- Die amerik. Regierung manipuliert, infiltriert und verfälscht die Wissenschaften - Standing Bear, 12.08.2003, 23:05
Die amerik. Regierung manipuliert, infiltriert und verfälscht die Wissenschaften
-->Und nichts als die Wahrheit
Ein Gutachten klagt an: Die amerikanische Regierung manipuliert, infiltriert und verfälscht die Wissenschaften
Und sie bewegt sich doch! Henry A. Waxman hat etwas von Galilei. Auch er steht politisch auf verlorenem Posten, aber wie das historische Vorbild beruft er sich auf einen mächtigen Verbündeten: die wissenschaftliche Wahrheit. Wahrheit und Macht können auf eine lange und nur selten glückliche Beziehung zurückblicken - aber sie geben ihre Partnerschaft nicht auf. Waxman, der für einen Wahlkreis in Kalifornien in die demokratische Minderheitsfraktion des amerikanischen Repräsentantenhauses gewählt wurde, gibt jedenfalls nicht auf.
Waxman hat sich im Kampf gegen unwahre Werbung der Tabakindustrie einen Namen gemacht. Er war es, der nach den Beweisen fĂĽr die angebliche Massenvernichtungswaffen des Iraks verlangte und die LĂĽge mit der angeblichen Uranlieferung nach Bagdad aufgedeckt hat. Das sind eindrucksvolle Erfolge.
Bei der „Special Investigation Division“ des Repräsentantenhauses hat Waxman ein Gutachten in Auftrag gegeben, das die „Behandlung der Wissenschaft und der Wissenschaftler durch die Bush-Regierung untersuchen“ sollte. Die Beschwerden namhafter Vertreter der Wissenschaften über eine schädliche Einflussnahme der Regierung hatten sich in letzter Zeit gehäuft, beispielsweise von Albert H. Teich, dem Direktor der Amerikanischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (SZ vom 5. Mai 2003). Das Gutachten wurde jetzt auf der Internetseite des Repräsentantenhauses veröffentlicht (www.house.gov/reform/min/politicsandscience/).
Das Ergebnis ist unmissverständlich: Die Regierung der Vereinigten Staaten soll demnach in einem historisch einmaligen Ausmaß wissenschaftliche Erkenntnisse unterdrückt, zurechtgebogen oder verfälscht haben, um die ideologischen Vorgaben oder wirtschaftlichen Interessen ihrer Klientel zu schützen.
Drei Methoden seien hierbei zur Anwendung gekommen. Erstens seien Beratungskomitees, die ausschließlich den wissenschaftlichen Fakten verpflichtet sein sollten, mit unqualifizierten Interessenvertretern besetzt worden. Zweitens habe die Bush-Regierung in offiziellen Informationen an den Kongress und an die Bevölkerung wissenschaftliche Tatsachen unterdrückt, verändert oder mit falschen Behauptungen verwässert, um die eigene Meinung zu begründen. Und drittens habe sich die Regierung auch einer direkten Einflussnahme in die Forschung schuldig gemacht, indem sie die Gelder der staatlichen Forschungsförderung nach ideologischen Kriterien verteilt und Druck ausgeübt habe, wissenschaftliche Ergebnisse nur im Sinne der Regierung zu produzieren. Kurz: Auf der einen Seite steht die wissenschaftliche Wahrheit. Auf der anderen stehen offenbar die Interessen der Regierung. Wer, zumindest kurzfristig, der Stärkere ist, wissen wir - siehe Galilei.
Verwunderlich ist nur, wie sich die Verhältnisse mittelfristig geändert haben. Wir erinnern uns, Mitte der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts: Eine Schar von rebellischen Wissenschaftlern und Philosophen, vornehmlich aus dem linken Spektrum, trat an, die Autorität und den Machtmissbrauch der Wissenschaft infrage zu stellen. Gibt es denn überhaupt objektive Wahrheit? Ist nicht jede Erkenntnis auch von Interessen bedingt, das Wissen ein Abbild der Herrschaftsverhältnisse? „Wider den Methodenzwang!“ war der Schlachtruf von Paul Feyerabend, der viele Anhänger hatte: Gegen die Vormacht der wissenschaftlichen Experten propagierte er eine Demokratisierung des Wissens. Alles geht! Niemand besitze einen privilegierten Zugang zur Wahrheit. Neben den Experimentalwissenschaftlern mit ihren Doppelblindversuchen sollte auch das gemeine Volk seinen Anteil an der Wahrheit bekommen - auch Außenseiter, die Anhänger der Astrologie, Parapsychologie oder Esoterik.
Das öffentliche Vertrauen in wissenschaftliche Autorität hatte in den vergangenen dreißig Jahren schweren Schaden genommen. Wer allzu vorlaut mit der Autorität der Wissenschaften argumentiert, kann sich bis heute des Spotts der moralischen Mehrheit sicher sein. Wissenschaftler? Sind das die Leute, die uns vor kurzem noch gesagt haben, Rauchen helfe gegen Akne, Atomkraft sei sicher und Asbestbeton rette Menschenleben? Und wo sind die Tabletten gegen Schnupfen und Krebs, die uns seit gut hundert Jahren für die allernächste Zukunft versprochen wurden?
Jetzt aber wendet sich das Blatt. Die Einsicht schleicht sich ein, mit Churchill gesprochen, dass eventuell das falsche Schwein geschlachtet wurde. Der soziale Konstruktivismus mag sich fürsorglich und liebevoll den Interessen der unterdrückten Minderheiten angenommen haben, aber wenn es hart auf hart kommt, ist eine arrogante Wissenschaft mit ihren autoritären Urteilen über das empirische „wahr“ oder „falsch“ ein mächtiger Verbündeter. Wie im Gutachten für den Abgeordneten Waxman, das zwischen den Zeilen ein romantisches Bild von der Wissenschaft wie aus der guten alten Zeit malt - als die Wahrheit noch wahr und ein Interesse bloß ein Interesse war.
21 Belege listet das Gutachten für die Behauptung auf, wonach die Bush-Regierung wissenschaftliche Tatsachen verbiege. Die Themen decken das gesamte Spektrum eines links-ökologischen Parteiprogramms ab:
Einem Forscher, James Zahn, der den Einfluss der Schweinemast auf die Antibiotika-Resistenz von Krankheitskeimen untersucht hatte, sei durch politischen Druck auf die Herausgeber die Veröffentlichung seiner Ergebnisse verwehrt worden. In einem Komitee, das zulässige Grenzwerte für die Bleibelastung der Umwelt festsetzen sollte, habe man anerkannte wissenschaftliche Experten durch Industrievertreter ausgetauscht. Aufgrund ihrer ideologischen Voreingenommenheit habe die Bush-Administration die Lehrer angewiesen, im Unterricht ausschließlich die sexuelle Enthaltsamkeit vor der Ehe als probates Mittel gegen Sexualkrankheiten und ungewollte Schwangerschaften zu behandeln - als habe man noch nie etwas von Kondomen gehört.
Wissenschaft ist eben eine äußerst vielseitige Waffe. Das Waxman-Gutachten hätte man allerdings in den meisten Fällen auch durch die Frage „cui bono?“ ersetzen können. Ob Waxman mit der Strategie Erfolg haben wird, die Politik der Bush-Regierung mit Hilfe der wissenschaftlichen Wahrheit anzugreifen, das bleibt abzuwarten.
ULRICH KĂśHNE
Nichts Neues, oder?
<ul> ~ http://www.sueddeutsche.de/sz/feuilleton/red-artikel1118/</ul>

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