- ot. Reisezeit - etwas Kurzweil im Dickicht der Katastrophen und Verschwörungen - Koenigin, 23.07.2003, 13:10
ot. Reisezeit - etwas Kurzweil im Dickicht der Katastrophen und Verschwörungen
-->hola
tja,wirklich gut beobachtet....
adios
D.K.
Von der Kunst, im Urlaub milde Gaben zu verteilen
von Dietmar Bittrich
Bevor wir endgültig ruiniert sind, machen wir noch ein bisschen Urlaub. Gerade in kargen Zeiten birgt das Reisen verblüffende Erkenntnisse. Unterwegs stellen wir fest: Es gibt tatsächlich noch ärmere Länder!
Ja, abgesehen von den Emiraten oder Katar scheinen fast überall auf der Welt die Leute etwas weniger wohlhabend zu sein. Dennoch machen sie keinen unglücklichen Eindruck.
Die meisten sind sogar lebensfroh. Sonderbar. Und beruhigend.
Erstens können wir also noch auf Glück hoffen, falls es vollends bergab geht. Und zweitens brauchen wir bis dahin kein schlechtes Gewissen zu haben. Wenn die Leute so strahlend vor ihren Palmstrohhütten und Reisfeldern lächeln, benötigen sie offensichtlich nicht mehr als sie haben. Wir winken ihnen aufmunternd zu: Weiter so! Herrlich, wenn sie zurückwinken. Dann sind sie einverstanden, dass wir etwas mehr Geld haben. Wir dürfen passieren.
Doch nicht immer kommen wir unbehelligt davon. Es kann sein, dass wir am Strand eines Landes, von dem wir nur den Strand kennen lernen wollten, plötzlich von Kindern umringt werden, die Kugelschreiber verlangen. Oder dass wir einen berühmten Tempel nur betreten können, wenn wir uns vorher durch ein Dickicht ausgestreckter Hände gewunden haben.
Es kommt sogar vor, dass jemand an unserem Ärmel zupft oder hinter uns herläuft. Leider können wir nicht sagen: Statt hier zu betteln, mähen Sie mal am nächsten Sonnabend bei mir den Rasen! Auch der Hinweis auf den Zusammenbruch des deutschen Rentensystems wird in exotischen Ländern selten verstanden. Und die Quittung für unsere Einzahlung bei der letzten Spendenaktion haben wir natürlich nicht dabei. Die Leute drängen also heran und halten die Hand auf. Sie führen nicht mal Kunststücke vor oder singen. Sie wollen einfach nur an der Reisekasse beteiligt werden.
Wir müssen uns irgendwie verhalten. Und möglichst so, dass wir uns einigermaßen gut dabei fühlen. Falls ein Mütterchen an unseren Restaurant-Tisch schleicht, den wir zu weit am Rand der Terrasse gewählt haben, warten wir vergeblich auf den Kellner; wir müssen uns mit einer schnellen Zahlung freikaufen.
Wenn ein streunendes Kind mit großen Augen unseren opulenten Eisbecher anstarrt, können wir unseren Genuss allenfalls nach einem Griff ins Portemonnaie wiederfinden. Aber, Moment! Sollen wir nicht gerade Kindern die Almosen verweigern? Weil sie von Eltern und mafiösen Oberen zum Betteln ausgeschickt werden statt in die Schule? Wenn wir ihnen etwas geben, zementieren wir nicht dieses System? Und müssen die Frauen, die ihre Hand aufhalten, das Geld daheim einem trinkenden Spieler ausliefern?
Wirklich ungetrübt ist unser Mitgefühl nur selten. Wenn wir einem frommen Pilger in Sri Lanka Almosen geben wollen und in der Tasche suchen, wo die Münzen verheißungsvoll klimpern, wehrt er kühl ab:"No coins, please!" Auch Bettelmönche haben mittlerweile klare Vorstellungen. Es bleibt uns nichts als die Herausforderung anzunehmen. Und wir nehmen sie an, nach einer ersten Phase der Beklommenheit. Erleichtert bemerken wir, dass Einheimische überhaupt nichts geben.
Wir lernen. Bei einem westlichen Coach müssten wir viel Geld hinlegen für ein Seminar im Neinsagen. Nun absolvieren wir es nahezu kostenlos.
Dem aufdringlichen Kerl, der in bestem Englisch wechselnde Geschichten von kranken Frauen und darbenden Kindern erzählt, zeigen wir vom dritten Tag an die kalte Schulter. Den Scharlatan, den wir beim professionellen Auspacken von Krücken und Schmutzjoppe ertappen, bedenken wir nur noch mit strafenden Blicken. Unser pädagogisches Talent entfaltet sich. Wie wäre es, wenn wir statt Geld einfach einen Apfel oder eine Tüte mit Cashewnüssen überreichen würden? Gedruckte Ratgeber empfehlen das. Allerdings wollen wir uns nicht das ganze Land zum Feind machen. Also üben wir lieber, den Blick geradeaus zu richten. Umso besser können wir uns dann in ausgewählten Fällen wie Mutter Teresa fühlen. Das geht besonders gut, wenn der Rest unserer Reisegruppe herzlos an einem armen Kerl vorbeizieht. Gerade dann geben wir ihm etwas. Mag er wissen:
Die anderen, die sich da aus dem Staub machen, die sind geizig, besonders übrigens Stefan und Dorothee. Wir aber, wir sind nett. Er versteht.
Zwar müssen wir fortan jedes Mal einen Obolus in den Hut werfen, wenn wir an seinem Stammplatz vorbeikommen. Doch dafür haben wir ihn zum Freund gewonnen. Stellvertretend für alle anderen winkt er zum Abschied. Er gönnt uns das Gefühl, dass wir die Guten sind. Und deshalb auch zu Recht etwas mehr Geld haben.
http://www.wams.de/data/2003/06/29/124909.html?s=1

gesamter Thread: