- Worum geht's in der Demokratie - ein Fall für den Optimisten @R.D. - Popeye, 21.10.2003, 09:41
- Untertanengeist - R.Deutsch, 21.10.2003, 10:33
Worum geht's in der Demokratie - ein Fall für den Optimisten @R.D.
-->Ein Fernseher zur Belohnung
Die Volksabstimmung in Rumänien / Von Karl-Peter Schwarz
PRAG, 20. Oktober. Das offizielle Ergebnis des Referendums über die Verfassungsänderungen in Rumänien wird zwar erst für Mittwoch erwartet, dennoch sind am Montag in Bukarest schon die ersten personellen Konsequenzen zu verzeichnen gewesen. Drei in Korruptionsaffären verwickelte Regierungsmitglieder - die Ministerin für europäische Integration, Hildegard Puwak, Gesundheitsminister Mircea Beuran und der Koordinator des Regierungsbüros, Serban Mihailescu - seien zurückgetreten, verkündete Ministerpräsident Nastase. Nur knapp war die Regierung am Wochenende an einer schweren Niederlage vorbeigeschrammt. Die geringe Wahlbeteiligung reflektierte die Verdrossenheit der Rumänen über die Arroganz der Regierenden und die Schamlosigkeit, mit der sie sich an ihren Ämtern bereichern.
Am Samstag, an dem ersten Tag des Referendums, hatten bis zehn Uhr abends erst 14,29 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimmen abgeben. Am Sonntag mittag waren es 23,19 Prozent, um drei Uhr nachmittags 34,27 Prozent, um sechs Uhr 45,5 Prozent. Um acht Uhr schlossen die Wahllokale, eine Stunde später schätzte das zentrale Wahlbüro die Wahlbeteiligung bereits auf 54,46 Prozent. Eine Hochrechnung des Wahlbüros am Montag vormittag ergab 55,6 Prozent. Nach den bisherigen Angaben haben sich knapp neunzig Prozent für die Annahme des Pakets an Verfassungsänderungen ausgesprochen, das dem Land den Weg in die Europäische Union ebnen soll.
Rumänische Zeitungen berichteten am Montag über einige Methoden, die angewandt wurden, um die Bürger zur Stimmabgabe zu bewegen. In Bacau wurde mit Genehmigung des Präfekten eine Tombola für die Teilnehmer an dem Referendum veranstaltet, der erste Preis war ein TV-Gerät. Der Präfekt von Satu-Mare wiederum versprach dem Bürgermeister, der die meisten Wähler zu den Urnen bringen würde, eine Reise in die Volksrepublik China. Anderen Bürgermeistern, die mehr als fünfzig Prozent der Wahlberechtigten mobilisieren konnten, wurden Geldprämien in Aussicht gestellt. In einem Bezirk wurde den Bürgern gedroht, sie hätten nur dann eine Chance auf Beschäftigung, wenn sie sich an dem Referendum beteiligten. Zahlreiche Überraschungen gab es bei der Auszählung der mobilen Urnen. In einem Spital etwa beteiligten sich 200 der 120 anwesenden Patienten an der Abstimmung. In einem Wahlbüro in Arges wurden am Samstag abend 164 abgegebene Stimmen gezählt, die sich vor der Wiedereröffnung am Sonntag morgen auf 200 vermehrt hatten. Ein anderes Wahlbüro meldete irrtümlich 10109 statt 109 Teilnehmer nach Bukarest. Einem Journalisten gelang es, gleich dreimal abzustimmen: Einmal wies er den Personalausweis vor, einmal den Reisepaß, einmal die Wahlkarte - in Rumänien verfügen die Wahlberechtigten über eine Wahlkarte, die dem Personalausweis ähnelt und in der die Teilnahme an Wahlen oder Volksabstimmungen mit einem Stempel bestätigt wird.
Für die politische Kultur der regierenden sozialdemokratischen PSD ist es bezeichnend, daß selbst eine Abstimmung über Grundrechtsänderungen, die einen Bruch mit der totalitären Tradition der rumänischen Verfassung darstellen, mit den Mitteln der Einschüchterung, der Bestechung und des Betruges erfolgt. Besonders bei jungen und gebildeten Wählern stieß die Kampagne der Regierung, die auch zur Profilierung der lokalen PSD-Barone benutzt wurde, auf Ablehnung. Viele Studenten blieben dem Vernehmen nach der Abstimmung fern. In den Kasernen des Landes hingegen wurde eine Wahlbeteiligung von 99 Prozent erreicht.
Die Verfassungsänderungen in Rumänien erlauben die Übertragung von Souveränitätsrechten, ein Referendum über den Beitritt zur EU erübrigt sich daher. Die Amtsperiode des Staatsoberhauptes wird von vier auf fünf Jahre verlängert. Den Minderheiten wird das Recht auf den Gebrauch der Muttersprache bei Behörden und vor Gerichten zugestanden. Weitere Verfassungsänderungen betreffen den Schutz von persönlichen Grundrechten.
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.10.2003, Nr. 244 / Seite 6

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