- Sturmfront über dem Anleihemarkt - LeCoquinus, 03.08.2003, 15:25
- paperlappapp, wir alle wissen doch, dass die Zinsen steigen, weil die - kingsolomon, 03.08.2003, 16:27
Sturmfront über dem Anleihemarkt
-->Aus dem Boerse-Go Forum geklaut; für all jene die das Dilemma mit den Anleihen noch nicht so recht kennen. Mir hat der Artikel jedenfalls geholfen, die Sache besser zu verstehen. So jetzt erst mal ein Eistee!
Gruß
Sturmfront über dem Anleihemarkt
Von Lothar Komp
Das Ansteigen der Anleiherenditen in den letzten Wochen signalisiert, daß die Finanzblase auf den Bondmärkten vor dem Platzen steht - mit potentiell"apokalyptischen Folgen" für das Weltfinanzsystem.
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Was sind eigentlich Anleihen?
Zwischen Skylla und Charybdis
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Was macht der moderne Zentralbankchef, wenn eine von ihm selbst entfachte Finanzblase platzt? Ganz einfach: Er schafft eine neue Blase, um dadurch den Vermögensverlust zumindest kurzfristig abzufedern. Über kurz oder lang platzt dann unweigerlich auch die zweite Blase, und der angerichtete Schaden ist noch viel größer als zuvor. Seit ein paar Wochen sind Millionen von Anlegern in aller Welt überzeugt, daß diese Beschreibung exakt die Arbeitsweise des mächtigsten Zentralbankchefs der Welt wiedergibt. Alan Greenspan, Vorsitzender der Federal Reserve, einst als"Magier" der Finanzmärkte gefeiert, hat sich in eine ausweglose Lage manövriert.
Trotz gelegentlicher Bemerkungen über die"irrationalen Übertreibungen" an der Börse hatte Greenspan die völlig überzogenen Kurssteigerungen an den Aktienmärkten bis zum Frühling 2000 wiederholt mit euphorischen Äußerungen über die angebliche"New Economy" gefördert. Als dann das Potemkinsche Dorf zusammenbrach und allein die amerikanischen Aktienbesitzer binnen dreier Jahre rund 8 Billionen Dollar an Verlusten einstecken mußten, öffnete Greenspan die Geldschleusen. In insgesamt 13 Zinssenkungen seit Januar 2001 wurde der Leitzins von 6.0% auf 1.0% heruntergedrückt, den tiefsten Stand seit 1958.
Dies half zwar weder dem Aktienmarkt noch der amerikanischen Wirtschaft auf die Beine. Aber die Anleihe- und Immobilienmärkte schossen in die Höhe und lockten unzählige private Haushalte in neue finanzielle Abenteuer. Seit Mitte Juni 2003 ist auch hier die Party vorüber.
Zunächst geriet der Anleihemarkt ins Rutschen. In den USA, in Japan und in Europa stürzten die Kurse von Regierungsanleihen ab und umgekehrt zogen die Renditen, welche die Regierungen für neue Anleihen anbieten müssen, kräftig an. Den vorläufigen Höhepunkt des Ausverkaufs bildete der 15. Juli. Alan Greenspan erschien im US-Kongreß und präsentierte rosige Aussichten für die amerikanische Wirtschaft. Schon bald werde man Wachstumsraten von 4,5% sehen, und weitere Zinssenkungen seien daher überflüssig.
Binnen weniger Stunden erlebten die amerikanischen Staatsanleihen daraufhin den größten Crash seit dem Kollaps des Spekulationsfonds LTCM, der im Herbst 1998 das Weltfinanzsystem an den Rand des Untergangs brachte. Sollte die Talfahrt bei Anleihen in den kommenden Wochen unvermindert weitergehen, würde dann auch die Blase bei Immobilien und Hypothekenkrediten in höchste Gefahr geraten. Das gesamte finanzielle Zerstörungspotential, das sich hier zusammenbraut, ist ohne Beispiel in der Nachkriegszeit.
Was sind eigentlich Anleihen?
Ein kurzer Abriß des Anleihe-Einmaleins soll helfen, das Verständnis für die Zusammenhänge zu vertiefen. Denn allein schon die Tatsache, daß Anleihen einen Kurs haben und dieser abstürzen kann, ist nicht ohne weiteres verständlich. Anleihen bilden eine besondere Form der Kreditaufnahme, zumeist mit langen Laufzeiten von 10 oder 30 Jahren. Der Emittent der Anleihe - fast immer eine Regierung oder ein großes Unternehmen - verpflichtet sich, nach Ablauf der Laufzeit den Nennwert der Anleihe zurückzuzahlen, und in der Zwischenzeit jedes Jahr einen fest vereinbarten Zins an einem fest vereinbarten Termin zu entrichten. Anleihen werden deswegen auch häufig als"festverzinsliche Wertpapiere" oder, recht mißverständlich, als"Renten" bezeichnet. Im Englischen spricht man allgemein von"Bonds", wobei US-Regierungsanleihen"Treasuries" heißen und britische Regierungsanleihen"Gilts".
Der feste Zins ist aber nicht das einzige Kennzeichen von Anleihen. Denn anders als bei einem Bankkredit gibt es bei einer Anleihe nicht nur einen Gläubiger, sondern in der Regel Zehntausende. Eine Anleihe, häufig im Gesamtvolumen von mehreren Hundert Millionen oder gar einigen Milliarden Euro, wird in kleine Portionen zerlegt und diese werden dann über die beteiligten Banken an zahlreiche Investoren verkauft. Der Emittent weiß also gar nicht und muß auch nicht wissen, bei wem er in der Kreide steht. Seine Zahlungsverpflichtung für Tilgung und Zinsen ist nicht an namentlich genannte Personen gebunden, sondern an die jeweiligen Inhaber der Anleihepapiere.
Hieran schließt sich nun eine dritte wichtige Eigenschaft der Anleihen an: Niemand zwingt den Käufer einer Anleihe, das Wertpapier bis zum Ende der Laufzeit zu halten. Er kann es jederzeit wieder verkaufen: am Anleihemarkt. Und genau hier wird aus der scheinbar langweiligsten und berechenbarsten Anlage der Welt ein Spielball von Launen und Erwartungen an den Finanzmärkten.
Nehmen wir an, jemand hat eine US-Regierungsanleihe mit einer Restlaufzeit von 10 Jahren, einem Nennwert von 10 000 Dollar und einem Zinssatz von 4% gekauft. Er weiß ganz genau, jedenfalls sofern die US-Regierung zwischenzeitlich nicht pleite geht, welchen Zahlungsstrom er nun erwarten kann, wenn er die Anleihe bis zum Ende der Laufzeit hält: jedes Jahr an einem fest vereinbarten Tag 400 Dollar Zinsen und am Ende einmalig 10 000 Dollar, mithin insgesamt 14 000 Dollar.
Aber eines weiß er nicht: Wieviel sind diese 14 000 Dollar in zehn Jahren noch wert? Hierzu ein, zugegeben, extremes Beispiel: Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges hatte die deutsche Regierung Anleiheschulden gegenüber deutschen Investoren in Höhe von 97 Milliarden Mark. Ende November 1923, auf dem Höhepunkt der Hyperinflation, waren sämtliche ausstehenden Kriegsanleihen der deutschen Regierung noch nicht einmal einen einzigen US-Dollar wert. Gerade bei langfristigen Schulden ist es also wichtig, die Geldentwertung einzurechnen.
Bei Anleihen zieht man hierfür nicht die Inflationsrate heran, sondern den aktuellen Marktzins. Man fragt also: wieviel Geld müßte ich heute anlegen, damit daraus bei heutigem Zinssatz in 10 Jahren 10 000 Dollar werden, oder 400 Dollar in irgendeinem der Jahre 2003 bis 2012? Wenn der Marktzins 6% beträgt, dann entsprechen 10 000 Dollar, die mir im Jahre 2013 versprochen sind, einem heutigen"abgezinsten Barwert" von 5580 Dollar (man muß die Zahl 10 000 zehnmal hintereinander durch 1,06 teilen). Wenn aber Greenspan die Zinsen auf 1% gesenkt hat, dann beträgt der heutige Barwert der 10 000 Dollar des Jahres 2013 plötzlich 9050 Dollar, also 62% mehr als im vorherigen Fall. Eine ähnliche Rechnung kann man für die jeweiligen Zinszahlungen von 400 Dollar anstellen. Und genau nach einem solchen Schema, von ein paar Komplikationen abgesehen, werden die Kurswerte der Anleihen am Anleihemarkt ermittelt.
Zwischen Skylla und Charybdis
Man sieht daraus, daß die Zinssenkungen von Greenspan einen dramatischen Anstieg des Kurswertes von Anleihen ausgelöst haben. Allein schon die Andeutung weiterer Zinssenkungen seitens der Fed reichte aus, um Scharen von Anlegern in die Anleihemärkte zu locken. Als besonders wichtiges Instrument diente der Fed hierzu die Debatte über die"Deflationsgefahr". Denn"Deflation bekämpfen" hat an den Finanzmärkten den gleichen Klang wie"Geld drucken" oder"Zinsen senken". Irgendein Fed-Gouverneur brauchte nur das Wort"Deflation" in den Mund zu nehmen und die Kurse der Anleihen schossen weiter in die Höhe. Im November 2002 setzte schließlich Fed-Gouverneur Ben Bernanke dem Ganzen die Krone auf und bekräftigte öffentlich die Bereitschaft der Fed, auch vor außergewöhnlichen Maßnahmen nicht zurückzuschrecken, darunter dem massenhaften direkten Aufkauf von Regierungsanleihen, um einer möglichen Deflation den Garaus zu machen.
Doch auch für die Anleihenbesitzer war das Paradies nicht von ewiger Dauer. Weitere Zinssenkungen stehen erst einmal nicht auf dem Programm. Und seit Greenspan am 15. Juli im US-Kongreß die Deflationsgefahren wegen der behaupteten Erholung der US-Wirtschaft herunterspielte, fühlen sich die Anleger auf den Anleihemärkten vom Fed-Vorsitzenden verraten und verkauft. Warum um Himmels Willen hat er das getan?
Eine Antwort auf diese Frage, die derzeit in der Bankenwelt zirkuliert, lautet folgendermaßen: George W. Bush will nächstes Jahr wiedergewählt werden. Zu diesem Zweck haben seine Berater eine Strategie entwickelt: Die Außenpolitik soll ein wenig in den Hintergrund treten, also möglichst kein weiterer Krieg bis zum Jahresende 2004. Dafür soll in der Zwischenzeit die US-Wirtschaft schöngeredet werden. Ein wichtiges Barometer hierfür ist immer noch der Aktienmarkt. Greenspan hat dazu nun seinen Beitrag geleistet.
Doch während auf diese Weise Aktien und Dollar vorübergehend gestärkt wurden, steuert das Schiff der globalen Finanzmärkte zugleich mit voller Kraft auf die gegenüberliegende Klippe zu: einem Crash bei Anleihen, gefolgt von einer Lawine von Zahlungsunfähigkeiten bei US-Hypothekenkrediten. Bereits seit Mitte Juni müssen die Emittenten von Anleihen immer höhere Zinsen anbieten. Die Rendite von 10-jährigen US-Regierungsanleihen ist seither von 3,07% auf 4,21% angestiegen, in Japan von 0,4% auf 1,4%. Selbst in Deutschland erlebte der Anleihemarkt am 15. und 16. Juli die größte Erschütterung in acht Jahren. Viele Pensionsfonds, die nach der Aktienpleite in Anleihen umgeschichtet haben, müssen nun erneut Milliardenverluste hinnehmen.
Noch schlimmer: die Zinsraten für Hypothekenkredite, die in den letzten drei Jahren immer weiter gefallen waren und dadurch eine wahre Explosion im Volumen der Hypothekenverschuldung auslösten, beginnen wieder kräftig zu steigen. Weil es sich auch hier um Kredite mit langen Laufzeiten handelt, richten sich die Zinsraten bei Hypotheken nach den Anleihezinsen. Millionen hochverschuldete private Haushalte in den USA müssen nun deutlich höhere Schuldendienste leisten. Die Zwangsversteigerungen von Häusern sind bereits jetzt auf sehr hohem Niveau. Steigen sie weiter an, brechen in der Folge die Häuserpreise ein. Damit sehen dann wiederum die Banken ihre Sicherheiten für die Hypothekenkredite dahinschwinden und werden entsprechend den Druck auf die private Haushalte erhöhen.
Nun herrscht bei der Fed Panik. Das Ruder wurde erneut herumgerissen. Am 23. Juli wurde Fed-Gouverneur Ben Bernanke vorgeschickt, um sich noch einmal als Heilsbringer der Anleihemärkte zu erweisen. Natürlich habe die Fed weiterhin die Deflationsgefahr im Auge, betonte Bernanke. Und natürlich erwäge die Fed weiterhin den Einsatz außergewöhnlicher Mittel.
Für 24 Stunden konnten sich die Anleihemärkte daraufhin stabilisieren. Dafür fiel der Dollar wie ein Stein, und der Goldpreis schoß an einem einzigen Tag um zehn Dollar in die Höhe."Das fundamentale Dilemma besteht heute darin," so der ehemalige Chefökonom der Dresdner Bank Kurt Richebächer,"daß die Greenspan-Fed und die Wall Street verzweifelt versuchen, unhaltbare Blasen aufrechtzuerhalten." Aber am Ende müssen alle Blasen platzen. Die größte Gefahr sei nun die Anleiheblase:"Ihre Auswirkungen durchdringen die gesamte Wirtschaft und das ganze Finanzsystem. Ihr Platzen könnte apokalyptische Folgen haben."

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