- NZZ-Zitat: Wie Geld-Manipulation die Mentalität eines ganzen Volkes verändert.. - Galiani, 03.08.2003, 15:28
- Moment mal, hier geht mir der Hut hoch... - Worldwatcher, 03.08.2003, 16:17
- Re: Wie Geld-Manipulation die Mentalität eines ganzen Volkes verändert.. - stocksorcerer, 03.08.2003, 16:23
NZZ-Zitat: Wie Geld-Manipulation die Mentalität eines ganzen Volkes verändert..
-->Hallo
In ihrer Wochenend-Ausgabe (v. 2./3. August, S. 7) druckt die NZZ den Text eines Vortrages ab, den ihr Deutschlandkorrespondent, Eric Gujer, in Zürich gehalten hat.
Weniger die politischen Betrachtungen, die der Autor (auch) anstellt, als vielmehr seine Beobachtung, wie die"Umverteilungs-Orgie" im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung die Mentalität der Deutschen grundlegend verändert hat, haben meine Aufmerksamkeit erregt. Ich zitiere im folgenden den entsprechenden Teil des Aufsatzes aus der NZZ.
Auf das Feedback der direkt Betroffenen, also der Forumsteilnehmer aus Deutschland, und deren Meinung zum Gesagten bin ich gespannt.
Hier also der Text:
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NZZ Samstag/Sonntag, 2./3. August 2003
Die Deutschen sind keine Musterknaben mehr
Die Bundesrepublik befindet sich seit der Wiedervereinigung 1990 im Umbruch
Von unserem Deutschland-Korrespondenten Eric Gujer*
* Leicht gekürzte Fassung eines Vortrages vor der Generalversammlung der AG für die Neue Zürcher Zeitung am 10. Mai.
Die Wiedervereinigung hat bei den, europäischen Nachbarn alte Ängste vor einer wirtschaftlichen und politischen Hegemonie Deutschlands geweckt. Diese Befürchtungen waren unbegründet. Die Bundesrepublik laboriert im Innern an den Folgen der Vereinigung und sucht zugleich nach einer neuen Rolle in der Aussenpolitik.
Am 24. März 1990 - vier Monate nach dem Fall der Berliner Mauer - versammelte die britische Premierministerin Thatcher eine Runde von Historikern auf ihrem Landsitz Checkers, um über die Zukunft Deutschlands zu debattieren. Der Inhalt der vertraulichen Diskussion fand den Weg in die Medien und löste einen Skandal aus. Die Zitate aus dem Protokoll der Zusainmenkunft waren starker Tobak: Zu den Fehlern des deutschen Nationalcharakters gehörten, so las man, «Angst, Aggressivität, Angeberei, Eigendünkel, Minderwertigkeitskomplexe und Sentimentatität». Einer der Anwesenden prägte die Formel, man habe die Deutschen entweder zu Füssen oder an der Kehle. Die Aussagen waren zwar aus dem Zusammenhang gerissen, doch manifestierten sich in der Einberufung der illustren Runde nach Checkers ohne Zweifel Misstrauen und Unsicherheit über die Entwicklung des grössten EUPartners. Nicht nur in Grossbritannien fragten sich viele, ob ein wiedervereinigtes, auf 80 Millionen Einwohner angeschwollenes Deutschland politisch und wirtschaftlich übermächtig sein werde und die Hegemonie in Europa anstrebe.
Harte Selbstkritik
Dreizehn Jahre nach der Zusammenkunft in Checkens kann man konstatieren, dass diese Befürchtungen nicht eingetroffen sind. Von überbordendem Selbstbewusstsein und wirtschaftlichem Musterknabenturn ist derzeit nichts zu spüren. Im englischen Sprachraum kursiert das Schlagwort von der «German disease». Die Deutschen selbst lassen kaum ein gutes Haar an ihrem Land. Es vergeht kein Tag, an dem nicht ein Politiker den Reformstau beklagt und verlangt, durch Deutschland müsse ein Ruck gehen. Diese Stimmungslage steht in Kontrast zur Realität, so, wie man sie vorfindet, wenn man in der Bundesrepublik lebt: Deutschland ist nach wie vor wohlhabend, die öffentliche Infrastruktur liegt im europäischen Vergleich an der Spitze, die Wirtschaft hat nichts von ihrer Exportstärke eingebüsst.
Und doch sind die kritischen Äusserungen nicht einfach Schwarzmalerei. Deutschland befindet sich innen- wie aussenpolitsch in einer Umbruchphase. Die offenkundigen Widersprüche sind Ausdruck eines Transformationsprozesses, der natürlich nicht so massiv und ungebremst ausfällt wie in Osteuropa, der die Bundesrepublik aber doch merklich verändert. Die vom Zusammenbruch des SED-Regimes und der sowjetischen Hegemonie über Mitteleuropa ausgelösten Schockwellen sind bis heute zu spüren. Wird über Deutschland diskutiert, haben die meisten die alte Bundesrepublik vor 1989 vor Augen. Doch ist dies ein Land, das es so nicht mehr gibt.
Allgegenwärtige Subventionsmentalität
Zu den in Mark und Pfennig bezifferbaren Folgen der Wiedervereinigung gehörte, dass eine gewaltige Geldverteilungsmaschinerie in Gang kam. Anlässlich des zehnten Jahrestages des Mauerfalls veröffentlichte das Bundesfinanzministerium eine Statistik, wonach seit 1990 jährlich 140 Milliarden Mark an Transferleistungen nach Ostdeutschland geflossen waren. Unterdessen hat das Finanzministerium die Zählung vorsichtshalber eingestellt. Fachleute sprechen inzwischen von 1,3 Billionen Mark, eine schier unvorstellbare Summe, die noch weiter anwachsen wird. Insgesamt wendet die Bundesrepublik alljährlich vier Prozent ihres Bruttoinlandprodukts für Transferleistungen in den Osten auf, zwei Drittel davon werden für Konsumzwecke verwendet.
In der Bundesrepublik hat sich seit der Wiedervereinigung eine allgemeine, längst nicht auf Ostdeutschland beschränkte Subventionsmentalität breit gemacht. In Magdeburg gibt es eine Ã-dfläche von der Grösse eines Stadtteils, auf der nur noch ein Schornstein und zwei Fabrikhallen aus der Zeit der industriellen Revolution stehen. Das Brachland war bis Mitte der neunziger Jahre das Werksgelände des DDR-Maschinenbau-Kombinats «Ernst Thälmann», das man nach der Wende mit öffentlichen Mitteln zu sanieren versuchte. Dieses Unterfangen schlug fehl, das Kombinat ging in Konkurs, und so wurde das Fabrikareal mit Ausnahme einiger denkmalgeschützter Bauten abgerissen. Anderthalb Milliarden Mark waren buchstäblich in den Sand gesetzt.
«Das Land der Schmarotzer»
Hintergrund dieser Mttelverschwendung war der Versuch, den Ostdeutschen einzureden, der Staat werde sich auch nach der Wiedervereinigung um alles kümmern. Diese Mentalität hat auch auf den Westen abgefärbt. Inzwischen erwartet jedermann, und zwar auch die wirtschaftlich erfolgreichen Schichten, finanzielle Unterstützung vom Staat. Im letzten Bundestagswahlkampf übertrumpften sich die Parteien mit kostspieligen Vorschlägen zur Besserstellung der Familien. Die beiden Volksparteien CDU und SPD sind in ihren wirtschafts- und sozialpolitischen Vorstellungen weitgehend austauschbar: Man vertraut nicht mehr auf die Leistungsfähigkeit des Einzelnen, sondern auf staatliche Lenkung. «DDR light» nennt der Historiker Amulf Baring diese Haltung in beiden Teilen Deutschlands.
Die Sozialquote, also der Anteil der Sozialleistungen am Bruttoinlandprodukt, liegt unterdessen bei über 30 Prozent. In der EU geben, gemessen an der Wrtschaftskraft, nur drei Länder mehr für Sozialleistungen aus als Deutschland. Die Staatsquote ist im Lauf der neunziger Jahre wieder kontinuierlich gestiegen, so dass heute jeder zweite Euro vom Staat ausgegeben wird. Möglich, wird diese Umverteilung aufgrund einer im europäischen Vergleich hohen Steuerund Abgabenlast für Normalverdiener. Kürzlich erzählte eine spanische Korrespondentin, wie zwei deutsche Mitarbeiter ihres Büros die Kündigung provoziert hatten, um dann zu verkünden, sie wollten in den nächsten beiden Jahren das Nichtstun und ihr Arbeitslosengeld geniessen. Und dann sprach die Frau, die sich selbst als treue Wählerin der spanischen Sozialisten bezeichnete, den harten Satz: «Deutschland ist das Land der Schmarotzer.»
Das Umdenken kommt in Gang
lnzwischen konnte auch die rot-grüne Koalition die Fakten nicht länger ignorieren. Indem er die meisten seiner Wahlversprechungen über Bord warf, lancierte Schröder im März seine «Agenda 2010», mit der einige Auswüchse des deutschen Sozialstaates korrigiert werden sollen. Die Regierung erfährt für ihr moderates Reformprogramm in der Ã-ffentlichkeit mehr Lob als Kritik. Die Mehrheit der Bevölkerung scheint inzwischen anzuerkennen, dass die Fehlentwicklungen der neunziger Jahre der Korrektur bedürfen.
...
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Ende des Zitates.
Gruß
G.

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