- TV-Tipp: 22:30 ORF 2 ISRAEL: Die Mauer des Schweigens - HB, 16.07.2003, 20:52
TV-Tipp: 22:30 ORF 2 ISRAEL: Die Mauer des Schweigens
-->Wer ORF 2 nicht empfangen kann: Das wird wohl auch mal auf einem der Dritten kommen, die Ã-sis waren nur schneller:
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ISRAEL: Die Mauer des Schweigens
"Welches Land im Nahen Osten verschweigt den Besitz von atomaren und biologischen Waffen und lässt keine internationalen Kontrollen zu?" Mit dieser provokanten Frage bewarb die BBC just zu Beginn des Irak-Kriegs ihren Report über Israels geheimes Waffenprogramm. Als dieser Bericht dann vor zweieinhalb Wochen auch weltweit ausgestrahlt wurde, reagierte Israels Regierung drastisch: Alle Kontakte zur BBC wurden abgebrochen, Interviews werden bis auf weiteres verweigert. Aus den Kabelnetzen des Landes ist der Sender schon seit Monaten entfernt.
Das Weltjournal bringt am Mittwoch diesen umstrittenen Bericht der BBC-Journalistin Olenka Frenkiel. Sie ruft das Schicksal des"Atomspions" Mordechai Vanunu in Erinnerung - er hatte 1986 aus Gewissensgründen die britische Zeitung Sunday Times über das israelische Nuklearprogramm informiert, wurde vom Mossad aus Italien entführt und sitzt seither im Gefängnis. Sie beschäftigt sich mit dem geheimen Atomreaktor Dimona in der Negev-Wüste, den viele Experten für ein Sicherheitsrisiko halten, sie beleuchtet kritisch, wie unterschiedlich die internationale Staatengemeinschaft, vor allem die USA, mit dem Thema Massenvernichtungswaffen im Fall Israels umgeht. Es sind nicht neue Fakten, die den Bericht brisant machen, es ist die kritische Darstellung der Mauer des Schweigens, die Israel um seine Waffen gebaut hat.
Israel hat immer wieder die feindlich gesinnten Nachbarn, das hohe Sicherheitsbedürfnis des Landes als Motiv für seine Verteidigungspolitik angeführt. Nun wirft die Regierung Sharon der BBC anti-israelische Tendenzen vor, ihre Berichterstattung leiste dem Antisemitismus Vorschub. Das Weltjournal möchte seinen Zuschauern die Möglichkeit geben, sich selbst ein Urteil zu bilden.
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Zum Thema passt das Buch"Atommacht Israel" von Seymour M. Hersh
Inhalt
Einführung..................... 7
1 Ein Geheimabkommen............ 9
2 Der Wissenschaftler............. 24
3 Die French Connection........... 39
4 Erste Erkenntnisse.............. 53
5 Interne Kriege................ 65
6 Die Sache wird publik........... 77
7 Doppelte Loyalität............... 88
8 Ein Präsident kämpft............ 99
9 Jahre des politischen Drucks....... 123
10 Die Samson-Option............ 136
11 Das Spiel wird fortgesetzt......... 151
12 Der Botschafter.............. 167
13 Eine israelische Entscheidung...... 181
14 Ein Geschenk des Präsidenten...... 191
15 Der Tunnel................ 204
16 Vorspiel zum Krieg............ 217
17 Nukleare Erpressung........... 232
18 Unrecht.................. 249
19 Carters Unbehagen............ 268
20 Ein israelischer Atomtest......... 281
21 Der israelische Atomspion........ 295
22 Ein israelischer Aktivposten....... 319
Epilog..................... 329
Danksagung.................. 333
Anhang..................... 335
Namenregister................. 381
Einführung
Dieses Buch schildert den geheimen Weg Israels zur nuklearen
Atommacht. Der Beweis wird erbracht, daß dieses Geheimnis
den höchsten politischen und militärischen Kreisen der Vereinig-ten
Staaten seit Eisenhower bekannt war, daß die israelische
Atomrüstung insgeheim gutgeheißen und verräterische Aktionen
auf dem Weg zur Bombe bewußt ignoriert wurden.
Viele höhere amerikanische Beamte werden zitiert. Sie berichten,
was sie und seit wann sie es wußten. Häufig gaben sie zum er-sten
Mal solche Stellungnahmen ab. Diese Menschen brachen ihr
Schweigen nicht aus Feindseligkeit gegenüber der israelischen
Regierung, sondern weil ihnen die Unredlichkeit der amerikani-schen
Politik bewußt geworden war: Nach außen hin wird in Wa-shington
vorgegeben, man wisse nichts von Israels nuklearem
Waffenarsenal. Diese Politik wurde und wird fortgesetzt.
Ich zog es vor, bei den Recherchen für dieses Buch nicht nach
Israel zu reisen. Zum einen waren die wenigen Israelis, die bereit
waren, mit mir zu reden, viel offener und zugänglicher, wenn sie
in Washington, New York und auch in Europa interviewt wurden.
Zum anderen unterwirft Israel alle in- und ausländischen Korre-spondenten
der Zensur. Nach israelischem Recht muß alles Mate-rial,
das Journalisten in Israel produzieren, der Militärzensur vor-gelegt
werden. Die Zensoren können jederzeit Änderungen und
Streichungen vornehmen, wenn sie die nationale Sicherheit Isra-els
bedroht sehen. Aus einleuchtenden Gründen konnte ich mich
der israelischen Zensur nicht unterwerfen. Wer in der Vergangen-heit
gegen diese Gesetze verstieß, wurde von Israel mit Einreise-verbot
belegt.
Die Israelis, die mir Informationen gaben, waren keine Kritiker
des israelischen Nuklearpotentials. Sie halten die Bombe für not-
wendig zur Sicherung des Staates Israel. Sie gaben Auskünfte,
weil sie glauben, daß eine umfassende und offene Diskussion
des israelischen Atomarsenals - und der Konsequenzen, die das
mit sich bringen müßte - in einer demokratischen Gesellschaft
unerläßlich ist.
Seymour M. Hersh
Washington, D.C.
Ein Geheimabkommen
Im Jahr 1979 umkreiste das wichtigste militärische Geheimnis der
Vereinigten Staaten von Amerika die Erde im Weltall. Mühelos be-schrieb
es alle sechsundneunzig Minuten seine Bahn um die Erde
und machte frappierend gute und unschätzbar wertvolle Aufklä-rungsfotos
von allem, was Hunderte von Kilometern unter ihm
lag. Der Satellit hieß KH-11 und stellte in technischer Hinsicht ei-ne
erstaunliche Weiterentwicklung dar. Er übermittelte den Bo-denstationen
digitalisierte Bilder, die - ohne zeitliche Verzöge-rung
- von den Geheimdiensten analysiert werden konnten. Ein
Überraschungsangriff wie 1941 auf Pearl Harbor konnte sich
nicht wiederholen.
Der erste KH-11-Satellit war am 19. Dezember 1976, nach Jimmy
Carters Sieg über Gerald Ford bei den Präsidentschaftswahlen im
November, auf seine Umlaufbahn gebracht worden. Die Regie-rung
Carter hielt - wie auch schon die Regierung Ford - die wert-vollen
Bilder streng unter Verschluß. Sogar bei den Briten, die in
der Welt der Geheimdienste als engste Verbündete Amerikas gel-ten,
mußte von Fall zu Fall entschieden werden, ob sie die Auf-nahmen
zu Gesicht bekamen oder nicht.
Im März 1979 wurden dann die strengen Sicherheitsvorschriften
gelockert. Präsident Carter beschloß, Israel KH-11-Fotos zur Ver-fügung
zu stellen. Wenn in einem Gebiet im Umkreis von 160
Kilometern um Israel (also auf den Territorien der Nachbarländer
Libanon, Syrien, Ägypten und Jordanien) Truppenbewegungen
oder andere potentiell bedrohliche Aktivitäten stattfanden, sollte
Israel Zugang zu allem Geheimmaterial bekommen, das der Satel-lit
lieferte. Die Israelis sollten erstklassige Informationen bekom-men:
Die spektakulären ersten Bildserien, die der KH-11 -manchmal
sogar dreidimensional - übermittelte, und nicht jene
absichtlich unscharf und trübe gemachten Fotos, die der amerika-nische
Geheimdienst sonst an die Behörden und die ausländi-schen
Verbündeten verteilte, um zu verbergen, welch exzellente
Bildauflösung mit den optischen Instrumenten des KH-11 mög-lich
war.1
Für die israelische Regierung war Jimmy Carters Entscheidung ein
großer Triumph. Sie hatte seit der Stationierung des KH-11 drei
Jahre zuvor an einer Teilnutzung des Satelliten höchstes Interesse
bekundet. Amerikanische Geheimdienstleute vermuteten, daß die
Israelis High-Tech-Bilder bekamen, um sie für die kooperative
Teilnahme von Premierminister Menachem Begin am Gipfel von
Camp David mit Präsident Anwar El Sadat zu belohnen. Diese
Beamten hatten verstanden, was vielen Mitarbeitern des Weißen
Hauses nicht klar war: Die Einbeziehung der Israelis in die Nut-zung
des Systems brachte eine völlig neue Verbindlichkeit ins
Spiel, die mit der ursprünglichen Aufgabe des KH-11 in Konflikt
kommen mußte. Der KH-11 war damals die modernste Technolo-gie
der Luftaufklärung, erläuterte ein früherer Beamter der Natio-nal
Security Agency (NSA). Der Satellit sei für alle Arten von
Nachrichtenübermittlung eingesetzt worden, und jeder militäri-sche
und zivile Nachrichtendienst der Regierung habe ihn unbe-dingt
nutzen wollen. Es war das Ziel der Einsatzleiter des KH-11,
die Prioritäten so zu setzen, daß er möglichst zur rechten Zeit am
rechten Ort war. Abrupte Flugbahnänderungen sollten ebenso
vermieden werden wie jähe, treibstoff-fressende Manöver. Da-durch
sollte der viele Millionen Dollar teure Satellit mit seinem
begrenzten Treibstoffvorrat länger in seiner Umlaufbahn bleiben,
mehr Informationen liefern und kostengünstiger arbeiten kön-nen.
Carters Entscheidung, Israel direkten Zugang zum KH-11 zu
gewähren, warf diese ausgeklügelten Pläne über den Haufen. Au-ßerdem
mußten einige amerikanische Nachrichtendienste eine
Einschränkung ihres Zugangs zum Satelliten hinnehmen. »Es war
eine in wirklich vielerlei Hinsicht unpopuläre Entscheidung«, sag-te
der frühere Beamte der NSA.
Innerhalb der Regierung wurden jedoch keine offiziellen Proteste
laut. Den wenigen, die das KH-11-Abkommen beunruhigte, war
bewußt, daß jede Besorgnis, die sie darüber (selbst im nachhin-
ein) äußerten, ihren eigenen Zugang zu solchen Informationen
und damit ihren Status als Insider gefährden könnte.
Die Israelis hingegen werteten das KH-11-Abkommen selbstver-ständlich
als Zeichen, daß sie den Respekt und die Unterstützung
der Regierung Carter wiedergewonnen hatten. Der CIA-Direktor
und Ex-Admiral Stansfield Turner hatte nämlich die geheim-dienstliche
Zusammenarbeit mit Israel und anderen befreundeten
Nationen im Rahmen einer Neustrukturierung der CIA erheblich
eingeschränkt. Die Israelis waren von den früheren Präsidenten
Richard Nixon und Gerald Ford eine weit bessere Behandlung
gewohnt. Sie hielten die maßgeblichen Leute in der Regierung
Carter für naiv und antisemitisch; vielleicht fehlte diesen Beamten
auch das volle Verständnis dafür, wie eng während des Kalten
Krieges die Verbindungen zwischen dem wichtigsten israelischen
Auslandsgeheimdienst Mossad und der CIA geworden waren.
Das KH-11-Abkommen von 1979 war schon die achtundzwanzig-ste
offizielle amerikanisch-israelische Vereinbarung zur Zusam-menarbeit
auf dem Gebiet der strategischen Nachrichtenübermitt-lung,
die seit den fünfziger Jahren getroffen worden war. Über
diese Vereinbarungen ist nie etwas an die Ã-ffentlichkeit gedrun-gen.
Viele wurden nicht aus dem normalen Etat finanziert, son-dern
aus einem Reptilienfonds, den der CIA-Direktor persönlich
verwaltete. So flössen in den sechziger Jahren ungezählte Millio-nen
in bar von der CIA an den Mossad. Diese äußerst heikle Ope-ration
trug den Decknamen KK MOUNTAIN (KK war das interne
Kürzel für Nachrichten und Materialien, die Israel betrafen). Im
Gegenzug wies der Mossad seine Agenten an, in ganz Nordafrika
und in Ländern wie Kenia, Tansania und dem Kongo die ameri-kanischen
Interessen zu vertreten. Andere Geheimabkommen mit
dem Mossad bezogen sich auf die heikelsten israelischen Aktio-nen
im Nahen Osten wie die Verwendung amerikanischer Gelder
zur Finanzierung von Operationen in Syrien und in der Sowjet-union,
wo die Agenten der CIA Schwierigkeiten bei der Nachrich-tenbeschaffung
hatten. Manche Aktivitäten in der Sowjetunion
wurden offenbar aus dem regulären Etat der CIA finanziert, wo-durch
sie von den zuständigen Ausschüssen des Kongresses ab-gesegnet
waren. Die komplexen Zusammenhänge der amerikani-
sehen Finanzierung israelischer Operationen bleiben jedoch ei-nes
der großen Geheimnisse des Kalten Krieges.
Admiral Turner lockerte jedoch 1977 die Zusammenarbeit mit
den Israelis und strich die Gelder für die Operationen in Afrika
und anderen Ländern. Daraufhin lieferten auch die Israelis er-heblich
weniger Informationen nach Washington. Aus israeli-scher
Sicht stand hinter dem KH-11-Abkommen vom März 1979
nicht der Erfolg von Camp David, sondern der Mißerfolg der
CIA. Sie hatte den wachsenden sowjetischen Druck auf Afghani-stan
1978 und die möglichen Folgen der Aufstände im Iran völ-lig
falsch eingeschätzt. In beiden Ländern gab es große jüdische
Gemeinden - in der afghanischen Hauptstadt Kabul lebten viele
jüdische Ladenbesitzer -, und die Informationen des Mossad wa-ren
erheblich besser als die der CIA. Am ärgerlichsten für den
Präsidenten und seine höchsten Berater war die unzureichende
Berichterstattung der CIA über den Iran, wo Schah Mohammad
Resa Pahlawi, ein altgedienter Verbündeter der USA, im Februar
1979 durch einen Volksaufstand gestürzt wurde, obwohl in nai-ven
CIA-Berichten ein Jahr lang prognostiziert worden war, er
würde sich halten können.2 Die CIA hatte die israelische Inter-pretation
der Lage zurückgewiesen. Uri Lubrani, ein früherer is-raelischer
Botschafter im Iran, hatte 1978 in einer scharfsinnigen
Analyse dargelegt, warum sich der Schah nicht an der Macht
werde halten können. Die CIA hatte den Präsidenten enttäuscht
und die amerikanische Führung gezwungen, einmal mehr die Is-raelis
um Hilfe bei der Prognose von Weltereignissen zu bitten.
Nicht zufällig gehörte Lubrani der israelischen Delegation an, die
dann im März 1979 das KH-11-Abkommen in Washington aus-handelte.
Die KH-11-Bilder, die Israel nun zur Verfügung standen und die
jede militärische Aktivität auf dem Gebiet seiner vier Nachbarstaa-ten
wiedergaben, bekamen die Bezeichnung »I & W« (intelligence
and warning) und wurden von den amerikanischen Geheimdien-sten
als top secret eingestuft. Sobald die Fotos entwickelt waren,
mußten sie von israelischen Militärattaches in einem besonderen
Pentagon-Büro abgeholt werden, das unter der Leitung der De-
fense Intelligence Agency (DIA, zuständig für Militärspionage)
stand. Einen entscheidenden Vorbehalt gab es dabei allerdings:
Die Israelis durften keine Informationen bekommen, die ihnen
bei der Planung eines Präventivschlags gegen ihre Nachbarstaa-ten
hätten von Nutzen sein können.
»Ich setzte die Regeln fest«, erinnerte sich ein höherer amerikani-scher
Geheimdienstmann. »Das System war darauf angelegt, sie
(die Israelis) mit allem zu versorgen, was sie eventuell im Rah-men
ihrer erlaubten Reichweite (von 160 Kilometern) gebrauchen
konnten. Wenn es in Syrien oder Ägypten war, bekamen sie es.
Wenn es im Irak, in Pakistan oder Libyen war, bekamen sie es
nicht.«
Der Beamte räumte jedoch ein, er und seine Kollegen hätten von
Anfang an damit gerechnet, daß die Israelis alles tun würden, um
die Beschränkungen des Abkommens zu umgehen. Israel vertrat
sogleich die Position, die Beschränkungen dürften für den ge-meinsamen
Feind der Vereinigten Staaten und Israels, die Sowjet-union,
nicht gelten. In den darauffolgenden Monaten drängten
die Israelis beharrlich darauf, Daten der Satellitenaufklärung über
die sowjetischen Nachschublinien nach Syrien und über das so-wjetische
Engagement bei der Ausbildung der irakischen Kampf-divisionen
im westlichen Irak zu bekommen. Diese Anfragen
wurden von der Regierung Carter ausnahmslos abschlägig be-schieden.
Trotzdem war Israel wieder in die Position eines wichtigen Ver-bündeten
aufgerückt, selbst wenn ihm kein unbeschränkter Zu-gang
zu den Satellitenbildern des KH-11 gewährt wurde. Das Ab-kommen
von 1979 enthielt Formulierungen, die Israel das Recht
einräumten, spezifische Daten aus der Satellitenaufklärung anzu-fordern.
Über jede Anfrage sollte von Fall zu Fall entschieden
werden.
Die Vertreter des britischen Geheimdiensts seien empört gewe-sen,
erinnerten sich sachkundige Amerikaner, daß Israel Informa-tionen
erhielt, die ihnen - den Alliierten aus dem Zweiten Welt-krieg
und Nato-Mitgliedern - verweigert wurden.3
Wie die Briten vielleicht vermuteten, hatte Israel tatsächlich ge-heime
Absichten bei seinen ständigen Bemühungen, zum KH-11
Zugang zu erhalten. Aber erst im Herbst 1981 fanden einige poli-tische
Berater in der Regierung Reagan diese Absichten heraus.
Die Aktion begann mit einem Bombenangriff auf den Irak.
An einem Sonntagnachmittag Anfang Juni 1981 nippte Richard V.
Allen, der nationale Sicherheitsberater von Präsident Ronald Rea-gan,
auf der Sonnenterrasse seiner Vorortvilla in Virginia an ei-nem
Glas Eistee und sah geruhsam die ungelesenen Telegramme
durch, die sich im Lauf einer Woche angesammelt hatten. Viele
von ihnen waren streng geheim.
Aus dem Lagebesprechungsraum im Weißen Haus, der rund um
die Uhr besetzt ist, rief ein Berater an und berichtete, die Israelis
hätten Washington darüber informiert, sie hätten den irakischen
Kernreaktor in Osirak, 19 Kilometer südöstlich von Bagdad, bom-bardiert
und zerstört. Allen rief sofort Reagan an, der das Wo-chenende
in Camp David in den nahe gelegenen Catoctin-Bergen
Marylands verbrachte.
Der Präsident, erfuhr er, habe gerade den Hubschrauber bestie-gen,
der ihn zurück zum Weißen Haus bringen sollte. »Holt ihn
wieder raus«, befahl Allen. Schließlich handelte es sich um die er-ste
Nahostkrise der neuen Regierung. Der Präsident kam ans Te-lefon.
Im Hintergrund war das Gedröhn der Rotorblätter seines
Hubschraubers zu hören.
»Mr. President, die Israelis haben gerade einen Kernreaktor im
Irak mit F-l6-Bombern zerstört.« Israel wurde von den USA mit
langfristigen Krediten zu niedrigen Zinsen unterstützt und hatte
1975 die Genehmigung erhalten, fünfundsiebzig F-l6-Flugzeuge
•nur zu Verteidigungszwecken- zu kaufen.
»Was wissen Sie darüber?«
»Nichts, Sir. Ich warte auf einen Bericht.«
»Warum haben sie es Ihrer Meinung nach getan?«
Der Präsident ließ diese rhetorische Frage einen Augenblick in
der Luft hängen und fügte dann hinzu:
»Nun ja, Buben sind eben Buben.«4
Am nächsten Morgen, so Allen, trat Reagans Oberkommando zu-sammen.
Verteidigungsminister Caspar Weinberger schlug vor, die
Lieferungen der F-16 zu stornieren. Auch Vizepräsident George
Bush, Stabschef James Baker und andere sprachen sich für Sank-tionen
gegen Israel aus. Einmal warf Reagan Allen einen Blick zu
und bedeutete ihm mit einer Geste, er habe nicht die Absicht, eine
solche Maßnahme zu ergreifen. «Er sah mich an und rollte mit den
Augen«, sagte Allen.
Daß der Präsident den Luftangriff persönlich billigte, war den of-fiziellen
Reaktionen der Regierung jedoch nicht zu entnehmen.
Noch am selben Nachmittag gab das Außenministerium eine Stel-lungnahme
ab, die angeblich vorn Präsidenten und von Außen-minister
Alexander Haig abgesegnet war. Der Bombenangriff
wurde offiziell verurteilt. Er könne »die schon angespannte Lage
in der Region nur verschlimmern«. Dennoch, erinnerte sich Allen,
war Reagan »entzückt (und) sehr befriedigt« von dem Überfall auf
den Reaktor in Osirak. Der Angriff zeigte, so gab Allen den Präsi-denten
wieder, daß die Israelis die Zähne zeigen könnten, etwas
von Strategie verstünden und in der Lage seien, Probleme anzu-packen,
bevor sie unlösbar würden. Und welchen Schaden hätte
Israel schon angerichtet? Auch Haig äußerte sich privat ähnlich
nachsichtig.
Der israelische Bombenangriff löste weltweit Proteste aus, und
ein paar Tage später gab das Weiße Haus bekannt, die im Rah-men
des Abkommens von 1975 geplante Lieferung von vier wei-teren
F-l6-Bombern sei ausgesetzt worden. Zwei Monate später
zeigte sich jedoch, welche Politik die amerikanische Regierung in
Wahrheit verfolgte: Der Lieferstopp wurde aufgehoben, und die
Flugzeuge gelangten ohne großes Aufsehen nach Israel.
Auch in Israel gab es Meinungsverschiedenheiten über den Bom-benangriff.
Seit Ende 1979 war er in der israelischen Regierung
auf höchster Ebene diskutiert worden. Yitzhak Hofi, der Direktor
des Mossad, und Generalmajor Yehoshua Saguy, der Chef des mi-litärischen
Nachrichtendienstes, waren gegen den Angriff. Sie kri-tisierten,
der Beweis fehle, daß der Irak schon in der Lage sei,
eine Atombombe zu bauen.5 Ihren, allerdings vergeblichen, Ein-wänden
schloß sich auch der stellvertretende Ministerpräsident
Yigael Yadin an. Bei einer Planungssitzung Ende 1980 schimpfte
Saguy noch über die Aktion. Er vertrat die Ansicht, die negative
Reaktion aus Washington würde für Israel eine schwerwiegende-re
nationale Bedrohung darstellen als der irakische Reaktor.6 Sa-guy
widersprach der Auffassung, jede militärische Aktion Israels
zur Vermeidung eines >zweiten Holocaust- sei vertretbar. Als Chef
des militärischen Nachrichtendienstes mußte er für seine abwei-chende
Meinung büßen. Erst am 4. Juni erfuhr er von der Aktion,
also drei Tage vor dem Einsatzflug der Bomber. Daraufhin lehnte
er jede Verantwortung für den Überfall ab und drohte vorüberge-hend
damit, vertrauliches Material zurückzuhalten.
Die militärischen Köpfe der Aktion waren wegen internationaler
Proteste besorgt und hatten strenge Vorsichtsmaßnahmen ergrif-fen,
um geheimzuhalten, daß Israel für die Operation verantwort-lich
war. Den Irakern und der Weltöffentlichkeit sollte es unmög-lich
gemacht werden, die nicht gekennzeichneten Flugzeuge zu
identifizieren. Der Angriff war planmäßig in zwei Minuten ausge-führt
worden, und die Wahrscheinlichkeit einer Entdeckung war
minimal. Aber Menachem Begin, vom Erfolg beflügelt, verblüffte
am 8. Juni seine Kollegen und bekannte sich eigenmächtig zu
dem israelischen Schlag. Am nächsten Tag erhob sich ein Sturm
von Protesten. Der Premierminister verteidigte die Operation und
gelobte, Israel sei zu einem weiteren Schlag entschlossen, wenn
es notwendig sei, den Feind an der Entwicklung der Atombombe
zu hindern. »Wenn der Kernreaktor nicht zerstört worden wäre«,
sagte Begin, »hätte in der Geschichte des jüdischen Volkes ein
zweiter Holocaust stattgefunden. Und es wird nie wieder einen
Holocaust geben... Nie, nie wieder!«
Bei einem diplomatischen Empfang der Engländer zwei Tage
später schockierte Begin die höheren Beamten seiner Regierung
und die Vertreter des Geheimdiensts seines Landes abermals: Er
prahlte damit, die israelischen Flugzeuge hätten auch eine gehei-me,
unterirdische Anlage zerstört, die vierzig Meter unter dem Re-aktor
in Osirak gelegen habe, und in der die irakischen Kernwaf-fen
hätten montiert werden sollen. Die entsetzten israelischen
Beamten wußten, daß Begin keineswegs eine unterirdische Anla-ge
zur Waffenmontage in Osirak beschrieb. Eine Anlage dieses
Typs gab es dort nämlich gar nicht, aber in Israel war sie bereits
in Betrieb!
Vor Presseleuten erzählte Begin bei dem Empfang ferner, die iraki-sche
Regierung habe die Anlage vor der Internationalen Atom-energie-
Organisation (IAEA) geheimgehalten, die den Reaktor von
Osirak im Januar 1981 gemäß dem Atomwaffensperrvertrag von
1968 inspiziert hatte. (Der Irak hatte den Vertrag unterzeichnet.)
Israelische Regierungssprecher versuchten am nächsten Tag, den
Schaden wiedergutzumachen. Sie teilten der Presse mit, Begin
habe sich versprochen. Die Anlage sei nur vier und nicht vierzig
Meter unter dem Boden gelegen. Die schlimmsten Befürchtun-gen
der Regierung bewahrheiteten sich in den nächsten Tagen
und Wochen jedoch nicht: Israels größtes Geheimnis wurde nie
publik.7
Israelische Wissenschaftler und Ingenieure hatten schon 1968 be-gonnen,
an einem abgelegenen Ort namens Dimona Kernwaffen
herzustellen. Dimona liegt in der Wüste Negev, ungefähr fünf-undachtzig
Kilometer südlich von Jerusalem. Mit französischer
Hilfe hatte Israel einen Kernreaktor gebaut und eine separate, un-terirdische
Anlage errichtet, wo in einem komplexen chemischen
Prozeß das wichtigste Abfallprodukt des Reaktors gewonnen
wurde: waffenfähiges Plutonium. Begin war 1977 Premierminister
geworden und hatte seitdem die unterirdische Anlage in Dimona
mindestens einmal besucht. Israelische Beamte berichteten mir,
er habe wenige Tage vor dem Angriffsflug auf Osirak ausführ-liche
Informationen über Dimona erhalten. Die Beamten waren
der Meinung, Begin habe in seinen öffentlichen Äußerungen ein-fach
das, was er über Dimona gesehen und gelesen hatte, auf
Osirak übertragen. »Er hat das eine mit dem anderen verwech-selt«,
meinte ein Israeli und gestand gleichzeitig, daß dies eine
nachsichtige Interpretation von Begins Verhalten war.
Yitzhak Hofi, der Chef des Mossad, war weniger zurückhaltend.
Zwei Wochen nach der Bombardierung des irakischen Reaktors
gab er ein beispielloses Zeitungsinterview. Hofi wurde - gemäß
den Auflagen der israelischen Zensur - nicht namentlich zitiert. Er
beklagte sich, allerdings ohne einen Namen zu nennen, über Po-litiker,
die Staatsgeheimnisse ausplauderten. In israelischen Ge-heimdienstkreisen
gab es keinen Zweifel, welchen Politiker Hofi
meinte.
Die Geheimnisse von Dimona waren zwar vielleicht vor der west-lichen
Presse gerettet worden, aber die Anlage war nun einer viel
konkreteren Bedrohung ausgesetzt. Israelische Beamte gaben zu,
ihre Geheimdienste hätten in den Tagen nach dem Angriff vom
7. Juni Hinweise darauf erhalten, daß der Irak damit begonnen
habe, einige seiner sowjetischen Scud-Raketen näher an die ira-kisch-
jordanische Grenze zu transportieren. Offensichtlich plane
er einen Vergeltungsschlag. Von einer ein wenig weiter westlich
gelegenen Position in Jordanien hätten die irakischen Scud-Rake-ten
Dimona erreichen können. Im Unterschied zu dem Reaktor in
Osirak, der noch nicht voll betriebsbereit war, wurde in Dimona
acht Monate im Jahr rund um die Uhr an der Aufbereitung von
Brennstäben und der Herstellung von waffenfähigem Plutonium
gearbeitet. Ein irakischer Angriff würde das Land im Umkreis von
vielen Kilometern mit tödlicher Radioaktivität verseuchen.
Israelische Beamte hatten jedoch lange vor dem Luftangriff auf
Osirak angeordnet, den kuppeiförmigen Reaktor und die unterir-dische
Wiederaufbereitungsanlage in Dimona abzuschalten. Bei-de
wurden bis Ende des Jahres nicht mehr in Betrieb genommen.
Außerdem hielt die israelische Luftwaffe vierundzwanzig Stunden
nonstop Aufklärungsflugzeuge in der Luft. Es gibt keine Hinweise
darauf, daß Washington die israelischen Verteidigungsmaßnah-men
bemerkt oder ihren Sinn verstanden hätte.
Einige britische Geheimdienstler schöpften sofort den Verdacht,
Israel habe die hochauflösenden KH-11-Bilder dazu benutzt, den
irakischen Reaktor anzuvisieren, und beschwerten sich darüber
bei ihren amerikanischen Kollegen. Nach Darstellung eines Ame-rikaners
sagten sie lediglich: »Wir haben es euch gleich gesagt.«
Ironischerweise wirkte sich der erfolgreiche israelische Luftangriff
positiv auf den ohnehin schon ausgezeichneten Ruf des KH-11-
Systems aus. Wenige Stunden nach dem Überfall lagen auf den
Schreibtischen der Washingtoner Entscheidungsträger erstklassige
Satellitenfotos des zerstörten Forschungsreaktors.
Wie eine anschließende, streng geheime Untersuchung zeigte,
hatten die Briten recht: Israel hatte sich über den KH-11 wertvolle
Informationen beschafft. Anscheinend hatte dabei William Casey,
Reagans CIA-Direktor, unabsichtlich eine Schlüsselrolle gespielt.
Casey hatte sich seit seinem Amtsantritt nachdrücklich dafür ein-gesetzt,
Israel die KH-11-Bilder zur Verfügung zu stellen. Zu Be-ginn
seiner Amtszeit ließ er den israelischen Verbindungsoffi-zieren
ein privates Büro in der Nähe des CIA-Hauptquartiers
zuweisen. Damit wollte er den Israelis offenbar direkten Kontakt
zu denjenigen amerikanischen Geheimdienstoffizieren verschaf-fen,
die die KH-11-Fotos entwickelten. Auf diese Weise sollte da-für
gesorgt werden, daß die Israelis alle wichtigen Informationen
bekamen. Nur Israelis, war die Überlegung, konnten beurteilen,
was für Israel wichtig war. Als dem CIA-Direktor nach dem
Bombenangriff plötzlich ernste Fragen über den israelischen
Mißbrauch des KH-11-Abkommens zur Weitergabe von Informa-tionen
gestellt wurden, richtete er in aller Eile einen kleinen Ex-pertenausschuß
ein, der den Vorfall untersuchen sollte.8 Der
Ausschuß sollte unter den verschärften Sicherheitsbedingungen
arbeiten, die immer galten, wenn der israelische Geheimdienst
im Spiel war.
Der Ausschuß förderte Verblüffendes zu Tage.
In etwas mehr als zwei Jahren hatten die Israelis ihre Tätigkeit im
Rahmen des als beschränkt gedachten Abkommens so stark aus-geweitet,
daß sie praktisch dem KH-11-System jedes Foto entlok-ken
konnten, das sie haben wollten. Am erstaunlichsten war, daß
sie Bildmaterial angefordert und auch bekommen hatten, das
ganz Westrußland einschließlich Moskau abdeckte. »Es fehlte nur
noch, daß die Israelis das Ding selbst dirigierten«, meinte ein be-unruhigter
Offizier. Bei einigen höheren Beamten der CIA und
der DIA machte sich Ärger darüber breit, wie nachlässig das Ab-kommen
in ihren Augen gehandhabt worden war: »Wir haben
das System eingerichtet und uns dann nicht genug darum geküm-mert,
was sie (die Israelis) damit anstellten-, sagte der Offizier.9
William Bader, 1979 Assistant Deputy Undersecretary of Defense
for Policy, mußte frustriert feststellen, daß die Israelis ihre Ohren
überall hatten und niemand wußte, wie man ihnen Einhalt ge-bieten
sollte. »Man wußte nicht, bei wem man sich beschweren
sollte«, sagte Bader. »Wir wußten zwar, daß diese Burschen (die
Israelis) sich an den Bossen und anderen Instanzen vorbei Infor-mationen
beschaffen konnten.« Aber wenn eine Beschwerde im
falschen Büro landete, »mußte man damit rechnen, daß einem der
Kopf abgerissen wurde«.
Ein früherer höherer NSA-Beamter wurde sehr zornig, als er zu Be-ginn
der Amtszeit Reagans erfuhr, daß israelische Offiziere Penta-gonsitzungen
beiwohnen durften, auf denen zukünftige Operatio-nen
und Flugbahnen des KH-11-Satelliten diskutiert wurden. »Wer
davon wußte, dem wurde fast schlecht«, sagte er. »Wenn wir daran
dachten, wie sorgfältig sonst damit (mit dem KH-11) umgegangen
wurde, sind wir wirklich fast durchgedreht.« Ein anderer höherer
amerikanischer Geheimdienstoffizier berichtete zwar auch, »viele
von unseren Jungs« seien »schockiert und verstört« gewesen, fügte
aber hinzu, er selbst habe sich weniger Sorgen wegen der israeli-schen
Übergriffe gemacht: »1981 lag es in unserem nationalen In-teresse,
dafür zu sorgen, daß die Israelis überlebten.« Dieser Offi-zier
beschrieb den direkten Zugriff, der Israel eingeräumt worden
war, als Kompromiß. »Israel wollte sicherstellen, daß ihm nichts
Wichtiges entging. Israel muß dafür sorgen, daß es alles bekommt,
was es braucht.« Der israelische Offizier, der dem Pentagon zuge-teilt
war, gab nach Auffassung des amerikanischen Offiziers nur
die israelischen nachrichtendienstlichen Wünsche an die Männer
weiter, die für das KH-11-Programm zuständig waren. Dann durfte
er dabeisein, wenn in Washington die Echtzeitbilder des KH-11
empfangen wurden.
Ein Beamter des Außenministeriums sagte, er und Außenminister
Haig hätten die Auseinandersetzungen über den Zugang der Is-raelis
zu den Informationen »als akademischen Streit in Geheim-dienstkreisen
betrachtet. Wozu die Aufregung? Sollen sie die Bil-der
doch kriegen. Das schafft Vertrauen.« Für die Israelis sei es ein
Nullsummenspiel gewesen. Wenn die Regierung Reagan ihnen
den Zugang zum KH-11 verweigert hätte, hätten sie sich an den
Kongreß gewandt »und - ausgewiesen als Teil des Auslandshilfe-Etats
- das Geld für einen Satelliten samt Abschußrampe und
Empfangsstation bekommen«.
Auch für Richard Allen war Israels Umgang mit dem KH-11-Ab-kommen
keine große Sache: »Ich nahm an, sie hätten Freunde«, -nämlich
im Pentagon, die ihnen unter der Hand den erweiterten
Zugriff verschafft hätten.
Nach dem Bericht des Ad-hoc-Ausschusses wurde im Weißen
Haus schließlich beschlossen, den Israelis weiterhin die Aufnah-men
zur Verfügung zu stellen, aber den ursprünglichen Beschrän-kungen
von 1979 nachdrücklich Geltung zu verschaffen. »Wir ha-ben
den Hahn ein wenig zugedreht«, sagte Allen. Israel sollte
keine Bilder mehr aus der Sowjetunion oder irgendeinem ande-ren
Land außerhalb der l60-Kilometer-Zone bekommen. Richard
Allen persönlich übermittelte Ariel Sharon im Herbst 1981 diese
Botschaft. Der umstrittene israelische General, Hardliner und
Kriegsheld war im August von der gerade wiedergewählten Re-gierung
Begin zum Verteidigungsminister ernannt worden.
Begin und Sharon reisten im September nach Washington, um im
Weißen Haus Unterstützung für einen weitreichenden israeli-schen
Plan zu suchen. Eine amerikanisch-israelische strategische
Allianz gegen den gemeinsamen Feind Sowjetunion sollte ge-schmiedet
werden. In einem israelischen Memorandum an Wa-shington
wurde daraufhingewiesen, die zwei Länder müßten »ge-gen
die Bedrohung des Friedens und der Sicherheit der Region-kooperieren.
Diese Bedrohung werde »von der Sowjetunion oder
von sowjetisch beherrschten Kräften von außerhalb der Region in
die Region hineingetragen«. Deshalb wollten die Israelis Reagans
Einverständnis für folgende Punkte einholen:
- Vorsorgliche Stationierung amerikanischer Truppen;
- gemeinsame Nutzung von Flughäfen;
- gemeinsame Planung für militärische und politische Krisensi-tuationen
im Nahen Osten und am Persischen Golf und
- amerikanische Finanzierung einer Empfangsstation für die KH-11-
Bilder in Tel Aviv.
Die israelischen Vorstellungen wurden in Amerika verständlicher-weise
als überzogen angesehen und zu Sharons Kummer in den
Verhandlungen der nächsten Monate stark verwässert. Sharon be-mühte
sich besonders um die Empfangsstation und darum, daß
nur Israel in der Lage sein sollte, die verschlüsselten Signale zwi-schen
dem Satelliten und der Empfangsstation zu empfangen. Die
Vereinigten Staaten wären dadurch in die unhaltbare Situation ge-kommen,
daß sie nicht gewußt hätten, welche Nachrichten Israel
von dem US-Satellitensystem empfangen hätte.
Sharohs Vorschlag war grotesk, und privat sagte Allen ihm das
auch. »Das Gespräch verlief nicht gerade liebenswürdig«, erinner-te
sich Allen. »Er fing an herumzumeckern, die amerikanische Hil-fe
sei nichts als ein Trostpflaster. Immer wieder sagte er: >Ihr wollt
uns einfach abspeisen. Wenn ihr das unter strategischer Allianz
versteht, sind wir nicht interessiert..« Allen, ein großer Freund Is-raels,
ließ sich dadurch nicht einschüchtern: »Ich hielt Sharon für
einen Schwadroneur, der den Mund ziemlich voll nahm.«
Der Bombenangriff auf Osirak bewirkte keine entscheidende Ver-änderung
in den amerikanisch-israelischen Beziehungen. Auch
stellte niemand ernstlich die Frage, wozu Israel eigentlich so viele
KH-11-Bilder von so vielen Weltgegenden brauche. Wegen dieses
Bedürfnisses waren immerhin die amerikanisch-israelischen Be-ziehungen
gefährdet worden. Trotz der vorübergehenden Aufre-gung
über Israels Zugriff wurden keine Konsequenzen daraus ge-zogen,
und die KH-11-Fotos kamen nach wie vor in israelische
Hände. Aber ein paar weitreichende Veränderungen ergaben sich
doch für Israel.
Die Franzosen waren auch die wichtigsten Lieferanten von nu-klearem
Material und Know-how an den Irak gewesen. Als Ge-genleistung
hatten sie Ã-l erhalten. Nun brachte sie der israelische
Überfall in Verlegenheit. Verärgert versuchten ein paar Beamte
aus Paris, sich zu rächen. Sie brachen das vereinbarte Stillschwei-gen,
das sie lange Zeit gewahrt hatten, und redeten von einem
anderen französischen nuklearen Engagement im Nahen Osten:
der geheimen Zusammenarbeit mit Israel zur Entwicklung der is-raelischen
Bombe.
Ariel Sharon sah sich nach dem Treffen im Kabinett in der Mei-nung
bestätigt, die Vereinigten Staaten seien keine verläßlichen
strategischen Verbündeten. Er wandte sich an einen israelischen
Nachrichtendienst, den das Verteidigungsministerium kontrollier-te
und dessen Existenz geheimgehalten wurde. (Auch die Ameri-kaner
wußten damals nicht viel über diese Organisation.) Dieser
"Nachrichtendienst war in Kommunikationswege amerikanischer
Dienste eingedrungen und fing Informationen höchster Geheim-haltungsstufe
über den Nahen Osten und die Sowjetunion ab: ge-
nau jene Informationen, die Israel von den USA nicht mehr be-kommen
sollte. Ein amerikanischer Jude, der in US-Geheim-dienstkreisen
arbeitete, hatte diesem israelischen Nachrichten-dienst
einige Jahre zuvor seine Dienste angeboten. Er sollte bald
dazu eingesetzt werden, sein Land für Israel auszuspionieren.
Es steht mit größter Wahrscheinlichkeit fest, daß kein Mitarbeiter
des Weißen Hauses unter Ronald Reagan Sharons Bemühungen
um eine KH-11-Empfangsstation in Tel Aviv in Zusammenhang
mit Israels nuklearen Ambitionen brachte. Auch der Ad-hoc-Aus-schuß,
den William Casey nach Osirak eingerichtet hatte, um die
Einhaltung des Abkommens von 1979 zur Weitergabe von Infor-mationen
zu überwachen, akzeptierte unbekümmert Israels Er-klärung,
warum es die Regeln gebrochen habe: Die verbotenen
KH-11-Bilder der Sowjetunion habe es sich nur besorgt, um die
Nachschubverbindungen zwischen der UdSSR und ihren Verbün-deten
Syrien und Irak zu überwachen.
Selbst in amerikanischen Geheimdienstkreisen hatten 1981 nur
wenige begriffen, zu welchem Zweck Israel die Satellitenfotos
von der Sowjetunion sammelte, und warum Sharon so erpicht auf
den kontinuierlichen Zugriff auf dieses Material war: Israel war
selbst eine Atommacht, die ihre Gefechtsköpfe und Raketen auf
die Sowjetunion richten wollte.
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