- Wichtiges EU-Urteil: Auf dem Weg zum Wettbewerb der Rechtssysteme... - Popeye, 01.10.2003, 06:41
Wichtiges EU-Urteil: Auf dem Weg zum Wettbewerb der Rechtssysteme...
-->Freie Bahn für ausländische Unternehmen
Europarichter verbieten Sonderregeln /"Mitbestimmung kann ausgehebelt werden"
jja. FRANKFURT, 30. September. Unternehmen können künftig innerhalb der Europäischen Union (EU) Vorschriften des Mitgliedslands unterlaufen, in dem sie ansässig sind, indem sie die Rechtsform eines anderen EU-Staates nutzen. Das hat der Europäische Gerichtshof am Dienstag in Luxemburg klargestellt. Dies gelte etwa für Bestimmungen über Mindestkapital, Haftung und Gläubigerschutz. Beobachter erwarten, daß sich auf diese Weise auch die deutschen Regeln über die Mitbestimmung von Arbeitnehmern aushebeln lassen.
Der Vorsitzende der Regierungskommission"Corporate Governance", Theodor Baums, sagte dieser Zeitung, das Urteil ermögliche einen"Wettbewerb der Regelsysteme". Auch wenn der Gerichtshof nicht ausdrücklich die Mitbestimmung erwähnt habe, solle die Bundesregierung nun nicht mit einem Sondergesetz versuchen, diese Vorschriften ausländischen Gesellschaften bei einem Zuzug nach Deutschland aufzuerlegen. Dies dürfe sie schon gar nicht, wenn die Mehrheit der Arbeitnehmer im Ausland beschäftigt sei. Ein solcher Schritt würde Deutschland als Standort für Holdinggesellschaften oder bei Verschmelzungen großer Mittelständler völlig unattraktiv machen, warnte der Frankfurter Juraprofessor."Der Gesetzgeber darf das Loch nicht mit fragwürdigen Mitteln stopfen."
Allenfalls"echte Umgehungsfälle" dürften dadurch bekämpft werden, sagte Baums. Er wies darauf hin, daß einige große amerikanische Unternehmen wie Dow, United Parcel Service und Ramada-Hotels längst auf Grundlage eines deutsch-amerikanischen Vertrags von 1954 in Deutschland ohne Mitbestimmung tätig seien.
Der Streitfall betraf einen Kunstgewerbehändler, der in England ein Unternehmen mit beschränkter Haftung ("Limited") - vergleichbar der deutschen GmbH - gegründet hatte. Er betrieb seine Geschäfte jedoch von den Niederlanden aus, wo für Unternehmen strengere Vorschriften gelten als in Großbritannien, denen er auf diesem Weg ausweichen wollte. Die schärferen Regeln in den Niederlanden gelten zwar unmittelbar nur für einheimische Gesellschaften. Ein spezielles Gesetz legt aber auch Unternehmen, die nur"formal ausländisch" sind, besondere Pflichten auf.
Gerade diese Zusatzregelung erklärte der Europäische Gerichtshof jetzt für einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit. Mitgliedstaaten dürfen sich zwar vor"Betrug und Mißbrauch" schützen. Dazu gehöre aber gerade nicht, daß ein Unternehmen nur deshalb in einem bestimmten Mitgliedstaat errichtet werde, weil es den strengeren Regeln in einem anderen EU-Land ausweichen wolle.
Unzulässig ist dies nach Ansicht des Gerichtshofs selbst dann nicht, wenn die Firma über eine"Zweigniederlassung" ihre Geschäftstätigkeit dort"im wesentlichen oder ausschließlich" ausübt. Ein solches Vorgehen stelle keinen Mißbrauch dar, sondern sei gerade der Sinn der im EG-Vertrag verankerten Niederlassungsfreiheit. Einschränkungen seien weder wegen der von Holland geltend gemachten Steuerkontrollen oder der"Lauterkeit des Handelsverkehrs" noch zum Gläubigerschutz erforderlich. Denn etwaige Vertragspartner seien über die Rechtsform unterrichtet, unter der die Firma auftrete (Az.: C-167/01).
Richter betonen Niederlassungsrecht, Seite 23
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 01.10.2003, Nr. 228 / Seite 13

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