdemokraten im deutschen Kaiserreich."[26]
<h2>3.2. Hitlers Sozialstaat im Dritten Reich</h2>
Heutige Rückblicke auf die Geschichte der Sozialversicherungen blicken gerne auf Bismarck zurück und springen dann unvermittelt in die Gegenwart. [27] Was war mit den Sozialversicherungen im ersten Weltkrieg? Wie überstanden sie Staatsbankrott und Hyperinflation nach dem Ersten Weltkrieg? Was war unter Hitler? Wie überstanden sie den Staatsbankrott nach dem Zweiten Weltkrieg, der in den Schulbüchern beschönigend"Währungsreform" genannt wird? Darüber schweigen sich die meisten Autoren aus.
"Für die Sozialversicherung enthielt das nationalsozialistische Parteiprogramm das Ziel eines 'großzügigen' Ausbaues der Altersversorgung. Zunächst war es jedoch erforderlich, die durch die Entwicklung nach dem Ersten Weltkrieg in große finanzielle Schwierigkeiten geratene Rentenversicherung zu sanieren. Ein erster Schritt zur Sanierung der Rentenversicherungen erfolgte durch das 'Gesetz zur Erhaltung der Leistungsfähigkeit der Invaliden-, der Angestellten- und der knappschaftlichen Versicherung' vom 7. Dezember 1933, durch das das Anwartschaftsdeckungsverfahren wieder eingeführt, die Berechnung der Renten neu geregelt und ein laufender Reichszuschuss in erheblicher Höhe für die Invalidenversicherung eingeführt wurde. Die endgültige Sanierung der Rentenversicherung erfolgte durch das 'Gesetz über den Ausbau der Rentenversicherung' vom 21. Dezember 1937. Es verpflichtete die Arbeitslosenversicherung, deren in der Weltwirtschaftskrise stark erhöhte Beitragssätze bei Erreichung eines höheren Beschäftigungsgrades nicht verringert wurden, aus ihren Beitragseinnahmen an die Invalidenversicherung 18 Prozent der Beitragseinnahmen der Invalidenversicherung und an die Angestelltenversicherung 25 Prozent der Beitragseinnahmen dieser Versicherung abzuführen. Außerdem übernahm das Reich über die Reichszuschüsse hinaus eine gesetzliche Garantie für den Bestand der Rentenversicherung."[28]
"Eine Erweiterung des Kreises der Versicherten trat auch durch das 'Gesetz über die Altersversorgung für das deutsche Handwerk' vom 21. Dezember 1938 ein, das erstmals eine große Gruppe selbständiger Erwerbstätiger in die Pflichtversicherung einbezog."[29]
"Zusammenfassend zur Sozialversicherungspolitik des Dritten Reiches lässt sich festhalten, dass diese Politik zu einer Sanierung der Rentenversicherung, zur Ausdehnung des sozialpolitischen Schutzes auf weitere Bevölkerungskreise, zu Verbesserungen im Leistungsrecht und zu Änderungen im organisatorischen Aufbau führte. Das Selbstverwaltungsprinzip wurde aufgehoben, der Versicherungsträger wurden Teil der Staatsverwaltung."[30]"Systematische und konsequente Weiterentwicklungen staatlicher Sozialpolitik sind konstatierbar... in der Sozialversicherung. Sie wurde finanziell stabilisiert, und organisatorisch gestrafft. Die selbständigen Handwerker wurden in die Invaliden- und Alterssicherung einbezogen. Die Leistungen wurden verbessert."[31]
Der viel gepriesene Sozialstaat ist ebenso sehr ein Werk der"Großindustrie" unter Hitler wie unter Bismarck. Wer den kapitalistischen Staatsapparat in einen"bösen" Gewalt- und Überwachungsstaat und einen"guten" Sozialstaat unterteilen will, der hat die allgemeinen Grundlagen von Herrschaft und Macht nicht begriffen. Macht beruht nie allein nur auf Gewalt, sondern immer auch auf Versorgung mit dem Nötigsten. In demokratischen wie „in despotischen Staaten umgreift die Arbeit der Oberaufsicht und allseitigen Einmischung der Regierung beides...: sowohl die Verrichtung der gemeinsamen Geschäfte, die aus der Natur aller Gemeinwesen hervorgehen, wie die spezifischen Funktionen, die aus dem Gegensatz der Regierung zu der Volksmasse entspringen.“[32].
<h2>3.3. Sozialstaat Bundesrepublik Deutschland</h2>
Adenauer und Erhard, die CDU- und SPD-Kanzler, setzten das"soziale" Werk von Bismarck und Hitler fort, wie sie auch - mit moderneren, aber auch wirksameren Mitteln - die Unterdrückung des Volkes von Bismarck und Hitler fortsetzen."Im wesentlichen aus dem Kaiserreich und der Weimarer Republik übernommen (die Sozialreformen der Nazis werden verschwiegen), sind diese sozialen Sicherungssysteme in der Ära der Bundesrepublik teils strukturell modifiziert (Dynamisierung der Renten 1957, Lohnfortzahl im Krankheitsfall 1969), teils auf weitere Gruppen ausgedehnt (z.B. Altershilfe für Landwirte 1957) und allgemein in ihren Leistungen verbessert worden."[33]"
1990 (waren) rund 84 Prozent der männlichen und rund 82 Prozent der weiblichen Wohnbevölkerung im Alter von 20 bis unter 60 Jahren in der Rentenversicherung...." [34] Rund 90 Prozent der Bevölkerung sind heute als Beitragszahler oder Rentenbezieher erfasst. Nur noch rund 5 Prozent aller Alten finanzieren ihre Lebensunterhalt aus innerfamiliären Leistungen ihrer Nachkommen. [35]
Ende des dritten Teils. Es folgen noch zwei Teile über die Finanzmechanik der Rentenversicherung und über Kosten und Nutzen der Arbeitslosenversicherung.
Wal Buchenberg, 7.7.2003
<h2>Benutzte Literatur</h2>
Borchert, Jürgen: Renten vor dem Absturz. Ist der Sozialstaat am Ende? Frankfurt 1993.
Buchenberg, Wal (Hrsg): Karl Marx, Das Kapital. Kommentierte Kurzfassung aller drei Bände. <a href=http://www.vwf.de/autoren/3-89700-360-0.php3> Verlag für Wissenschaft und Forschung VWF Berlin 2002.</a>
Gillen, Gabi/Möller/Michael: Anschluss verpasst. Armut in Deutschland. Dietz Bonn 1992.
Hanesch, W. /Krause, P./Bäcker, G.: Armut und Ungleichheit in Deutschland. rororo Reinbek 2000.
Kaufhold, Karl Heinrich: Die Epoche des Merkantilismus. In: Schäfer, Hermann (Hrsg): Wirtschaftsgeschichte der deutschsprachigen Länder vom frühen Mittelalter bis zur Gegenwart. Würzburg 1989
Lampert, Heinz: Staatliche Sozialpolitik im Dritten Reich. In: Bracher/Funke/Jacobsen (Hrsg): Nationalsozialistische Diktatur 1933 - 1945. Eine Bilanz. Bundeszentrale für politische Bildung Bonn 1986: 177 - 205.
Luxemburg, Rosa: Sozialreform oder Revolution? Leipzig 1899. In: Rosa Luxemburg, Gesammelte Werke Bd.1.1.: 367 - 466.)
Marx, Karl: Grundrisse der Kritik der politischen Ã-konomie (Rohentwurf). 1857/58. Berlin 1974.
Müller, Wolfgang: Die Grenzen der Sozialpolitik in der Marktwirtschaft. In: Schäfer, Gerd/Nedelmann, Carl: Der CDU-Staat. Analysen zur Verfassungswirklichkeit der Bundesrepublik. Bd.I. es Frankfurt 1969. 14 - 47.
Nolte, Detlev: Die Gesetzliche Rentenversicherung als unüberwindliche Barriere der Sozialpolitik? Analyse des Rentenversicherungssystems in Hinblick auf die Finanzierung der Sozialrenten. (Diss. Wiso Osnabrück 1987) Frankfurt 1988.
Petersen, Hans-Georg: Sozialökonomik. Stuttgart 1989.
Rudzio, Wolfgang: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland. UTB 2. Aufl. 1987.
Strasser, Johano: Grenzen des Sozialstaats? Soziale Sicherung in der Wachstumskrise. EVA Köln 1979.
Swaan, Abram de: Der sorgende Staat. Wohlfahrt, Gesundheit und Bildung in Europa und den USA der Neuzeit. Frankfurt 1993. (Originalausgabe: Amsterdam 1989).
Ziegler, Gerhard: Alter in Armut? Das Fiasko der staatlichen Altersversorgung. Hamburg 1992.
Zöllner, Detlev: Sozialpolitik. In: Benz, Wolfgang (Hrsg): Die Bundesrepublik Deutschland. Geschichte in drei Bänden. Bd. 2: Gesellschaft. Frankfurt 1983.
<a name="note01">"'Nach Schätzungen gehörten um die Jahrhundertmitte (des 19. Jahrhunderts, wb) fast die Hälfte aller erwachsenen Einwohner von England und Wales derartigen Vereinen an.'... Tennstedt dokumentiert, dass 45 Prozent aller Einwohner Preußens in Krankenkassen mit durchschnittlich je bloß etwa hundert Mitgliedern versichert waren. Starr erwähnt Schätzungen, wonach 25 bis 30 Prozent der amerikanischen Familien 'bruderschaftlichen Orden und Wohltätigkeitsvereinen' angehörten, die oft auch Versicherungen anboten. In Amsterdam waren Ende des 19. Jahrhunderts rund vierzig Prozent der Bevölkerung auf Gegenseitigkeit versichert." de Swaan: 162</a>ZURÜCK
<a name="note02"> de Swaan: 171. </a>ZURÜCK
<a name="note03"> de Swaan: 168</a>ZURÜCK
<a name="note04"> Petersen: 63. </a>ZURÜCK
<a name="note05"> de Swaan: 194. </a>ZURÜCK
<a name="note06"> Engels, Friedrich: Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft. MEW 19: 222. </a>ZURÜCK
<a name="note07"> de Swaan: 178. </a>ZURÜCK
<a name="note08"> de Swaan: 170. </a>ZURÜCK
<a name="note09"> de Swaan: 192. </a>ZURÜCK
<a name="note10"> de Swaan: 207. </a>ZURÜCK
<a name="note11"> de Swaan: 208. </a>ZURÜCK
<a name="note12"> Borchert: 62. </a>ZURÜCK
<a name="note13"> de Swaan: 189. </a>ZURÜCK
<a name="note14"> de Swaan: 200. </a>ZURÜCK
<a name="note15"> de Swaan: 201. </a>ZURÜCK
<a name="note16"> de Swaan: 190</a>ZURÜCK
<a name="note17"> de Swaan: 186. </a>ZURÜCK
<a name="note18"> de Swaan: 239. </a>ZURÜCK
<a name="note19"> de Swaan: 188. </a>ZURÜCK
<a name="note20"> de Swaan: 209. </a>ZURÜCK
<a name="note21"> de Swaan: 193. </a>ZURÜCK
<a name="note22"> de Swaan: 191. </a>ZURÜCK
<a name="note23"> Strasser: 22. </a>ZURÜCK
<a name="note24"> Dem 'Nachtwächterstaat'"setzte die Arbeiterbewegung in den meisten europäischen Ländern... von Anfang an ein anderes Modell entgegen: die Vorstellung eines Staates, der auf der Basis demokratischer Entscheidungen durch sichernde, steuernde und umverteilende Maßnahmen ein Höchstmaß an sozialer Gerechtigkeit und Sicherheit für alle Bürger herstellt." Strasser: 21. </a>ZURÜCK
<a name="note25"> de Swaan: 193. </a>ZURÜCK
<a name="note26"> de Swaan: 192. </a>ZURÜCK
<a name="note27"> z. B. Nolte: 28</a>ZURÜCK
<a name="note28"> Lampert: 192f. </a>ZURÜCK
<a name="note29"> Lampert: 193. </a>ZURÜCK
<a name="note30"> Lampert: 194. </a>ZURÜCK
<a name="note31"> Lampert: 205. </a>ZURÜCK
<a name="note32"> K. Marx, Kapital III. MEW 25, 397. </a>ZURÜCK
<a name="note33"> Rudzio, 360. </a>ZURÜCK
<a name="note34"> Borchert: 26. </a>ZURÜCK
<a name="note35"> Borchert: 63. </a>ZURÜCK
<ul> ~ http://www.marx-forum.de</ul>

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