- Und plötzlich ist alles aus - Insolvenzen - Vlad Tepes, 15.09.2003, 20:18
- Re: Und plötzlich ist alles aus - Insolvenzen ** Großaufträge - Kleinaufträge - Herbi, dem Bremser, 15.09.2003, 22:37
- Zitat - Dieter, 15.09.2003, 23:19
- Insolvenzen - und plötzlich läufts wieder! - Dagobert Duck, 15.09.2003, 23:59
Und plötzlich ist alles aus - Insolvenzen
-->Und plötzlich ist alles aus
Albtraum Pleite: Die Zahl der Insolvenzen steigt immer weiter. Doch hinter den Statistiken lauern tausende Einzelschicksale. Ein Unternehmer erzählt
von Manfred Fischer
Die Lehderstraße in Berlin-Weißensee, im alten Osten der Stadt. Der Verfall schreit aus jedem Mauerloch. Eine blaue Matratze liegt auf dem Gehweg, lustlos wühlen Straßenarbeiter in der Erde. Erstes Herbstlaub nach dem heißen Sommer weht über das rissige Pflaster.
In der Lehderstraße Nummer 24 finden sich die Reste der Eugen Kessler Metallbau GmbH, gegründet 1935, seit Ende August 2003 in Konkurs. Zum Schluss hatte sie noch 35 Beschäftigte. Die gehen jetzt in Rente oder sind arbeitslos. Inhaber Nicolas Becker, Enkel des Gründers, geht durch die denkmalgeschützten, nun aber menschenleeren Hallen."Die Maschine dort hat noch meinem Großvater gehört", sagt er und zeigt auf ein betagtes Eisenteil. Wenn er Zeit hat, will er das Museumsstück polieren und ins Wohnzimmer stellen - zur Erinnerung.
Die Eugen Kessler Metallbau GmbH baute einst Türen, Fenster und Fassaden aus Stahl und Aluminium. Spezialität waren die gläsernen Aufzüge."Wir haben in der ganzen Stadt große Projekte gehabt", sagt Becker. Die Belgische Botschaft gehörte dazu und die Rosenhöfe in Berlin-Mitte, die dem Unternehmen zuletzt das Genick gebrochen haben. Verschleppte Zahlungseingänge bei gleichzeitig weiterlaufenden Kosten - ein altes Lied.
Ein schwacher Trost für Nicolas Becker. Sein Tagwerk besteht nun nicht mehr aus Planen und Bauen, sondern aus einem Leidensweg zwischen Konkursverwalter, Banken und dem Verwerter, der verkauft, was sich angesammelt hat in 68 Jahren Unternehmensgeschichte.
Zwischendurch bemüht sich Becker um neue Aufträge, denn der Betrieb soll auch in der Liquidation weiterlaufen. Außerdem hat er noch die Staatsanwaltschaft am Hals. Die will ihn belangen, weil er in den Monaten vor dem Konkurs keine Sozialversicherungsbeiträge für seine Leute mehr bezahlt hat."Das ist Veruntreuung", sagt er,"und wird routinemäßig verfolgt." Allerdings sind die Beträge inzwischen nachgezahlt. Schließlich versucht er noch, sich mit den Banken wenigstens so weit zu einigen, persönlich keinen Offenbarungseid leisten zu müssen. Das würde den Neuanfang schwieriger machen.
Denn selbstständig will er bleiben, irgendwie."Ich hatte Angebote aus der Industrie", sagt er,"aber unter einem Chef arbeiten? Ich weiß nicht, ob ich das noch kann." Zur Not will er Schlangen züchten. In zwei Wochen fliegt er in die USA zu einem Freund, der von diesem Geschäft etwas verstehen soll.
Mit seinem Konkurs befindet sich Becker in guter Gesellschaft. Bundesweit haben Pleiten Hochkonjunktur: In den ersten sechs Monaten dieses Jahres mussten in Deutschland 19 200 Unternehmen Insolvenz anmelden. Allein in Berlin gab es von Anfang Januar bis Ende Juni 2700 Insolvenzanträge, 50 Prozent mehr als in der gleichen Vorjahreszeit.
Ein Ende der Pleitenwelle ist nicht in Sicht:"Es wird wahrscheinlich noch gut zwölf bis 24 Monate dauern, ehe die erwartete Belebung der deutschen Wirtschaft sich positiv auf die Zahl der Insolvenzen auswirkt", sagt Roland Pruss von der Unternehmensberatung PriceWaterhouseCoopers.
Für Becker und sein Unternehmen kommt jeder Aufschwung zu spät. Er steht nach 13 Jahren Marktwirtschaft vor den Trümmern seiner Existenz. Nicht zum ersten Mal haben andere das Sagen in seinem Unternehmen. Der Betrieb war nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Gründung der DDR verstaatlicht worden. Als Volkseigener Betrieb - VEB Leichtmetallbau - überstand die Produktionsstätte in historischen Hallen aus der Zeit der vorletzten Jahrhundertwende die Jahre des Sozialismus.
Schon 1990, die Wende war kaum geschafft, kam die Reprivatisierung und, am 1. 1. 1991, der Erbe Becker aus West-Berlin. Der Boom beim Bau in Berlin, wacker auf Pump finanziert, begann."Wir haben eine Zeit lang ganz gut verdient", erinnert sich der Chef. Als es dann abwärts ging mit Auftragslage und Beschäftigung, konnte er seine teils noch aus DDR-Zeiten stammenden Fachkräfte nicht so schnell loswerden, wie die Einnahmen sanken. Ohne Arbeitsgerichtsprozess räumt niemand einen Arbeitsplatz, der sein letzter sein könnte.
Ein Großauftrag wurde Becker und seinem Unternehmen schließlich zum Verhängnis. Zuletzt fehlten zum Weitermachen 53 000 Euro, die Rosenhof-Architekt Hinrich Baller, eine Berliner Institution und ein äußert kreativer Schöpfer verspielter, also teurer, Bauwerke, nicht zahlen will. Die Rosenhöfe sind ein historischer Gebäudekomplex neben den Hackeschen Höfen; sie beherbergen teure Läden, exklusive Restaurants und Dienstleistungen mit Schickimicki-Qualität. Die anspruchsvolle Architektur hatte immer neue Schwierigkeiten bei der Abnahme des Bauwerks zur Folge, was so gut wie zwangsläufig eine Zahlungsunlust seitens des Bauherrn zur Folge hat. Die Banken sperren dann ebenso sicher die Kreditlinien. Die Pleite ist da.
Wenigstens hält sich Metallbauer Becker die Chance für einen Neubeginn offen. Zusammen mit zwei seiner einstigen Mitarbeiter will er eine neue Gesellschaft gründen, die Metallbau Kessler GmbH, und mit einer Hand voll seiner Leute weitermachen. Die Gespräche darüber mit dem Kursverwalter dauern an. Möglicherweise gibt es neues Leben nach der Pleite.
Übrigens bei mir um die Ecke...
<ul> ~ http://www.wams.de/data/2003/09/14/168128.html?prx=1</ul>

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