- Ein Lese-Muss! Chalmers Johnson: Ein militärischer Moloch u."Knabenkaiser" Bush - RK, 10.10.2003, 16:53
- Ich nenne das Militärdemokratie (owT) - zani, 10.10.2003, 17:10
Ein Lese-Muss! Chalmers Johnson: Ein militärischer Moloch u."Knabenkaiser" Bush
--> SPIEGEL special 3/2003 - 01. Oktober 2003
URL: http://www.spiegel.de/spiegelspecial/0,1518,268737,00.html
Politologe Johnson über die USA
"Ein militärischer Moloch"
Von Olaf Ihlau
Der amerikanische Politikwissenschaftler Chalmers Johnson beschreibt die USA als ein Land, dessen Kultur und Demokratie immer mehr durch die waffenstarrende Arroganz der Macht ausgehöhlt werden.
Im Establishment der Bush-Regierung hassen sie ihn, den wohl ätzendsten inneramerikanischen Kritiker des amerikanischen Supermacht-Gebarens. Denn Chalmers Johnson, kalifornischer Politologe im Unruhestand, lässt sich nicht als linker Spinner abtun oder gar als Weichling aus Old Europe. Johnson ist selbst Fleisch vom Fleische des Establishments, verstand sich einst als eine seiner Speerspitzen, als er der CIA noch als Berater diente und beinahe deren Chef geworden wäre.
Doch das ist lange her. Anfang 2000 warnte Johnson, 30 Jahre Professor für politische Wissenschaften an der Universität von Kalifornien, sein Land vor den Gefahren der Hegemonialpolitik."Blowback" lautete der Titel dieser Mahnschrift mit dem Rückgriff auf einen internen CIA-Terminus für unerfreuliche Folgen misslungener Auslandsoperationen. Johnsons Kernthese: Mit vielen Aspekten und Aktionen US-imperialer Dominanz würden Länder und Gruppen nicht nur zu Opfern gemacht, sondern regelrecht dazu provoziert, Vergeltungsschläge gegen die USA zu führen. Ein Jahr darauf konnte sich die kalifornische Kassandra durch die Terroranschläge des 11. September schauerlich bestätigt fühlen.
Jetzt hält Johnson, 72, mit dem Buch"Der Selbstmord der amerikanischen Demokratie" seinen Landsleuten wieder brutal einen Spiegel vor. Und was sie darin sehen, kann ihnen schwerlich gefallen. Es ist entlarvend, beklemmend, alarmierend und als Lektüre auch der politischen Elite Europas anzuempfehlen, will sie die Triebkräfte dieses neuen Amerika verstehen, das auf die Interessen anderer, selbst alter Verbündeter, kaum mehr Rücksicht zu nehmen glaubt.
Wie andere Imperien vor ihnen, so grollt der Politologe und gnadenlose Polemiker, hätten sich auch die USA dafür entschieden, nicht besonnen zu agieren und in Frieden und Wohlstand zu leben, sondern sich als militärische Supermacht zu präsentieren,"die einer zornigen, sich im Widerstand einenden Welt gegenübertritt".
In den 14 Jahren seit dem Fall der Berliner Mauer hat für Johnson"eine Revolution" stattgefunden in den Beziehungen Amerikas zum Rest der Welt. Sei anfangs die US-Außenpolitik noch weitgehend Sache der Zivilisten gewesen, die auf die Grundlagen internationalen Rechts und auf langjährige Allianzen mit anderen demokratischen Staaten setzten, so habe sich heute, unter den"neokonservativen Triumphalisten", all dies von Grund auf geändert. Die Vereinigten Staaten seien nicht das, was sie zu sein vorgeben: der gutwillige Hegemon, ständig um den Export von Demokratie und Menschenrechten bemüht. Sie seien vielmehr"in Wahrheit ein militärischer Moloch, der sich die Welt unterwerfen will".
Johnson porträtiert ein Imperium der permanenten Militärstützpunkte, militärischer Flughäfen, Armeegarnisonen, Spionagehorchposten und strategischen Exklaven auf jedem Kontinent der Erde. Er kommt auf mindestens 725 Militärstützpunkte außerhalb der USA, die in 153 der 191 Uno-Mitgliedstaaten militärisch präsent seien. An vielen Orten mit hochrangigen Offizieren als Prokonsuln,"die in den Gastländern exterritoriale Truppenstatut-Abkommen durchsetzen und dafür sorgen, dass Angehörige des amerikanischen Militärs sich nicht wegen Straftaten gegen Einheimische verantworten müssen".
Unterdessen seien viel mehr uniformierte amerikanische Offiziere im Ausland stationiert als Diplomaten, Entwicklungshelfer oder Umweltexperten. Tag für Tag vermittle das globale Netz der US-Garnisonen die Botschaft,"dass die Vereinigten Staaten es vorziehen, mit der Waffe in der Hand mit anderen Nationen zu verkehren, statt durch Verhandlungen oder kommerzielle oder kulturelle Beziehungen".
Diese USA seien nicht mehr daran interessiert, sich an international gültige Rechtsnormen zu halten oder sich als Teil der Völkergemeinschaft zu verstehen. Dies illustrierte für den Politikwissenschaftler zuletzt der Irak-Krieg, zu dessen Rechtfertigung"hohe Regierungsbeamte gefälschte Begründungen konstruiert" und somit das amerikanische Volk wie die Weltöffentlichkeit hinters Licht geführt hätten.
Imperialisten, so definierte es einmal der britische Ã-konom John Hobson, sind"Parasiten des Patriotismus". Der Schock des 11. September lieferte der Bush-Crew da genügend patriotische Schubkraft. Als geistigen Vater jener Washingtoner Ideologen, die heute die amerikanische imperiale Macht rechtfertigen wollen, ortet Johnson Woodrow Wilson. Der glaubte zu Beginn des vorigen Jahrhunderts an den Auftrag der USA,"der Welt den endgültigen Frieden" zu bringen. Johnson:"Wilson stellte den amerikanischen Imperialismus auf eine idealistische Basis, die uns heute in der Form einer,globalen Mission' zur,Demokratisierung' der Welt begegnet."
In der politischen Tradition Amerikas, argumentiert der kalifornische Politologe, sei der Begriff"Imperium" von jeher negativ besetzt gewesen. Ronald Reagan dämonisierte die Sowjetunion als"evil empire". Doch seit den Terroranschlägen des 11. September habe die Idee des Imperiums in den USA an Ansehen gewonnen, obwohl Washingtons heutige Regenten von der römischen Geschichte nicht allzu viel wüssten. Paul Wolfowitz, Bushs Vize-Verteidigungsminister und härtester Hardliner in seinem Team, darf sich mit seinem früher belächelten Werben für eine"Pax americana" nun fast schon im Mainstream fühlen.
Der 11. September markiert für Johnson"einen gefährlichen Wandel im Denken einiger amerikanischer Führer". Diese neigten nun dazu, die amerikanische Republik"als ein echtes Imperium zu betrachten, als ein neues Rom, als das mächtigste Reich in der Menschheitsgeschichte, das sich nicht länger an das internationale Recht, die Interessen von Alliierten oder sonstige Beschränkungen hinsichtlich des Einsatzes von Waffen gebunden fühlt".
Ein Imperium, wie der Historiker Arthur Schlesinger bedrückt notierte, das auch Präventivkriege zu einem legitimen und moralisch unbedenklichen Instrument der amerikanischen Außenpolitik zu machen versucht. Diese"vorbeugende Selbstverteidigung" ist Axiom der"Nationalen Sicherheitsstrategie" vom September 2002. Schon Monate vorher hatte George W. Bush deren interventionistischen Kern bei seiner Ansprache vor der Militärakademie West Point offenbart. Er kündigte"im Krieg gegen den Terror" Interventionen in notfalls bis zu 60 Ländern an:"Wir müssen den Kampf zum Feind tragen."
Wie einst Woodrow Wilson berief sich auch Bush dabei auf universelle Werte:"Wir werden den Frieden sichern, indem wir auf allen Kontinenten freie und offene Gesellschaften fördern." Für Chalmers Johnson klingt das wie die Ankündigung eines Kreuzzuges.
Unter der"Clique von '01", wie Johnson die Administration um den"Knabenkaiser" Bush gern apostrophiert, habe sich ein Regimewechsel zu Gunsten der Militaristen vollzogen. Es gebe inzwischen ein Übergewicht von Offizieren und Vertretern der Rüstungsindustrie in hohen Regierungsämtern. Viele Militaristen trügen Zivil. Die meisten Neokonservativen, die für die Ausbreitung der Demokratie mit Waffengewalt und für Präventivschläge stünden, hätten ihre Wurzeln in der Linken, nicht in der Rechten:"Sie entstammen dem einflussreichen jüdisch-amerikanischen Sektor der trotzkistischen Bewegung im Amerika der dreißiger und vierziger Jahre."
In der Vorhut der US-Imperialisten des 21. Jahrhunderts propagieren laut Johnson vor allem zwei Hauptakteure nun auch die Militarisierung des Weltraums: Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und Vizepräsident Dick Cheney. Ein"besonders alarmierendes Zeichen" für den fortgeschrittenen militärischen Unilateralismus der USA sieht der kalifornische Professor in dem Versuch, demnächst allen anderen Staaten grundsätzlich die Nutzung des Weltraums für nachrichtendienstliche Zwecke zu verbieten, auch den Verbündeten. Ab 2004 würden die USA anfangen, Kommunikations- und Spionagesatelliten anderer Staaten zu beeinträchtigen oder zu zerstören, um diese Länder von ihnen abhängig zu machen.
Militarismus und Arroganz der Macht, so fürchtet Johnson, drohen die amerikanische Kultur und demokratischen Grundwerte auszuhöhlen:"Das amerikanische Volk wird sein Land verlieren." Die einzig verbliebene Supermacht sieht er auf einem ähnlichen Weg wandeln, wie er in den achtziger Jahren zum schleichenden Zusammenbruch der Sowjetunion führte. Dafür seien vor allem drei Faktoren verantwortlich gewesen: Die durch ihre ideologische Verbohrtheit ausgelösten internen ökonomischen Widersprüche, ihre imperiale Überdehnung und ihre Unfähigkeit zu Reformen.
Der gegenwärtige Kurs der Bush-Clique werde der Welt nicht mehr Sicherheit bringen, sondern mehr Gefahren und Instabilität produzieren, lautet Johnsons Resümee:"Kein Zweifel, dass uns neue Versionen der Schweinebucht-Invasion und beschleunigte Wiederholungen des Vietnam-Kriegs-Szenarios beschert werden".
Entsprechend düster sind die Prognosen der kalifornischen Kassandra. Vier Hauptprobleme würden dem amerikanischen Imperium zu schaffen machen: Ein permanenter Kriegszustand mit weiteren Terroranschlägen auf Amerikaner; die weitgehende Einschränkung von Demokratie und verfassungsmäßigen Rechten der Bürger in den USA; ein System der Propaganda, der Desinformation und der Verherrlichung von Krieg, Macht und Militär; schließlich der wirtschaftliche Ruin des Landes, weil immer mehr Ressourcen in immer ehrgeizigere Militärprojekte gesteckt werden.
Nur eine Entwicklung könnte diesem fatalen Prozess Einhalt gebieten:"Das Volk müsste den Kongress zurückerobern, die korrumpierten Wahlgesetze ändern, den Geldfluss ins Pentagon unterbinden." Zwar verfüge Amerika über eine starke Zivilgesellschaft, die zumindest theoretisch im Stande wäre, gegen die machtvollen Interessen der Streitkräfte und des militärisch-industriellen Komplexes vorzugehen. Aber diesen Hoffnungsschimmer lässt Chalmers Johnson sogleich wieder entschwinden mit dem Blick auf die Lehren der Geschichte:"Große Reiche bestehen nicht ewig, und sie enden meist in einer Katastrophe."
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Chalmers Johnson:"Der Selbstmord der amerikanischen Demokratie" Aus dem amerikanischen Englisch von Hans Freundl und Thomas Pfeiffer. Karl Blessing Verlag, München; 472 Seiten; 21 Euro

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