- Wachstum durch Sozialdetektive? *ggg* - Cujo, 16.07.2003, 12:33
Wachstum durch Sozialdetektive? *ggg*
-->Insgesamt 615 800 Euro haben allein die sieben Prüfer in Steglitz-Zehlendorf im vergangenen Jahr der Bezirksverwaltung an Kosten eingespart. Die Kommunen engagieren sich neuerdings auch deshalb so intensiv bei der Betrugsbekämpfung, weil sie auf diese Weise ihren Sozialetat schnell und unkompliziert entlasten können. Ein Berliner Prüfer erzielt im Jahr durchschnittlich 60 000 Euro an Einsparungen, seine Arbeitskraft hingegen kostet das Land nur rund 40 000 Euro. Mit der Rechercheleistung von 500 Prüfern könnte Berlin dann jedes Jahr rund zehn Millionen Euro sparen. Rechenkünstler Sarrazin kommt sogar auf 30 Millionen Euro Einsparung - man müsse die sonst überflüssigen Mitarbeiter ja eh bezahlen.
Hier der gesamte Artikel:
SOZIALHILFE
Lächeln und lügen
Städte und Gemeinden setzen verstärkt Detektive ein, um Sozialbetrügern auf die Schliche zu kommen - und sparen so Millionenausgaben.
Auf der letzten Treppenstufe schaut Bernd Plewa, 47, schnell noch auf seinem Klemmbrett nach, wer als Nächstes dran ist: eine 54-jährige Russin, entnimmt er dem Zettel, die vor neun Jahren nach Deutschland gekommen ist und dem Sozialamt eine erstaunliche Geschichte erzählt hat. Sie lebe mit ihrem Mann zwar in derselben Wohnung, hatte sie behauptet, aber trotzdem getrennt von ihm; deshalb habe sie Anspruch auf Sozialhilfe. Plewa ist gespannt und klingelt.
Die Frau öffnet ihm und seiner Kollegin Nicole Schirra die Tür. Die Russin trägt eine Schürze mit Lederhosenaufdruck, Arme vor der Brust verschränkt, Nase in die Höhe gereckt. Trotzig schaut sie aus, wie ein Mädchen, das dabei erwischt worden ist, wie es seinen kleinen Bruder verprügelt. Plewa zeigt seinen gelben Dienstausweis und betritt die Wohnung.
Er sieht: ein Wohnzimmer mit Kunstledersofa, Fernseher und Videorecorder, einen Kühlschrank voll gestopft mit Lebensmitteln, ein Kinderzimmer mit Computer und ein Schlafzimmer mit Ehebett."Betten beidseitig benutzt", vermerkt er auf dem Block.
"Was soll die Prüfung?", murrt die Frau im russischen Akzent,"die Bettwäsche trage ich abends immer vom Schlafzimmer ins Wohnzimmer." Plewa schweigt und notiert:"Eine Trennung der Lebensbereiche hat nicht stattgefunden."
Kein Zweifel, ein Volltreffer. Jeden Monat besuchen Plewa und seine sechs Prüferkollegen von der Berliner Bezirksverwaltung Steglitz-Zehlendorf bis zu 200 Haushalte von Sozialhilfeempfängern mit dem Ziel, den Betrügern unter ihnen auf die Schliche zu kommen. Bei immerhin einem Viertel der Kontrollen werden sie fündig: Sie stoßen auf finanzkräftige Ehepartner, die bislang unerwähnt waren, auf unangemeldete Untermieter oder auf Hinweise von Schwarzarbeit. Daraufhin wird die Sozialhilfe gekürzt, eingestellt, oder die beantragten Gelder werden nicht gewährt.
Überall in Deutschland setzen die Kommunen verstärkt Sozialdetektive ein, die den Missbrauch staatlicher Leistungen systematisch bekämpfen sollen; allein in Berlin schwärmen jeden Morgen rund 40 Prüfer aus. Ginge es nach dem Willen von Finanzsenator Thilo Sarrazin, würde ihre Zahl erheblich aufgestockt: Er möchte 500 Mitarbeiter aus dem Überhang der Berliner Behörden umschulen lassen.
Der Kontrollbedarf könnte in Zukunft noch zunehmen. Für fast 1,5 Millionen Empfänger von Arbeitslosenhilfe werden nach den Plänen der Bundesregierung von 2004 an stufenweise die Leistungen auf Sozialhilfeniveau abgesenkt. Gut möglich, dass mancher dann erst recht versucht sein wird, die Stütze etwa durch Schwarzarbeit aufzubessern.
Die Sozialämter verfügen über einige Hebel: Sie fragen bei der Kfz-Zulassungsstelle an, ob jemand einen Wagen fährt. Ist der teurer, als es ihm zusteht, muss er ihn verkaufen. Sie prüfen per Datenabgleich mit anderen Behörden, ob ein Hilfeempfänger bereits Rente oder Arbeitslosengeld bezieht. Sie checken beim Bundesamt für Finanzen, ob womöglich verschwiegene Konten existieren, auf denen dann Vermögen geparkt sind. Vor allem aber schicken sie Kontrolleure los, die - häufig unangemeldet - Hausbesuche abstatten, um festzustellen, ob zum Beispiel der Fernseher, wie behauptet, tatsächlich kaputt und ein neues Gerät nötig ist.
Ein Mindestmaß an technischem Grundverständnis muss jeder Prüfer mitbringen, um die Tricks zu durchschauen. Erfahrene Ermittler wie Plewa werfen als Erstes einen Blick auf die Steckdose, wenn zum Beispiel behauptet wird, eine Waschmaschine habe plötzlich ihren Geist aufgegeben. Den Stecker herauszuziehen ist ein simpler, aber beliebter Kniff, um sich ein neues Gerät zu ergaunern - und sofort weiterzuverkaufen. Der Handel mit so genannten einmaligen Leistungen - Waschmaschinen, Fernsehern und Kühlschränken - gehöre zu den am meisten verbreiteten Formen von Sozialhilfemissbrauch, berichtet Plewa.
Mit der Zeit hat der Beamte ein Gespür dafür entwickelt, wenn etwas faul ist. Stutzig wird er zum Beispiel, wenn ein Paar verschlammte Bauarbeiterschuhe in der Ecke stehen oder wenn im gewöhnlichen Handwerkskasten eher seltene Utensilien wie pneumatische Hämmer liegen. Dann notiert er, dass Verdacht auf Schwarzarbeit besteht, woraufhin die Polizei eingeschaltet wird.
Insgesamt 615 800 Euro haben allein die sieben Prüfer in Steglitz-Zehlendorf im vergangenen Jahr der Bezirksverwaltung an Kosten eingespart. Die Kommunen engagieren sich neuerdings auch deshalb so intensiv bei der Betrugsbekämpfung, weil sie auf diese Weise ihren Sozialetat schnell und unkompliziert entlasten können. Ein Berliner Prüfer erzielt im Jahr durchschnittlich 60 000 Euro an Einsparungen, seine Arbeitskraft hingegen kostet das Land nur rund 40 000 Euro. Mit der Rechercheleistung von 500 Prüfern könnte Berlin dann jedes Jahr rund zehn Millionen Euro sparen. Rechenkünstler Sarrazin kommt sogar auf 30 Millionen Euro Einsparung - man müsse die sonst überflüssigen Mitarbeiter ja eh bezahlen.
Sobald der Prüfer Plewa die Wohnung eines Sozialhilfeempfängers betritt, erfassen seine Augen die Einrichtung wie ein Scanner: Wie viel Kleidung liegt im Schrank? Sind die Sachen neu? Ist der Videorecorder ein fabrikneuer DVD-Player? Kurz: Sind die Leute wirklich bedürftig? Plewa ist immer freundlich, aber notorisch skeptisch:"Hör ihnen zu, aber lass dich nicht beeinflussen", sagt er. Er kennt seine Pappenheimer:"Sie lächeln und lügen dich trotzdem an."
Es gibt einfache Fälle wie den, als Plewa innerhalb eines Tages achtmal eine Wohnung aufsuchte, aber nie jemanden vorfand. Selbst als die Sozialhilfe gestrichen wurde, meldete sich niemand."Das könnte eine reine Deckadresse gewesen sein, der Mann lebt auf Mallorca und greift hier die Sozialhilfe ab", mutmaßt Plewa.
Manchmal kommt er in Situationen, da ist es selbst für den Profi schwer, kühl zu bleiben. Einmal habe er in einer Wohnung die Badezimmertür geöffnet, dahinter stand ihm plötzlich in Feinripp-Unterwäsche der gut verdienende Ehemann gegenüber, der angeblich seit Wochen verschwunden war.
Es gibt aber auch Fälle, die zeigen: Gegen eine gewisse praktische Intelligenz ist auch der Instinkt der Ermittler machtlos.
Sabine E., 34, und ihr Mann sind im Juni vergangenen Jahres in getrennte Wohnungen gezogen, die Frau beantragte so genannten Mehrbedarf für allein Erziehende: 117 Euro im Monat. Als Plewa sie im November besuchte, fand er dort ihren Ehemann vor - und im Schrank sogar dessen Wäsche."Er hat seine Sachen hier, weil er noch keine Möbel hat", behauptete E. damals. Nach über fünf Monaten? Das Alleinerziehendengeld wurde gestrichen.
Die Frau legte Widerspruch ein."Der Staat müsste sich doch freuen, wenn der Vater weiter auf seine Kinder aufpasst", entrüstete sie sich.
Also suchte Plewa abermals die Wohnung auf. Er konnte nicht ganz glauben, dass der Ehemann tatsächlich ausgezogen sein sollte. Doch diesmal war er abwesend, auch die Wäsche lag nicht mehr in der Schublade. Da nicht entscheidend ist, was Plewa denkt, sondern was er sieht, notierte er achselzuckend:"Es gibt keine Hinweise mehr auf eine weitere Person." Die Frau bekommt wieder ihre 117 Euro.
Wer clever ist, das verdrießt die Prüfer immer wieder, holt mehr heraus aus dem System staatlicher Fürsorge. Wer sich zudem im Wirrwarr der Paragrafen zurechtfindet und wegen jeder Kleinigkeit - von der Konfirmationskleidung bis zur Schultüte - zum Amt läuft, der kommt noch besser weg. Da helfen auch noch so akribische Kontrollen nichts. Bis in höchste Instanzen wurde schon darum gestritten, ob zum Beispiel Kondome oder Gleitcreme mit dem Sozialhilfe-Regelsatz abgegolten sind oder doch beihilfefähig.
Der Fehler steckt im System."Gäbe es Sozialhilfe pauschal", sagt Berthold Löffler, Verwaltungsrechtler an der Fachhochschule Ravensburg-Weingarten,"müsste jeder lernen, mit dem hauszuhalten, was er hat." So aber lebten die Hilfeempfänger auf ganz unterschiedlichem Niveau:"Der Wohnstandard", hat Löffler beobachtet,"reicht von niedrig bis durchaus gehoben."
Etwa zehn Prozent der Sozialhilfeempfänger leisteten sich, zum Beispiel mit Schwarzarbeit oder einem finanzstarken Ehepartner, ein Leben auf großem Fuß, schätzt Löffler: mit Hauskino und Großbildleinwand im Wohnzimmer. Ein weiteres Viertel komme relativ gut zurecht - vielleicht dank ähnlicher Zusatzeinkünfte, vielleicht aber auch, weil sie noch nicht lange Fürsorgebezieher sind.
Das Gros der Sozialhilfeempfänger lebe allerdings in nahezu ärmlicher Ausstattung. Und schließlich gebe es noch die unteren zehn Prozent, die völlig verwahrlost seien. Die sich nicht trauten, das einzufordern, was ihnen zusteht. Oder es nicht schafften, weil sie etwa krank sind.
So kommt es vor, dass Sozialdetektive, statt Betrüger zu entlarven, sich plötzlich in der Rolle von Sozialarbeitern wiederfinden: Wenn sie auf wirklich arme Schlucker stoßen, verhelfen sie ihnen zu ihrem Recht.
Klaus R. zum Beispiel, 64, ein ehemaliger"Puffkellner", wie er sagt, fehlt es an fast allem. Kein Teppich verdeckt das schmutzige Linoleum, die Kacheln in der Küche sind heruntergerissen, kein Bett, kein Tisch, kein Sofa. Zurzeit schläft er auf einer Luftmatratze.
Plewa wird dem Sozialamt empfehlen, dem Mann mehr Hilfsleistungen zu genehmigen, als dieser beantragt hat. Schließlich werde er ja nicht danach bezahlt, wie viel er spare, sagt der Beamte:"Wir haben nicht die Mentalität unserer Knöllchen schreibenden Kollegen."
CAROLINE SCHMIDT

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