- der feine unterschied... - Otto_Ludwig_Piffel, 30.09.2003, 13:35
- Wolfgang Schäuble ist ein Gängster und ein Lügner, - Langlume, 30.09.2003, 13:42
- USA und Todesstrafe - VictorX, 30.09.2003, 14:40
- ... der sich Massenmörder zum Vorbild nimmt (owT) - Das_Orakel_aus_Oberlahnstein, 30.09.2003, 15:05
- Re: der feine unterschied... wir sind eigentlich auch so. - Bob, 30.09.2003, 15:08
- Wolfgang Schäuble ist ein Gängster und ein Lügner, - Langlume, 30.09.2003, 13:42
der feine unterschied...
-->Der feine Unterschied
Im Gegensatz zu uns Deutschen glauben die Amerikaner daran, dass sie Großes schaffen können
Von Wolfgang Schäuble
In unseren Fernsehnachrichten sehen wir gelegentlich, wie vor der Ostküste der Vereinigten Staaten von Amerika verheerende Hurrikans heraufziehen und wie sich die Menschen in den bedrohten Gebieten darauf vorbereiten. Mich hat dabei immer wieder beeindruckt, wie die Amerikaner mit ruhiger Entschlossenheit ohne jede Panik sich angesichts solch einer drohenden Naturkatastrophe verhalten. Eines meiner Kinder hat das bei seiner amerikanischen Gastfamilie erfahren. Mit Brettern wird das an der Küste gelegene Haus gesichert, und dann fährt man zu den 250 Meilen entfernt wohnenden Verwandten und wartet, bis der Sturm über die Küste gefegt ist. Keine Tragödie ist das und auch kein Weltuntergang, sondern eine zu bewältigende Herausforderung. Alle meine vier Kinder haben einen Teil ihrer Schulzeit bei US-amerikanischen Gastfamilien verbracht: in Texas, in Illinois, in Virginia und in South Carolina. Sie wurden alle in unterschiedlicher Weise durch die vielfältigen Erfahrungen nachhaltig beeinflusst. Nicht am geringsten hat sie beeindruckt, mit welcher Entschiedenheit und Tatkraft sich Amerikaner Problemen und Herausforderungen im praktischen Alltag stellen.
An Amerika kann und darf man vieles kritisieren, aber eines hat diese Nation der Einwanderer uns Europäern sicherlich voraus: Amerika besitzt Ideale, verbunden mit einem Grundoptimismus, der weltweit seinesgleichen sucht. Die Kombination beider Haltungen führt zu einem can-do-spirit, dessen Vertreter nicht nur glauben, Berge versetzen und die Welt befrieden zu können, sondern die dieses auch trotz aller Verfehlungen und Rückschläge aktiv versuchen. Selbst auf der Erde machen das Streben und die zielgerichtete Verfolgung von Idealen nicht Halt: Get a man to the moon in ten years - wenige Politiker in der Welt sind willens und in der Lage, in ähnlichen Kategorien zu handeln wie ein John F. Kennedy.
Den Amerikanischen Traum mag man als Illusion abtun und mit einer gewissen Berechtigung die Gefahr einer Hybris und Ignoranz gegenüber anderen Ländern sehen. Unbestritten ist jedoch, dass viele Amerikaner an die eigene Stärke als Grundlage des Amerikanischen Traumes glauben und dadurch individuell und als Nation Beeindruckendes auf die Beine stellen: Wenn ich glaube, dass ich etwas schaffen kann, leiste ich mehr, als wenn ich von Anfang an überzeugt bin, dass ich keine Chance habe. Nicht zufällig sind die Vereinigten Staaten das Land der Unternehmer, die es riskieren, Geschäfte aufzubauen und Projekte umzusetzen, um den Amerikanischen Traum zu verwirklichen. Dies beinhaltet die felsenfeste Überzeugung, dass es im Land der unbegrenzten Möglichkeiten jeder schaffen kann mit harter Arbeit und einem Quäntchen Glück. Dass dies in der Realität für viele Amerikaner gerade am unteren Ende der Gesellschaft oftmals anders aussieht und soziale Ungleichheit viel stärker ausgeprägt ist als in Europa, ist ein anderes Thema.
Wenn wir Europäer uns abendfüllend darüber auslassen können, was bei uns alles nicht funktioniert, stehen wir uns damit am Ende selbst im Weg, weil wir so wenig Neues probieren und schaffen. Wer bei uns einmal gescheitert ist, bekommt nicht so leicht eine neue Chance. Wer sich selbstständig machen will, der muss wie Don Quichotte gegen die Mühlen von Bürokratie und Steuerrecht ankämpfen, statt sich auf sein Kerngeschäft konzentrieren zu können.
Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an eine Anekdote eines weit gereisten Amerikaners, der gebeten wurde, doch einmal drei Begriffe zu benennen, die ihm bei seinen in Deutschland gemachten Erfahrungen in den Sinn kämen. Zum einen, so der Gefragte, sei dies das Wort Dienstweg, zum anderen erinnere er sich lebhaft an den recht knappen Ausdruck Draußen nur im Kännchen als Erläuterung eines deutschen Naturgesetzes bei der Bestellung von koffeinhaltigen Getränken im Freiluftbereich von Gaststätten. Drittens wurde ihm regelmäßig mit dem Satz Sie sind nicht im Computer an deutschen Flughäfen die Existenzberechtigung abgesprochen.
Bei aller Ironie sprechen die dahinter liegenden Befindlichkeiten doch Bände über das Selbstverständnis und die entsprechenden Mentalitäten unserer jeweiligen Gesellschaften. Zwar sind die US-Bürger stärker auf sich allein gestellt, aber es werden ihnen bei der Gestaltung ihrer Existenz vom Staat weit weniger Steine in den Weg gelegt als bei uns in Deutschland. Jeder hat die Freiheit zu versagen, aber eben auch die Möglichkeit, individuell erfolgreich zu sein.
Wenn wir fragen, wie man Erfolg am sinnvollsten gerecht und sozialverträglich verteilt, vergessen wir dabei zunehmend den ersten Schritt, nämlich erst einmal Erfolg zu haben. Amerika funktioniert deshalb so gut, weil die Kombination von Optimismus, Idealen und Freiheit in Individuen Kräfte freisetzt, welche die USA zur größten Wirtschaftsmacht der Welt gemacht haben. Was also ist das Geheimnis des Erfolgs dieser Nation, die sich selbst für exceptional, also nicht nur als etwas Besonderes, sondern als außergewöhnlich und ohne Parallele beschreibt? Wie ist dies möglich in einer Nation, die ihre Wurzeln in der Alten Welt hat als eine Ansammlung von Immigranten?
Wenn Amerikaner ihre kulturellen Wurzeln suchen, finden sie diese häufig in Europa. Hierzu reicht schon ein Blick auf die Nachnamen in Telefonbüchern von Montpellier/Vermont, Bismarck/North Dakota oder New Amsterdam. Amerika ist ohne seine Immigranten und das, was sie aus der alten Heimat mitbringen, schlicht undenkbar. Auf der einen Seite sind es die puritanischen, religiösen Wurzeln eines Europas vor 1789, und auf der anderen Seite sind es die liberalen Wurzeln der Moderne, welche die Grundlage der Erfolgsgeschichte des Landes bilden.
Dieser Nation der Einwanderer wohnte schon immer eine Dynamik inne, von der wir Europäer heute vieles lernen können. Die ständige Unruhe, die in der europäischen Geschichte die vorwärts treibende Kraft war, erschien kleinräumig, gewissermaßen nach innen gerichtet, innerhalb der eigenen Grenzen. Demgegenüber greift die amerikanische Dynamik über die eigenen Grenzen hinaus. Die Einwanderer waren ja gerade aus den für sie beengten Verhältnissen zu Hause ausgebrochen. Das setzt sich in immer neuen Wellen von Immigranten bis in die Gegenwart fort. Und nach der Unabhängigkeitserklärung ging es in Amerika neuen Grenzen entgegen, new frontiers - immer weiter, go west eben. Und dazu kam der Puritanismus, der im Schaffen besserer materieller Verhältnisse ein gottgefälliges Werk sieht.
Samuel P. Huntington bezeichnet diese Spannung zwischen dem Puritanismus des 17. Jahrhunderts und dem Liberalismus des 18. und 19. Jahrhunderts als das zentrale Charakteristikum der amerikanischen Gesellschaft und ihrer Politik. Promise of disharmony nennt er dieses Wesensmerkmal der amerikanischen Gesellschaft und erklärt damit amerikanische Geschichte und amerikanisches Staatswesen im Sinne eines ständigen Wettbewerbs konkurrierender Ideen.
Als Nation der Neuankömmlinge ist man risikofreudiger und erfolgshungriger. Spätestens seit Roosevelt macht man als Weltmacht mehr oder minder deutlich, dass man keinen geringeren Anspruch hat, als die Welt zu ordnen und zu befrieden. Dieser Anspruch birgt enorme Potenziale, aber auch Gefahren, wenn er sich unilateral verselbstständigt. Durch die gewaltige Wirtschaftsleistung der USA werden Chancen und Gefahren in ihrem Effekt stets potenziert. Das Element des Puritanismus wird in Spannung gesetzt und gleichzeitig ausgeglichen durch den Liberalismus einer Einwanderernation, die stets große Zahlen verschiedenster Immigranten zu integrieren hatte. Dieser Prozess ist bis heute ungebrochen. Amerika hat durch seine Attraktivität für Immigranten geringere demografische Probleme als Europa, das eine hohe Immigration räumlich schwerlich verkraften würde und daher seine demografischen Probleme anders wird lösen müssen. Auf der anderen Seite ist es aber auch und gerade dort das Thema Immigration, das Bundesstaaten wie Kalifornien, Texas oder Florida vor gewaltige soziale Probleme stellt. Im Unterschied zur Diskussion in Deutschland ist es in den USA jedoch die Mischung aus Liberalismus, grundsätzlicher Fairness und calvinistischem Arbeitsethos, die die Diskussion dominiert. Es ist weniger die Angst vor Überfremdung als die Sorge um die ökonomische Integration schlecht ausgebildeter Immigranten, die die öffentliche Kontroverse in den USA beherrscht. Dort ist jeder willkommen, solange er arbeitet und nicht über die Sozial- und Gesundheitssysteme anderen arbeitenden Individuen finanzielle Bürden auferlegt. So erklärt sich, dass Neuankömmlinge zu vergleichsweise geringen Löhnen arbeiten, aber am Ende Nettozahler in die gesellschaftlichen Kassen sind und das Bruttosozialprodukt erhöhen. Wer dagegen dem puritanischen Ruf zur Arbeit nicht Folge leisten kann oder will, findet sich schnell im Heer der 40 Millionen US-Amerikaner ohne Krankenversicherung wieder.
Beide Strömungen haben ein ausgeprägtes Wertefundament ideologischer und religiöser Elemente, die bis in die politischen Eliten hinein ihren Ausdruck gefunden haben: Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass viele Amerikaner Politik und gerade Außenpolitik in moralischen Kategorien von Gut und Böse bewerten, während Europäer in rechtlichen Kategorien von Legitimität denken. Das könnte mit dem Unterschied zwischen der mehr nach innen gerichteten europäischen Dynamik und der eher nach außen gerichteten amerikanischen zusammenhängen. Die Erstere sucht eine Ordnung, die von allen akzeptiert werden kann, während die Zweite sich dieser Ordnung bereits sicher ist und sie immer weiter auszudehnen sucht. Das könnte auch eine Erklärung liefern für den Widerspruch, dass Amerika mit seiner Offenheit und Integrationskraft auf der einen Seite das Land der Sehnsucht für so viele Menschen überall in der Welt ist, in dem sie ihre Träume zu verwirklichen suchen, und dass auf der anderen Seite dieses im Inneren so tolerante Land von außen eher als arrogant und unsensibel gegenüber anderen Kulturen und Zivilisationen wahrgenommen wird.
Wenn Europäer und Amerikaner die Gemeinsamkeit ihres Erbes und die Unterschiede ihrer Entwicklung - vor allem auch ganz unterschiedliche geschichtliche Erfahrungen aus Kriegen und Bedrohungen - nicht realisieren, dann reden sie wie jüngst in der Irak-Debatte zwangsläufig und nahezu verständnislos aneinander vorbei. Das gemeinsame Wertefundament von Amerika und Europa hat durch die Geschichte eine unterschiedliche Ausprägung erfahren. Nirgendwo wird das deutlicher als in Fragen der Religion. Amerika ist bis heute ein zutiefst religiöses Land. Schaut man sich die Konfessionen der in den Senat und das Repräsentantenhaus gewählten Mitglieder an, so fällt auf, dass evangelikal geprägte, streng puritanische Gruppen auf der einen sowie religiöse Minderheiten auf der anderen Seite zugenommen haben, was dem Verhältnis innerhalb der Gesamtbevölkerung entspricht. Und darin drückt sich eine besondere Form gesellschaftlicher Toleranz aus. Weniger geworden sind Mitglieder der religiösen Mitte, von Anglikanern bis zu Lutheranern, die in Europa die - allerdings schwindende - Mehrheit bilden. Europa zeichnet sich also eher durch die beständige Suche nach Kompromiss und Herausbildung einer Mitte aus, während in Amerika die liberalen und puritanischen Strömungen ihre weltanschaulichen und ideologischen Konflikte bis in die hohe Politik dynamisch und konfliktträchtig austragen.
Einer jüngeren Umfrage zufolge würde eine überwältigende Mehrheit der US-Amerikaner einen erklärten Atheisten im Amt des Präsidenten ablehnen. Man verteidigt leidenschaftlich die Religionsfreiheit, begegnet aber jenen mit Skepsis, die keiner Religionsgemeinschaft angehören. Das hängt damit zusammen, dass Religion mit einem Wertefundament assoziiert wird, welches das Rückgrat von Individuen und einer Nation bildet, die sich In God we trust auf ihre Zahlungsmittel schreibt. Die Anhäufung derselben ist damit wie schon bei Johann Calvin für viele Amerikaner oftmals eine gottgewollte Tugend, während übermäßiger Reichtum in Europa Anlass zu Kritik und Neid bietet. Wenn die 400 reichsten Amerikaner laut Wall Street Journal mehr als ein Prozent des Bruttosozialproduktes ihres Landes kontrollieren oder amerikanische Vorstandsvorsitzende im Jahr 2000 im Durchschnitt über 400-mal mehr verdienten als ihre Angestellten, so führt das in Europa zu verstärktem Stirnrunzeln, während viele Amerikaner dies als Verwirklichung individueller und/oder gottgegebener Möglichkeiten sehen.
Gesellschaftliche, politische und auch wirtschaftliche Entwicklungen werden auf der anderen Seite des Atlantiks also durchaus mit einem grundlegend anderen Werteverständnis beurteilt, und dieses gilt es zunächst zu erkennen, bevor man ignorant vorverurteilt. Aber auch in Amerika wachsen inzwischen die Selbstzweifel. Dabei geht es vor allem um Fragen wie die, ob die zunehmende soziale Spaltung wirklich noch dem Amerikanischen Traum gerecht wird, ob die große Kluft im Bildungssystem zwischen Elite-Universitäten auf der einen und einem geringen Bildungsniveau sozial schwächerer Schichten auf der anderen Seite noch akzeptabel ist und ob überhaupt der Amerikanische Traum, dass jeder Erfolg haben kann, tatsächlich noch stimmt. Das zeigt, dass auch in den USA die Mahnung gilt: meden agan - „nichts im Übermaß“!

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