- Krise der Tanztempel (FAZ) - Sascha, 11.08.2003, 13:20
Krise der Tanztempel (FAZ)
--><font size=5>Krise der Tanztempel</font>
Your disco needs you
Von Jacqueline Vogt
05. August 2003 Wenn es tiefe Nacht ist in diesem heißen deutschen Sommer, wenn die Lichter in den Häusern aus- und die Stroboskope in den Diskotheken angeschaltet sind, <font color="#FF0000">dann zuckt das Licht oft über halbleere Tanzflächen</font>. Auch dort, wo die Leiber dicht an dicht zur Musik wogen, sind die Betreiber nicht zufrieden. <font color="#FF0000">"Wir erleben die schwierigsten Monate und die höchsten Umsatzeinbußen seit Jahren"</font>, sagt Henning Franz, der Chef des"K 7" in Eckernförde und Präsident des Bundesverbands deutscher Discotheken und Tanzbetriebe.
So weit wie Mitte der Achtziger, als einige Wirte die Wasserhähne in den Toiletten abschrauben ließen, damit die Durstigen nicht mehr trinken konnten, ohne dafür zu zahlen, geht heute wohl niemand mehr. Grund, sich mehr Bewegung zur Theke hin zu wünschen, haben aber fast alle. Zwar sinken die Besucherzahlen in den Diskotheken im Sommer immer ein wenig. <font color="#FF0000">"In diesem Jahr hat das aber im Winter schon angefangen, und es führt kontinuierlich bergab"</font> [Eigener Kommentar: Bergab, bergab... es geht bergab], berichtet Franz."Geld zu verdienen ist sehr schwer geworden. Wer in guten Zeiten nichts auf die Bank gelegt hat, bekommt jetzt mit Sicherheit Probleme."
Derzeit 3.000 Discos
<font color="#FF0000">Die Rezession hat auch die Art gastronomischer Betriebe erreicht, von denen niemand genau weiß, wie viele in Deutschland überhaupt existieren</font>. Die letzten veröffentlichten Zahlen (<font color="#FF0000">5.900 Diskotheken mit 6.600 Betriebsstätten und einem Jahresumsatz von einer Milliarde Mark</font>) stammen aus dem Jahr <font color="#FF0000">1986</font>. Schon das war eine Hochrechnung aus Material des Statistischen Bundesamts in Wiesbaden, das Tanzbetriebe bis heute nicht gesondert erfaßt. Gut 3.000 Diskotheken seien es derzeit, sagt Henning Franz.
Es gibt Diskotheken mit einem Besitzer, und es gibt Ketten wie die in Kreuzwertheim ansässige G & T-Gruppe. Ihr allein gehören rund 120 Diskotheken in Deutschland und Ã-sterreich. Es gibt aber auch Unternehmer, die in ihrem Portefeuille neben Restaurants und Bars auch eine Handvoll Diskotheken haben; zum Beispiel die ums finanzielle Überleben kämpfenden Gerd Schüler und Michael Presinger.
Legenden leben länger
Und es gibt zwei Arten von Diskotheken: <font color="#FF0000">die großen Multizentren mit mehreren tausend Quadratmetern </font>und die eher intimen, die sich meist"Club" nennen und zwischen 800 und 1500 Quadratmater groß sind."Die,In-Plätze' sind <font color="#FF0000">nach wie vor frequentiert, aber der einzelne Gast gibt weniger aus</font>. <font color="#FF0000">Die anderen Läden haben weniger Gäste</font>", sagt Gerd Schüler. In Berlin hat er im Februar das legendäre Frankfurter"Dorian Gray" wiedereröffnet.
Das gehört fraglos nicht zur Kategorie"die anderen Läden" und ist gut besucht."Die Fülle ist da", bestätigt Schüler,"es läuft ganz ordentlich", was ihm Probleme bereite, sei der"Turnover": Die einzelnen Rechnungen fallen nicht hoch genug aus. Die Spanne zwischen dem, was hoch genug ist, und dem, wovon ein Haus nicht leben kann, ist weit. In manchen Diskotheken, weiß Henning Franz, liege der Durchschnittsverzehr bei sechs Euro, in anderen bei 30.
Andere Zielgruppen ansprechen
Eine Diskothek einzurichten ist teuer, <font color="#FF0000">1500 Quadratmeter können leicht vier, fünf Millionen Euro kosten</font>. Je nach Größe beschäftigt sie bis zu einem Dutzend und mehr Festangestellte vom Barchef bis zum Hausmeister und nicht selten mehrere hundert Aushilfen, auch Auszubildende."Daß das Unternehmen sind, die betriebswirtschaftlichen Prozessen unterliegen, ist vielen Menschen gar nicht klar", sagt Klaus Niester. Der Chefredakteur des Branchenblatts"Disco-Magazin" hat gerade die Insolvenz einer Lasertechnik-Firma gemeldet, die ihr Scheitern unter anderem mit"fatalen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen" erklärt: Wer keinen Umsatz macht, braucht keine neue Lichtanlage.
Selbst an Clubs wie dem Münchener"Pacha", in der Stadt an der Isar neben dem"P1" der zweite Treffpunkt mit hohem Prominenten-Faktor, geht die Entwicklung nicht spurlos vorbei."<font color="#FF0000">Die Leute drehen den Euro noch öfter um als die Mark"</font>, sagt"Pacha"-Geschäftsführer Constantin Wahl. Allein von Fußballspielern und Ludern, den Popstars, den Society-Prinzen und den jungen Frauen, die so gerne Prinzessinen wären, kann niemand leben. Champagnertrinkende Millionäre sind fürs Geschäft nicht schlecht und für das Image noch besser, aber das richtige Geld bringt die Masse, und der muß etwas geboten werden. Das"Pacha" hat rechtzeitig zur Hitzewelle einen neuen Open-Air-Bereich eröffnet. Damit und vor allem durch die Ansprache"anderer Zielgruppen an Clubtagen unter der Woche" habe er die Rückgänge der Pro-Kopf-Umsätze"kompensieren können", sagt Wahl. Insgesamt sei er mit seiner"Stellung am Markt sehr zufrieden".
Konkurrenz durch reisende DJs
"Es gibt noch den einen oder anderen Club, der angesagt ist, aber insgesamt steht es sehr schlecht", sagt der Präsident des Diskotheken-Verbands. Besonders düster seien die Aussichten dort, wo das Publikum sehr jung sei, oft auch auf dem flachen Land. Kein Wunder, sagt Klaus Niester."Diskotheken-Tourismus", wie er einmal modern gewesen sei, gebe es heute nicht mehr."Welcher Achtzehnjährige fährt am Samstagabend 120 Kilometer?" <font color="#FF0000">Und wie viele Achtzehnjährige gebe es denn überhaupt noch</font>, klagt Henning Franz:"Uns bricht die Zielgruppe weg."
In Regionen, in denen besonders viele Feste unter freiem Himmel stattfinden, verschärfe sich die Lage noch."Reisende DJs" heißt ein Stichwort, das Diskotheken-Betreiber zornrot werden läßt,"Schwarzgastronomie" ein anderes. Schwarz sehen trotzdem nicht alle Wirte."Jammern gehört in dieser Branche dazu. Wenn das alles stimmte, gäbe es unter uns ja viele Sozialhilfeempfänger", sagt einer.
Elitäre Zielgruppe zieht
<font color="#FF0000">Szene-Beobacher Niester fügt hinzu, daß es einerseits"zu viele Großdiskotheken" gebe und andererseits"sehr viele, oft kleinere, die nach wie vor sehr gut laufen</font>". In Würzburg zum Beispiel. Dort ist vor wenigen Tagen das 1999 eröffnete"Capitol" nach einer Generalüberholung neu an den Start gegangen. <font color="#FF0000">Anderthalb Millionen Besucher hat die Einrichtung (Slogan:"Mainfrankens ultimatives Discoerlebnis") nach Angaben der Inhaber seit ihrer Eröffnung gehabt</font>.
Vor einer anderen, kleineren, in diesem Jahr eröffneten Diskothek stehen auch in heißen Sommernächten wie diesen Menschen in langen Schlangen an. Das"Studio" ist das jüngste Lokal der Betreibergesellschaft der"Airport"-Diskotheken. Ihr Sprecher Wolfgang Weier meint, daß drei Gründe für den Erfolg ausschlaggebend seien:"Strenge Tür, elitäre Zielgruppe, Publikum von 27 Jahren aufwärts." Solche Gäste fühlten sich wohl in einer Einrichtung,"die nicht aus dem Ausstattungskatalog für Diskotheken stammt", sondern von der Liebe zum Detail geprägt sei. Auch ein Club, sagt Weier, könne das sein,"was die Getränke-Industrie ein High-Volume-Outlet nennt".
Ähnlich sieht das Georg Ritter, Chef der Frankfurter"Galerie". Als er 1995 eröffnete, habe er konsequent"den Focus auf die etwas älteren Gäste und eine hochwertige Gastronomie gelegt". Jetzt brauche er"keine Einbußen" hinzuehmen. Das Bedürfnis, auszugehen, sagt er, das werde es immer geben und auch die Möglichkeit, an diesem Bedürfnis zu verdienen,"vorausgesetzt, man hat das richtige Konzept".
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.08.2003, Nr. 179 / Seite 7

gesamter Thread: