- Der Schweden-Krimi (aus der WELT) - Bob, 24.09.2003, 15:36
- Das weiß doch jedes Kind! (vor Pisa) - Kris, 24.09.2003, 16:41
- Re: Der Schweden-Krimi (aus der WELT) - Bob - nereus, 24.09.2003, 17:35
Der Schweden-Krimi (aus der WELT)
-->http://www.welt.de/data/2003/09/19/170406.html
Aber doch nicht in Schweden!
Irrtum, gerade dort: Krimileser wussten schon immer, dass hoch im Norden Messermörder lauern
von Ulrich Baron
Zunächst auch ein"Mörder ohne Gesicht": Mutmaßlicher Täter des Attentats auf Anna Lindh
Das Erfolgsgeheimnis der schwedischen Kriminalromane und die Frage, warum zum zweiten Mal eine führende politische Persönlichkeit dieses Landes zum Mordopfer werden konnte, lassen sich auf eine Maxime zurückführen. Sie lautet:"Bei uns unmöglich!" Zwar wirkt der Schock des Mordes am schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme im Jahre 1986 noch immer nach, aber weil dieser Fall bis heute ungeklärt ist, gibt es wenig Erkenntnisse, aus denen man Konsequenzen hätte ziehen können.
Vom Ersten und Zweiten Weltkrieg weitgehend verschont - zum Teil sogar davon profitierend -, hat die wachsende Prosperität Schweden vor radikalen innenpolitischen Konflikten bewahrt und ein gesellschaftliches Klima geschaffen, in dem sich über alles vernünftig reden ließ. Nur nicht über Verstrickungen in Waffengeschäfte und obskure politische Machenschaften, denn so lange jedes treibende Ã-lfass für ein sowjetisches U-Boot gehalten wurde, gab es Wichtigeres. Selbst die Krise des schwedischen Sozialstaates wurde schließlich ohne viel Aufhebens bewältigt.
Wer einmal verfolgt hat, wie ein ehemaliger schwedischer Elektroingenieur seine Wandlung zum Wald-Scout erklärt und wie man durch Umsicht, die Wahl des richtigen Messers und eine angemessene Kopfbedeckung selbst in der Wildnis Mittelschwedens überleben könne, der weiß auch um jenes beinahe unerschütterliche Vertrauen in die Vernunft, die einen selbst die Begegnung mit einem wilden Bären unbeschadet überstehen ließe, sofern es sich um einen schwedischen und also vernünftigen Bären handelt.
Dass ein Mensch mit Elchbüchse und Jagdmesser auch ganz schreckliche Dinge anstellen könne, erscheint aus dieser Sicht zwar keineswegs als undenkbar, aber doch als ausgesprochen unvernünftig und unschwedisch. Die ersten, die dieser Vorstellung Ende der sechziger Jahre mit ihren Kriminalromanen entgegentraten, kamen nicht von ungefähr vom linken Rand des politischen Spektrums. In ihren inzwischen schon legendären Romanen um den Stockholmer Kommissar Beck spannten Maj Sjöwall und Per Wahlöö den weiten Bogen von punktueller Gesellschafts- bis hin zu radikaler Systemkritik und überspannten ihn schließlich. Doch gerade ihr politischer Anspruch enthielt auch das Versprechen,"gesellschaftlich bedingte" Ausbrüche von mörderischer Gewalt und Irrationalität in den Griff zu bekommen. Ihre Nachfolger - vor allem ihr erfolgreichster, Henning Mankell - erscheinen da wesentlich skeptischer, weil ihnen die Hoffnung auf eine soziale Revolution abhanden gekommen ist.
Trotz aller Kritik demonstriert Schwedens Krimi-Boom auch, wie Aufklärung sich in neuerliche Mythologisierungen verstrickt: Nachdem der Stockholmer Polizeichef Hans Holmér die Fandung nach dem Mörder Olof Palmes in ein blamables Chaos geführt und schließlich seinen Abschied genommen hatte, schrieb er bis zu seinem Tod im Jahre 2002 eine Reihe erfolgreicher Kriminalromane um den Detektiv Arvid Roos.
Die Mörder eines Henning Mankell, einer Liza Marklund, eine Åke Edwardson sind zwar die wahnsinnigen Ausgeburten einer Gesellschaft, die ihre Bürger zunehmend überfordert und sie mit ihren Problemen allein lässt. Aber bei allem kritischen Nachdenken über die zunehmende Verwahrlosung des Volksheims Schweden lässt sich keine überzeugende Verbindung zwischen den Untaten psychisch gestörter Einzeltäter und der Gesellschaft herstellen. Doch von Mankells erstem Roman um Kommissar Wallander bis zu"Die Rückkehr des Tanzlehrers" gibt es auch eine kontinuierliche Unterströmung verdrängter rechtsradikaler Umtriebe. In"Mörder ohne Gesicht" machten 1991 schwedische Rechtsradikale Jagd auf Asylanten, während ein Kollaborateur aus der NS-Zeit ausländischen Raubmördern zum Opfer fiel. In der"Rückkehr des Tanzlehrers" zeigte sich, dass die alten Wurzeln faschistischer Gruppen auch in Schweden längst neue Triebe hervorgebracht haben. Am vernünftigste also wäre es, der Vernunft dort künftig etwas skeptischer zu begegnen.

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